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hamburger.lesemaus
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Bargfeld-Stegen

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Insgesamt 461 Bewertungen
Bewertung vom 26.10.2021
Schlink, Bernhard

Die Enkelin


ausgezeichnet

Wichtige Literatur
Die Enkelin von Bernhard Schlink

Der Buchhändler Kaspar findet seine Frau Birgit tot in der Badewanne. Birgit trank schon lange und war depressiv, sie hatten sich auseinander gelebt und dass, obwohl ihre Liebe einst so spektakulär begann: Kaspar, der Wessi, verliebte sich in Birgit, die in der DDR lebte. Er besorgte ihr Papiere und verhalf ihr so zur Flucht.

Nach Birgits Freitod entdeckt Kaspar ihre Aufzeichnungen: Birgit hatte in der DDR eine Tochter zur Welt gebracht, die sie direkt nach der Geburt zur Adoption freigab.
Eigentlich wollte sie die Tochter finden und ihrem Mann von dem Kind erzählen, doch der richtige Zeitpunkt dafür ergab sich nie.

Kasper beschliesst, sich auf die Suche nach dieser verlorenen Tochter zu machen. Doch was er findet, entspricht nicht seinen Erwartungen, denn Birgits Tochter und Enkeltochter leben in einem rechtsradikalen Umfeld.

Bernhard Schlink spricht hier ein schwieriges Thema an: Rechtsradikales Denken und Handeln im Osten Deutschlands.

Mir hat der Roman sehr gut gefallen: Der feinfühliger Protagonist Kaspar, den ich oft bewundert habe, wie ruhig und sachlich er bei den Vorwürfen Björns blieb und wie er versucht hat, seiner Halb-Enkelin trotz Widerstand Björns andere Werte und Sichtweisen aufzuzeigen.
Dieser Roman hat unterschiedlichste Emotionen bei mir ausgelöst: Ich schwankte zwischen Wut, Sprachlosigkeit und Mitgefühl.
Wieder einmal feinste Literatur, in einem wunderbaren Schreibstil von Bernhard Schlink.

Bewertung vom 18.10.2021
Grossman, David

Was Nina wusste


gut

'Was Nina wusste' ist ausgelesen. Puh, endlich, warum ich es nicht abgebrochen habe, kann ich eigentlich nicht sagen, vielleicht wollte ich endlich wissen was Nina wusste...

Drei Frauen stehen hier im Fokus:

- Vera, 90 Jahre alt, Jugoslawische Kommunistin, damals von der Tito-Regierung auf die Gefängnisinsel Goli Otok verschleppt
- ihre Tochter Nina, die sich ein Leben lang verstoßen und ungeliebt fühlte
- und Ninas Tochter Gili, die bei ihrem Vater aufwuchs, da Nina verschwand.

Der Bruch zwischen Gili und Nina ist auch nach 50 Jahren irreparabel. Gemeinsam treten sie mit Vera und Gilis Vater eine Reise an, um Veras Vergangenheit und den Ursprung des Zerwürfnisses aufzuarbeiten.

Leider konnte mich das Buch nicht überzeugen. Obgleich es einen wichtigen historischen Hintergrund hat, gefiel mir der Schreibstil nicht:

Ständig wechselten Erzähler und Perspektiven: Mal erzählte Gili in der Ich-Form und sogleich wechselte sie ansatzlos in die 3.Person Singular. Auch ihr Sprachstil, der von poetisch bis vulgär-anrüchig bis hin zum Jugoslawischen Akzent reichte, sprach mich nicht an.

Schade, ich hatte mir mehr versprochen, nachdem ich hier viel positives gelesen hatte. Leider keine Leseempfehlung von mir.

Bewertung vom 16.10.2021
Schrocke, Kathrin

Bunte Fische überall


sehr gut

Barnie ist 13 Jahre alt und wächst in einer Regenbogenfamilie auf.

"Regenbogenfamilien?" Offenbar hatte Sergej das Wort noch nie gehört. "Na ja, so nennt man Frauen- oder Männerpaare mit Kind".
"Wieso das denn?"
"Hm." Ich hatte mir ehrlich gesagt noch nie Gedanken darüber gemacht. Mein Blick fiel auf den neuen Radiergummi im Regal. Die Regenbogenflagge leuchtete in der Nachmittagssonne.
"Weil..." Ich überlegte. "Vielleicht, weil die Lebensgeschichte der Leute so bunt sind wie die Farben des Regenbogens..." (Tolino, Seite 105)

Eigentlich ist Barnie ein ganz normaler Teenager: Ein wenig verliebt in den Nachbarsjungen Sergej und nie mit dem zufrieden was die Eltern gerade (nicht) erlauben. Aber zum Glück kommt das neue Baby-Schulprojekt gerade richtig: Jeweils zu zweit soll man sich 24 Stunden am Tag um eine Baby-Computer-Puppe kümmern. Das Projekt soll aufzeigen, das Jugendliche besser nicht im Teenie-Alter schwanger werden sollten.
Barnie und Sergej schliessen sich für dieses Projekt zusammen und werde so zu Eltern.
Doch auf einmal stellt Barnie fest, dass nicht alles so toll an Sergej ist wie seine Küsse...
Und dann gibt es ja auch noch Tore, der viel verantwortungsvoller ist und ihre Familie nicht als "nicht normal" tituliert.

Mir hat das Jugendbuch sehr gut gefallen. Der Erzählstil ist flüssig und das Thema ist wichtig.
Klare Leseempfehlung von mir.
4 ½ Sterne

Bewertung vom 03.10.2021
Keane, Mary Beth

Wenn du mich heute wieder fragen würdest


ausgezeichnet

Mehr als nur eine Liebe

'Wenn du mich heute wieder fragen würdest' ist weit mehr als die Liebesgeschichte von Kate und Peter. Es ist eine Geschichte über tiefe Freundschaft, Zusammenhalt, Betrug, Abhängigkeit, Vernachlässigung, Vorurteilen und letztendlich auch des Vergebens.
Ein Roman, in feinster Sprache und einnehmenden Schreibstil, aus vielen unterschiedlichen Perspektiven erzählt, ein Romeo und Julia der Modernen, ein leiser Roman, jedoch voller psychischer Gewalt und tiefer Sehnsucht nach Liebe und Verständnis, kurz gesagt: ein Lesehighlight.


Die Handlung:
Brian Stanhope und Francis Gleeson sind nicht nur Kollegen bei der Polizei, sondern auch Nachbarn im kleinen idyllischen Gillam, ein Vorort von New York.
Während Francis und Lena drei Mädchen haben, bekommen Brian und Anne einen Sohn, namens Peter.
Peter und die jüngste Tochter der Gleesons, Kate, sind sich tief verbunden und wachsen gemeinsam auf. Sie besuchen die selbe Klasse und fühlen sich zueinander hingezogen.

Es hätte so eine nette Liebesgeschichte sein können, wenn...

- Peters Mutter nicht psychisch krank und eifersüchtig auf Kate wäre
- und Peters Vater, der die Krankheit seiner Frau zwar erkennt, aber nichts dagegen unternimmt, sich lieber im Alkohol flüchtet
- und es nicht diesen einen schicksalshaften Tag gibt, der das ganze Leben beider Familien verändert.

Eine absolute Leseempfehlung.

Bewertung vom 27.09.2021
Schulman, Alex

Die Überlebenden (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Ein Highlight
Das Buch beginnt mit dem Ende: Drei erwachsene Männer, die blutüberströmt am See des ehemaligen roten Sommerhauses in Schweden mit der Asche ihrer Mutter stehen, um diese zu verstreuen.
Drei Jungs, die sich schon als Kinder nicht gut verstanden haben. Geprägt von den Alkoholexzessen der Eltern, hätten sie unterschiedlicher nicht sein können.
Ständig buhlten sie um die Aufmerksamkeit der Eltern. Sie litten unter den Launen der Mutter, die ihrem ältesten Sohn den Vorzug gab, während sie die Jüngeren meist abwies. Der Alkoholpegel des Vaters entschied, ob er liebevoller Familienvater oder handgreiflich wurde.

Das Buch wird in zwei Zeitsträngen erzählt:
Der Erste handelt chronologisch von der Kindheit der Jungs, erzählt werden Erlebnisse, Geschichten, kleine Streiche, Auseinandersetzungen, aber auch Anekdoten seltener Verbundenheit.
Der zweite Strang beginnt mit dem Ende und arbeitet sich von Kapitel zu Kapitel zurück, zu dem Zeitpunkt, wo das Schlimme geschah, was alles veränderte.

Es ist eine Geschichte über drei Jungs mit gebrochenen Seelen, die zu oft auf sich alleine gestellt waren und vernachlässigt wurden und die erst als Erwachsene realisieren, was ihnen fehlte und was alles unausgesprochen blieb. Erinnerungen die falsch im Kopf schlummerten, werden erst im erwachsenenalter aufgearbeitet und wieder an den richtigen Platz gerückt.

Alex Schulman hat, in teilweise harter Sprache, ein unglaublich intensives und tiefgreifendes Debüt geschrieben.
Ein Buch so getreu erzählt, dass ich für Minuten in Schweden am See saß und den Mücken beim Tanzen während des Sonnenuntergangs zusehen konnte.
Ein großes Lesehighlight.

Bewertung vom 25.09.2021
Lecoat, Jenny

Die Übersetzerin (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Eine gefährliche Liebe

Hedy, eine österreichische Jüdin, glaubt den Nazis entkommen zu sein. Von ihren Eltern und Schwester getrennt, baut sie sich ein neues Leben auf Jersey auf.
Doch ihr Plan geht nicht auf: 1940 landen die ersten Truppen der deutschen Wehrmacht auf der Kanalinsel. Hedy ist verzweifelt, wurde sie sofort als Jüdin klassifiziert und verliert ihren Job postwendend. Lebensmittelkarten sind ihr jetzt verboten und anfänglich wird sie noch von ihrem besten Freund Anton mit Lebensmittel versorgt, doch das Essen reicht nicht zum Überleben.
Sie nimmt eine Stelle als Übersetzerin an - ausgerechnet für die Nazis.
Durch Zufall lernt sie den Besatzungsoffizier Kurt kennen und die verbotene Liebe nimmt ihren herausfordernden Lauf.

Die Geschichte von Jenny Lecoat beruht auf einer wahren Begebenheit.
Der Schreibstil ist fliessend und fesselnd und ich war sofort in der Geschichte angekommen.

Mein Fazit:
Die Nazis sind mir eigentlich zu nett dargestellt und die fürchterlichen Gräueltaten der Herrenrasse sind mir nicht intensiv genug beschrieben worden, jedoch war die Geschichte so spannend aufgebaut, dass ich das Buch nicht aus der Hand legen konnte. Und genau das macht ein gutes Buch aus. Es gibt andere, intensivere Bücher aus der Nazizeit, aber hier stand die deutsch/jüdische Liebesgeschichte mit allen Gefahren im Vordergrund und die gefiel mir sehr..

Bewertung vom 12.09.2021
Kringe, Sarah

Happy Road


ausgezeichnet

#Vanlife
Sarah lernt im Österreich-Urlaub ihren Vermieter Mathias kennen und verliebt sich in ihn.
Zurück in Berlin kann sie es kaum erwarten ihre neue Liebe wiederzusehen. Bei der nächsten Gelegenheit schnallt sie ihr Fahrrad aufrecht auf den Dachgepäckträger und macht sich auf den Weg zu Mathias nach Österreich.
Kurz vor dem Ziel noch schnell die Kaufhaus-Toilette benutzen, sich umziehen und frisch machen, denkt Sarah, denn die letzten Stunden sass sie mit Jogginghose im Auto - so will sie sich nicht Mathias präsentieren. Wie wird er mich begrüßen? Doch hoffentlich nicht per Handschlag.., denkt sie gerade, als sie in die Tiefgarage des Kaufhauses runterfährt. RUMPS! Ein Riesenknall reißt sie aus den Gedanken und sofort ist sie sich bewußt, was diesen ‚Knall‘ ausgelöst hat: Ihr Fahrrad, oben auf dem Gepäckträger - die Höhe des Rades passte nicht ganz zur Höhe der Tiefgarage.

So beginnt das Buch Happy Road von Sarah Kringe. Man ist sofort dabei: Leicht und flüssig, mit viel Humor schreibt die Autorin und erzählt von ihrer Road Tour in einem umgebauten Transporter quer durch Europa.
Eigentlich kennen sie sich kaum, nur wenige Monate, aber sie gehen das Risiko ein, kündigen ihre Jobs und stürzen sich in das Abenteuer. Ein Abendteuer wird es wirklich, denn Sarah und Mathias erleben Pannen, übernachten bei -21°,Trinkwasser aufzutreiben ist nicht immer einfach und das Problem mit der Toilette stellt sich täglich. Wunderschöne Natur entschädigt sie jedoch oft.

Sie reisen durch Griechenland, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Serbien, Rumänien, Ukraine, Lettland, Estland, Finnland, Norwegen und Schweden, wobei sie den harten Winter in Skandinavien verbracht haben.

Mir hat das Buch inkl. Bilder unglaublich gut gefallen. 243 Seiten (Tolino) waren viel zu schnell gelesen und Sarah schreibt so authentisch, dass ich das typische Geräusch hören konnte, wenn der Camper bei Sarahs Erzählungen durch die tiefen Schlaglöcher der Ukraine polterte.
Grosse Leseempfehlung.

Bewertung vom 04.09.2021
Stuart, Douglas

Shuggie Bain (MP3-Download)


sehr gut

Wenn Alkohol alles zerstört
Glasgow, in den 80er Jahren: Shuggie Bain, Lieblingskind von Agnes, der Trinkerin, wächst hier im Arbeiterviertel in Armut auf. Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit prägen das Leben der Arbeiter in Glasgow. Huggies Vater hat schon lange die Flucht ergriffen: Anfänglich von Agnes Schönheit geblendet, hat er längst begriffen, dass er ihr nicht helfen kann. Unterhalt zahlt er nicht - und so landen Agnes, ihre zwei Kinder aus erster Ehe und dem gemeinsamen Kind Shuggie in der Sozialwohnungssiedlung. Agnes versäuft das Geld von der Stütze am ersten Tag nach Erhalt und für Essen bleibt den Kindern nichts mehr. Wenn das Geld alle ist, macht Agnes sich schön, pflegt sich, zieht ihren schönen Pelz aus alten Tagen an (der Pfandleiher wollte den nicht haben) und macht sich auf dem Weg um einen Mann zu suchen, der ihr einen Drink spendiert.
Shuggies ältere Geschwister Kath und Leek ziehen aus, und so ist es an Shuggie sich um seine Mutter zu kümmern. Er, der anders ist als andere Jungs, feminin mit weichem Gang, versucht auf seine Mutter aufzupassen. Er schwänzt die Schule, beschützt sie vor aufdringlichen Männern die an die Tür klopfen, wischt ihr Erbrochenes auf und bringt sie ins Bett. Doch Shuggie gibt nicht auf: Das Wohlbefinden seiner Mutter ist für Ihn das erste Gebot…

Es ist ein Buch über bedingungslose Liebe, Sucht und Abhängigkeit und deren Auswirkungen auf alle Familienmitglieder.

Shuggie Bain ist der Romandebüt von Douglas Stuart, der hier die eigene Geschichte seiner alkoholkranken Mutter erzählt, ausgezeichnet mit dem Booker Preis 2020.

Mir persönlich hat die tieftraurige Geschichte gut gefallen, lesenswert, aber nicht mein Lesehighlight des Jahres. Der Sprecher hat mir sehr gut gefallen.

Bewertung vom 01.09.2021
Mank, Ute

Wildtriebe


ausgezeichnet

Drei Generationen auf einem Bauernhof:
Lisbeth ist die Erbin des hochangesehenen Bethches-Hofs in einem kleinen Fachwerk-Dorf in Hessen. Sie ist Patriarchin durch und durch, diszipliniert, organisiert und von früh bis spät arbeitend, immer darauf bedacht, was die Anderen, die Nachbarn, über sie sagen könnten. Wenn sie durchs Dorf geht, trägt sie ihre Nase hoch.

Als Lisbeths Sohn heiratet und die moderne Marlies zu ihnen auf den Hof zieht, erhofft sie sich Unterstützung von der Schwiegertochter. Marlies jedoch möchte weder eine Kinderschar gebären, noch ihre Arbeit im Modehaus aufgeben. Es brodelt und der Konflikt nimmt seinen Lauf. Das keiner über Probleme und Gefühle in der Großfamilie spricht, macht es nicht einfacher.
Als das langersehnte Enkelkind Joanna endlich geboren wird, nehmen die Unstimmigkeiten mit den unterschiedlichen Vorstellungen von Kindererziehung noch zu.

Ute Mank lässt uns in ihrem Debütroman an dem Alltagsleben mit Traditionen in einer Bauernfamilie teilhaben. Sie beschreibt wunderbar wie sich der Hof mit jeder Generation verändert.
Dadurch, dass Lisbeth und Marlies im Wechsel erzählen, hadert oder leidet man mit ihnen.


Es ist einerseits ein Roman über einen Generationskonflikt und die fortschreitende Industrialisierung, als auch die Rollenveränderung der Frau, in ihrem Kampf um Selbstbestimmung, Anerkennung und Freiheit.
Das Buch Wildtriebe von Ute Mank regt zum Nachdenken an.
Eine Leseempfehlung von mir! 4½ Sterne