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Raumzeitreisender
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Buchwurm, der sich durch den multidimensionalen Wissenschafts- und Literaturkosmos frisst

Bewertungen

Insgesamt 766 Bewertungen
Bewertung vom 31.08.2016
Lutz, Wolfgang

Leben ohne Brot


ausgezeichnet

Grundlagen der kohlenhydratarmen Ernährung

Der Mediziner Wolfgang Lutz (1913 – 2010) hat sich über 50 Jahre seines Lebens auf mehreren Ebenen mit dem Einfluss von Kohlenhydraten auf Zivilisationskrankheiten beschäftigt. Er begann 1958 in einem Selbstversuch mit der Reduktion von Kohlenhydraten auf seinem Speiseplan. Diese Form der Ernährung behielt er bis zu seinem Lebensende bei. Da persönliche Erfahrungen nicht zu wissenschaftlicher Anerkennung führen, ließ er seine Erkenntnisse in seinen Berufsalltag als Arzt einfließen und setzte sich wissenschaftlich mit dem Thema auseinander. Zahlreichen Patienten konnte er helfen.

In dem Buch verarbeitet Lutz seine persönlichen Erfahrungen und beschreibt, wie eine kohlenhydratarme Diät wirkt. Dieser allgemeine (und auch allgemein verständliche Teil) in den Anfangs- und Schlusskapiteln ist der Rahmen für den medizinisch-wissenschaftlichen Hauptteil des Buches. In diesem Hauptteil analysiert Lutz zahlreiche Krankheitsbilder und beschreibt Zusammenhänge zur Ernährung. Dabei wird manch eine althergebrachte Erkenntnis auf den Kopf gestellt. Aufschlussreich sind die Zusammenhänge zur Evolution, denen er ein eigenes umfangreiches Kapitel widmet. Auch wenn der Ackerbau 10000 Jahre zurückliegt, ist dieser Zeitraum verschwindend klein im Verhältnis zu den Jahrmillionen, die der Mensch bzw. seine nahen Verwandten durch die Evolution an die Umwelt angepasst wurden. 10000 Jahre reichen einfach nicht aus für eine vollständige genetische Anpassung des Menschen an das Getreide.

Zu Ernährungsfragen gibt es viele und insbesondere auch viele widersprechende Thesen. Die Leser müssen das, was Lutz schreibt nicht glauben, sie können es durch Umstellung der Ernährung selbst überprüfen. Das Buch ist ein Klassiker, auf das sich andere Autoren stützen, wenn sie sich mit Ernährungsfragen beschäftigen. Auf den letzten Seiten befinden sich Kohlenhydrattabellen sowie einige Rezepte.

4 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.08.2016
Schmidgen, Henning

Bruno Latour zur Einführung


sehr gut

Ein kreativer Erneuerer der Sozialwissenschaften

Der französische Philosoph und Sozialwissenschaftler Bruno Latour zählt zu den weltweit am häufigsten zitierten Buchautoren in den Sozial- und Geisteswissenschaften. Grund genug, sich mit ihm auseinander zu setzen. Autor Henning Schmidgen, Professor für Medienästhetik an der Uni Regensburg, entwickelt in diesem Buch ein Portrait dieses vielseitigen Wissenschaftlers. Dabei liegt der Fokus auf dessen Werken, Entwicklung und Beziehungsgeflecht und nicht auf der Person.

Die Zeittafel auf den letzten Seiten des Buches gibt Aufschluss über wichtige Stationen und Theorien von Bruno Latour, auf die Schmidgen im Rahmen seiner Ausführungen eingeht. Hierzu zählen u.a. seine Doktorarbeit über „Exegese und Ontologie in Bezug auf die Wiederauferstehung“, seine Forschungen am Salk Institute for Biological Studies in La Jolla (Kalifornien) und seine Arbeiten über Pasteur und die französische Medizin, um nur Beispiele zu nennen. Schmidgen beschäftigt sich insbesondere mit Werken Latours, die bis dato nicht in deutscher Übersetzung vorliegen.

Schmidgen geht es in dem Buch um den „empirischen Philosophen“ Latour. Primär dreht sich alles um die Frage: „Wie verhalten sich Wissen, Zeit, und Gesellschaft zueinander?“ (13) Latour kritisiert den Reduktionismus („Nichts reduziert sich auf etwas anderes, nichts leitet sich von etwas anderem ab, alles kann sich mit allem verbinden.“) (110) und ist mit Comtes der Meinung, dass sich langfristig gesehen weder die Biologie in der Physik und Chemie, noch die Soziologie in der Biologie auflösen wird. (112) Er thematisiert die Frage, ob nicht-menschlichen Akteuren eine Eigendynamik und vielleicht sogar Handlungsfähigkeit zugesprochen werden kann. (138) Sein erfolgreichstes Buch „Wir sind nie modern gewesen“ wirkt bereits vom Titel her provokant und ist ein Ausflug in das Reich philosophischer Essays.

„Bruno Latour zur Einführung“ ist keine (allgemein verständliche) Biographie, wie z.B. „Einstein“ von Johannes Wickert, in dem insbesondere auch der Mensch Einstein beschrieben wird und auch kein (lebhafter) persönlicher Bericht, wie z.B. „Die Doppel-Helix“ von Watson, sondern ein Buch über die wissenschaftlichen Stationen und Theorien von Bruno Latour für Fachleute. Auch wenn es phasenweise ein wenig trocken wirkt, wird das Netzwerk von Bruno Latour einschließlich seiner Theorien in der Breite nachvollziehbar beschrieben. Wer einzelne Texte von Latour kennt, erhält mit dieser Einführung einen Überblick auch über seine weniger bekannten Bücher.

Bewertung vom 29.08.2016
Heisenberg, Werner

Tradition in der Wissenschaft


sehr gut

Wegbereiter der modernen Physik

Werner Heisenberg (1901-1976) gehört neben Erwin Schrödinger, Nils Bohr, Paul Dirac, um nur einige Protagonisten aufzuführen, zu den Vätern der Quantentheorie. Die Texte zum Buch wurden noch mit dem Autor besprochen, wenngleich er die Veröffentlichung 1977 nicht mehr erlebt hat. Es handelt sich um Reden und Aufsätze, die u.a. die Anfänge der Quantenmechanik behandeln und damit eine historische Bedeutung haben.

Heisenberg analysiert in „Tradition in der Wissenschaft“ den Einfluss der Tradition bei der Auswahl der Probleme, in der wissenschaftlichen Methodik und in der Verwendung von Begriffen. Es sind insbesondere die durch Tradition geprägten Begriffe, die den Fortschritt lähmen. Ob Physik, wie zurzeit von Galilei, als Widerspiegelung göttlicher Schöpfungsideen betrachtet wird, dürfte nebensächlich sein, solange wissenschaftliche Methoden angewendet werden.

Die Entwicklung und das Verständnis der Quantentheorie ist eng verknüpft mit einem Wandel in der Welt physikalischer Begriffe. Fundamentale Symmetrien rücken als Ersatz für fundamentale Teilchen in den Fokus. Das Thema ist so bedeutend, das Heisenberg ihm mit „Die Begriffswelt in der Geschichte der Quantenmechanik“ ein eigenes Kapitel widmet.

In „Die Anfänge der Quantenmechanik in Göttingen“ gibt Heisenberg einen subjektiven Abriss über die Anfangsjahre bis 1927. Deutlich wird, dass eine präzise mathematische Beschreibung für eine physikalische Theorie eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung ist. Es bedarf einer begrifflichen Klärung.

In den folgenden Kapiteln thematisiert Heisenberg die Erforschung kosmischer Strahlen, die Rolle der Elementarteilchenphysik und den Begriff des Elementarteilchens. Da es sich nicht um ein Lehrbuch handelt, sondern um eine Sammlung von Aufsätzen, die zudem ungekürzt wiedergegeben werden, sind Redundanzen vorhanden.

Aufschlussreich sind die Begegnungen und Diskussionen mit dem Querdenker Albert Einstein. Heisenberg war in jungen Jahren fasziniert von der speziellen Relativitätstheorie. Einsteins unkonventionelle Denkweise lieferte reichlich Stoff für Diskussionen. Er machte deutlich, dass sich das Prinzip, nur beobachtbare Größen in einer Theorie zu verwenden, nicht durchhalten lasse und das erst die Theorie bestimmt, was beobachtet werden kann.

In „Die Richtigkeitskriterien der abgeschlossenen Theorien in der Physik“ stellt Heisenberg die Bedeutung der Intuition für den Wissenschaftler heraus. Der Physiker spürt, dass einzelne Phänomene des Erfahrungsbereichs eng zusammenhängen, auch wenn diese sich mathematisch noch nicht beschreiben lassen. Die zugehörige Mathematik ist häufig recht komplex.

„Tradition in der Wissenschaft“ ist kein Lehrbuch, sondern eine lesenswerte Sammlung über die Anfänge und Grundlagen der Quantenphysik. „Dabei kann und will ich nicht die Rolle des Historikers übernehmen … sondern ich möchte ein subjektives Bild entwerfen, möchte Einzelheiten schildern, die nicht in den Geschichtsbüchern stehen ...“ (43)

Bewertung vom 29.08.2016
Frank, Gunter

Schlechte Medizin


ausgezeichnet

Ein wichtiges Aufklärungsbuch über den medizinischen Alltag

Gunter Frank berichtet über Fehlbehandlungen im Alltag, über deren Ursachen und über die gesellschaftlichen Folgen schlechter Medizin. Er fordert die Leser auf, den medizinischen Betrieb kritischer zu hinterfragen. Da Autor Frank selbst Arzt ist, handelt es sich um einen mutigen Schritt, seine Erkenntnisse einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Die Leser erhalten kritische Informationen von einem Insider.

Frank erläutert den Trick mit den Normwerten, erläutert den Unterschied zwischen relativem und absolutem Risiko und beschreibt klare Regeln für eine gute Medizin. Studie ist nicht gleich Studie. Es gibt nur wenige (aussagekräftige) „Champions-League-Studien“. Diese sind teuer, laufen über viele Jahre und werden daher nur selten erstellt. Dabei erfüllen sie am ehesten die Forderung nach evidenzbasierter Medizin. In der Realität wird mit Vergleichsgruppen, Klassifizierungen, der Datenauswahl und statistischen Analysen getrickst, um die „Erwartungswerte“ zu erhalten.

Aufschlussreich ist, wie die sogenannte Lehrmeinung in der Medizin entsteht. Der Einfluss der Hochschulprofessoren auf die Leitlinien der Fachgesellschaften ist enorm. Und hinter den Professoren steht die Industrie. „Es ist davon auszugehen, dass es eine direkte Einflussnahme der Industrie auf die Leitlinienerstellung in Deutschland gibt.“ (148) Es mangelt an einer unabhängigen Qualitätssicherung. Um hier gegenzusteuern, wurde 2004 das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen gegründet.

Frank warnt vor einer Ideologisierung der Gesundheitspolitik. „Die Irrtümer werden als generationsübergreifende Ideologien weitergegeben.“ (176) „Neue Ansätze oder Kritik an etablierten Lehrmeinungen werden systematisch unterdrückt.“ (185) (Natur)wissenschaftliche Methoden haben nicht das Gewicht, welches sie haben sollten, statistische Methoden werden unsachgemäß angewandt.

Autor Frank beschäftigt sich auch mit Ernährungsfragen und ihrem Einfluss auf die Gesundheit. Das ist ein Thema, welches Zweifel weckt. Frank spielt den Einfluss der Ernährung auf die Gesundheit herunter. Der Mensch wird aber durch die Gene und durch die Umwelt geprägt. Den Einfluss der Ernährung auf Krankheiten herunterzuspielen halte ich aus evolutionsbiologischer Sicht nicht für plausibel.

Im Schlusskapitel erläutert Frank, wie er bei Untersuchungen vorgeht. Sein Hauptvorwurf richtet sich an die medizinischen Hochschulen, denen Selbstkritik fehlt und die Lehrmeinungen hervorbringen, die nicht dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechen. Er erläutert, welche Änderungen aus seiner Sicht erforderlich sind und wie sich Patienten im Hinblick auf beschriebene Missstände verhalten sollen. Das Buch ist ein „Plädoyer für mehr Vernunft in der Medizin“.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.08.2016
McKenna, Christina

Der übersehene Mann: Roman


gut

Suche nach Geborgenheit

Der (leicht lesbare) Roman besteht aus drei Erzählungen, die miteinander verwoben sind. Es sind dies die Geschichten von dem Farmer Jamie McCloone und der Lehrerin Lydia Devine sowie der Rückblick auf die prägende Kindheit von Jamie McCloone in einem katholischen Waisenheim. Verschneidungen zwischen den Protagonisten entwickeln sich, der Zufall spielt dabei eine (über)große Rolle. Das gibt dem Roman naive Züge.

Bei der Beschreibung des ländlichen Irlands wird deutlich, dass Autorin Christina McKenna dort aufgewachsen ist. Die Charakterstudien sind gelungen und bewirken, dass die Leser in die Romanwelt eintauchen können. Die Beschreibungen wirken authentisch. Der Roman ist facettenreich, er ist melancholisch, humorvoll und durch die Heimgeschichten auch sozialkritisch. Die Entwicklung am Ende kommt unerwartet.

Bewertung vom 28.08.2016
Skip Morrow

Das erste offizielle Katzenhasserbuch


sehr gut

Katzen - eine Fehlleistung der Natur

Wozu braucht man Katzen? „Schurwolle, frische Eier, rahmige Milch weigern sie sich zu liefern; diszipliniert an der Leine oder gar „bei Fuß“ spazierengehen, lehnen sie ab“. Selbst die Polizei verzichtet auf ihre Dienste. Hunde sind treu, Katzen berechnend, weiß der Volksmund.

Autor Skip Morrow lässt die Katze aus dem Sack und setzt sich mit dem Problem auseinander. Auf ca. 120 Seiten (Seitenangaben fehlen) visualisiert er, was man mit der Mieze anstellen kann bzw. wie man das Viech loswird. Der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt. Ein wertvoller Ratgeber für alle, die diese Plage beseitigen wollen.

Das Buch ist nicht für Katzenfreunde geeignet, die plagt nach einer solchen Lektüre der Katzenjammer. Freunde des schwarzen Humors werden dagegen ihre Freude haben. Das Buch ist schnell gelesen, wenngleich man bei einigen Skizzen genau hinschauen muss. Das Titelbild vermittelt einen ersten Eindruck von diesem (mittlerweile) Klassiker der Katzengeschichte.

Bewertung vom 27.08.2016
Benedict, Gerald

Der Fünf-Minuten-Philosoph


weniger gut

Ein bescheidener Überblick über philosophische Themen

Der Philosoph und Sozialpsychologe Erich Fromm bemerkte einst, dass der Mensch das einzige Tier sei, welches sich mit dem Problem der eigenen Existenz beschäftigen müsse. Hat das Leben einen Sinn? Und schon war die Philosophie geboren. Da die Vernunft die Frage zwar diskutieren, aber nicht beantworten kann, mussten die Religionen erfunden werden. Damit ist im Laufe der menschlichen Geschichte eine Vielfalt an Antworten entstanden. Je nach Sozialisierung, Umfeld, Neigungen und Überzeugungen sucht sich der Mensch seine eigenen Antworten. „Der Fünf-Minuten-Philosoph“ soll dabei behilflich sein.

Die Themen sind interdisziplinär und vielfältig. Gerald Benedicts Untersuchungsobjekte sind „Wissen“, „Ich“, „Kosmos“, „Menschheit“, „Spiritualität“, „Religion“, „Glauben“ und „Verhalten“. An diesen Begriffen wird deutlich, dass zur Analyse nicht nur Philosophie und Religionswissenschaften gefordert sind, sondern insbesondere wissenschaftliche Disziplinen wie Psychologie, Astronomie, Biologie, Soziologie und Anthropologie. Der Autor ist Religionswissenschaftler und promovierte in Philosophie und durch diese Brille betrachtet er auch die Themen. „Dieses Buch führt durch die Welt der Dichter, Denker und Weisheitslehrer“.

Ob es sinnvoll ist, auf 200 Seiten 80 verschiedene Themen anzureißen, ist eine andere Frage. Das hat zwangsläufig zur Folge, dass Begriffe nicht hinreichend definiert werden können und der Blick nicht sehr in die Tiefe gehen kann. Einen Vergleich mit z.B. „Schlüssel zur Philosophie“ von Franz Wuketits, auch ein Einsteigerbuch, hält „Der Fünf-Minuten-Philosoph“ nicht stand. Man merkt beim Lesen, dass Wuketits mehr von den Naturwissenschaften bzw. der Wissenschaftstheorie geprägt ist und Benedict mehr von den Religionswissenschaften. Wuketits ist präziser in seinen Ausführungen.

Bei einer Analyse des Wissens und seiner Grenzen (23) könnte man zur Abrundung auch einen Ausflug in die Evolutionäre Erkenntnistheorie (Gerhard Vollmer) oder in den Konstruktivismus (Paul Watzlawick) unternehmen. Formulierungen wie „Nach der Urknalltheorie entstand der Kosmos zu einem bestimmten Punkt in der Zeit ...“ (55) ist nicht richtig, wie der Autor später (57) selbst erkennt „Und dabei [Urknall] entstanden auch Raum und Zeit“. Das Thema „Freier Wille“ (80) greift zu kurz, wenn nicht die Experimente von Benjamin Libet angesprochen werden. Beim Abschnitt Religion hat mich gestört, dass der Autor keine Unterscheidung zwischen Fundamentalismus und Fanatismus vornimmt (130). Auch ist für mich nicht plausibel, dass Agnostizismus, wie Theismus und Atheismus, auf einem Glauben beruhen soll (142). Zum Thema Erleuchtung (150) fehlen zum besseren Verständnis Erfahrungsberichte, wie sie z.B. Richard M. Bucke in „Kosmisches Bewusstsein“ liefert.

Das Buch gibt zweifelsohne Anregungen. Es ist aber teilweise auch unscharf in seinen Ausführungen. M.E. ist es insbesondere für Leser gedacht, die sich mit den behandelten Themen bislang eher wenig beschäftigt haben. Anderen würde ich empfehlen, direkt auf weitergehende Literatur zuzugreifen.

Bewertung vom 27.08.2016
Jonasson, Jonas

Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand


sehr gut

Ein verrückter Schelmenroman

Allan Karlsson ist trotz seiner hundert Jahre kein Mann fürs Altersheim. Das Abenteuer steckt ihm im Blut und so steigt er aus dem Fenster seines Altersheims und verschwindet in Richtung Bahnhof. Wenngleich der Ausbruch am Anfang ungewöhnlich wirkt, wird im Zuge einiger Retrospektiven, in denen Karlssons Lebensgeschichte erzählt wird, deutlich, um welches Kaliber es hier geht.

Protagonist Karlsson ist Sprengstoffexperte und Überlebenskünstler. Markant sind sein Durst und sein Charakter. Sein trockener Humor zieht die Leser in seinen Bann. Er hat keine Hemmungen, redet frei heraus und hat mit Religion und Politik nichts im Sinn. So kommt es im Laufe seiner Lebensgeschichte häufiger vor, dass er die Seiten wechselt, ohne sich dabei etwas zu denken.

Der Roman ist absurd, realitätsfern und voller schwarzem Humor. Er lebt von seiner Situationskomik und der Unberechenbarkeit seiner oft planlos agierenden Akteure. Die Idee, einen Hundertjährigen zum Hauptdarsteller zu machen, erweist sich als genial, zumal wenn man in der Lage ist, ihn unerwartet forsch darzustellen. Aber auch die anderen Protagonisten sind auffallende Charaktere.

Jonas Jonasson ist ein verrückter Schelmenroman gelungen. Das Buch liest sich leicht und man legt es nur ungern zur Seite. Die Geschichte findet nach zahlreichen Abenteuern ein würdiges Ende. Der Reiz des Buches liegt auch darin begründet, dass der Leser zu Beginn überhaupt nicht weiß, wie sich die Geschichte entwickeln wird. Der Autor sollte dem Drang seines Verlegers widerstehen und kein zweites Buch nach dem gleichen Muster schreiben.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.08.2016
Suter, Martin

Die Zeit, die Zeit


gut

"Das, was wir als das Verstreichen von Zeit empfinden, ist in Wirklichkeit nur die Entstehung von Veränderung." (287)

Mit dem Phänomen Zeit haben sich Generationen von Physikern, Psychologen, Biologen und Philosophen beschäftigt, ohne eine abschließende Antwort zu finden. Zeit ist relativ, Zeit ist subjektiv, Zeit ist Veränderung, Zeit ist im Sinne von Kant eine a priori Denkkategorie. Das Bewusstsein erzeugt die Illusion der Zeit. Martin Suter beschäftigt sich literarisch mit der Zeit und so kommt sein Protagonist Knupp zu dem Ergebnis: "Die Zeit existiert nicht." (88) Um diesen Gedanken kreist der Roman. Ein Augenblick soll festgehalten werden. Die Realität wird dem Augenblick angepasst.

Ort der Handlung ist eine kleine Wohnsiedlung, die Protagonisten sind Peter Taler und der Sonderling Albert Knupp. Beide haben ihre Frau verloren. Martha Knupp-Widler starb vor zwanzig Jahren, Laura Wegmann wurde vor einem Jahr ermordet. Taler ist von der Polizei enttäuscht und versucht den Fall selbst aufzuklären, Knupp arrangiert sich auf seine spezielle Art und Weise mit der Situation. Er hat eine individuelle Theorie zur Zeit und versucht diese empirisch zu beweisen. Taler wird in seinem eigenen Interesse sein Helfer. Damit ist der Handlungsrahmen abgesteckt. Wie wurde der Plot umgesetzt?

Der Leser spürt die Zeit. Sie scheint gedehnt zu sein. Die Handlungen drehen sich um Fotos und um Angleichung der Außenwelt an diese Fotos. Dieser Prozess macht wesentliche Teile des Romans aus. Abwechselung bieten die Szenen auf Talers Arbeitsstätte. Zu guter Letzt wird der Mordfall geklärt. Es handelt sich aber nicht um einen Krimi, sondern eher um einen psychologischen Roman. Mir fehlen in diesem Werk tiefergehende philosophische Betrachtungen zur Zeit, die eine so zentrale Rolle spielt. So wirkt die Geschichte phasenweise recht fad.

Fazit: Der Plot ist genial; die Umsetzung mäßig.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.08.2016
Grüter, Thomas

Magisches Denken (eBook, ePUB)


sehr gut

Magie versus Naturwissenschaft

Während der Büchermarkt mit esoterischer Literatur überschwemmt wird, fristen Bücher, die sachlich aufklären und die Spreu vom Weizen trennen, ein Schattendasein. Warum ist das so? Diese und viele ähnliche Fragen werden in „Magisches Denken“ behandelt. Thomas Grüter, Arzt und Softwareunternehmer, klärt die Leser über die Grundlagen des magischen Denkens und seine Auswirkungen auf.

Grüter bringt das Thema im Vorwort auf den Punkt. Der Mensch nutzt zwei Denksysteme. „Das nur beim Menschen voll ausgeprägte analytisch-rationale und das entwicklungsgeschichtlich sehr viel ältere Erfahrungssystem.“ (8) Wenngleich das analyisch-rationale System sich im Hinblick auf das Überleben der Menschheit auf der Überhohlspur bewegt, existiert das unsere Gefühle steuernde Erfahrungssystem weiter. „Im Spannungsfeld dieser beiden Systeme entsteht das magische Denken.“ (8)

Das magische Denken bietet die Grundlage für sämtliche esoterische Glaubensrichtungen. Esoterik funktioniert, weil sie an das Gefühl appelliert. Daher ist eine vernunftgeführte Widerlegung dieses Glaubenssystems auch nicht möglich. Um die Prinzipien der Esoterik zu verdeutlichen, entwirft Grüter kurzerhand eine eigene esoterische Lehre. „Die Esoterik lebt von schönen Träumen, von Harmonie und Liebe.“ (195). Wenn zentrale Aussagen esoterischer Modelle zutreffen, muss die heutige Physik in wichtigen Aspekten falsch oder zumindest grob unvollständig sein.

Der Autor schreckt auch nicht vor einer kritischen Analyse seiner eigenen Zunft, der Medizin, zurück. Dabei findet er klare Worte, wenngleich seine Kritik nicht soweit geht, wie die von Dr. Gunter Frank in „Schlechte Medizin“. Grüter schlägt einen Bogen von der Naturmedizin bis in die Neuzeit, wundert sich über den Glauben an uralte Praktiken und relativiert den Erfolg medizinischer Therapien. Manche Erfolge beruhen auf einer „therapeutischen Illusion“. (182)

Auch zwischen Religionen und magischem Denken besteht ein Zusammenhang. Aus dem Blickwinkel der Evolution muss Religion den Mitgliedern einer Gruppe einen Überlebensvorteil gebracht haben. Sonst wären Religionen heute nicht kulturübergreifend so verbreitet. Grüter erläutert die Entstehung anhand des Cargo-Kults, geht mit seiner Kritik aber nicht soweit, wie Richard Dawkins in „Der Gotteswahn“. „... sein Buch [Der Gotteswahn] bringt die Diskussion nicht recht voran. Es hat formal und inhaltlich … gravierende Schwächen ...“. (243)

In „Naturwissenschaft und magisches Denken“ widmet sich Grüter den Vertretern des analytisch-rationalen Denkens und macht deutlich, dass es sich letztlich, aufgrund der Methodik, um das erklärungsmächtigste Denksystem der Menschheit handelt. Aber auch Wissenschaftler sind nur Menschen. „Sie haben Vorurteile wie andere Menschen auch, und sie neigen durchaus zum magischen Denken.“ (273)

Thomas Grüter beschreibt in diesem Buch Hintergründe und Folgen des magischen Denkens. Seine Ausführungen sind sachlich, teilweise humorvoll und insbesondere sehr verständlich. Magisches Denken ist ein uraltes Erbe der Menschheit und damit unvermeidlich. Es kann aber durch analytisch-rationales Denken überlagert werden. Das Buch dient dazu, über entsprechende Zusammenhänge aufzuklären.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.