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MB
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Rösrath

Bewertungen

Insgesamt 438 Bewertungen
Bewertung vom 24.04.2019
Berkel, Christian

Der Apfelbaum


gut

Jahrhundertschau.
Ich muss zugeben, dass ich zunächst skeptisch war: ein Schauspieler versucht sich als Literat! Aber ich muss Daniel Kehlmann in seinem Kommentar der auf dem Umschlag des Buches abgedruckt ist, Recht geben: Es ist das werk eines schriftstellers. Ein Jahrhundert Familiengeschichte mit vielem was dazugehört; die Weltkriege, das Dritte Reich, die Judenverfolgung, Vernichtung, Flucht und Kriegsgefangenschaft, alternative Lebensversuche in der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg, Heimat finden in einer Welt die zerbrochen ist; und schließlich dann die Liebe in dieser unmöglichen Zeit. "Sie hatten das Leben gegen den Krieg getauscht, ihr Fühlen, Denken und Handeln seinen Gesetzen unterworfen. Sie hatten nicht geahnt, wie viele Schattierungen die Farbe Schwarz unter dem Hakenkreuz bereithielt." Dass die Liebenden sich nach jahrelangen Wirren am Ende dann doch wieder finden - und dies in genau jenem Augenblick, als aus einem Radio der Jubel über das Siegtor der deutsche Fussballnationalmanschaft zur Weltmeisterschaft tönt - das erinnert dann doch ein wenig an einen Freitagabendfilm in der ARD.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.04.2019
Gerold, Ulrike;Hänel, Wolfram

Allee unserer Träume


gut

Gute Unterhaltung mit historischem Bezug.
Dem Autorenpaar Ulrike Gerold und Wolfram Hänel – beide Jahrgang 1956 – ist ein guter Unterhaltungsroman mit biographischem und historischem Bezug gelungen. Man kann das Buch lesen als die Geschichte einer Berliner Straße, als Architekturgeschichte, als geschichtlicher Exkurs von der Zeit kurz vor dem Dritten Reich bis hin in die Zeit nach der Wiedervereinigung, als Familiengeschichte und auch als eine Emazipationsgeschichte. Das über 500-seitige Werk ist schnell gelesen, der Leser muss nicht viel rätseln (psychologische Hintergründe) sondern bekommt alles erklärt – was aber gerade die Leichtigkeit dieses Werkes ausmacht. Eine schöne Lehrstunde über die systemimmanenten Widersprüche der ehemaligen DDR sind die Szenen und Beschreibungen mit und über Walter Ulbricht. Es gibt einige für meinen Geschmack überzeichnete Passagen (Ausflug über die Grenze nach Westberlin in einen Club) – die aber gleichwohl gut unterhalten. Am Ende nimmt der Roman ein allzu großes Tempo auf, sind doch die Zeitsprünge etwas groß; es macht ein wenig den Eindruck, als wenn die Autoren das ihnen wichtige erzählt hätten, und die Geschichte dann alsbald hätten abschließen wollen. Meine Lieblingsszene ist die Beschreibung der Grenzkontrolle inklusive Zwangsumtausch im Jahre 1978; wer also eigene Erinnerungen an diese Zeit hat, dem sei das wirklich sehr gut unterhaltende Buch wärmstens empfohlen.

Bewertung vom 24.04.2019
Kawakami, Hiromi

Die zehn Lieben des Nishino


ausgezeichnet

Atmosphärisch dicht und still...
Dieses Buch der japanischen Autorin Hiromi Kawakami ist ein Kleinod! In Japan bereits 2003 erschienen und nun auch für uns übersetzt. Im Zentrum der Geschichten stehen zehn Frauen unterschiedlichen Alters, die eines gemeinsam haben - in ihrem Leben eine Liebesbeziehung mit Nishino gehabt zu haben. Nishino ist das Bindeglied zwischen den Geschichten. Über die Geschichten ihrer Liebe erfahren wir indirekt etwas über den Menschen Nishino und den groben Verlauf seines Lebens. Stets trennen sich die Frauen von Nishino und nie ist sich eine der Protagonistinnen sicher, ob sie Nishino, den souverän-kühlen Mann mit seiner "nonchalanten Distanz", wirklich lieben. In kurzen, ausdrucksstarken Sätzen beschreibt die Autorin die Unmöglichkeit wahrer Begegnung; es bleibt das Gefühl einer existenziellen Einsamkeit, welches nur durch den Versuch der Annäherung und des sich endlich Findens kurzzeitig unterbrochen wird: "Wir waren besorgt. Entrückt. Verzweifelt. Wir waren leicht. Drauf und dran, einander zu lieben. Dennoch verharrten wir an der Schwelle der Liebe, unfähig, sie zu überschreiten." Wie Figuren, die sich in einem langsam auseinanderdriftenden Universum durch einen Zufall begegnen und wieder verlieren. Und ein wenig japanisch-schräg sind die Geschichten auch! Unbedingte Leseempfehlung!

Bewertung vom 24.04.2019
Pierce, Thomas

Die Leben danach


gut

Gut geschrieben, aber...
"Die Leben danach" lässt mich ein wenig ratlos zurück. Der Autor hat zwar einen sehr angenehmen Erzählstil. Auch die eingeflochtenen Überlegungen zu Fragen der menschlichen Existenz, zum eventuellen Leben nach dem Tod, zu möglichen Verbindungen zwischen den Lebenden und den Toten, seine Gedanken zur 'Relativität der Zeit' und zur Frage, wie existent der Mensch wohl sei (existieren wir ganz, nur teilweise oder werden wir uns durch Hologramme ersetzen?), die Frage was wir tun würden, wüssten wir um unsere Zukunft... - diese Überlegungen sind durchaus interessant und regen auch ein vertieftes Nachdenken an. Auch die Einbettung dieser gewaltigen Fragestellungen in eine Liebesgeschichte inklusive ihres angekündigten Endes ist durchaus gelungen.
Nur weiß ich nicht so recht, was der Autor mir eigentlich mit all dem sagen will...
Aber vielleicht ist ja genau das auch seine ureigene Absicht, mich mehr mit Fragen als mit Antworten zurückzulassen; schließlich ist (siehe die Geschichte im Buch) nichts im Leben wirklich sicher!
Mein Urteil: Ein solides Werk von jemandem, der sein Handwerk (vermutlich) in einem Kurs für kreatives Schreiben gut gelernt hat.
Appell: Den 'brennenden Hund', die 'Wendeltreppe' und die 'Wiedervereinigungsmaschine' kennenlernen und sich ein eigenes Bild von der Geschichte machen.

Bewertung vom 24.04.2019
Saucier, Jocelyne

Niemals ohne sie


sehr gut

Eine bewegende Geschichte.
Der Roman 'Niemals ohne sie' der kanadischen Autorin Jocelyne Saucier ist im Original bereits im Jahre 2000 erschienen und liegt jetzt in der Übersetzung von Frank Weigand vor. Diese durchaus tragische Geschichte sollte man am allerbesten an einem verregneten Sonntagnachmittag und an einem Stück lesen. Was sich langsam ankündigt, das spitz sich schließlich zu bis zur letzten Seite. Es ist die Geschichte einer 23-köpfigen Familie, die ihren Lebensunterhalt in einem nordkanadischen Ort vom Erzbergbau bestreitet. In dieser Familie - für die der Zusammenhalt gegen eine nicht wohlgesonnene Umwelt alles ist - gibt es ein Geheimnis, den Tod einer Zwillingsschwester, über den allerdings nicht geprochen werden darf. Aus den unterschiedlichen Perspektiven einzlner Geschwister hat der Leser Teil an der Geschichte der Familie und kann sich wie in einem Puzzle nach und nach ein Bild über deren Tragik machen, bis sich dann am Ende alles zu einem Gesamtbild fügt. Schöne Dialoge / Gedanken:
"Wenn man nicht ständig nach Geld und Macht streben muss, kann man sich auf das Wesentliche konzentrieren. Damit hat man wirklich genug zu tun, das füllt ein Leben aus." "Die Wahrheit ist aber nicht dort, wo man sie vermutet.
Leseempfehlung!!!

Bewertung vom 24.04.2019
Aldan, Leo

Das Feuer der Erde


sehr gut

Brisante Spannung.
Wenn dieses Buch nicht so brandaktuell wäre, dann wäre es nur spannende Unterhaltung. So aber ist es zusätzlich auch noch brisante Unterhaltung. Der Autor Leo Aldan, Biologe und Biochemiker, hält uns ein Welt-Untergangs-Szenario vor Augen, dass uns nachdenklich stimmen muss; das Ende der Erde durch Katastrophen wie Erdbeben, Tsunamis, Vulkanausbrüche, ansteigende Meeresspiegel... ausgelöst durch einen von Geldgier und Gedankenlosigkeit angetriebenen Turbokapitalismus. Die Handlung startet mit der Protagonistin Georgina Finley - Vulkanforscherin - und ihrem Team in der Antarktis. Von Beginn an verdichten sich die Hinweise auf eine Katastrophe. Politik und gekaufte Wissenschaftler wollen nichts von einer drohenden Katastrophe wissen und versuchen sogar, Georgina mundtot zu machen. Die Handlung treibt in bester Pageturnermanier dem Ende entgegen, welches kein Gutes ist. Es sterben nicht nur die fiesen Machtbesessenen sondern auch die 'Guten' - damit gelingt es dem Autor, dass wir uns die Katastrophe nicht vom Leibe halten können, sind wir doch mit den 'Guten' identifiziert. Sofort mag man auf die Straße gehen und sich an 'Friday for future' beteiligen!!! Ein bisschen Liebe kommt auch vor; man wünschte sich das Buch allerdings noch 200 Seiten länger, ist das Ende doch etwas plötzlich. Wahrscheinlich wollte der Autor aber, dass wir nicht so viel Zeit mit Lesen verbringen und statt dessen schneller auf die Straße gehen, um uns für eine zukunftssichernde Klimapolitik einzusetzen.

Bewertung vom 24.04.2019
Taneja, Preti

Wir, die wir jung sind


weniger gut

Ambitioniert.
Da ich mehr Leser bin als Literaturkritiker steht mir eine Gesamtbewertung des ambitionierten 630-Seiters "Wir die wir jung sind" von der jungen indischen Autorin Preti Taneja, in Großbritannien geboren und aufgewachsen, nicht zu. Die Idee ihres Erstlings ist hervorragend, nämlich den Leser*innen die indische Kultur in all ihren Gegensätzen und Spannungsfeldern näher zu bringen. Es geht zum Einen um das gesellschaftliche Spannungsfeld zwischen Traditionalismus und Moderne, zwischen der Familie als sozialer Gemeinschaft im historischen Wandel und zum Anderen um den machtvollen Einfluss des Kapitalismus, sowie um die Gegensätze zwischen arm und reich, Abhängigkeit und Unabhängigkeit. Diese Spannungsfelder vermag die Autorin auch gut in die Familie des Patriarchen Devraj, Besitzer eines Firmenimperiums, hineinzuverlegen, dabei gelingt es durchaus, die langsame Auflösung der klassischen Mann-Frau-Rollen und des Kastensystems zu beleuchten. Der anstehende gesellschaftliche Wandlungsprozess Indiens spiegelt sich als Handlung wider in der Übergabe des Firmenimperiums an die nachfolgende Generation, die ihre sehr eigenen Vorstellungen hat, sich auch entzieht und verweigert, nach neuen Lebensmöglichkeiten sucht. Soweit - sogut; ein fantastischer Stoff - eigentlich...
Aber: Nach einem recht interessanten Beginn wird das Buch mit seiner Handlung zunehmend zähflüssig wegen zu vieler Details, abschweifenden Erzählens, zu vieler Namen und ganzen Sätzen in Hindi ohne eine Übersetzung; auch bleiben die Figuren relativ blass. Dabei hätten dieWidersprüche einer Gesellschaft in einem derart umfassenden Wandlungsprozess sich wunderbar in innerseelischen Konflikten der Protagonisten widerspiegeln und ihnen so mehr Tiefe geben können. Passagenweise wird das Lesen sehr anstrengend. Literarischer Anspruch und gute Lesbarkeit sollten sich nicht ausschließen!

Bewertung vom 24.04.2019
Romagnolo, Raffaella

Bella Ciao


sehr gut

Fast eine Jahrhundertrevue.
Die italienische Autorin Raffaella Romagnolo, Jahrgang 1971, hat dem geneigten Leser einen großen Roman geschenkt. Auf über fünfhundert Seiten entfaltet sie die Geschichte zweier Familien im Italien vom Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts bis hin zum Ende des zweiten Weltkrieges. Und das in einer eindringlichen Sprache (bzw. einer guten Übersetzung). Liebe, Verzweiflung, Politik, Klassenunterschiede, Auswanderung, Naturkatastrophe, die beiden Kriege... Im Mittelpunkt steht die Freundschaft zweier Frauen, Giulia und Anita; Anita verliebt sich in den Freund von Giulia; allerdings ist Giulia bereits von ihm schwanger; gekränkt wandert Giulia aus nach New York und kehrt nach Beendigung des zweiten Weltkrieges zurück in das italienische Dorf ihrer Jugend, bereits zu Tode erkrankt; wohl will sie Frieden schließen mit der Vergangenheit. Poetische Beschreibungen der liebevollen Zuwendung zweier Menschen, Schilderungen der Grausamkeiten der Kriege, die Wahrnehmungsperspektive eines Hundes, eine große Hochzeit am Schluss, welche Mut macht für eine gerechtere Zukunft - all das enthält dieses lesenswerte Buch!