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Aischa

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Insgesamt 571 Bewertungen
Bewertung vom 20.02.2019
Oelze, Anselm

Wallace


ausgezeichnet

Gleich mit seinem Debütroman hat Anselm Oelze eine Geschichte ganz nach meinem Geschmack geschrieben:
Der Wissenschaftsroman erzählt in zwei Zeitebenen, zum einen Mitte des 19. Jahrhunderts vom britischen Forschungsreisenden Alfred Foster Wallace, zum anderen von einem Nachtwächter in einem Naturkundemuseum, in nicht genauer bezifferter Jetztzeit.
Wallace formulierte im Roman wie im wahren Leben eine Abhandlung über eine neue Idee zur Entstehung der Arten. Er stand dazu im Briefwechsel mit Charles Darwin, der darauf hin seine eigene, praktisch identische Evolutionstheorie publizierte und seither als Vater ebendieser gilt.
Oelze hat die Geschichte nicht nur fundiert recherchiert, sondern daraus einen intelligent und witzig erzählten Plot entwickelt, der etliche g rundlegende Fragen des Lebens aufwirft. So zum Beispiel, was die Wahrheit ist, wann wir etwas für wahr halten, wie Forschung und Ruhm verknüpft sind und was im Leben (oder auch danach) zählt.
Oelzes Sprache ist sehr abwechslungsreich und fordert den Leser durchaus. Da kann sich ein Schachtelsatz mit zahlreichen Einschüben und Nebensätzen schon mal über zehn oder mehr Zeilen erstrecken. Gelungen ist in der historische Duktus in den Kapiteln, die in der Vergangenheit spielen. Hier vermittelt die gewählte Sprache Authentizität.

Schlaue Unterhaltung mit viel Diskussionsstoff, unbedingt lesen!

Bewertung vom 14.02.2019
Widler, Yvonne

Sie sagt, er sagt


sehr gut

Braucht es den hunderttausendsten Beziehungsratgeber? Natürlich nicht, aber dennoch ist dieses Buch lesenswert.
Journalistin Widler lässt in "Sie sagt, er sagt" Beziehungsexperten wie auch verliebten verschiedensten Alters zu Wort kommen, Heteros, Schwulen, Lesben, Paaren zu Beginn einer Beziehung oder nach über 50 Jahren Ehe, glückliche und Menschen, die noch auf der Suche nach dem Beziehungsglück sind.
Dabei gibt es nicht sonderlich viel Neues zu entdecken, aber Widler kann gut schreiben. Immer wieder blitzen Witz und Ironie auf, wenn sie ihre Gedanken während der geführten Interviews mit dem Leser teilt.
Die Gesprächspartner bilden einen bunten Reigen: Es kommt eine Dating-Oma zu Wort, ein Scheidungsanwalt, eine Parship-Psychologin und eine Evolutionsbiologin.
Die Tipps der Experten und Laien seien an dieser Stelle nicht verraten - selbst lesen!

Bewertung vom 12.02.2019
Roupenian, Kristen

Cat Person


gut

Noch bevor ich das Buch von Roupenian zum ersten Mal in der Hand hielt, hatte ich schon einiges darüber gehört und gelesen, vor allem über die namensgebende Kurzgeschichte, "Cat Person", laut Guardian die meistdiskutierte Short Story aller Zeiten.
Als ich die Geschichtensammlung dann zu lesen begann, musste ich erst eine eigenartige Abneigung überwinden: Das Cover fühlt sich extrem unangenehm an, der Titel hat eine ganz rauhe Oberfläche, sie erinnert an Schleifpapier.
Und dieser erste, haptische Eindruck, den das Buch bei mir machte, bestätigte sich leider auch beim Inhalt: rauh, widerspenstig, unangenehm, ja geradezu kaputt.
Roupenians Geschichten drehen sich um Beziehungen. Es geht um Sex in den verschiedensten Spielarten, um Macht und Ohnmacht, Begierde und Abweisung.
Große Themen also aus denen großartige Geschichten hätten werden können.
Was ich wirklich zwischen den beiden Buchdeckeln vorgefunden habe, hat mich leider nicht überzeugt. Sprachlich eher durchschnittlich zeichnet die Autorin ein Bild einer durch und durch morbiden Gesellschaft. Die Figuren sind extrem, extrem gestört, extrem gedemütigt oder extrem gelangweilt.
Leider bietet die Autorin - außer einer fast schon voyeuristischen Detailfreude - keinen tiefer gehenden Blickwinkel. Was treibt ihre Protagonisten derart ins Extreme? Wie reagiert die Umwelt?
So bleibt das Buch ein reißerisches Panoptikum, eine Sammlung skurriler Psychogramme, die doch meist oberflächlich bleiben und vor allem schockieren sollen.
Für mich ist dies zu wenig für gute Literatur.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.02.2019
Linnemann, Navid

Stambul


ausgezeichnet

Das fast unscheinbare Büchlein war eine große Überraschung für mich: Es ist eine wahre Fundgrube, nein, besser: eine Schatzkiste, gefüllt mit kleinen literarischen Perlen, zauberhaften Erzählungen über das Istanbul vor hundert Jahren.
Es ist eine Zeit des Umbruchs, die Türkei befindet sich zwischen Sultanat und Republik. Und so findet sich in Linnemanns Kurzgeschichten auch viel Politisches. Doch nicht nur, die Themen sind äußerst vielfältig, es geht um die Liebe, um Religion, um Diebstahl und Mord.
Nicht nur inhaltlich zeigt der Autor eine erfrischend große Bandbreite, sondern auch die Form seiner Kurzgeschichten bildet einen bunten Reigen: Mal wähnt man sich in einer Kriminalgeschichte á la Agatha Christies Hercule Poirot, dann mutet die Geschichte wie eine Erzählung aus 1001 Nacht an. Es gibt Anklänge an den berühmten Nasreddin Hodscha, und auch Mystisches findet sich.
Besondere Erwähnung verdienen zahlreiche Schwarzweiß-Fotografien, die beschriebene Orte zusätzlich illustrieren.
Kleines Manko hierbei ist leider - wie auch bei der den Geschichten vorangestellten historischen Karte Konstantinopels - die schlechte Druckqualität.
Auch einige kleine Rechtschreibfehler wurden übersehen. Dennoch wurde ich brillant und intelligent unterhalten und vergebe von ganzem Herzen fünf Sterne und eine klare Leseempfehlung!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.02.2019
Mytting, Lars

Die Glocke im See / Schwesterglocken Bd.1


ausgezeichnet

Was ist das beste an diesem Buch? Dass es der Auftakt zu einer Trilogie ist. So kann ich mich auf gleich zwei Folgebände freuen. Und ehrlich gesagt: Ich kann es kaum erwarten, zu erfahren, wie es mit den Nachkommen der norwegischen Bauerstochter Astrid und dem Dresdner Architekturstudenten Gerhard weiter gehen wird.
Lars Mytting ist mit "Die Glocke im See" ein spannender, berührender Roman voller nordischer Mystik gelungen.
Die Rahmenhandlung erzählt von der Versetzung einer alten Stabkirche aus dem abgelegenen Gudbrandsdalen nach Dresden.
Das erste Kapitel, in dem die Sage um die Entstehung der "Schwesterglocken" der Dorfkirche erzählt wird, fand ich noch etwas sperrig zu lesen. Im weiteren Verlauf hat mich Myttings Sprachstil aber schnell und komplett in seinen Bann gezogen. Er ist ein fesselnder Erzähler, dessen Liebe zu seiner norwegischen Heimat - er stammt selbst aus Fåvang im Gudbrandstal - immer wieder spürbar ist.
Die Lektüre hat mich vieles über das entbehrungsreiche, harte Leben in einem kleinen norwegischen Dorf Ende des 19. Jahrhunderts gelehrt. Kargheit der Landschaft und ein oft sprödes Miteinander gingen Hand in Hand, Hunger, Krankheit und Tod waren wiederkehrende Begleiter der Dorfbewohner. Und dennoch ist in Myttings Erzählung Platz für große Gefühle und unerwartete Wendungen. Besondere Authentizität gewinnt der Text durch die Verwendung norwegischer Begriffe und ganzer Sätze, die immer auch ins Deutsche übersetzt werden.
Der Autor arbeitet die Charaktere der Protagonisten detailliert heraus, der Plot wirkt auf mich sehr glaubwürdig.
Ich durfte anhand des Romans in eine vergangene, für mich bis dato völlig fremde Welt eintauchen und wurde dabei bestens unterhalten.
Große Leseempfehlung von mir für dieses Stück großartiger Literatur!

Bewertung vom 05.02.2019
Bonilla, Rocio

Geschwister!


ausgezeichnet

Ja, ich gestehe: Ich bin - seit ich ihr erstes Kinderbuch entdeckt habe - Rocio-Bonilla-Fan!

Auch diesmal wurden meine (inzwischen durchaus hohen) Erwartungen an ein gutes Bilderbuch rundum erfüllt. "Geschwister!" besticht durch eine gleichermaßen einfache wie kreative Idee: Man liest es nicht von vorne bis hinten, sondern zweigeteilt - von vorne bis zur Mitte, dann einmal wenden und die gedachte Rückseite wird zur neuen Vorderseite, so dass man die zweite Geschichte erneut von vorne bis zur Buchmitte verfolgt.
Mit diesem Kunstgriff erzählt Bonilla die Beziehung zweier Geschwister aus zwei Perspektiven, der des jüngeren Bruders und der der älteren Schwester.
Die gegenseitige Abneigung ("Ich mag meine(n) Bruder/Schwester nicht") kommt auch bildlich zum Ausdruck, indem das Geschwister nicht nur als Affe (der Bruder) oder Nashorn (die Schwester) bezeichnet wird, sondern auch in den Illustrationen in Tiergestalt auftaucht. Dies ändert sich jedoch im Verlauf der Story mit der Erkenntnis "... im Grunde ist es gar nicht so schlecht, zu zweit zu sein."
Besonders gelungen finde ich die Bilder. Sie werden auch beim wiederholten Ansehen nicht langweilig, man entdeckt einfach immer wieder neue Details. Ich mag die eher gedeckten Farben, die sich wohltuend von der bei Bilderbüchern oft vorherrschenden grellen Farbpalette unterscheiden.
Das Bilderbuch eignet sich bestens zum Vorlesen und selbst entdecken, meine Altersempfehlung lautet 2 - 8 Jahre.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.02.2019
Barnes, Simon

Vom Glück einen Vogel am Gesang zu erkennen


sehr gut

Dieses Buch lebt gleichermaßen vom britischen Autor Simon Barnes wie dem deutschen Illustrator Christopher Schmidt.
Dessen zahlreiche Vogelzeichnungen machen die Ausgabe zu etwas wirklich Besonderem. Mit zarter, präziser Strichführung erschafft er Bilder der gefiederten Sänger, die so realistisch wirken, dass man sich beim Betrachten beinahe in der freien Natur wähnt.
Wer möglichst schnell möglichst viele Vögel am Gesang erkennen möchte, ist jedoch mit diesem Buch nicht gut bedient.
Denn Barnes verfolgt einen ganz anderen, ganzheitlichen Ansatz. Er lädt den Leser dazu ein, die heimische Singvogelwelt langsam und mit eigenen Ohren und Augen zu entdecken. Er will Begeisterung für die Vielfalt der Natur wecken, er führt uns durch das Vogeljahr und liefert zahlreiche Hintergrundinformationen. Er will dem Leser die Fähigkeit schenken, den Vögeln zuzuhören und dabei Teil der Natur zu sein und diese letztlich mehr zu schätzen. Barnes wirft große Fragen auf: Ist Vogelgesang eine Sprache? Sind Vögel musikalisch, sind sie Künstler?
Gedichte über Singvögel zeigen deren Einfluss auf Lyriker, auch Komponisten wie Olivier Messiaen wurden durch Vogelgesang inspiriert.
Naturverbundene Leser, die Lust und Zeit haben, die heimische Vogelwelt zu entdecken, werden viel Freude an diesem hochwertigen Buch haben.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.01.2019
Opiolla, Mayk D.

Momentaufnahmen Berlin - Langeoog


sehr gut

Opiallas "Momentaufnahmen" üben eine Faszination auf mich aus, die ich mir nur zum Teil erklären kann.
Ja, ich mag seine bildhafte Sprache, die detaillierten Naturbeschreibungen, dals philosophische Sinnieren.
Aber die Themen sind eigentlich nicht meine: Hier ist eine Liebesbeziehung zu Ende, der Protagonist trauert dem Verflossenen auch nach über einem Jahr noch nach, und auch der Umzug von der Metropole Berlin auf die überschaubare, recht bürgerliche (oder gar biedere?) Insel Langeoog zieht sich über einen längeren Zeitraum hin. Alles gar nicht meins, nach Jahrzehnten fester Partnerschaft, fest im Süden Deutschlands verwurzelt und mit einer Liebe für Millionenstädte.
Und doch schafft es Opiolla, mir seine Welt nahe zu bringen, so dass ich mir weniawenig in meiner Fantasie den rauhen Seewind um die Nase wehen lasse.
Ein wenig genervt war ich diesmal (es war mein dritter Band, da ich mit "Momentaufnahmen 5" eingestiegen bin, von den immer wiederkehrenden Farbvergleichen der Augen seines Geliebten mit dem Meer, dem Himmel, den Wolken etc. Sorry, aber für mich einfach ein paar Mal zu viel.
Ansonsten tolle Stimmungsbilder, manchmal wie ein Aquarell, manchmal nur schnell skizziert. Auf jeden Fall lesenswert.