Benutzer
Benutzername: 
Dreamworx
Wohnort: 
Berlin

Bewertungen

Insgesamt 1378 Bewertungen
Bewertung vom 11.04.2021
Ruiz, Olivia

In einer Nacht ein ganzes Leben


weniger gut

"Heimat ist kein Ort, Heimat ist ein Gefühl." (Herbert Grönemeyer)
Um vor der Diktatur Francos geschützt zu sein, schicken die Eltern die 10-jährige Rita gemeinsam mit ihren Schwestern von Spanien aus ins südfranzösische Narbonne ins Exil. Dort landen die drei Mädchen in einem Flüchtlingsheim und müssen als Außenseiterinnen schnell erwachsen werden. Heimweh nach den Eltern, die fremde Sprache und Umgebung prägen ihren Alltag. Schnell muss Rita erkennen, dass es ganz allein ihr überlassen bleibt zu überleben. Sie mobilisiert all ihre Kräfte, um den Widrigkeiten des Lebens die Stirn zu bieten. Erst nach ihrem Tod erfährt ihre Enkelin durch 10 alte Briefe vom Schicksal ihrer Großmutter Rita…
Olivia Ruiz hat mit „In einer Nacht ein ganzes Leben“ einen ganz interessanten Roman vorgelegt, der mit einem recht einfachen Erzählstil zu unterhalten weiß. Nur anhand eines alten Brieffunds, der in einer alten Kommode versteckt war, erfährt der Leser gleichzeitig mit der Erzählerin, was deren Großmutter Rita im vergangenen Jahrhundert erlebt hat und durchmachen musste. Nicht nur die damaligen schwierigen Lebensumstände werden deutlich hervorgehoben, auch die zwiespältigen Gefühle der Geflüchteten schimmern immer wieder durch die Zeilen hervor genauso wie ihre Wünsche, Träume und die erste große Liebe. Die persönlichen Briefe sind zwar ganz ansprechend, doch erreichen sie den Leser gefühlsmäßig nicht wirklich, mutet doch alles eher wie Effekthascherei an, mehr gewollt als gekonnt. Im Vergleich zu anderen Schicksalsromanen aus jener Zeit fehlt es hier eindeutig an Konstanz und Intensität und wirkt irgendwie unecht und zusammengeschustert.
Die Charaktere sind zwar mit menschlichen Ecken und Kanten versehen, doch können sie den Leser nicht einfangen, so dass dieser sie nur von Ferne beobachtet und somit die besondere Bindung zu ihnen fehlt, die es braucht, um mitfühlen zu können.
„In einer Nacht ein ganzes Leben“ ist ganz passabel zu lesen, allerdings ohne jeglichen Mehrwert. Kann man lesen, hinterlässt aber keinen bleibenden Eindruck. Schade!

3 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.04.2021
Benedict, Marie

Lady Churchill / Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte Bd.2


sehr gut

Die Strippenzieherin im Hintergrund
Die aus gutem Hause stammende Clementine Hozier trifft 1906 bei einem Bankett auf den politisch ambitionierten Winston Churchill. Doch erst zwei Jahre später intensiviert sich ihre Beziehung. Für seine weitere politische Karriere brauchte Churchill eine Ehefrau, so heirateten Clementine und er 1908 und wurden mit fünf Kindern gesegnet. Clementine war außerordentlich vielseitig interessiert und hielt ihrem Ehemann eher den Rücken frei, als die Zeit ihren Kindern zu opfern. Sie war eine sehr engagierte Verfechterin des Frauenwahlrechts, was in ihrer Ehe sicherlich einige Schwierigkeiten hervorgerufen hat, da Churchill diesem erst sehr skeptisch gegenübertrat, sich aber dann der Meinung seiner Frau anschloss. Clementine Churchill setzte sich für viele wohltätige Organisationen ein und pushte ihren Mann politisch immer mehr nach vorn, dem aufgrund von Depressionen oftmals die Kraft dazu fehlte.
Marie Benedict wendet sich in ihrem neuen Buch „Lady Churchill“ erneut einer starken Frauenpersönlichkeit zu, die in der Öffentlichkeit kaum Erwähnung findet, jedoch mit ihrem starken Willen und viel Engagement nicht nur das Leben des britischen Premierministers Winston Churchill prägte, sondern seine politischen Entscheidungen und damit die Geschicke des Landes entscheidend mittrug. Mit flüssigem, bildhaftem Erzählstil lässt Benedict den Leser ins vergangene Jahrhundert reisen, wo er durch spielerisch miteinander verknüpfte biografische Fakten und fiktive Elemente eine energische Frau kennenlernt, die sich als hervorragende Strippenzieherin erweist. Geschrieben aus Clementines Perspektive hat der Leser schnell das Gefühl, ihrem eigenen Wortlaut zu lauschen und die Ereignisse vor dem inneren Auge vorüberziehen zu sehen. Die Autorin hat akribisch recherchiert und lässt den historischen Hintergrund sowie politische Entscheidungen und Ereignisse wie selbstverständlich in ihre Handlung miteinfließen, um ein vollständiges Bild zu projizieren. Clementine Churchill war in erster Linie die Beraterin ihres Mannes und erst dann Ehefrau und Mutter, was ihr oft genug ein schlechtes Gewissen bereitet hat, aber keinesfalls ein Umdenken forcierte. Benedict schafft es auf ihre ganz eigene Art, dem Leser nicht nur Einblick in das politische Wirken des Ehepaares zu vermitteln, sondern lässt auch den Blick durchs Schlüsselloch zu, um die enge Beziehung zwischen Winston und Clementine sowie deren oftmals schwierigen Phasen genau mitverfolgen zu können.
Ihren Charakteren hat Benedict mit menschlichen Ecken und Kanten ausgestattet, die auf den Leser sowohl authentisch als auch glaubwürdig wirken und ihm die Möglichkeit geben, sie genau kennenzulernen. Clementine ist eine vielseitig interessiert und gebildete Frau, die sich für die Dinge engagiert, die ihr am Herzen lagen. Dabei nahm sie oft kein Blatt vor den Mund, was ihr nicht immer Sympathien einbrachte. Clementine ist durchaus energisch und treibt nicht nur die politische Karriere ihres Mannes voran, sondern bringt sich selbst in vielen wohltätigen Organisationen tatkräftig mit ein. Winston ist ein Mann, der neben seinem politischen Engagement durchaus auch eine feinsinnige und künstlerische Seite hatte. Nebenbei hat er sich als Schriftsteller, Journalist und Maler einen Namen gemacht.
„Lady Churchill“ ist ein unterhaltsamer historischer Roman über eine außergewöhnliche Frau. Die akribische Recherche der Autorin, verknüpft mit fiktiven Elementen, zahlt sich hier gut aus. Bis heute wird Winston Churchill verehrt, hat 1953 sogar den Nobelpreis für Literatur erhalten. Doch all seine Erfolge wären wohl ohne seine im Hintergrund agierende Ehefrau Clementine kaum möglich gewesen. Eine interessante Persönlichkeit, die sich kennenzulernen lohnt. Verdiente Leseempfehlung!

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 10.04.2021
Koppold, Katrin

Aussicht auf Sternschnuppen / Sternschnuppe Bd.1


sehr gut

Hüte Dich vor Deinen Wünschen, sie könnten in Erfüllung gehen...
Obwohl mit einem altmodischen Namen ausgestattet, ist die 36-jährige Helga recht glücklich mit ihrem Münchner Leben, denn im Job läuft alles glatt und ihr langjähriger Freund Giuseppe macht ihr hoffentlich bald einen Heiratsantrag. Doch auf den muss sie wohl noch länger warten, denn als eines Morgens Giuseppes Handy eine SMS signalisiert, fällt Helga fast vom Glauben ab. Tatsächlich ist die Nachricht sehr persönlich und lässt vermuten, dass Giuseppe zweigleisig fährt. Um sich Gewissheit zu verschaffen, will Helga ihn auf einer angeblichen Geschäftsreise nach Italien nachstellen. Ein Flug ist aufgrund eines aktiven Vulkans nicht zu bekommen, so bleibt als Option nur noch ein Mietwagen. Allerdings muss sie diesen mit einem nervigen, kettenrauchenden, arroganten Schauspieler namens Nils Schönebeck teilen und eine Fahrgemeinschaft bilden. So geht es für das unfreiwillige Duo Richtung Italien, was sich als recht abenteuerliches Unterfangen entpuppt…
Katrin Koppold hat mit „Aussicht auf Sternschnuppen“ einen amüsanten, unterhaltsamen Roman vorgelegt, der zwei Protagonisten wie Feuer und Wasser eine ungewöhnliche Reise erleben lässt und den Leser als Beifahrer dazu einlädt. Der locker-flockige und humorvolle Erzählstil lässt den Leser schnell zu Helga und Nils in den Wagen hüpfen, um Teil dieses Abenteuers zu werden und dieses ungewöhnliche Duo Infernale näher kennenzulernen. Schon Helgas Gefühlschaos beim Anblick der SMS ist nachvollziehbar, obwohl man ja eigentlich nicht auf dem Handy des Partners rumschnüffeln sollte. Wer jetzt denkt: Geschieht Dir recht!, der hat die Rechnung ohne Helga gemacht. Ihr Elan, die Strapaze dieser Reise auf sich zu nehmen, ist bewundernswert, zumal sie als Vegetarierin und bekennende Zigarettenabstinenzlerin sich all diesem aussetzt. Denn Nils ist das genaue Gegenteil, ein recht arroganter Fatzke mit Dauerkippe im Mund, der sich gerne in seinem Bekanntheitsgrad sonnen möchte, was bei Helga so gar nicht klappt. Die Dialoge sind dementsprechend auch spritzig und bringen die Lachmuskeln in Position. Doch irgendwie schafft es diese ungleiche Fahrgemeinschaft, alle möglichen und unmöglichen Widrigkeiten zu umrunden und zu überstehen, wobei man als Leser am Ende irgendwie völlig erschöpft ist und sich denkt „Endlich ist es vorüber“, womit allerdings nicht der Unterhaltungswert dieser Geschichte geschmälert werden soll. Einiges ist vorhersehbar, aber auch so manche Überraschung hält dieser Roadtrip bereit.
Ihre Charaktere hat die Autorin treffsicher ausgewählt, denn mit ihren menschlichen Macken, ihrem Handeln und Tun entstammen sie dem täglichen Leben und der Leser kommt ihnen schnell näher. Helga wirkt auf Außenstehende bestimmt genauso dröge wie ihr Name, doch sie ist liebenswert, manchmal etwas zickig und chaotisch, ansonsten eher bodenständig und pragmatisch und vor allem mit Humor gesegnet. Gegenspieler Nils ist eher ein Miesepeter mit Dauerfluppe im Hals, der nach Anerkennung heischt und sich sehr wichtig nimmt. Jedoch kann er auch ganz anders, lässt Hilfsbereitschaft und Herz erkennen, wenn auch nicht immer freiwillig. Lydia ist eine ältere Dame, die all ihren Mut zusammenrauft hat, um dem Schicksal ein Schnippchen zu schlagen.
„Aussicht auf Sternschnuppen“ ist die ideale Urlaubslektüre, denn dieser unfreiwillige Roadtrip hat alles, was man unter Urlaub versteht: nervige Mitreisende, neue Bekanntschaften, aufregende Reiseetappen, spritzige Gespräche. Und das alles vor herrlicher toskanischer Kulisse. Auf jeden Fall ist es eine recht unvergessliche Reise, die gut unterhält. Verdiente Leseempfehlung!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 10.04.2021
Rosenberger, Pia

Die Bildhauerin / Außergewöhnliche Frauen zwischen Aufbruch und Liebe Bd.5


sehr gut

"Mit meinen Fehlern kann ich leben, aber nicht mit den Fehlern aller anderen." (Camille Claudel)
1881 Paris. Die 17-jährige Camille Claudel zieht mit ihrer Familie von der Champagne nach Paris. Dort hofft sie, mit Unterstützung ihres Vaters ein Bildhauerei-Studium an der privat geführten Académie Colarossi zu ergattern, denn der Eintritt des École des Beaux Arts bleibt ihr als Frau verwehrt. Gemeinsam mit den drei Engländerinnen Emily, Jessie und Amy, die sie an der Académie kennengelernt hat, mietet Camille ein Atelier an, um sich dort ganz ihrer Kunst zu widmen. Ihre Arbeiten geraten schon bald in den Blick von Auguste Rodin, der sich ihrer schon bald als Lehrer und Unterstützer annimmt. Camille verliebt sich schon bald in den wesentlich älteren gebundenen Mann und bewegt sich mit ihm nicht nur in der Pariser Kunstszene, sondern findet sich auch in so manch illustren Gesellschaft wieder, der ihren Bekanntheitsgrad vergrößert. Doch Rodin ist ein Mann, der alles und jeden vereinnahmt, der ihm nützt. Auch Camille als seine Muse muss diese Erfahrung machen…
Pia Rosenberger hat mit „Die Bildhauerin“ einen unterhaltsamen historischen Roman vorgelegt, in dem sie die 1943 verstorbene französische Künstlerin Camille Claudel wieder lebendig werden lässt und ihr mit der teils biografischen Geschichte ein Denkmal setzt. Der flüssige und bildhafte Erzählstil führt den Leser auf eine Zeitreise in die Epoche des Fin de Siecle nach Paris, um dort die ausdrucksstarke Camille und ihre Familie kennenzulernen. Während der Vater seiner Tochter sämtliche Unterstützung zukommen lässt, hält die Mutter der wohlbehütet erzogenen Camille an dem damaligen Rollenbild der Frau fest. Camille steht aufgrund ihrer Berufung zur Bildhauerin im Dauerkampf einer männlich dominierten Welt, steht unter Dauerbeschuss von hämischen Kommentaren und der allgemeinen Skepsis. Ihre Beziehung zum Künstler Auguste Rodin war ihr bis zu einem gewissen Grad sicher förderlich, doch im Großen und Ganzen hatten die beiden eine schwierige Affäre aufgrund des Egos von Auguste. Dieser duldete wie seine männlichen Kollegen keinerlei Konkurrenz in der Beziehung und Camille hat sich bis zu einem gewissen Grad untergeordnet. Camille, die nach alten Traditionen erzogen, jedoch von ihrem Vater gerade in Bezug auf ihren Berufswunsch in jeder Hinsicht unterstützt wurde, lassen die Gefühle, die sie Auguste entgegenbringt, in ein emotionales Chaos stürzen. Jedoch verliert sie ihren Traum nie aus den Augen. Die akribische Recherche der Autorin zahlt sich in dieser Geschichte aus, denn sie schafft es nicht nur, den damaligen Zeitgeist wunderbar mit ihrer Handlung zu verknüpfen, sondern lässt Camille Claudel und ihr Umwelt von den Toten auferstehen. Ihre Darstellung von dem Widerstand der Frauen, die sich nicht mehr den Gegebenheiten anpassen, sondern für ihre Rechte kämpfen, ist gut gelungen.
Die Charaktere sind vielschichtig ausgestaltet und lebendig in Szene gesetzt, sie wirken glaubwürdig und realistisch, so dass der Leser einen guten Eindruck der damaligen Zeit bekommt und mit ihnen hoffen, bangen und fiebern kann. Camille besitzt schon als junge Frau ihren eigenen Kopf, ist impulsiv und selbstsicher bis hin zu einer gewissen Arroganz, aber trägt auch eine gewisse Unsicherheit sowie Selbstzweifel in sich aufgrund der ihr fehlenden Lebenserfahrung. Das Verhältnis zur Mutter ist schwierig, denn diese prägt ein völlig anderes Frauenbild, während ihr Vater viel weltoffener wirkt. Auguste Renoir duldet keine anderen Künstler neben sich, ist vereinnahmend, fordernd und bis zu einem gewissen Grad auch rücksichtslos.
„Die Bildhauerin“ weiß durchweg mit dem eindrucksvollen Lebenslauf der Bildhauerin Camille Claudel zu fesseln. Neben interessanten persönlichen Details und einem akribisch recherchierten historischen Hintergrund fängt die Autorin die damalige Epoche wunderbar ein und setzt der Künstlerin posthum ein Denkmal. Verdiente Leseempfehlung für alle Kunstbegeisterte.

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 10.04.2021
Zinßmeister, Deana

Die vergessene Heimat


ausgezeichnet

„Der ist in tiefster Seele treu, wer die Heimat liebt wie du.“ (Theodor Fontane)
Für die schleichende geistige Verwirrung ihres 79-jährigen Vaters Ernst findet die Kochbuchautorin Britta Hofmeister eine ganze Weile genügend Ausreden. Doch sein Zustand verschlechtert sich immer mehr, was auf eine Demenz schließen lässt und der Familie einen Schreck versetzt. Britta wusste schon immer, dass ihre Eltern aus der DDR stammten, doch bisher wurde nie darüber geredet. Umso erstaunter ist sie, als Ernst immer wieder in die Vergangenheit abtaucht und dabei unbewusst mit immer mehr Details seiner Flucht mit Mutter Leni aus Ostberlin in den Westen im Sommer 1961 herausrückt...
Deana Zinßmeister hat mit „Die vergessene Heimat“ einen sehr spannenden Roman vorgelegt, in dem sie ihre ganz persönliche Familiengeschichte verarbeitet hat und dem Leser damit gleichzeitig ein besonderes Zeitzeugnis präsentiert. Der flüssige, farbenfrohe und gefühlvolle Schreibstil lässt den Leser zwischen Gegenwart und Vergangenheit hin und her wandern, wo er zum einen Britta und ihre Familienangehörigen kennenlernt und die fortschreitende Demenz des Vaters mitbeobachtet, zum anderen Ernst und Leni im Jahr 1961 bei der Planung und Flucht begleitet. Während Zinßmeister langsam einen Teil ihrer Familiengeschichte aufrollt, hat man als Leser das Gefühl, hautnah mit dabei zu sein. Gleich einem Kinofilm erlebt man die Aufrichtung des Stacheldrahts unmittelbar vor der Haustür als Vorbote für die später folgende Mauer ebenso mit wie die im Geheimen geschmiedeten Fluchtpläne und wird dabei durch eine Achterbahn der Gefühle gejagt, so plastisch und spannend beschreibt die Autorin die Vorgänge. Schon als Grenzgänger erfährt Ernst am Beispiel eines Kollegen, wie schnell es sich rächt, offen seine Meinung zu sagen. Das wachsende Misstrauen gegenüber allem und jeden aufgrund der Tyrannei durch das Regime und der Stasi wird beklemmend dargestellt und lässt den Wunsch nach Freiheit immer mehr wachsen, schürt aber auch gleichzeitig die Angst vor Entdeckung. Dass die Geflüchteten noch Jahre später nach der gelungenen Flucht Furcht vor der Verfolgung der Stasi hatten, ist verständlich. Neben der Vergangenheitsgeschichte stellt die Autorin empathisch, aber ungeschönt, die Demenzerkrankung ihres Vaters im Gegenwartsteil heraus und lässt den Leser mit der Familie gemeinsam unter den gravierenden Auswirkungen leiden.
Die Charaktere sind liebevoll in Szene gesetzt, bestechen durch glaubwürdige menschliche Ecken und Kanten und wirken auf den Leser sehr authentisch und wirklichkeitsgetreu. Gespannt mischt er sich unter sie, um sie bei ihrem Lebensweg ein Stück zu begleiten und mit ihnen zu fiebern. Britta ist eine gestresste Kochbuchautorin, die ihrer Mutter hilfsbereit unter die Arme greift. Lange verdrängt sie die Anzeichen bei ihrem Vater, doch kann sie es irgendwann nicht mehr ignorieren. Sie muss sich nicht nur mit der Krankheit ihres Vaters auseinandersetzen, sondern wird in dieser Zeit auch mit der Vergangenheit ihrer Familie konfrontiert. Ernst ist in jungen Jahren ein Macher mit dem Wunsch nach Freiheit und Gerechtigkeit. Krank im Alter ist er unwirsch, manchmal sogar regelrecht aggressiv, dann wieder teilnahmslos und in Gedanken versunken. Leni hängt sehr an ihrer Familie und will diese nicht verlassen, aber ein Leben ohne ihre große Liebe Ernst kann sie sich auch nicht vorstellen. Als gealterte Frau wirkt Leni ängstlich und gleichzeitig fordernd gegenüber ihren Kindern.
„Die vergessene Heimat“ ist eine berührende, spannende und sehr offen dargebotene Familiengeschichte, die nicht nur die letzten Tage vor dem Mauerbau der DDR und die Flucht sehr plastisch beschreibt, sondern auch die Gegenwart mit den Folgen einer Demenzerkrankung ungeschönt offenbart. Der aussagekräftige Titel ist praktisch Programm. Ein besonderer Dank gilt hierbei der Autorin für ihre Offenheit! Absolute Leseempfehlung für eine einfühlsame und doch realistische Darstellung der jeweiligen Ereignisse!

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.04.2021
Freitag, Kathleen

Das Haus des Leuchtturmwärters


ausgezeichnet

“Das Leben wird vorwärts gelebt,. aber rückwärts begriffen”. (S. Kierkegaard)
1992 Lützow/Mecklenburg-Vorpommern. Die Thrillerautorin Franzi möchte ihrer Schreibblockade entfliehen und reist dafür an den geliebten Ort ihrer Kindheit, dem ehemaligen Haus ihres Vaters direkt auf dem Hügel am Leuchtturm. Dort hofft sie, ihre Gedanken wieder in die Spur zu bringen und ihrer Kreativität auf die Sprünge zu helfen, um den Abgabetermin für ihr neues Buch vielleicht doch noch einhalten zu können. Doch all dies gerät in den Hintergrund, als Franzi in ihrem ehemaligen Kinderzimmer unter einer Bodendiele ein Tagebuch findet, dass sie mit seinem Inhalt in die Welt von Else mitnimmt, die 30 Jahre zuvor dort allein mit ihrem Vater gelebt hat…
Kathleen Freitag hat mit „Das Haus des Leuchtturmwärters“ einen wunderschönen Roman vorgelegt, der sich über zwei Zeitebenen erstreckt, die geschickt miteinander verwebt wurden und anhand der deutsch-deutschen Vergangenheit und ihrer Protagonisten zwei Seiten einer Medaille zeigen. Der flüssige, bildgewaltige und empathische Erzählstil lässt den Leser mal an die Seite von Franzi im Jahr 1992 gleiten, mal an die von Elsa, Lulu und Otto im Jahr 1962. Über wechselnde Perspektiven wird ihm dabei nicht nur eine interessante und spannende Spurensuche in der vermeintlichen Gegenwart geboten, sondern er taucht auch in der Vergangenheit in ein politisches Regime ab, dass seine Bürger bis ins kleinste Detail gängelte, bespitzelte und regelrecht in Geiselhaft hielt. Else, Lulu und Otto, die in der DDR aufgewachsen sind und sich innerlich immer mehr von dieser Regierung und seiner Ideologie entfernen, wollen unbedingt raus aus diesem Staat und ihr Leben in Freiheit genießen. Doch dafür müssen sie 40 Kilometer Ostsee überwinden. Allein den Dreien über die Schulter zu schauen, wie sie ihre aberwitzige Flucht planen, jagt den Leser durch eine wahre Gefühlsachterbahn aufgrund der Tatsache, was alles schiefgehen kann und was den jungen Leuten wohl widerfährt, sollten sie erwischt werden. Die dabei von der Autorin erschaffene atmosphärische Stimmung vermittelt auch dem Leser während der Lektüre das ständige Gefühl der Verfolgung und Überwachung und man erwartet regelrecht, im nächsten Moment aufzufliegen. Zusätzlich lässt Freitag den Leser teilhaben an Franzis Recherchen, was wohl aus den drei Fluchtschmiedenden geworden ist und dabei eigene Erinnerungsfetzen aus ihrer Kindheit sowie Dinge in den Unterlagen ihres Vaters hervorkramt, die ihr Rätsel aufgeben. Die Autorin baut ihre exzellente Hintergrundrecherche in die Geschichte mit ein, spielt mit der Aufmerksamkeit des Lesers, schraubt die Spannung immer weiter in die Höhe und gibt ihm das Gefühl, auf beiden Handlungssträngen hautnah dabei zu sein, während er atemlos durch die Seiten fegt.
Glaubwürdig und lebendig gestaltete Charaktere mit sehr menschlichen Zügen nehmen den Leser mit ihrer Authentizität sofort für sich ein, der sich ihnen nur zu gern anschließt und gemeinsam mit ihnen das gesamte Spektrum des Gefühlsbarometers durchleben darf. Franzi ist eine Frau am Scheideweg, die Ablenkung und Neubeginn sucht und die Vergangenheit findet. Elsa ist die Zurückhaltende, Pragmatische, die die Dinge von allen Seiten beleuchtet, bevor sie eine Entscheidung trifft. Sie leidet unter dem eher kühlen Verhältnis zu ihrem Vater, wünscht sich Weite und ein Leben in Freiheit. Ihre Freundin Lulu ist impulsiv und trägt ihr Herz auf der Zunge, was manchmal ganz schön gefährlich werden kann. Otto ist ein talentierter Musiker, der Lulu sein Herz zu Füßen gelegt hat und alles für sie tun würde. Aber gleichzeitig lässt er niemanden hinter die Fassade blicken.
„Das Haus des Leuchtturmwärters“ beschert dem Leser eine feinfühlige, atemberaubende Zeitreise, die neben Liebe, Freundschaft, Familie und Verrat einen akribisch recherchierten historischen Hintergrund bietet, der so lebhaft und aussagekräftig strahlt, dass die Lektüre für dauerhafte Gänsehautmomente sorgt. Einfach wunderbar! C

8 von 8 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.04.2021
Harrel, Lindsay

Alles, was noch vor uns liegt


sehr gut

"Mit den Flügeln der Zeit fliegt die Traurigkeit davon." (Jean de la Fontaine)
Durch einen tragischen Tauchunfall haben die Schwägerinnen Eva und Angela ihre Ehemänner verloren. Seitdem treibt Floristin Eva ruhe- und antriebslos durchs Leben, während Angela sich zwischen diversen Jobs und der Erziehung ihrer drei Kinder mehr als aufreibt und dabei kaum noch Luft zum Atmen hat. Um die Trauer endlich zu durchbrechen und hinter sich zu lassen, schlägt Eva Angela, anstelle ihrer verstorbenen Ehemänner beim Ultramarathon in Neuseeland zu starten und ihr Andenken so hochzuhalten. Angela, die das alles erst für eine Schnapsidee hält, lässt sich dann doch auf das Abenteuer ein. Gemeinsam mit ihren Kindern und Schwiegermutter Sherry mieten Angela und Eva sich in einem Haus am Wanaka-See ein, um dort drei Monate nicht nur zu trainieren und am Ende den Marathon zu bestreiten, sondern auch ihrer Gedanken- und Gefühlswelt freien Lauf zu lassen und neu zu sortieren. Unterstützung erhalten die beiden Frauen dabei durch Laufkamerad Marc sowie Journalist Simon...
Lindsey Harrel hat mit „Alles, was noch vor uns liegt“ einen berührenden Roman vorgelegt, der vor der atemberaubenden Kulisse Neuseelands die Trauerverarbeitung zweier Witwen sehr real und intensiv in Szene setzt. Der flüssige, bildgewaltige und gefühlvolle Erzählstil schubst den Leser regelrecht hinein ins Geschehen, wo er schnell Zeuge der überwältigenden Trauer von Eva, Angela sowie deren Kinder wird. Die beiden Frauen könnten vom Lebensstil und ihrer Wesensart nicht unterschiedlicher sein, ebenso differenziert gehen sie mit dem Tod ihres Ehemanns um. Während Eva den Verlust ihrer großen Liebe Brent kaum ertragen kann, als kreativer Mensch jegliche Farbe und Fantasie verloren hat und wie eine Schiffbrüchige umhertreibt, ist Angela in all ihrem Handeln und Tun die Wut auf ihren Mann Wes anzumerken, fühlt sie sich mit den Kinder doch durch seine Risikobereitschaft im Stich gelassen. Die Hintergrundkulisse Neuseelands ebenso wie die täglichen Trainingsvorbereitungen für den Marathon fordern mehr und mehr die Gefühle der beiden Frauen heraus, denen sie sich stellen müssen, um endlich wieder nach vorne sehen zu können. Obwohl sie vorher eher selten etwas miteinander zu tun hatten, schafft die Autorin hier eine interessante Ausnahmesituation, in der die Frauen sich immer mehr annähern, sich gegenseitig Vertrauen entgegenbringen und sich Sachen auf den Kopf zusagen. Wenn diese Tatsachen auch wehtun und nicht wahrgenommen werden wollen, so müssen beide doch bewusst erkennen, wie recht die jeweils andere mit ihren Aussagen hat. Der christliche Aspekt wurde sehr unaufdringlich in die Handlung integriert und bietet ein breites Spektrum von Schuld, Vergebung, Trauerverarbeitung, Selbstliebe, Vertrauen und Zuversicht.
Die Charaktere glänzen mit Lebendigkeit und Facettenreichtum, wirken wie reale Personen mit Ecken und Kanten, sodass der Leser sich gut mit ihnen identifizieren und mitfiebern kann. Eva ist eine Künstlerseele, offen und eher unbeschwert, doch die Trauer hat sie in ein Loch gezogen, wo es keine Farben mehr gibt. Aber sie ist eine Kämpfernatur, die sich auch unter widrigsten Umständen durchbeißt. Angela wirkt konstant unterkühlt, unwirsch und wütend, selbst ihren Kindern gegenüber. Innerlich hadert sie nicht nur mit sich selbst, sondern hat vor allem Angst. Sherry ist eine wunderbare Schwiegermutter mit viel Wärme und Weisheit, ebenso Joanne. Marc ist ein liebenswerter Kerl, auf den man sich immer verlassen kann. Simon hat das Herz am rechten Fleck und erfasst die Lage immer auf den Punkt. Kylie ist ein Teenager, der einiges verkraften muss, allerdings manchmal mehr bemerkt, als ihre Mutter wahrhaben will.
„Alles, was noch vor uns liegt“ nimmt den Leser mit ins atemberaubende Neuseeland, vor dessen Kulisse ihm die Seelen- und Gefühlswelt zweier Witwen offenbart wird, die ihn durch eine Achterbahn der Gefühle jagen. Verdiente Leseempfehlung für eine einfühlsame und empathische Er

12 von 13 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.04.2021
Calvetti, Paola

Die Queen


ausgezeichnet

"Let us not take ourselves too seriously." (Queen Elizabeth II)
Die 95-jährige Queen Elizabeth II ist mit ihren 70 Jahren auf dem Thron des britischen Empire die dienstälteste Monarchin der britischen Geschichte und gleichzeitig hält sie auch den Rekord der längsten Amtszeit aller derzeit lebenden Monarchen.
Die Journalistin Paola Calvetti hat mit ihrem Buch „Die Queen: Elizabeth II – Porträt einer Königin“ eine außergewöhnlich unterhaltsame Biografie vorgelegt, die Elizabeth II nicht nur als Regentin porträtiert, sondern auch sehr menschlich wirken lässt. Die Queen, das bisher privat doch recht unbekannte Wesen, wird hier dem Leser auf eine feine und ansprechende Art präsentiert, die gleichzeitig das Gefühl entstehen lässt, dass man der Souveränin an einem Banketttisch gegenübersitzt und ihrem Geplauder zuhört.
Flüssig, mit unterschwelligem Witz und Charme arbeitet sich Clavetti von der Kindheit bis zur Gegenwart der Queen vor und lässt dem Leser nicht nur einige bisher unbekannte Details der Monarchin zukommen, sondern würzt diese gleichzeitig auch mit Fotografien der jeweiligen Zeitepochen, die von berühmten Fotografen wie Beaton, Leibovitz, Brian Adams, Lord Snowdon (dem Ex-Mann von Elizabeths Schwester Margaret) und vielen mehr stammen. Calvetti hat exzellent recherchiert, der Leser merkt ihr ihre Passion für die Regentin an, während er sich von ihr mit vielen kleinen Details ins Bild setzen lässt.
„Die Queen: Elizabeth II – Porträt einer Königin“ kann man all jenen ans Herz legen, die sich schon immer gern mehr für die Dinge hinter den Kulissen interessiert haben. Aber auch die große Fans der Monarchin kommen bei diesem Buch auf ihre Kosten. Sehr fein und stilvoll in Szene gesetzt, bravo! Absolute Empfehlung!

10 von 11 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.04.2021
Meyer zu Düttingdorf, Hans

Das Bernsteinmädchen


ausgezeichnet

"Das Geheimnis des Glücks besteht darin, nicht zu viel und nicht zu wenig zu wollen." (Giles Lytton Strachey)
1938 begegnet der deutsche Matrose Karl Schnitter in Argentinien seiner großen Liebe Helena, die seinetwegen ihren Vater und ihr Heimatland verlässt, um mit Karl in Neu Boltenhagen an der Ostsee auf dem Hof seiner Familie zu leben. Doch Karls Familie ist von Helena nicht gerade begeistert, vor allem Karls Schwester Elsa macht ihr das Leben zur Hölle. Als der Zweite Weltkrieg beginnt, wird auch Karl eingezogen. Helena wird von der Familie wie eine Aussätzige behandelt, und als dann die Meldung von Karls Tod kommt, hält Helena und ihren inzwischen geborenen Sohn Robert nichts mehr in Deutschland.
70 Jahre später erhält Robert über einen Anwalt das Erbe seiner Mutter und wundert sich über deren Vermächtnis. Ein alter Bernstein sowie deren Wunsch, in Deutschland nach seinen Wurzeln zu suchen, bringen Robert aus Argentinien an die Ostsee. Was wird er dort finden?
Hans Meyer zu Düttingdorf hat mit „Das Bernsteinmädchen“ einen sehr unterhaltsamen Roman vorgelegt, der Vergangenheit und Gegenwart miteinander vereint und eine berührende Geschichte über eine vergangene Liebe zu erzählen weiß. Der flüssige, farbenfrohe und gefühlvolle Erzählstil nimmt den Leser von der ersten Seite an gefangen und lässt ihn regelrecht an den Seiten kleben. Zwei geschickt miteinander verwobene unterschiedliche Zeitebenen lassen den Leser mal die Gegenwart an Roberts Seite die Reise vom argentinischen Buenos Aires an die Ostsee sowie dessen Spurensuche miterleben, mal in der Vergangenheit Helenas Schicksal kennenlernen, wobei beide Handlungsstränge so lebendig und spannend gestaltet sind, dass die Seiten nur so dahinfliegen und der Leser hautnah am Geschehen beteiligt ist. Helenas Aufenthalt während des Zweiten Weltkrieges ist gezeichnet von viel Ablehnung und Missgunst. Man mag sich gar nicht vorstellen, wie einsam und allein sie sich ohne Karl gefühlt haben muss und dem Gutdünken ihrer Schwiegerfamilie ausgesetzt war. Der Mut, zu jener Zeit mit einem kleinen Kind zurück in die alte Heimat Argentinien zurückzukehren, ist bewundernswert. Aber auch Roberts Suche nach eventuell noch lebenden Familienangehörigen ist unterhaltsam beschrieben. Robert, der seinen Vater nie kennengelernt hat und auch sonst nichts von der Vergangenheit der Mutter wusste, steht vor einem großen Rätsel, das es zu lösen gilt und auch ihn und sein Leben verändern wird. Mit unvorhersehbaren Wendungen treibt der Autor den Leser an, den Dingen auf die Spur zu kommen und beweist einmal mehr sein großes Talent als Geschichtenerzähler.
Die Charaktere sind facettenreich und liebevoll inszeniert, wirken mit ihren glaubhaften menschlichen Eigenschaften sehr authentisch. Der Leser fühlt sich schnell als Teil von ihnen und darf mit ihnen leiden, hoffen, bangen und fiebern. Helena ist eine sehr sympathische und freundliche Frau, die einiges ertragen muss. Schon immer eine Außenseiterin hat sie sich zu einer Kämpferin entwickelt, die zwar vieles schluckt, doch irgendwann die Konsequenz zieht. Robert ist eine offener, realistischer und ehrlicher Mann, der erst im letzten Drittel seines Lebens einiges über seine Familie erfährt. Während Karl seine Helena aufrichtig liebt, ist seine Schwester Elsa ein Ausbund an Unfreundlichkeit und Gehässigkeit. Aber auch Chauffeur Rico und einige weitere Protagonisten tragen zum Unterhaltungswert dieser Geschichte bei.
Mit „Das Bernsteinmädchen“ bekommt der Leser eine Einladung, in die Vergangenheit zu reisen, um dort neben Liebe, Familiengeheimnissen, Intrigen auch einiges an Tragik mitzuerleben. Wunderbar bildhaft und spannend erzählt, ist hier eine absolute Leseempfehlung mehr als verdient!

6 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.04.2021
Böschen, Silke

Träume von Freiheit - Ferner Horizont


sehr gut

"Wer Sicherheit der Freiheit vorzieht, bleibt zu Recht ein Sklave." (Aristoteles)
19. Jh. Dresden. Zu der gehobenen Gesellschaft der amerikanischen Kolonie in Dresden gehörend, genießt Florence de Meli mit ihrer Familie ein recht komfortables Leben. Florence ist nicht auf den Mund gefallen und deswegen gern gesehener Gast bei vielen Veranstaltungen. Ihrer Schwiegermutter Antoinette sowie ihrem Ehemann Henri ist das ein Dorn im Auge, gerade Henri leidet an krankhaften Eifersucht und spricht zudem dem Alkohol zu. Als ihm diesbezüglich der Geduldsfaden reißt, lässt er Florence entmündigen und in die Irrenanstalt Sonnenstein einweisen, wo diese von Dr. Lessing wegen ihrer krankhaften Hysterie behandelt werden soll. Nach einer Verlegung in ein Sanatorium ist es Florence möglich, von dort zu fliehen und über Umwege zu ihrer Familie nach Amerika zu gelangen. Von dort aus leitet sie die Scheidung ein und kämpft um ihre Kinder...
Silke Böschen hat mit „Träume von Freiheit-Ferner Horizont“ einen sehr unterhaltsamen historischen Roman vorgelegt, der nicht nur durch eine spannend skizzierte Lebensbiografie einer mutigen Frau besticht, sondern auch einen sehr guten Eindruck der damaligen Gesellschaft und ihren Moralvorstellungen präsentiert, während Fiktion und wahre Begebenheiten sich miteinander vermischen. Der flüssige, bildhafte und gefühlvolle Erzählstil lässt den Leser schnell an Florence Seite gleiten, um hautnah alle ihre Erlebnisse mitzuverfolgen und vor allem die ganze Dramatik ihrer Ehe mit Henri zu begleiten. Böschen hat gut recherchiert und den historischen Hintergrund wunderbar mit ihrer Handlung verwebt. Als Leser sträuben sich einem alle Haare, wenn man erleben muss, dass Frauen, die etwas unkonventionell für ihre Zeit waren, sehr schnell als hysterisch oder verrückt abgestempelt werden konnten und sogar in einer Heilanstalt landen konnten. Das damalige Gesellschaftsbild, was Frauen betrifft, ist erschreckend. Als Heimchen am Herd und Anhängsel des Mannes nur erwünscht, wenn sie den Mund hielt und wie eine Sklavin ihre Arbeit verrichtete. Doch als aufgeschlossenes und offenes Wesen mit eigenem Standpunkt konnte eine Frau oftmals entmündigt und nicht nur ihrer Freiheit beraubt werden, sondern auch ihrer Kinder. Ebenso erschütternd sind die Passagen zu lesen, die Florence als gesunde Frau in der Irrenanstalt zubringen musste. Ihr Schicksal steht für viele Frauen, die damals unliebsam aus dem Weg geräumt wurden. Die Autorin versteht es gut, ihre Handlung mit einigen Wendungen dauerhaft spannend zu machen, so dass man als Leser konstant mitfiebert, wie es mit Florence wohl weitergehen wird.
Die Charaktere sind liebevoll und facettenreich gezeichnet, sie wirken für die ihnen zugewiesene Zeit glaubwürdig und authentisch, so dass der Leser ihr Tun nachvollziehen kann und ihnen gerne folgt. Florence hat eine gewinnende, lebensbejahende, offene Art und trägt ihr Herz auf der Zunge. Ihre Impulsivität bringt sie manches Mal in Schwierigkeiten, doch sie lässt sich nicht unterkriegen und kämpft für die Dinge, die ihr wichtig sind. Henri ist ein Schlappschwanz, fast dauerhaft unter Alkoholeinfluss, ist er das Schoßhündchen seiner Mutter. Er ist einfach nur armselig, ihm fehlt jeglicher Ansporn, etwas aus seinem Leben zu machen. Antoinette ist ein Snob, die Florence ständig Steine in den Weg legt und ihr zu verstehen gibt, dass sie nie gut genug sein wird. Clara Jenkins ist Florence eine wertvolle Freundin, die ihr unterstützend zur Seite steht. Ebenso wissen einige andere Protagonisten zu überzeugen.
„Träume von Freiheit-Ferner Horizont“ lässt nicht nur die damalige Zeit wieder lebendig werden, sondern spiegelt auch ein Sittengemälde jener Epoche wider. Fundiert recherchiert und spannend erzählt, hält es den Leser durchgängig bei der Stange. Verdiente Leseempfehlung!

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.