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Igelmanu
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Mülheim

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Insgesamt 1033 Bewertungen
Bewertung vom 25.07.2019
Rhein, Maria;Beckmann, Dieter

Der Werwolf von Münster


gut

»Als ich Mutter fand, habe ich diesen Zettel in ihrer Nähe entdeckt.« Johanna reichte Katharina ein zerknittertes Blatt Papier. Es war unverkennbar die herausgetrennte Seite eines Buches. Eine Stelle war markiert: »Ich weiß, wo du wohnst, da, wo der Thron des Satans ist.«

1874, im damals beschaulichen Münster. Ein Serienmörder treibt sein Unwesen, richtet seine Opfer grausam zu und hinterlässt bei ihnen geheimnisvolle Nachrichten.
Heinrich Maler von der preußischen Geheimpolizei ist eigentlich mit einem ganz anderen Auftrag vor Ort. Er soll den als Bedrohung empfundenen Bischof ausspionieren und möglichst einen Grund finden, den verhassten Katholiken aus dem Weg zu schaffen. Doch Heinrich, in seiner Seele ein aufrichtiger Polizist, setzt sich engagiert auf die Fährte des „Werwolfs“…

Dieses Buch hat mich in Teilen gut unterhalten, in Teilen aber auch enttäuscht. Der geschichtliche Hintergrund rund um den Kulturkampf in Münster ist ohne Zweifel hochinteressant und hätte gern im Buch noch einen größeren Umfang einnehmen dürfen. Auch die Abschnitte, die sich mit dem damals aufkommenden Spiritismus beschäftigen, habe ich mit großem Interesse gelesen.

Auf der anderen Seite fand ich schon recht früh offensichtlich, wer der Täter ist und seinen Auftritten fehlte leider das gewisse Etwas, das Serienmörder sonst oft umgibt. So wirkte er auf mich trotz seiner Taten nicht sehr beeindruckend. Zudem empfand ich einige Längen, die durch die zu umfangreiche Schilderung der Liebesgeschichte inclusive detaillierter Sexszenen zwischen Heinrich und einer jungen Frau entstanden. Es wäre ja noch in Ordnung gewesen, wenn das Buch ordentlich dick gewesen wäre, aber so passte das Ganze vom Umfang her schlicht nicht zusammen.
Das Ende vom Buch schließlich kam dann ein wenig zu flott und wirkte speziell auf den letzten Seiten nicht rund. Auch hier drängte sich der Verdacht auf, dass dem Happy End der Liebesgeschichte die höchste Priorität eingeräumt wurde. Sehr schade.

Fazit: Sehr interessanter Ansatz, aber hier wurde zugunsten einer Liebesgeschichte Potential verschenkt.

Bewertung vom 25.07.2019
Fitzharris, Lindsey

Der Horror der frühen Medizin


ausgezeichnet

»Der fleckige Holztisch in der Mitte war übersät mit den Spuren früherer Schlachtorgien. Sägespäne auf dem Boden sollten das Blut aufsaugen, das in Kürze aus dem abgetrennten Bein strömen würde. Meistens übertönten die grauenhaften Schmerzensschreie der wehrlosen Patienten die hereindringenden Straßengeräusche: Kinderlachen, Passantengespräche, vorbeirumpelnde Kutschen.«

Krankheiten und Verletzungen sind nie angenehm. Aber wer heutzutage ins Krankenhaus muss, kann es in den meisten Fällen wieder gesund oder zumindest in einer besseren körperlichen Verfassung als zuvor verlassen. Das war nicht immer so. Es gab Zeiten, da war ein Krankenhausaufenthalt eine riskante Angelegenheit, Operationen waren lebensgefährlich und dazu noch unbeschreiblich schmerzhaft, da sie ohne Narkose durchgeführt wurden. Nach Möglichkeit wurden sie daher vermieden. Wer aber doch einen Eingriff durchleiden musste und ihn sogar überlebte, hatte es noch lange nicht geschafft, denn den meisten OPs folgten Infektionen, die enorm häufig zum Tode führten.

In diese grauenhafte Zeit, hier konkret ab den 1840er Jahren, reist der Leser dieses Buchs, das sich mit der Lebensgeschichte von Joseph Lister befasst. Dieser war Chirurg und gilt als Pionier in der Wundbehandlung. Durch ihn wurde die Chirurgie zu einer modernen Wissenschaft, doch bis dahin hatte er einen langen Kampf auszufechten.

Schon als Kind faszinierte Lister der Blick durchs Mikroskop. Der Wunsch, Menschen zu helfen, war entscheidend für die Berufswahl des jungen Quäkers. Lister wurde zu einem sehr begabten und engagierten Chirurgen, doch als er feststellen musste, wie viele seiner Patienten nach eigentlich geglückten OPs starben, fasste er als Ziel ins Auge, diesen schlimmen Zustand zu ändern. Seine Forschungen mit dem Mikroskop brachten ihn auf spektakuläre Gedanken…

Ich habe dieses Buch als zugleich höchst informativ und enorm spannend empfunden. Zu den beschriebenen Zuständen in den damaligen Krankenhäusern passt der Begriff „Horror“ wie kein anderer. So etwas wie Hygiene war nicht vorhanden, eher war das Gegenteil der Fall. Da liefen Chirurgen mit blutigen Kitteln, ungewaschenen Händen und unsauberen Instrumenten von einem Patienten zum anderen. Eiter hielt man für ein normales Zeichen der Heilung und der Gestank von verfaultem Fleisch wurde schlicht als »guter alter Krankenhausmief« bezeichnet. Aus heutiger Sicht wundert man sich da über gar nichts, aber in der Ärzteschaft herrschte damals große Uneinigkeit über das Entstehen von Krankheiten.
Selbst als Lister nach viel Herumexperimentieren mit Verbesserung der Sauberkeit und ersten Desinfektionsmaßnahmen anfing, Erfolge zu erzielen, schlug ihm noch viel Ablehnung entgegen, wurden seine Ideen als Hirngespinste abgetan. Doch Lister kämpfte für seine Ideen, wie wir heute wissen mit Erfolg und zum Glück für die Menschheit.
All das ist faszinierend zu lesen, allerdings wird es oft sehr blutig und grauslich, was für empfindliche Leser unangenehm werden könnte.

Fazit: Sehr blutig, aber faszinierend und sehr informativ. Ein Ausflug in eine wahrhaft düstere Zeit und der beeindruckende Kampf eines engagierten Mannes.

»Da fast jede Wunde übelriechenden Eiter absonderte, hielten wir es damals für ganz selbstverständlich, mit der gründlichen Reinigung von Händen und Instrumenten abzuwarten, bis alle Wunden untersucht und alle Verbände gewechselt waren.«

Bewertung vom 25.07.2019
Brennero, Susann

Der Vampir vom Niederrhein - Peter Kürten


sehr gut

»Rund ein Dutzend Polizisten haben den gesamten Platz abgesucht. Blut. Sie war so blass. Ihr Körper war leergelaufen. So viele Stiche, so ein kleines Mädchen.«

Düsseldorf im Februar 1929. Berichte über Straftaten sind Alltag für den Gerichtsreporter Egon Kron. Eines Morgens jedoch wird ein kleines, ihm gut bekanntes Mädchen aus der Nachbarschaft, brutal ermordet und mit zerrissener Unterhose auf einer Baustelle liegend, gefunden. Kron ist zutiefst erschüttert, das grausame Verbrechen lässt ihm keine Ruhe mehr und er schwört, den Täter zu finden.
Natürlich ist er da nicht der einzige, die Ermittler der Polizei arbeiten rund um die Uhr. Denn schon bald geht die Meldung um die Welt, dass in Düsseldorf ein furchtbarer Serienmörder wütet.

Peter Kürten sorgte dafür, dass kaum ein Düsseldorfer zwischen Februar 1929 und seiner Festnahme im Mai 1930 ohne Angst das Haus verließ. Beispiellos waren seine Brutalität und die Tatsache, dass sowohl Kinder als auch Erwachsene zu seinen Opfern gehörten. Als er 1931 zum Tode verurteilt wurde, standen in der Urteilsbegründung 9 Morde und 7 Mordversuche. Hinzurechnen müsste man weiter 2 Morde, die Kürten zwar gestanden hatte, bei deren Ausübung er aber noch nicht strafmündig war, sowie mehrere Morde, zahlreiche Überfälle in Mordabsicht und Brandstiftungen, die nicht zweifelsfrei bewiesen werden konnten. Zum Prozess und zur Hinrichtung waren Pressevertreter aus aller Welt angereist.

Die Rolle der Presse ist denn auch ein wichtiger Aspekt in diesem Buch. Mit täglichen Artikeln (morgens und abends) will Kron die Jagd auf den Mörder unterstützen. Reißerische und bluttriefende Aufmachung inclusive Fotos tragen jedoch dazu bei, die Panik in der Bevölkerung noch weiter zu vergrößern. Mich hat dieser Stil gewaltig abgestoßen, er gehörte aber mit zu der Zeit und wird auch heute noch leider in Teilen der Presse praktiziert.
Bald bilden sich Bürgerwehren, die selbst zur Bedrohung werden, denn stetig liegt Lynchjustiz gegenüber vermeintlichen Tätern in der Luft. Herrschende Vorurteile sorgen dafür, dass der Täter „natürlich“ in bestimmten Kreisen vermutet wird. Und währenddessen narrt Kürten, mit bürgerlichem Aussehen und guten Manieren, sämtliche Jäger.

Das Bild der damaligen Zeit wird gut gezeichnet, die Notlage breiter Bevölkerungsschichten deutlich beschrieben. Leicht kann man sich vorstellen, wie die Angst vor dem bluttrinkenden Killer die Menschen lähmte, die mit Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit und vermehrter Wohnungslosigkeit schon mehr als genug Sorgen hatten. Aber auch die Kehrseite der Medaille gehört zum Bild der Zeit, die Wohlhabenden, hier repräsentiert durch Krohns Verlobte, deren Interesse sich fast ausschließlich um die Glitzerwelt des aufkommenden Tonfilms dreht. Und nicht zu vergessen die erstarkenden braunen Mächte, die man in Teilen der Bevölkerung tatsächlich für die Lösung ihrer Probleme hielt.

Ohne Zweifel ein fesselndes Szenario. Die Täterperspektive sowie die Frage nach dessen Antrieb, seinem Hintergrund und seiner Störung finden leider nur minimale Erwähnung, ich werde hierzu noch ein passendes Sachbuch lesen. Als Krimi mit einem realen historischen Hintergrund ist das Buch aber gelungen.

Fazit: Ein schauriges Kapitel Kriminalgeschichte verpackt in eine unterhaltsame Krimihandlung, die das Bild der damaligen Zeit und die Rolle der Presse gelungen darstellt.

Bewertung vom 05.07.2019
Maurer, Jörg

Am Tatort bleibt man ungern liegen / Kommissar Jennerwein ermittelt Bd.12


gut

»Ein schwerer Job, den Sie da haben.« … »Eigentlich nicht… Beim Schminken darf man nur nicht übertreiben. Ein bisschen Rouge, ein bisschen Lipgloss, aber tot soll sie schon noch aussehen.«

Gut, dass sich mit dem Bestatterehepaar Ignaz und Ursel Grasegger zwei echte Vollprofis der Leiche von Alina Rusche angenommen haben. Die Ärmste starb an fürchterlichen Kopfverletzungen, die auf den ersten Blick Folge eines Unfalls sind. Kommissar Jennerwein glaubt das allerdings nicht und sucht nun Alinas Mörder. Nur wer hätte ein Interesse haben können, eine Putzfrau zu ermorden?

Bei seinen Ermittlungen muss Jennerwein diesmal weitestgehend ohne die Hilfe seiner Kollegen zurechtkommen. Hölleisen muss sich mit einem Toten beschäftigen, der in einem Straßencafé saß und wohl an den Folgen eines Hitzschlags gestorben ist. Dem Ermittler kommt dabei aber einiges seltsam vor. Und das gesamte Team leidet noch mehr oder weniger unter dem dramatischen Ende eines Skihüttenausflugs, befindet sich teilweise noch im Krankenstand.
Ich fand das ein wenig schade. Gut, Hölleisens Part im Buch ist diesmal ordentlich groß, einige seiner Kolleginnen und Kollegen tauchten mir aber viel zu selten auf. Selbst Jennerwein ist diesmal nicht so präsent wie sonst, das hat mir schon gefehlt.

Darüber hinaus ist das Buch wieder sehr unterhaltsam geschrieben. Der Autor hat ein paar Überraschungen eingebaut, zum Beispiel den regelmäßigen Auftritt zweier weltberühmter Romanfiguren, die hier eigentlich überhaupt nicht hingehören. Ein paar Abschnitte werden aus der Perspektive einer Leiche erzählt und einer der Übeltäter im Buch ist ohne Zweifel ein höchst skurriler Charakter. Gelegentlich erschien mir die Handlung leicht überdreht und einmal habe ich richtig herzhaft gelacht. Unterhaltsam halt.
Der Krimi hat mich nicht so vom Hocker gerissen wie einige Vorgängerbände, allerdings sind auf der positiven Seite ein paar gut gelegte falsche Fährten zu verzeichnen.

Fazit: Jennerwein-Krimis haben eine ganz spezielle Atmosphäre, so auch dieser hier. Sehr unterhaltsam, aber nicht so gut wie einige Vorgänger.

Bewertung vom 04.07.2019
Simenon, Georges

Maigret bei den Flamen / Kommissar Maigret Bd.14


sehr gut

»Meine Eltern und ich sind verzweifelt. Es wird einen fürchterlichen Justizirrtum geben, wenn Sie uns nicht helfen!«

Givet, eine Kleinstadt nahe der belgischen Grenze. Die Familie Peeters führt dort ein Lebensmittelgeschäft. Sie sind Flamen und noch dazu wohlhabend – Grund genug für die Bevölkerung im Ort, sie zu verdächtigen, als ein junges Mädchen aus dem Ort verschwindet, mit dem der Sohn der Peeters ein Verhältnis hatte. Auf Wunsch der Familie reist Maigret an, um das Rätsel der verschwundenen Germaine zu lösen.

Bis heute hatte ich eine Bildungslücke, noch nie zuvor hatte ich einen Simenon gelesen und Maigret nur aus Verfilmungen gekannt. Dieses Buch packte mich mit seiner ganz besonderen Atmosphäre von der ersten Seite an.

Schon die Ausgangslage ist spannend. Eine Kleinstadt, in der jeder jeden kennt, die aber hier noch die Besonderheit aufweist, dass zwischen den Franzosen und den Flamen eine Front aus Vorurteilen, Neid und sogar Hass existiert. Bei seinen Ermittlungen stößt Maigret auf diverse Geheimnisse und hat schon bald einen Verdacht.

Die Atmosphäre der Kleinstadt wird großartig aufgebaut, ebenso wie die Charaktere, die tiefgründig wirken und so gut beschrieben sind, dass sie mir deutlich vor Augen standen. Maigret ermittelt ruhig und strahlt eine ungeheure Präsenz aus. Das alles hat mir sehr gefallen! Blut, Action und flotte Sprüche darf man nicht erwarten, wer aber gern auch mal einen ruhigen, intelligenten Krimi liest, der ist hier auf der sicheren Seite.

Fazit: Ruhige Detektivgeschichte mit toller Atmosphäre. Dieser Maigret hat mich überzeugt und sicher werden ihm weitere folgen.

Bewertung vom 03.07.2019
Stricker, Sven

Sörensen hat Angst / Sörensen Bd.1


ausgezeichnet

»Verdammt noch mal, eine Leiche… Am ersten Tag. Nein, nicht am ersten Tag, das wäre ja vielleicht gerade noch zu verkraften gewesen. Aber gleich in den ersten fünf Minuten des ersten Tages? So hatte er sich das nicht vorgestellt mit der Versetzung in die Ruhezone an der Nordsee… Jetzt bloß nicht kollabieren. Durchhalten. Atmen.«

Weil ihm in Hamburg alles zu viel wurde, wechselt Kriminalhauptkommissar Sörensen ins beschauliche Katenbüll in Nordfriesland. Eine Angststörung macht ihm das Leben zur Hölle und die Ausübung seines Berufs fast unmöglich. Doch in einem solch kleinen Ort wird sich das Verbrechen sicher auf Fahrraddiebstähle und ähnliches beschränken, oder?
Sörensen braucht nur wenige Minuten um festzustellen, dass er mit seiner Hoffnung auf mehr Ruhe im Leben völlig danebenlag. Dem ersten Toten werden weitere folgen, aber viel schlimmer werden die Erkenntnisse sein, die der Ermittler und sein Team in Kürze erlangen werden. Katenbüll hat eine sehr dunkle Seite…

Ich gestehe, ich war zunächst skeptisch. Ein Ermittler mit einer Angststörung erschien mir völlig unlogisch. Wie soll das denn funktionieren? Besagte Angststörung ist auch nicht ohne, massiv ausgeprägt und belastet Sörensen ständig. Die Symptome seiner Angst werden sehr eindringlich geschildert, das wirkt ungeheuer echt. Auch seine Versuche, dagegen anzukämpfen, die Tipps aus der Therapie anzuwenden, passen zusammen. Nach kurzer Zeit hatte ich mich daher mit der Ausgangslage arrangiert und große Sympathien für einen Mann entwickelt, der ursprünglich mal fest im Leben stand, dann erkrankte, sehr vieles verlor und nun versucht, wieder Bodenhaftung zu bekommen.

Neben Sörensen gibt es noch weitere interessante Charaktere, einige wirken liebenswert sympathisch und ich mochte sie auf Anhieb. Im Gegenzug zeigen sich bei einigen Dorfbewohnern wirklich heftige Abgründe. Einfach nur erschreckend, zu was manche Menschen in der Lage sind! Apropos Dorf… die Atmosphäre eines kleinen Orts an der Nordsee kommt ebenfalls sehr gut rüber. Freunde von Küstenkrimis sollten zufrieden sein.

Der Kriminalfall ist spannend, wird gut aufgebaut und die Recherchen wirken realistisch. Nicht immer läuft wegen der Angst alles so geschmeidig, wie es sollte, aber Sörensen schlägt sich tapfer und das wirkt glaubhaft. Zusammen mit dem höchst unterhaltsamen Schreibstil war das für mich ein gelungener Krimi und da ich den zweiten Band auch schon gelesen habe, hoffe ich jetzt auf einen dritten!

Fazit: Gelungene Krimiunterhaltung mit einem sehr interessanten und ungewöhnlichen Ermittler.

Bewertung vom 01.07.2019
Ludwig, Mario

Tierische Jobs


ausgezeichnet

»Dank ihres überragenden Geruchssinns können Gambia-Riesenratten nicht nur überaus erfolgreich bei der Minensuche eingesetzt werden, sondern nach entsprechendem Training auch äußerst zuverlässig Tuberkuloseerreger in Speichelproben identifizieren. Erstaunlicherweise haben die Ratten bei der Identifikation von potenziellen Tuberkuloseerkrankten eine signifikant höhere Trefferquote als ein Labortechniker mit seinem Mikroskop. Und nicht nur das: Auch in Sachen Geschwindigkeit bei der Probenauswertung sind die tierischen Diagnostiker ihren menschlichen Kollegen weit überlegen. Benötigt ein Labormitarbeiter etwas 2 Tage, um 100 Proben auf Tuberkuloseerreger zu untersuchen, schaffen die Ratten das in gerade mal 20 Minuten.«

Tiere als Nutztiere kennt jeder. Sie liefern Fleisch, Milch und Eier sowie Pelze, Leder und Wolle. Sie ziehen Kutschen, tragen Reiter und hüten Schafherden. Auch zum Blindenhund oder Drogenschnüffler ausgebildete Hunde dürften jedem bekannt sein. Tatsächlich ist und war der Einsatzbereich von Tieren um ein Vielfaches größer und erstreckt sich auf erstaunlich viele Bereiche.

Für sein neues Buch hat der bekannte Biologe Mario Ludwig in insgesamt 49 Kapiteln „tierische Jobs“ zusammengetragen und in gewohnt unterhaltsamer und leicht lesbarer Art beschrieben. Die große Vielfalt der „Berufe“ wird dabei ganz deutlich, manche existieren heute nicht mehr, andere haben sich schon dauerhaft bewährt und einige sind auch brandneu, wie zum Beispiel der „Archälogiehund“.
Beim Lesen schwankten meine Gefühle ständig. Der Stil ist zwar durchgehend unterhaltsam, der Inhalt jedoch leider nicht. Immer wieder nutzt der Mensch das Tier aus, einige Kapitel gingen mir als Tierfreund wirklich nah. Und dabei wurde bereits bewusst darauf verzichtet, über den Einsatz bedauernswerter Versuchstiere in Laboren zu berichten. Aber manchmal werden tierische Therapeuten oder Dienstleister einfach nicht artgerecht gehalten oder sie bzw. ihre Fähigkeiten werden durch Verbrecher übel missbraucht.

Im Gegenzug war ich bei vielen anderen Kapiteln schwer beeindruckt von den phantastischen Fähigkeiten, mit denen die Natur die beschriebenen Tiere ausgestattet hat und die dadurch auch in der Lage sind, dem Menschen wirklich großen Nutzen zu bringen. Die Gambia-Riesenratten sind ein gutes Beispiel, großartige Minensucher und Tuberkuloseschnüffler in einem. Oder Diabetikerwarnhunde, die Schwankungen des Blutzuckerspiegels extrem früh erkennen, beispielsweise erschnuppern können, wenn ein Kind im Schlaf unterzuckert. Und die dann – Dank einer 2jährigen Ausbildung – in der Lage sind, Hilfe zu holen, den Hausnotruf zu betätigen, die Tür für Helfer öffnen, Traubenzucker oder ein passendes Getränk zu bringen und vieles mehr.

Dann gab es noch die Kapitel, die ich besonders unterhaltsam fand. Dazu gehörten zum Beispiel die Raben im Tower (ihres Zeichens offizielle Soldaten Ihrer Majestät ;-) oder Apothekerfrösche, die lange Zeit recht zuverlässige Schwangerschaftstests ermöglichten. Und manchmal amüsiert man sich zunächst, um dann zu verstehen, dass der tierische Einsatz durchaus sinnvoll ist. Ein Beispiel wäre hier der „Herdenschutzesel“.

Fazit: Ein unterhaltsamer und informativer Blick auf die enorme Vielfalt tierischer Berufe, der mich manches Mal in Erstaunen versetzt hat.

Bewertung vom 19.06.2019
Haig, Matt

Wie man die Zeit anhält


sehr gut

»Die erste Regel lautet, du darfst nicht lieben … Es gibt noch andere Regeln, aber das ist die wichtigste. Du darfst dich niemals verlieben. Niemals lieben. Niemals von der Liebe träumen. – Solange Sie sich daran halten, kommen Sie durch.«

Tom Hazard ist alt. Sehr alt sogar. Blickt man ihm ins Gesicht, hält man ihn für einen Vierzigjährigen, tatsächlich wurde er vor über 400 Jahren geboren. Er kannte Shakespeare persönlich und segelte mit James Cook. In der Jetztzeit lebt er als (natürlich ;-) Geschichtslehrer in London und profitiert davon, dass er beim Unterrichten ständig aus seinen Erinnerungen schöpfen kann.

Was erst mal beneidenswert klingt, ist es bei näherer Betrachtung nicht. Das wird an Tom ganz deutlich, der alles ist, nur nicht glücklich. Schon früh lernte er, dass sein Geheimnis gewahrt bleiben muss. Daher wechselt er alle 8 Jahre die Identität und hält sich von anderen Menschen und vor allem von Gefühlen fern. Jahrhundertelang ging das gut, doch nun ist da Camille, die Französischlehrerin seiner Schule, die ihn gegen seinen Willen anzieht. Das wäre eine Beziehung gegen alle Vernunft. Oder?

Wer nun hier eine reine Liebesgeschichte vermutet, greift zu kurz. Fragen nach dem Sinn des Daseins, dem nicht selten unvernünftigen Handeln von Menschen (Stichworte z.B. Kriege, Umweltzerstörung) und dem Ausgrenzen und Bekämpfen von allem, was in irgendeiner Form „anders“ ist, ziehen sich durch das Buch. Toms Leben ist von Zweifeln durchsetzt, der Ton des Buchs ist melancholisch, nicht selten wird es philosophisch.

Durch die Rahmenhandlung, die in der heutigen Zeit spielt, ziehen sich Rückblenden in die ersten 400 Jahre von Toms Leben. Unschwer kann man sich vorstellen, welche Reaktionen ein Mensch, der nicht altert, im 16. Jahrhundert hervorgerufen hat. Alles wird aus Toms Perspektive geschildert, man ist daher stets nah dran an seinen Gedanken und Empfindungen. Das Buch liest sich flott und ich empfand es, von einigen allzu philosophischen Passagen abgesehen, als sehr kurzweilig.

Fazit: Wie lebt man, wenn man ewig lebt? Interessante Gedankenansätze verpackt in eine kurzweilige Story.

»Doch je länger man lebt, desto deutlicher erkennt man, dass nichts unverrückbar feststeht. Jeder Mensch wäre irgendwann ein Flüchtling, wenn er nur lange genug lebte. Jeder würde sehen, dass Nationalität auf lange Sicht wenig Bedeutung hat. Jeder würde erleben, dass sein Weltbild auf den Kopf gestellt und seine Überzeugungen widerlegt werden. Jeder würde begreifen, dass es nur eine Sache gibt, die den Menschen ausmacht, und das ist die Menschlichkeit.«

Bewertung vom 18.06.2019
McGee, James

Die Totensammler


ausgezeichnet

»Einst waren in diesem Winkel des Friedhofs wohl die wohlhabenderen Gemeindemitglieder beigesetzt worden, aber das war lange her. Jetzt wurden hier nur die Armen beerdigt, und Einzelgräber waren eine Seltenheit. Der Friedhof war zu einem Ort gleichgültiger Vernachlässigung geworden. Und zu einem Ort der Hinrichtung.«

London, zu Beginn des 19. Jahrhunderts. In einem Irrenhaus wird eine furchtbar zugerichtete Leiche gefunden, weitere schreckliche Funde schließen sich an. Ein Fall für Sonderermittler Hawkwood, der sich wie kein zweiter in den tiefsten Tiefen der Londoner Unterwelt auskennt. Was er im Rahmen seiner Ermittlungen herausfindet, wird ihn allerdings an seine Grenzen führen…

Wow, was habe ich dieses Buch verschlungen! Ein sehr spannender Thriller, dessen geschichtlicher Hintergrund einem die Haare zu Berge stehen lässt. Erläuterungen zu diesem Hintergrund finden sich im Anhang, verbunden mit dem Hinweis des Autors, dass er manche geschichtlichen Tatsachen absichtlich nicht in sein Buch integriert hat, weil er fürchtete, »die Leser würden es zu abartig finden.«

Auch so darf sich der Leser schon auf einiges gefasst machen. Das Thema „Leichenraub“ zieht sich durchs ganze Buch, es gab damit offenbar ein großes Problem, vor allem für die arme Bevölkerung, deren Gräber leicht auszunehmen waren. Rivalisierende Banden führten einen Krieg um die Leichen und zahlreiche Abnehmer warteten auf stetigen Nachschub. Hier erlebt man als Leser dann auch passsenderweise einen Abstecher in die Geschichte der Chirurgie, einschließlich dem Besuch einer Vorlesung mit Live-OP. Natürlich ohne Betäubung.

Bei all dem Schrecken wird man auch nachdenklich. Was haben sich manche im Dienste der wissenschaftlichen Forschung herausgenommen! Natürlich ist es wichtig und verständlich, dass sich Mediziner Gedanken über Fortschritte und neue Entwicklungen machen. Wenn sie das nicht immer schon getan hätten, wo wären wir dann? Aber trotzdem sind so manche Dinge aus heutiger Sicht einfach nur schaurig.

Hawkwood, den ich bereits im ersten Teil kennenlernte, zeigt sich hier wieder von seiner besten Seite. Bedeutet: Er lässt sich von wichtigen Titeln nicht beeindrucken, tritt hartnäckig auf Füße und fällt in gewissen Kreisen dadurch ständig unangenehm auf. Höchst sympathisch ist mir das!

Fazit: Morbid, düster und sehr spannend. Eine volle Leseempfehlung für jeden Interessierten, der nicht zu sensibel ist. Die Kenntnis von Band 1 ist für das Verständnis nicht erforderlich.

»Ich war mit seiner ersten Antwort nicht zufrieden. Da habe ich ein bisschen Druck ausgeübt.« »Ich war immer ein Bewunderer Ihrer Überredungskunst, Hawkwood.«

Bewertung vom 09.06.2019
Rupp, Gabriele

Vis-à-Vis Reiseführer Teneriffa, m. 1 Karte, m. 1 Beilage


ausgezeichnet

»Teneriffa ist, wie Alexander von Humboldt schon vor mehr als 200 Jahren begeistert feststellte, ein Naturereignis der besonderen Art. Wer den Spuren des Forschers folgt, etwa auf dem Weg von der sonnenverwöhnten, subtropischen Küste in die hochgelegene Gebirgsregion des Pico del Teide, dem offenbart sich auch heute noch eine wundersame Welt.«

Ich gestehe, ich bin ein Wiederholungstäter, die Vis-à-Vis Reiseführer haben mich schon zu einigen Zielen begleitet. Auch als ich kürzlich im Geschäft stand und nach einem Reiseführer für Teneriffa suchte, überzeugte mich schon gleich wieder der erste Eindruck.

Nun, nach dem Lesen, hat sich dieser gute erste Eindruck verfestigt. Der Reiseführer hat alles, was ein ordentlicher Urlaubsbegleiter braucht.
Die Gliederung ist sehr gut und übersichtlich. Teneriffa wird grob in vier Regionen aufgeteilt, die dann einzeln ausführlich behandelt werden. Darüber hinaus gibt es natürlich grundsätzliche Infos, ein schönes Porträt der Insel, eine große Karte zum Rausnehmen und ein kleines Rezeptheft, das ebenfalls entnommen werden kann. Alle wichtigen Sehenswürdigkeiten werden vorgestellt, wie alles im Buch toll bebildert.

Schon das Porträt macht Lust, gleich loszufahren. Es behandelt die Themen Strände, Natur, Kultur, Fiestas, Aktivurlaub, Genuss, Wellness und Shopping. Immer wird dabei darauf geachtet, alles möglichst übersichtlich zu präsentieren, so dass die benötigten Infos schnell und leicht erfasst werden können. Zum Beispiel wird beim Thema „Strände“ unterschieden in „beliebte Strände“, „Strände für Individualisten“ und „Naturschwimmbecken“, jedem Unterthema wird eine Doppelseite gewidmet. Auf dieser sind die Lagen der Strände auf einer Karte gekennzeichnet, es gibt kleine Bilder mit Infos und zusätzlich eine Tabelle, aus der man auf einen Blick alles Wichtige ablesen kann. Da sieht man sogar, wo es Palmen am Strand gibt oder man mit Glasbodenbooten fahren kann. Wo gibt es schwarzen, wo weißen Sand? Wo badet man gut mit Kindern, wo, wenn man es ruhig haben will und wo gibt es ein großes Sport- und Spaßangebot? Keine Fragen bleiben unbeantwortet.

Auch die anderen Themen werden so gut behandelt. Mich faszinierte natürlich der Bereich „Natur“ besonders und begeistert las ich von der einzigartigen Flora der Kanaren und dass Teneriffa die größte Pflanzenvielfalt aufweist. Oder davon, dass man das ganze Jahr über Wale in Küstennähe beobachten kann, bis zu 26 Wal- und Delfinarten tummeln sich dort. Viele Naturparks locken, die Vielfalt der Landschaft lässt Wanderfreunde voll auf ihre Kosten kommen. In einem separaten Abschnitt erfährt man, von welchen Punkten aus man die schönsten Ausblicke auf die Insel bekommen kann.

Natürlich fehlen auch die Grundinfos und praktischen Hinweise zur Reise nicht. Sie werden ergänzt mit einem historischen Überblick und einer Doppelseite zu den Guanchen, den Ureinwohnern der Kanaren. Wie alles im Buch schön übersichtlich gestaltet und bebildert. Ein kleiner Sprachführer schließt sich an.

Begeistert bin ich auch von dem robusten Einband, feucht abwischbar und widerstandsfähig gegen Sonnenmilchflecken und Wasserspritzer. Auch die herausnehmbare große Inselkarte ist aus diesem tollen Material und wird daher ihre tägliche Mitnahme gut überstehen. Auf ihrer Rückseite finden sich mehrere Innenstadtpläne und allgemeine Toureninfos.

Fazit: Ein sehr übersichtlicher und informativer Reiseführer, reich bebildert und als Begleiter im Gepäck ordentlich robust.