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Xirxe
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Hannover
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Insgesamt 870 Bewertungen
Bewertung vom 21.10.2015
Boyle, T. C.

América


ausgezeichnet

1995 wurde dieses Buch geschrieben, doch würde man es heute veröffentlichen, hätte vermutlich niemand Zweifel daran, dass es ein höchst aktuelles Werk ist. Denn nichts, absolut nichts hat sich seitdem verändert. Stattdessen existiert dieses beschriebene Szenario mittlerweile ebenso bei uns, wenn auch vielleicht noch nicht in dieser extremen Form.
Boyle beschreibt in einem Zeitraum eines halben Jahres die Leben zweier Familien, die unterschiedlicher kaum sein könnten, obwohl die räumliche Distanz zwischen ihnen nur gering ist. Delaney, "liberaler Humanist ohne Verkehrssündenregister...", lebt in einer komfortablen Vorortwohnanlage von Los Angeles irgendwo in den Bergen, zusammen mit seiner Frau, deren Sohn, zwei Hunden und einer Katze. Cándido hingegen kam drei Wochen zuvor mit seiner jungen Frau aus Mexiko auf der Suche nach Arbeit und einem besseren Leben. Nun hausen sie unweit von Delaneys Vorortsiedlung in einem Canon in einem behelfsmäßigen Unterschlupf und versuchen, genügend Geld zu verdienen um sich eine Wohnung leisten zu können. Die Wege der Beiden kreuzen sich, als Delaney Cándido anfährt, ihn mit 20$ 'abfindet' und danach versucht, mit seinem schlechten Gewissen klar zu kommen.
Boyle zeigt hier kein Schwarz-Weiß-Schema auf, sodass man vielleicht mit der einen Seite mitleidet und der anderen ihr Unglück gönnt. Delaney, der klar der Bevorzugte ist, ist kein schlechter Mensch. Er wie auch seine Frau denkt liberal, ist umweltbewusst, voller Mitgefühl für die Armen dieser Welt, Mitglied beim Kinderhilfswerk undundund. Doch als seine Prinzipien herausgefordert werden und er ungewollt direkt in Kontakt mit den Armen dieser Welt gerät, sind seine Angst und Verunsicherung größer als die Standhaftigkeit seiner Werte. Sind die Mexikaner nicht doch alle Verbrecher? Verdrecken sie nicht die Natur, verstoßen immer wieder auf's Neue gegen Gesetze? Je öfter er mit diesem Anderen konfrontiert wird, desto größer wird die Furcht. Und seine Wut über die Widersprüchlichkeit seines Denkens und Handelns steigt und sucht sich ein Ventil...
Aber auch die bedauernswerten Mexikaner sind nicht nur bemitleidenswerte Menschen, denn wie überall auf der Welt gibt es hier ebenso Kriminelle, die nicht dabei zögern, auch noch den Ärmsten ihr letztes Hab und Gut zu rauben. Dennoch wird klar: Wer nichts hat, muss nicht nur um Arbeit betteln, sondern tagtäglich um sein Leben kämpfen. Denn selbst die Natur stellt sich den Menschen in den Weg...
Es ist ein unglaublich gutes, aber dennoch äußerst deprimierendes Buch, denn es zeigt den Zustand unserer Welt überdeutlich: Die Wohlhabenden wollen wohlhabend bleiben und bis auf mehr oder weniger größere Almosen nichts davon abgeben. Und die Armen, die sich ebenfalls etwas mehr Wohlstand wünschen, müssen dafür ihr Leben auf's Spiel setzen.

Bewertung vom 23.09.2015
Randt, Leif

Schimmernder Dunst über CobyCounty


sehr gut

Ich glaube, ich habe noch nie ein Buch gelesen, bei dem ich so unentschieden war, ob es mir nun gefallen hat oder nicht. So etwas geht doch überhaupt nicht? Oh doch, bei diesem Buch sehr wohl.
Die Geschichte ist ziemlich belanglos: Ein kurzer Ausschnitt aus dem Leben eines fast 27jährigen Literaturagenten, der sich an diverse vergangene Episoden seines Lebens erinnert, alles ohne allzu große Aufregungen oder Spannung. Auch die erscheinenden Personen incl. des Protagonisten sind, nun ja, recht nichtssagend. Selten waren mir die Figuren eines Romanes so gleichgültig wie hier, selbst die für mich eher unsympathische Hauptfigur war nicht so richtig unsympathisch - sie war mir einfach egal. Kaum eine Spur von Empathie, Zu- oder Abneigung, ganz zu schweigen von stärkeren Emotionen meiner Seite ;-) Was mich dennoch bis zum Ende ohne Mühe weiterlesen ließ, war das ständige Gefühl, dass mir die Gesellschaft, in der sich das Beschriebene ereignete, ziemlich bekannt vorkam. Dieses CobyCounty, hat das nicht große Ähnlichkeit mit uns?
Eigentlich ist es fast schon eine Utopie, diese fiktive Gesellschaft. Die Menschen dort scheinen durchweg erfolgreich zu sein, und zwar nicht im Schweiße ihres Angesichts, sondern meist durch die Nutzung ihrer kreativen Fähigkeiten. FilmemacherInnen, AutorInnen, ArchitektInnen undundund. Die Ergebnisse der Arbeiten dieser KünstlerInnen werden begeistert von der Außenwelt aufgenommen, die sich auch nur eines wünscht: Leben wie in CobyCounty. Alt und Jung ist kein Gegensatz mehr, sondern eine Ergänzung. Geschlechtergrenzen sind fließend, Partnerschaften sind mit jedem Geschlecht möglich. Alles ist gut - nein, besser! Und trotzdem überkam mich beim Lesen nicht ein einziges Mal das Gefühl, dass es dort tatsächlich besser ist. Denn dieses ganze Leben ist nur auf Eines ausgerichtet: Wie lebe ICH ein perfektes Leben? Alles was getan wird, geschieht nur im Hinblick auf dieses Ziel, nichts wird um des Tuns willen getan. Anschließend sonnt man sich im Bewusstsein ein guter Mensch zu sein, da man ja die richtigen Dinge getan hat. Doch das wird so beiläufig dargestellt, dass man es während des Lesens nicht richtig zu fassen bekommt. Unterschwellig wurde mein ablehndendes Gefühl immer stärker, zumindest manchmal deutlicher begründet durch einen Satz wie '...ich hatte von ihr (seiner Mutter) erfahren wollen, ob meine Geburt ihr Leben und das Leben meines Dads eigentlich sehr zum Negativen beeinflusst hat...'. Als ob das Negative eine Selbstverständlichkeit wäre bei der Geburt eines Kindes.
Kommt einem da Vieles nicht bekannt vor? Diese stete Selbstbeobachtung ('War ich freundlich, höflich, tolerant.... genug?') oder der ständige Selbstoptimierungswahn, besser schlafen, essen, trinken, gehen.... Das Ich muss es zur Perfektion bringen, sonst ist das Leben nicht gelungen.
Schlussendlich: Zwar hinterlässt dieses Buch kein gutes Gefühl, sondern eher das Gegenteil. Aber so etwas ist ja nicht immer schlecht (wie in diesem Fall), denn hier regt es zum Nachdenken an. Und wie es dem Autor derart subtil gelingt, diese nur schwer zu beschreibende Abneigung gegen diese Gutmenschengesellschaft hervorzurufen: Große Klasse!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.09.2015
Fine, Anne

Tagebuch einer Killerkatze


ausgezeichnet

Bei einem Buch mit diesem Titel musste ich einfach stehenbleiben, völlig egal um welche Art von Buch es sich nun handelt. Kurzes Reinlesen und es war klar: Das wird gekauft. Ich zitiere mal die ersten Sätze, die meine Entscheidung vielleicht nachvollziehbar machen:

Dazu die herrlichen Zeichnungen von Axel Scheffler, der die Katze Kuschel überhaupt nicht kuschelig darstellt, sondern wie einen Gefängnisinsassen grau mit Streifen und einem leicht verschlagenen Blick (zumindest am Anfang). Da konnte ich nicht widerstehen - und ein weiteres Kinderbuch ziert nun mein Bücherregal ;-)
Der oben zitierte Ton zieht sich durch das ganze Büchlein (knapp 55 Seiten) und mit jedem toten Getier, das Kuschel anbringt, wird sein Erklärungsbedarf größer. Ich habe mich köstlich dabei amüsiert ebenso wie über Axel Schefflers Bilder, die so überhaupt nicht lieblich-zart-kuschelig sind. Herrlich, wie Kuschel mühsam das Karnickel durch die Katzenklappe zerrt. Oder wie der Vater der Familie in einem burkaähnlichen Gewand durch die Nacht robbt... Ich bin mir sicher, dass sich auch Kinder darüber amüsieren können, wenn auch vielleicht auf eine andere Art als Erwachsene.
Die eigentliche Geschichte basiert zwar auf einem uralten Witz, aber zum einen kennen Kinder ihn vermutlich noch nicht und falls doch (wie die meisten Erwachsenen), hat man trotzdem seinen Spaß daran. Denn Anne Fine hat das Ganze so toll ausgeschmückt und der Katze einen solch klasse Tonfall gegeben, dass das Alles fast wie neu klingt. Herrlich!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.09.2015
Maar, Paul

Der Galimat und ich / Galimat Bd.1


sehr gut

Als der 10jährige Jim eines Nachts wach wird, entdeckt er ein kugelrundes Etwas in seinem Zimmer mit (vermutlich) Armen, Beinen, Ohren und Antennen. Es ist ein Galimat der sich zu Jim verirrt hat, und bis die anderen Galimatini ihn wieder finden und mitnehmen, bleibt er sein Zimmergenosse. Natürlich ohne dass Jims Tante und Onkel etwas merken, bei denen er lebt, seit seine Eltern als Spione auf der Flucht sind (was er von Tante und Onkel weiß). Es wird eine aufregende Woche, die Zeit in der die Beiden das Zimmer teilen. Nicht nur, weil der runde Kleine allen elektrischen Geräten die tollsten Geräusche entlocken kann, nein, er kann sogar Dinge materialisieren; Dinge, die man sich sehnlichst wünscht. Und da Jim nichts mehr möchte, als erwachsen werden, materialisiert der Galimat die EWP: die Erwachsen-Werden-Pille. Doch es kommt anders als gedacht...
Obwohl sich die Zusammenfassung recht banal anhören mag, steckt in diesem Buch eine ganze Menge drin. In dieser einen Woche ereignet sich so viel in Jims Leben, dass er danach alt genug ist, um schlimme Wahrheiten zu erfahren und damit fertig zu werden. Denn der kleine Galimat macht ihm deutlich, dass das Hier und Jetzt viel wichtiger ist als das Vergangene. Er lernt auch, dass Rache nicht wirklich Erfüllung bringt. Und es wird ihm ohne Hilfe von außen klar, was wichtig im Leben ist und er entscheidet danach.
Ich finde die Geschichte trotz so vieler ernster Themen wunderbar kindgerecht und unterhaltsam erzählt, ohne verniedlichten Ton oder Verharmlosung. Auch die dazugehörigen Bilder sind ausgesprochen passend, häufig kleine Strichzeichnungen in Schwarz-Weiß, die der Phantasie jede Menge Raum lassen.

Bewertung vom 08.09.2015
Hawkins, Paula

Girl on the Train


sehr gut

Rachel ist geschieden, arbeitslos und trinkt. Mühsam versucht sie, einen gewissen Anschein von Normalität aufrecht zu erhalten und spielt ihrer Mitbewohnerin vor, dass sie jeden Morgen zu ihrer Arbeit fährt. Stattdessen schlägt sie die Zeit in Bibliotheken tot oder in Pubs, geht spazieren oder setzt sich in Parks. Während ihrer Pendelfahrten beobachtet sie die Menschen in ihren Häusern und malt sich aus, welch wundervolle Leben diese führen. Doch eines Tages sieht sie etwas, dass ihre idealistischen Vorstellungen zusammenstürzen lässt und nicht nur ihr Leben, sondern auch das einiger anderer Menschen völlig verändern wird.
Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht dreier Frauen, wobei die psychisch völlig labile und alkoholabhängige Rachel die Hauptfigur darstellt. Immer wieder erlebt sie Blackouts und erfährt so nur aus zweiter Hand, was sie getan hat oder was geschehen ist. Ihre Schwankungen zwischen Euphorie und Verzweiflung sind enorm und nach meinem Verständnis so gut geschildert, dass ich meistens mit Rachel mitlitt. Man ahnt, dass sie Schreckliches mitgemacht hat - aber ob als Zeugin, Opfer oder Täterin bleibt lange Zeit unklar. Auch die zweite Person hat Schwierigkeiten mit dem Erinnern, wenn auch aus ganz anderen Gründen. Und die dritte Frau äußerst sich derart verklausuliert, dass sie wie Rachel ebenfalls einfach für Alles in Frage kommen könnte.
Obwohl nur wenig passiert und viel von den jeweiligen 'Innenansichten' der Drei zu lesen ist, sind die über 440 Seiten fesselnd. Wenn auch nicht so sehr, wie ich es von den Klappentexten und Reden begeisterter Kollegen erwartet hätte. Denn das 'Personal' dieser Geschichte ist recht überschaubar, sodass ich nach ca. einem Drittel des Buches bereits recht sicher war, wer zu den Bösen gehört. Und siehe da, ich lag richtig ;-) Doch die überzeugende Selbstdarstellung der Alkoholikerin Rachel macht vieles wett: wie es sie nach dem nächsten Schluck giert; die verzweifelte Suche nach ihrer Erinnerung; wie sie ihre Scham schildert wieder schwach geworden zu sein und Dinge getan zu haben, die sie am nächsten Morgen bereut; überhaupt: wie Scham zu einem Hauptbestandteil ihres Lebens wird.
Fazit: Ein spannendes Buch mit einem deutlichen Beispiel dafür, wie Alkohol ein Leben ruinieren kann.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.09.2015
Halm, Heinz

Der Islam, 2 Audio-CDs


sehr gut

Angesichts der häufigen Präsenz des Islam in den Medien in teilweise widersprüchlicher Form (und zudem nicht gerade immer in vorteilhafter Art und Weise), ist es sicherlich sinnvoll, sich ein eigenes Bild über diese Weltreligion zu machen. Vieles glaubt man zu wissen, doch entspricht es tatsächlich der Wahrheit? Müssen alle Muslime in den Dschihad ziehen? Und Frauen immer Kopftuch tragen? Warum bringen Muslime andere Muslime um? Und sind Christen immer Feinde?
Heinz Halm ist ein deutscher Islamwissenschaftler, der detailliert die Entstehung wie auch die Weiterentwicklung des Islam beschreibt. Er beginnt damit, wie aus einer einheitlichen Religion die Gruppen Schiiten und Sunniten und zahlreiche weitere Glaubensrichtungen entstanden, die bei allen Gemeinsamkeiten (beispielsweise den fünf Säulen des Islam) doch ansonsten überraschend unterschiedliche Auffassungen vertreten. Wie der Islam begann sich auszubreiten und von den Kolonialmächten wieder zurückgedrängt wurde. Aber es bleibt nicht bei der Historie, sondern der Autor stellt auch dar, wie die Umsetzung des Islam in der Gegenwart gelebt wird. Wobei Gegenwart bei diesem Hörbuch sich auf das Jahr 2000 bezieht, das Jahr in dem das zugrundeliegende Buch erstmals erschienen ist. Dennoch ist dieser doch recht große Zeitabstand nur an wenigen Stellen festzustellen, beispielsweise wenn angemerkt wird, dass einige Islamforscher meinen, die Islamisten würden bald verschwinden (eine Auffassung, die der Autor nicht teilt).
Ich habe viel Neues erfahren, fast schon zu viel. Denn insbesondere der historische Teil ist mit Jahreszahlen gespickt noch und nöcher. In Buchform mag das sinnvoll sein, beim Hören schwirrte mir aber manchmal der Kopf und das gerade Gehörte war schon wieder verschwunden.
Dennoch: Das Ganze war und ist lohnenswert, wobei ich eher das Buch empfehlen würde. Zum Einen gibt es eine neue Ausgabe von 2014, zum Anderen kann man Manches einfach nachschlagen bzw. nochmals lesen, was bei einem Sachbuch wie diesem sicherlich empfehlenswert ist.

Bewertung vom 04.09.2015
Held, Annegret

Das Zimmermädchen


sehr gut

Carla, 19 Jahre jung, ist das erste Mal in ihrem Leben weg von Zuhause, weit oben im Norden auf der Insel Langeoog, wo sie einen Sommer lang als Zimmermädchen arbeitet. Von diesem Sommer erzählt das Buch bzw. Carla - nicht mehr und auch nicht weniger. Nicht dass irgendetwas Aufregendes oder Spannendes geschieht: Alles Geschehene lässt sich wohl in maximal zwei, drei Sätzen zusammenfassen. Und darüber dann ein ganzes Buch lesen? Lohnt sich das überhaupt?
Oh ja, es lohnt sich wohl. Denn Annegret Held, die Autorin, lässt Carla so überzeugend von ihrem Aufenthalt erzählen, dass man mit ihr lebt und fühlt, als wäre man selbst wieder 19 Jahre jung (zumindest mir ist es zeitweise so ergangen ;-)). Einerseits frech und übermütig, dann wieder verunsichert und ängstlich, ganz wie ein kleines Mädchen. Wie sie voller Unbefangenheit die ankommenden Ärzte des Kongresses auf der Insel taxiert und für belanglos und uninteressant einordnet bis auf den einen, der ihr mit seinen 35 Jahren aber uralt vorkommt ;-) Wie sie mit ihren Kolleginnen einen über den Durst trinkt und sich ihre vornehm-steife, zarte Chefin, das Fräulein Sörensen darüber aufregt ohne jedoch ein Wort zu sagen. Wie sie sich voller Hingabe ihrer Aufgabe widmet, denn diese ist 'doch ihre Eintrittskarte ins Leben', die sich nun verdienen will. Das ist so großartig, dass ich einfach immer weiter lesen wollte. Helds bzw. Claras Schilderungen sind wundervoll klar und deutlich in einer famosen bildhaften Sprache, nehmen kein Blatt vor den Mund und verletzen doch nie das was sie beschreiben.
Wer sich beim Lesen eine stets fortschreitende Handlung erwünscht, eine Entwicklung, vielleicht mit Spannung oder Action, wird an diesem Buch keine große Freude haben. Der Rest aber (so wie ich) dürfte mit Clara einen wirklich schönen und unterhaltsamen Sommer auf Langeoog verleben ;-)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.08.2015
Hanif, Mohammed

Eine Kiste explodierender Mangos


sehr gut

Im August 1988 explodierte kurz nach dem Start das Flugzeug des pakistanischen Militärdiktators Zia ul-Haq, wobei er sowie einige seiner Generäle und der amerikanische Botschafter ums Leben kamen. Bis heute sind die Ursachen, die zu diesem Unglück führten, nicht bekannt. In dem Buch mit diesem ungewöhnlichen Titel stellt der Autor Mohammed Hanif seine eigene Sicht der Dinge dar - und das in einer eher ungewöhnlichen Form.
Stets kapitelweise wechselnd erfolgt ein Bericht der Hauptfigur, des jungen Luftwaffenkadetten Ali Shigri und (zumeist) ein zeitgleicher Abschnitt aus dem Leben Zia al-Haqs. Während Shigri einen zu Beginn mysteriösen Plan zu verfolgen scheint, der ihn in eine ausgesprochen schwierige Situation bringt, fühlt sich der Diktator von allen Seiten bedroht - nicht immer zu Recht. Auch die Sichtweisen anderer Personen spielen in den Kapiteln eine Rolle, denn irgendwie haben diese alle ihren Anteil an dem zu Beginn genannten Unglück.
Was sich nun vielleicht eher wie eine kriminalistische Aufklärungsgeschichte anhören mag, ist jedoch eine herrliche Satire auf die Situation in den Herrschaftsverhältnissen dieser Militärdiktatur. Zia ul-Haq wird als ein sehr gläubiger Moslem dargestellt, überaus eitel und voller Paranoia vor möglichen Attentätern. Selbst der Generalsekretär der Straßenfegergewerkschaft sitzt deswegen im Kerker. Doch die Ängste des Diktators entbehren nicht ganz jeglicher Grundlage: Seine Führungsriegen sind ausschließlich auf ihren eigenen Vorteil bedacht und jeder katzbuckelt und intrigiert so gut und viel wie möglich. Shigris Kapitel dagegen beschreiben die Wilkür und Gewalt, der im Prinzip jeder (nicht nur Soldat) ausgesetzt sind. Doch sein Tonfall ist dabei so wunderbar trocken, dass ich beispielsweise selbst bei der Beschreibung der unschönen Unterbringung in der Folterkammer lachen musste (schon mal was von 'Do-it-yourself-Folter' gehört?).
Ein witziges Buch mit einem ernsten Hintergrund, das nicht immer ganz einfach zu lesen ist, da die häufigen Zeitsprünge gelegentlich irritierend wirken.