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Bellis-Perennis
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Wien

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Insgesamt 1120 Bewertungen
Bewertung vom 11.05.2024
Mott, Sophia

Goethe und die Frauen


ausgezeichnet

Zum 275. Geburtstag des wohl bekanntesten Dichters und Universalgenies Deutschlands am 28. August 2024 erscheint dieses Buch von Sophia Mott.

„Die Überlegenheit des männlichen Genies ist dagegen eine Selbstverständlichkeit.“

Sophia Mott geht in dem Phänomen Johann Wolfgang von Goethe mit ein wenig Augenzwinkern nach, wie schon der Untertitel „Inszenierungen der Liebe“ andeutet, nach.

Ist die Liebe an sich, nicht nur eine Inszenierung?

Sophia Mott stellt uns nun die wichtigsten (?) Frauen, die in Goethes Leben eine Rolle spielen vor - diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Angeblich sollen es 44 Frauen gewesen sein, mit denen er eine Beziehung, welcher Art auch immer, gepflegt haben soll.

Katharina Elisabeth Goethe (Mutter, 1731-1801)
Cornelia Schlosser geb. Goethe (Schwester, 1750-1777)
Käthchen Schönkopf (1746-1810)
Friederike Brion (1752-1813)
Charlotte Buff (1753-1828)
Lili Schönemann (1758-1817)
Charlotte von Stein (1742-1827)
Christiane Vulpius (1765-1816)
Marianne von Willemer (1784-1860)
Ulrike Levetzow (1804-1899)

Wer ist seine größte Liebe gewesen? Vermutlich er selbst.

Meine Meinung:

Der alte Geheimrat Goethe gilt als Womanizer seiner Zeit. Doch ist er das wirklich? Braucht er nicht vielmehr die Bewunderung der anderen, um sich bestätigt zu fühlen? Sind die echten oder angedichteten Amouren nicht nur Spiegelungen seiner Selbst?

Ich will ja auch nicht in die Kerbe „die Mütter sind an allem schuld“ stoßen, doch welchen Anteil an seiner Persönlichkeit die intensive Beziehung zu seiner Mutter - als erste Frau in seinem Leben - hat, kann man nach 275 Jahren nur mutmaßen.

Goethe ist ein mächtiger und vermögender Mann und kann es sich richten. Das macht ihn ein wenig unsympathisch. Doch wie sagt schon sein Faust? “Zwei Seelen wohnen, ach in meiner Brust“ - auch Goethe ist zwiegespalten. Er setzt sich über alle Konventionen hinweg, als er mit Christiane Vulpius lange Zeit ohne Segen der Kirche zusammenlebt.

Macht macht erotisch und deshalb wirkt Goethe auch noch im Alter auf zahlreiche Frauen anziehend. Er, der arme, schwache Mann muss sich den Frauen natürlich hingeben.

Sophia Motts Schreibstil ist kurzweilig und durchaus humorvoll, wenn sie uns jene Frauen präsentiert, die in Goethes Leben eine Rolle gespielt haben.

Ergänzt werden die ansprechenden Texte von Abbildungen der jeweiligen Frau. Dazu gibt es zahlreiche Zitate aus Briefen. Vervollständigt wird das Buch durch das Register der Frauen in Goethes Leben in alphabetischer Reihenfolge von Anna Amalia bis hin zu Luise von Ziegler.

Fazit:

Ein gelungenes Geburtstagsgeschenk zum 275. Wiegenfest. Gerne gebe ich hier 5 Sterne.

Bewertung vom 11.05.2024
Lehnertz, Waldi

Mord im Antiquitätenladen / Siggi Malich ermittelt Bd.1


weniger gut

Statt den Morgen angenehm mit Freund Kurt beim Angeln zu verbringen, findet Antiquitäten- und Trödelhändler Siggi Malich eine Leiche in seinem Laden. Doch diese ist, als die Polizei eintrifft, bereits wieder verschwunden. Daher sieht die Polizei keinen Handlungsbedarf. Allerdings hängt nun ein Teil einer alten Tapisserie an der Wand, die Siggi unbekannt ist.

Siggi ist überzeugt, eine Leiche gesehen zu haben und lässt nicht locker. Gemeinsam mit seiner neuen Putzfrau Doro und seinem Freund Anton begibt er sich auf die Suche nach Leiche und Mörder.

Meine Meinung:

Ich probiere gerne Neues aus, weshalb ich zu diesem Cozy-Krimi des Neo-Autors Waldi Lehnertz alias 80 Euro Waldi, bekannt aus der Sendung „Bares für Rares“, gegriffen habe. Ich habe hier eine turbulente Krimödie à la Tatjana Kruse erwartet, doch leider ist das Potenzial der Zutaten nicht genützt worden.

Die Ingredienzen sind: ein schrulliger Trödelhändler, der hofft, unter dem Trödel eine echte Sensation zu finden, eine verschwundene Leiche, ein Putzfrau, die quasi vom Himmel fällt und eigene Ambitionen hat sowie ein geheimnisvoller Wandteppich .

Diese Protagonisten stolpern irgendwie durch den Krimi. Die Spannungskurve ist recht flach gehalten. Es gibt kaum Höhepunkte. Aus der Geschichte rund Walpurga Bülow hätte sich eine durchaus spannende Geschichte konstruieren lassen, wenn diese von Anfang an in den Mittelpunkt gestellt worden wäre. So scheint dieser Krimi eher an der Feindschaft zwischen Siggi und dem Polizisten Gunnar aufgehängt zu sein. Nicht okay finde ich, dass sich Siggi mehrmals über Gunnars Schielfehler lustig macht. Im echten Leben würde Gunnar zwar kaum in den Polizeidienst eintreten dürfen, aber ihn deswegen zu verspotten, zeugt nicht gerade von Empathie und guter Kinderstube.

Die Charaktere sind alle miteinander skurril. Kaum einer steht mit beiden Beinen im Leben. Da ist Siggi selbst, der leicht chaotisch ist, Doro, die ständig auf einem rosa Handy herumdrückt oder Kurt, der unselige Anlageberater, der das Vermögen seiner Kunden eher verkleinert als vergrößert.

Die Auflösung selbst erscheint auch ein wenig an den Haaren herbeigezogen. Daran kann auch die Hilfe von Krimiautorin Miriam Rademacher nicht viel ändern.

Fazit:

Dieser Krimi hat mir nicht wirklich gefallen, daher nur 2 Sterne.

Bewertung vom 10.05.2024
Neuhold, Thomas

Salzkammergut - Orte der Erinnerung


ausgezeichnet

Thomas Neuhold stellt in diesem Buch, das am 8. Mai 2024, also 79 Jahre nach der Kapitulation von Nazi-Deutschland erschienen ist, 30 Erinnerungsorte im Salzkammergut vor. Diese Orte sind in folgende Gruppen eingeteilt:

Villen und Schlösser
NS-Opferorte
Verstecke und Fluchtrouten
Denkmäler und weitere Kunstinstallationen
öffentlich und vergessene Schauplätze

Er widmet dieses Buch allen jenen, die der NS-Diktatur zum Opfer gefallen sind. Sei es. dass sie Juden oder Sozialisten bzw. Kommunisten waren oder Widerstand geleistet haben. Manche wie Agnes Primocic (1905-2007) waren Kommunistin UND Widerstandskämpferin. Frauen, wie Agnes Primocic, Resi Pesendorfer oder Marianne Feldhammer haben ihr eigenes Leben riskiert, um anderen zu helfen. Ihnen ist zugute gekommen, dass die Gestapo die Frauen nicht ernst genommen haben.

Diese 30 Erinnerungsorte sind auf der beiliegenden Karte eingezeichnet und laden ein, sie zu besuchen.
Interessant ist, dass sich hier im Salzkammergut die Wege der Opfer und Täter kreuzen. Man kann den Spuren von Rebellen und Kämpferinnen, Opfern und Verfolgten sowie den Kriegsverbrechen und hochrangigen NS-Tätern folgen.

Das NS-Opfer-Mahnmal in Gmunden (S.58) , das 60 Opfer namentlich anführt, wurde erst im März 2023 seiner Bestimmung übergeben. Das vom Gmundner Architekten Kurt Ellmauer gestaltete Mahnmal ist so konzipiert, dass die Namen weitere Opfer der Stadt Gmunden ergänzt werden können. Denn noch längst ist die Geschichte nicht aufgearbeitet.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem kleinen Buch, das die Widersprüche dieser Region sichtbar macht, 5 Sterne.

Bewertung vom 09.05.2024
Pfeil, Eric

Ciao Amore, ciao


ausgezeichnet

Nachdem „Azzurro - in 100 Songs durch Italien“ ein gelungenes Buch für Italien-Fans jeden Alters ist, können wir nun einen Nachfolger in Händen halten. Das Konzept ist gleich geblieben und ist eine gelungene Mischung aus Lesespaß, Hörgenuss (wenn man die Playlist abarbeitet) sowie eine Reminiszenz an die eigenen Italien-Urlaube. Geschichtliche und politische Hintergründe (beides in kleinen Dosen) dürfen dabei auch nicht fehlen wie Klatsch und Tratsch aus dem Show-Business.

Der Schreibstil von Eric Pfeil, der nebenbei seiner Leserschaft das Dolce Vita näher bringen möchte, amüsant.
Wieder sind die Titel seiner persönlichen Playlist streng nach Alphabet aufgezählt - also von „Abbronzatissimo“ bis „Yuppi du“. Die Zeitspanne umfasst mehr als 60 Jahre von 1960 bis 2023.
Eric Pfeils zentrales, sich jährlich wiederholendes Ereignis ist das „Festival della Canzone Italiana“, kurz Sanremo-Festival. Hier feier(te)n Interpreten Triumphe und ereigneten sich Tragödien wie der Selbstmord von Luigi Tenco, dessen Titel „Ciao, Amore; Ciao“ es nicht ins Finale schaffte. Eine späte Genugtuung ist, dass das vorliegende Buch ihn nun trägt.

Natürlich hat jede/jeder so seine persönliche Hitliste. Im ersten Band habe ich noch recht viele meiner eigenen vorgefunden. Diesmal sind es viel weniger. Vor allem die Hits ab der Jahrtausendwende sind nicht (mehr oder noch nicht) in meinem Ohr. Dafür fehlen mir einige alte „Hadern“ (wie man in Wien sagt).

Aber, mit der Basis von 2 x 100 italienischen Songs, die durch die eigene Playlist ergänzt wird, lässt sich mehr als ein italienischer Abend bestreiten.

Nicht fehlen dürfen die großen Stars wie Gianna Nannini, Adriano Celentano oder Lucio Dalla, um nur einige wenige zu nennen.

Fazit:

Wie schon in „Azzurro“ entführt uns Eric Pfeil in die Welt der Italo-Hits und verhilft dem Ohrwurm zu neuen Höhenflügen. Das Cover, des verliebten Paares auf der Vespa passt perfekt dazu. Gerne gebe ich hier wieder 5 Sterne.

Bewertung vom 09.05.2024
Schrems, Thomas

Tod einer Randnotiz


sehr gut

Worum geht’s?

Vinzent Kluger, alternder Chefredakteur des Massenblattes „Die Gute“, wittert, nach einem Eklat im Wiener Wachsfigurenkabinett der Madame Tussaud die letzte (?) Sensationsstory seines Lebens. Obwohl er das Business und die Machenschaften darin wie kaum ein Zweiter kennt, tappt er in die Falle wie ein Anfänger. Er lässt sich korrumpieren, ist zu vielem (auch Illegalem bereit) und geht auf gewisse Weise auch über Leichen.

Meine Meinung:

Dieser 936 Seiten starke Roman gibt düstere Einblicke in den (Boulevard)Journalismus. Autor Thomas Schrems nennt sein Buch „Medien-Kriminaloman“. Als ehemaliger stellvertretender Chefredakteur der auflagenstärksten Zeitung Österreichs, weiß er, worüber er schreibt. Daher habe ich mich auf einen fesselnden Krimi aus dem Milieu der Zeitungsmacher gefreut und bin mit der Umsetzung nicht ganz zufrieden.

Warum?

Der Roman ist eine sauber recherchierte Milieustudie. Wir Leser erfahren einiges über die Verflechtung von Journalisten und Politik, die nicht erst seit dem „Ibiza-Skandal“, in dem der damalige Vize-Kanzler, die „Kronen-Zeitung“ kaufen wollte, bekannt ist. Vor allem Chefredakteur Kluger ist ein „alter Hase“ und mit der Polit-Prominenz auf Du und Du. Ja es werden einige sogar namentlich genannt. Allerdings verlangt das Buch Kenntnis der österreichischen Innenpolitik - was aber genau der Grund war, warum ist dieses Buch lesen wollte.

Die Charaktere sind sehr gut ausgefeilt. Besonders Vinzent Kluger hat viele Facetten. Er wirkt geerdet, doch erkennt er die Zeichen der Zeit in dem sein Job wackelt. Daher tappt er, der auf seinen täglichen Alkoholspiegel achten muss, um zu funktionieren, letztlich in die Ego-Trip-Falle als er seine letzte, große Enthüllungsstory wittert.

Manchmal kann es einem richtig übel werden, wenn man erfährt, wie angeblich objektive Berichterstattung in den Medien zustandekommt. Da ist von Pressereisen die Rede, von mehr Inseraten bei wohlwollenden Berichten über die eigene Partei und abfälligen bis falschen für die Opposition. Oder von der Androhung von Entzug von entgeltlichen Einschaltungen, wenn die Journalisten nicht im Sinne des „Auftraggebers“ schreiben. Also Erpressung pur, moderne Schutzgeldzahlung.

Wir erhalten Einblick in den Boulevardjournalismus, wie Redaktionssitzungen ablaufen und wie griffige Schlagzeilen entstehen.

Für mein Empfinden passt der grundsätzlich tolle, ausgefeilte Schreibstil nicht ganz zu dieser Milieustudie im Journalismus. Die langen Schachtelsätze kommen wunderbar gedrechselt daher und wären vermutlich in einem literarischen Roman besser aufgehoben. Der Sarkasmus und die Selbstkritik von Kluger, die sich wie ein innerer Monolog lesen, wirken ein wenig aus dem Rahmen gefallen. Dieses Stilmittel (der Innere Monolog) passt zwar gut zu Klugers persönlicher leicht depressiver Stimmung, die einer Achterbahnfahrt gleicht, aber nicht zu einem Krimi, zumal es hier auch um die Frage geht, ob - wie im Krieg und der Liebe - auch im Journalismus alles erlaubt sein dürfe. Für eine gute Story sprichwörtlich über Leichen gehen? Ist das moralisch gerechtfertigt? Wie geht der Journalist damit um?

Sehr gut gefallen hat mir die Recherche zu Madame Tussaud und der Herstellung der Wachsfiguren, auch wenn manche Figuren in den diversen Wachsfigurenkabinetten dem lebendigen Original nicht immer ganz ähnlich sehen.

Der Titel ist sehr gut gewählt, denn sind „Randnotizen“ nur flüchtige Bemerkungen, die auch als Kollateralschaden billigend in Kauf genommen werden (müssen)?

Ich liebe ja dicke Wälzer und die 936 Seiten haben mich regelrecht angefixt. Trotzdem wäre hier eine Straffung durchaus wünschenswert. Denn, nicht alles, was der Autor weiß, muss dem Leser zugemutet werden.

Fazit:

Wer lange Schachtelsätze, die oft in einem Inneren Monolog münden, sowie Sarkasmus eines spiegeltrinkenden Journalisten nicht scheut, ist in diesem Wälzer, der Einblick in die Verflechtung von Politik und Journalismus gut aufgehoben. Dafür gibt es von mir 3,5 Sterne, die ich hier auf 4 Sterne aufrunde.

Bewertung vom 04.05.2024
Wild, Johanna von

Der Meister der Karten (eBook, PDF)


sehr gut

In diesem historischen Roman steht der Kartograf Martin Waldseemüller im Mittelpunkt. Als Vermesserin liebe ich alte Karten und musste dieses Buch der Autorin Johanna von Wild (Pseudonym von Biggi Rist) unbedingt lesen.

Martin Waldseemüller (geboren um 1472 oder 1475, gestorben 1520) hat 1507 die erste und viel beachtete Weltkarte gezeichnet, die gemeinsam mit einem Globus und einer Beschreibung erstmals die Landmasse im Westen unter dem Namen „America“ dokumentiert. Soweit das historische Verdienst von Martin Waldseemüller.

Schon lange weiß der junge Martin, dass er kein Metzger wie sein Vater werden will. Unterstützt durch den Pfarrer, darf er in die Schule gehen und später die sieben Künste studieren. Dabei entdeckt er unter seinem Lehrer Gregor Reisch die Kosmographie. Gemeinsam mit Mathias Ringmann verlässt die Universität im Breisgau und reist zunächst in das Kloster Saint-Dié-des-Vosges. Später lässt ihn dann die Autorin über Paris nach Lissabon reisen, wo er (die fiktive) Elena De Cabrera kennen- und lieben lernt. Blöd ist nur, dass die verheiratete Elena vor ihrem gewalttätigen Mann nach Lissabon geflohen ist. Allerdings ist Enzo De Cabrera gerade mit Amerigo Vespucci und seiner Flotte auf Reisen und scheint verschollen zu sein. Es kommt wie es kommen muss, plötzlich steht Martin Waldseemüller Enzo gegenüber, und das ausgerechnet am Hof des portugiesischen Königs Manuel ...

Meine Meinung:

Geschickt verquickt Johanna von Wild die historischen Fakten mit der fiktiven Liebesgeschichte. Neben Waldseemüller begegnen wir zahlreichen anderen historischen Personen wie Amerigo Vespucci, Cristóbal Cólon, dem portugiesischen König Manuel I, seiner Gemahlin Maria sowie dem Buchdrucker Valentim Fernandes Alemão.

Die Geschichte wird abwechselnd aus Martins und Elenas Perspektive erzählt. Während Martin ganz in seiner Wissenschaft aufgeht, muss sich Elena der für damalige Zeiten üblichen (Zwangs)Heirat beugen. Gut gelungen ist die Beschreibung von Land und Leuten des ausgehenden Mittelalters. Die Charaktere werden gut durch die Geschichte geführt und wirken richtig lebendig.

Dieser historische Roman lässt sich leicht und flüssig lesen. Das Cover passt sehr gut zum Thema.

Ich persönlich hätte gerne noch mehr über Waldseemüllers kartographisches Werk erfahren.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem historischen Roman rund um Martin Waldseemüller 4 Sterne.

Bewertung vom 04.05.2024
Seiß, Reinhard

Harry Glück


ausgezeichnet

Harry Glück (1925-2016) war einer der produktivsten und umstrittensten Architekten Österreichs. Sein Wohnpark Alt-Erlaa in Wien, einst als "hässliche Betonburg" beschimpft, gilt heute vielen als vorbildhaft.

Publizist Reinhard Seiß ehrt ihn nun mit einer umfassenden Monografie, nein, mit einem Bildband, in dem andere über Harry Glücks Art, Wohnungen zu bauen, philosophieren dürfen. Die 18.000 Wohnungen bleiben als würdiges Denkmal seines Wissens und Wirkens.

Ich selbst habe Harry Glück persönlich kennengelernt, als ich in den frühen 1980er-Jahre bei seinem Architektenkollegen, Industriedesigner und früherem Arbeitgeber Carl Auböck, mit dem Harry Glück die Reihenhausanlage Am Wolfersberg geplant und gebaut hat, gearbeitet habe.

Harry Glück ist quasi ein Quereinsteiger unter den Architekten, denn er kommt von der Bühnentechnik und hat, anders als die meisten Architekten seiner Generation, statt auf der Hochschule für Angewandte Kunst, auf der Technischen Universität studiert. Was ihm zusätzlich Kritik und Anfeindungen einbringt, ist seine größte Auftraggeberin: Die Gesiba, eine Wohnbaugenossenschaft, die der Stadt Wien sehr nahe steht.

In diesem wunderbaren Buch über Harry Glücks Werk und Wirken nimmt natürlich seine bekannteste Wohnhauslage, der Wohnpark Alt-Erlaa, der in den Jahren 1973-1985 errichtet worden ist, den größten Raum ein. Der Wohnpark ist mit rund 9.000 Bewohner eine Stadt in der Stadt. Neben den Wohnungen enthält sie die nötige Infrastruktur wir Kindergärten, Nahversorger, Ärzte und zahlreiche Gemeinschaftsräume in denen nach Herzenslust genäht, Theater gespielt, geturnt oder an Modelleisenbahnen gebaut werden kann. Nicht zu vergessen sind die großzügigen Grünanlagen, die Kinder zum Spielen und ältere Bewohner zum Verweilen einladen. Auch das Konzept der autofreien Anlage hat Harry Glück vorweggenommen.

Kritisiert wurde der Wohnpark vor allem wegen seiner Schwimmbäder am Dach und der Balkone/Terrassen für jede Wohnung. Doch genau das schätzen seine Bewohner, wie die Interviews mit einigen Bewohnern zeigen. Er wurde, so erzählt er im Interview mit Reinhard Seiß, von rechten und linken Gruppen angefeindet, weil er Steuergeld für die Proleten ausgibt und denen Schwimmbäder auf’s Dach baut. Ja, kommen wir dahin, wenn der Klassenunterschied verschwimmt?

Harry Glücks Werk kann als Nachfolge des „Roten Wiens“, dem Wohnbauprogramm der Stadt Wien in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg bis ca. 1934, gesehen werden. Damals hat man Wohnhausanlagen wie den Karl-Marx-Hof, den Lassalle-Hof oder den Metzleinsdorfer Hof errichtet, um die Wohnungsnot zu lindern. Zweckmäßige Grundrisse und kleine Geschäfte für den täglichen Einkauf, Kindergarten und Gemeinschaftsräume waren damals das Konzept, das Harry Glück für seine Bauten wiederentdeckt hat.

Das Wohnen in der Stadt mit den Vorzügen der Natur zu kombinieren war eines der zentralen Anliegen Harry Glücks. Sein Credo: Wer eine grüne Terrasse hat, braucht am Wochenende nicht aufs Land zu fahren (und reduziert damit den Verkehr). Die Pools auf dem Dach, die er bei zahlreichen seiner Wohnanlagen errichtete, sah er als bewussten Transfer einer Luxusausstattung hin zum "gemeinen Volk". Da er durch seine effiziente Konstruktionsweise bei der vieles vorgefertigt ist, Einsparungen erzielt hat, kann er das Geld in die besondere Ausstattung investieren. Ein Investment, das sich für die Bewohner bis heute lohnt.

Neben seinen in die Höhe gezogenen Wohnbauten hat Harry Glück, vor am Stadtrand von Wien Häuser und Wohnungen im „verdichteten Flachbau“ errichtet. Eine dieser Siedlungen ist gleich bei mir ums Eck in der Auernheimergasse, in Wien-Essling.

Ach, ich könnte noch viel über Harry Glück und sein Werk schreiben. Wer sich für Architektur interessiert, wird an diesem Buch nicht vorbeikommen. Nur noch ein Satz, nein zwei Sätze: „ein intelligenter Grundriss kostet nicht mehr als ein gewöhnlicher“ (S. 136) und hätten wir nur mehr solcher Architekten, die FÜR die Bewohner bauen als sich selbst ein Denkmal setzen zu wollen.

Das Buch ist in gediegener Ausstattung als Hardcover mit Lesebändchen im Verlag Anton Pustet erschienen. Es ist ein Überblick über Harry Glücks Werk und enthält zahlreiche grandiose Fotos.

Fazit:

Gerne gebe ich dieser Hommage an den 2016 mit 91 Jahren verstorbenen Architekten 5 Sterne.

Bewertung vom 03.05.2024
Johannsen, Anna;Bergsma, Elke

Die Stille der Flut


ausgezeichnet

Wenn Elke Bergsma oder Anna Johannsen jede für sich einen Krimi schreibt, ist Spannung angesagt. Wenn die beiden dann noch gemeinsam ein Buch verfassen, liegt die Erwartungshaltung bei mir schon sehr hoch. Ich sag’s gleich vorweg - ich bin nicht enttäuscht worden.

Dieser erste Fall für Kea Siefken und Lina Lübbers , ist ja nicht die erste Co-Produktion der beiden Autorinnen. Wie schon in „Juister Mohn“, wo Lena Lorenzen und David Büttner kooperieren (müssen), wird dies auch von Kea Siefken und Lina Lübbers verlangt.

Worum geht’s?

In der Auricher Polizeistation, die von Kea Siefken geleitet wird, scheint es einen Maulwurf zugeben, denn jedes Mal, wenn Kea und ihr Team glaubt, genügend Hinweise zu haben, um die Mitglieder der niederländischen Drogenfamilie de Jong verhaften zu können, werden die geplanten Aktionen verraten und die Vögel sind ausgeflogen. Auch diesmal stehen sie vor den Überresten einer ehemaligen Drogenküche. Was Kea und ihr Team ziemlich frustriet.

Lina Lübbers aus Osnabrück soll nun mit dem externen Blick und einer befristeten Dienstzuteilung den Maulwurf entlarven. Sie hat sich in die Personalakten des Auricher Teams eingelesen und weiß, wer von welchen privaten Problemen geplagt wird. Und das sind so gut wie alle, die geschiedene Mutter zweier Kinder, Kea Siefken inklusive.

Der Empfang an ihren ersten Arbeitszeit fällt ziemlich frostig aus. Beinahe gleichzeitig wird am Strand die Leiche der 16-jährigen Mia gefunden. Das Mädchen ist ertrunken, allerdings mit Drogen vollgepumpt gewesen. Dass sie unmittelbar vor ihrem Tod Geschlechtsverkehr mit mehreren Männer gehabt hat, eröffnet eine ungeahnte Perspektive. Als dann Mias Tagebücher gefunden werden, ergibt sich ein Hinweis auf die „große“ Liebe. Blöd ist nur, dass der Vorname des Mannes nicht vollständig ausgeschrieben ist und es in Mias Umfeld mehrere Verdächtige gibt, deren Vorname mit einem L beginnt.

Auf der Suche nach Mias Mörder müssen alle Ermittler in unterschiedlichen Konstellationen zusammenarbeiten. So kommt es, dass Lina häufig mit Hauke Behrends, der einzige, der sie freundlich in der Dienststelle willkommen geheißen hat, unterwegs ist, was Kea nicht gar so gut schmeckt. Überhaupt ist Kea wenig amused, dass sie Lina als Unterstützung bekommen hat, hat man ihr ja Linas Auftrag verschwiegen.

Wird Lina den Maulwurf bald enttarnen können? Und wer ist der heimliche Geliebte von Mia? Lenny, Lukas oder Luis?

Meine Meinung:

Dieser Auftakt für eine als Trilogie angelegte Mini-Serie hat mir gut gefallen.

Sehr interessant ist die Schreibweise des Autorinnen-Duos: Die Handlung wird abwechselnd aus Keas und Linas Perspektive, jeweils in der Ich-Form, geschildert. Eine geschickte, wenn auch zu Beginn irritierende Idee! Nicht immer ist ganz eindeutig, in wessen Haut wir Leser nun stecken. Da ist aufmerksames Lesen notwendig, zumal es noch unausgesprochene Gedanken gibt, die in kursiver Schrift eingeschoben sind. Da ist das eine oder andere Blitzlicht über die oder den Kollegen auch amüsant, weil mitunter fehlinterpretiert.

Die Charaktere sind ausgefeilt und wirken recht authentisch. Die beiden Kommissarinnen sind „g’standene Frauen“, d.h. sie arbeiten doppelt soviel wie ihre männlichen Kollegen und sind sich in manchen Dingen ähnlicher als ihnen lieb ist, bzw. sie ahnen. Allerdings haben beide ihre persönlichen Schicksalspäckchen zu tragen. Die eine, alleinerziehend mit einer pubertierenden Tochter und einem etwas jüngeren Sohn, die sich auch auf den Ex- Mann und Kindesvater nicht verlassen kann und die andere, die ihre jüngere Schwester den Drogentod sterben hat sehen. Der Mord an Mia und die Zusammenhänge, lassen in Kea allerlei Schreckgespenster auch für ihre Kinder aufkommen.

Wie es mit den beiden Frauen weitergeht, erfahren wir hoffentlich recht bald. Bis Jahresende sollen ja Band zwei („Die Gewalt des Sturms“) und Band drei („Die Kraft der Ebbe“) erscheinen.

Ich freue mich auf die Fortsetzung!

Fazit:

Ein gelungener Einstieg in eine neue Krimi-Reihe, der ich gerne 5 Sterne gebe.

Bewertung vom 01.05.2024

Aus dem Salzkammergut


ausgezeichnet

Nachdem das Salzkammergut in diesem Jahr anlässlich der Europäischen Kulturhauptstädte im internationalen Fokus liegt, sind zahlreiche Bücher über die wunderbare Landschaft und ihre Bewohner erschienen. Dieses hier nennt sich im Untertitel „Lesebuch“. Und als solches ist es auch zu verstehen. Unterschiedliche Essays holen bekannte und weniger bekannten Persönlichkeiten vor den Vorhang.

Zunächst einmal wird das Salzkammergut und seine Bewohner beschrieben. Da dürfen auch die üblichen Klischees nicht fehlen. Anschließend geht es mit Betrachtungen von Einheimischen und Zuagroasten weiter. Diese Beiträge sind in folgende Abschnitte unterteilt:

Künstlerinnen und Lebenskünstler
Jasager und Neinsagerinnen
Gipfelstürmer und Naturtalente
Tüftlerinnen und Schrittmacher

Einige der Essays widmen sich dem Widerstand gegen das NS-Unrechtsregime. Ja, es hat sie auch im Salzkammergut gegeben, das ob einer größeren Anzahl von „eingewanderten“ Nazi-Bonzen als besonders regimetreu gegolten hat.

Das Buch liegt schwer auf der Hand, ist es doch als gediegene Ausgabe als Hardcover mit Lesebändchen im Verlag Anton Pustet erschienen.

Historische Fotos sowie ein ausführliches Literaturverzeichnis ergänzen dieses interessante Buch.

Fazit:

Diesem Buch, das in interessanten Beiträgen von namhaften Autorinnen und Autoren Bekanntes und Unbekanntes aus der Region ans Tageslicht fördert, gebe ich gerne 5 Sterne.

Bewertung vom 01.05.2024
Anderson, Edith

A Man's Job (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Dieser interessante Roman ist bereits 1956 erstmals erschienen und nun in neuer Übersetzung verlegt worden.

Worum geht’s?

In ihrem Debütroman schildert Edith Anderson (1915-1999) den Arbeitskampf von amerikanischen Bahnangestellten. Es ist eine bedrückende, realistische Geschichte einer Gruppe von Frauen, die während des Zweiten Weltkrieges an der amerikanischen Ostküste die Arbeit der eingerückten Männer übernehmen (müssen). Die Autorin weiß, worüber sie schreibt, da sie eine von ihnen war. Zwischen 1943 und 1947 hat sie als Schaffnerin bei der Pennsylvania Railroad gearbeitet.

Wenn aktuell über Streiks der Deutschen Bahn gesprochen und gelesen wird, so haben solche Bahnstreiks lange Tradition. Dieses Buch liefert einen Einblick in historische Miseren, in denen es nicht ausschließlich um höhere Gehälter ging, sondern um die systematische Benachteiligung von Frauen und Sexismus als Spielart des Kapitalismus.

Anspruch auf einen regulären Dienstplan hatte die Angestellten erst nach einigen Jahren als Beschäftigte, mit der sogenannten Seniorität. Diese wurden Frauen, nachdem sie von vornherein nur für die Kriegsdauer eingestellt worden waren, vorenthalten. Die mehr als ambivalente Haltung der männlichen Vorgesetzen zeigt sich auch darin, dass sie einerseits behaupteten, Frauen könnten die anstrengende Arbeit körperlich und psychisch nicht bewältigen (Schichten, die bis zu 16 Stunden dauerten, ohne sich waschen zu können, waren keine Seltenheit), andererseits teilten sie ihnen für gewöhnlich die aufreibenden Strecken zu, während sie den Männern die guten Strecken zuschanzten. Dazu kamen die stetige sexuell-aggressiven Sprüche, die die Schaffnerinnen über sich ergehen lassen mussten. Manchmal blieb es nicht bei blöden Anmache.

Selbstbewusste Frauen hat man als gesellschaftliche Bedrohung angesehen hat. Nur vor schwarzen US-Amerikaner hatte man noch mehr Angst, wie das folgende Zitat zeigt:

„Ihr Hirngespinst, dass Horden von Frauen die Bahn übernahmen, wurde von dem weit beängstigerenderen Hirngespinst anstürmender Schwarzer verdrängt.“

Da hat man doch lieber Frauen angestellt, die man nach der Rückkehr der Männer sofort wieder entlassen konnte, denn nur die Seniorität bot so etwas wie einen Schutz vor allzu willkürlichen Kündigungen. Die aber hatte man den Frauen ja verwehrt. Ein wahrer Teufelskreis!

Biografisches zur Autorin:

Edith Anderson (1915-1999) ist als Tochter eines jüdischen Ehepaars in New York City zu Welt gekommen, macht eine Ausbildung zur Lehrerin und tritt 1938 der amerikanischen kommunistischen Partei bei und schreibt für eine kommunistische Tageszeitung. Ein eher ungewöhnlicher Schritt in den USA. Sie setzt sich für bessere Arbeitsbedingungen, vor allem für die Frauen, ein.

In zweiter Ehe ist sie mit dem deutschen Journalisten Max Schröder (1900-1958) verheiratet, der aus Nazi-Deutschland fliehen musste. Als Max Schröder nach Kriegsende in das besiegt und zerstörte Deutschland zurückkehrt und als Lektor beim Aufbau-Verlag arbeitet, folgt sie ihm nach Ost-Berlin.

Fazit:

Dieses Buch, das einen interessanten Einblick die amerikanische (Arbeits)Welt während des Zweiten Weltkrieges und kurz danach gibt, erhält von mir 5 Sterne.