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Raumzeitreisender
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Buchwurm, der sich durch den multidimensionalen Wissenschafts- und Literaturkosmos frisst

Bewertungen

Insgesamt 761 Bewertungen
Bewertung vom 06.11.2016
Zusak, Markus

Die Bücherdiebin


ausgezeichnet

Literatur, wie sie sein soll

Mit diesem emotional anrührenden Roman ist Markus Zusak ein ganz große Wurf gelungen. Die Geschichte macht betroffen und weckt Hoffnungen, ist gleichzeitig poetisch und aufklärend, einfühlsam und dramatisch. „Die Bücherdiebin“ ist kein spezieller Jugendroman, sondern ein Roman, der alle Generationen anspricht. Er beschreibt das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte aus der Perspektive des Todes. Aber der Tod hat menschliche Züge. Er ist nicht Verursacher, sondern eher Knecht einer Aufgabe, der er nachgehen muss. Und das tut er nicht sadistisch, sondern achtsam. Zur Protagonistin Liesel Meminger hat er ein besonderes Verhältnis.

Zum Inhalt braucht man bei der großen Anzahl veröffentlichter Rezensionen nicht mehr viel zu sagen. Auch wenn einige wenige Rezensenten es anders sehen: Die Zeitsprünge überfordern den Leser nicht. Sie werden kompensiert durch kleine überschaubare Kapitel in einfacher Sprache, denen zudem ansprechende erläuternde Überschriften vorangestellt wurden. Für erläuterungsbedürftig halte ich die Frage, warum Liesel Meminger Bücher stiehlt. Immerhin wurde der Buchtitel danach benannt. Ist es ihre Leidenschaft nach Büchern oder handelt es sich um ein Ventil, um aus dem tristen Alltag entfliehen zu können? Dieser Charakterzug liefert Stoff für Interpretationen.

Es gelingt nur wenigen Autoren so zu schreiben, dass man als Leser mit allen Sinnen in die Romanwelt eintaucht. „Die Bücherdiebin“ verzaubert die Leser und kann ich sehr empfehlen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.11.2016
Adler, Yael

Haut nah


sehr gut

Schnittstelle zwischen Innen- und Außenwelt

Für den Laien ist es schon schwierig, trockene Haut und fettige Haut voneinander zu unterscheiden. Hautärztin Yael Adler erklärt, warum das so ist. Eindeutige Aussagen sind möglich, wenn die Hautschuppen näher untersucht werden. Ohne genauen Befund ist keine wirksame Therapie möglich. Und so führt die Selbstbehandlung manchmal zur Verschlimmerung des Ekzems.

Das Buch gliedert sich in 5 Teile. Im ersten Teil des Buches stellt die Autorin ausführlich die drei „Stockwerke“ der Haut vor und erläutert deren Aufbau, Eigenschaften und Abhängigkeiten. Deutlich wird, dass es sich beim Stockwerkmodell, bestehend aus Oberhaut, Lederhaut und Unterhaut, nur um ein grobes Raster handelt, denn die drei Hautschichten lassen sich weiter untergliedern.

Die Leser erfahren, warum es unterschiedliche Hautfarben gibt, warum Frauen von Cellulite betroffen sind und warum Hautcremes keine Falten wegzaubern können. Ihre Wirkstoffe gelangen dank Hautbarriere gar nicht da hin, wo sie hin müssten, um Falten zu straffen. Auch neigen die Menschen dazu, sich zu viel zu waschen und zu oft zu duschen mit der Folge, dass die Haut sehr belastet wird.

Eine starke Belastung erfährt die Haut auch durch intensive Sonnenbestrahlung, wie die Autorin im zweiten Teil des Buches deutlich macht. So angenehm es auch ist in der Sonne zu liegen, so schädlich ist ein Übermaß an Sonnenbestrahlung. „Heute kämpfen wir mit den Folgen des allzu sorglosen Sonnenkontakts. Mit einer Verzögerung von 20 bis 30 Jahren erhalten wir die Quittung und haben den höchsten Hautkrebsstand seit je ….“ (151)

Während der Kontakt mit der Sonne negative Folgen haben kann, hat der Hautkontakt zum Partner bzw. zur Partnerin positive Auswirkungen. Im Gehirn wird Oxytocin ausgeschüttet, was beruhigend wirkt, die soziale Bindung fördert und Ängste reduziert. Zudem wirkt Sex sich positiv auf die Haut aus. Häufig wechselnde Partnerschaften sind dagegen mit Risiken verbunden. Die Autorin klärt über Geschlechtskrankheiten und deren Übertragbarkeit auf.

Eine weitere wichtige Einflussgröße für den Zustand der Haut ist die Ernährung. Die Medizinerin beschreibt Nährstoffe und ihren Einfluss auf die Haut. Zahlreiche Nahrungsmittelallergien sind bekannt. Die Autorin erläutert, wie sich Industriefett und Umweltgifte auswirken können und warum manche Menschen Probleme mit Weizen oder Milchprodukten haben.

Im fünften Teil des Buches, der nur wenige Seiten umfasst, widmet sich die Autorin dem Einfluss der Psyche auf die Haut. Gefühle wirken sich auf der Haut aus und machen den Menschen ungewollt transparent. Die Haut ist das Aushängeschild des Menschen und so ist es auch verständlich, dass Hautkrankheiten für die Betroffenen unangenehm sind.

Der Schwerpunkt des Buches liegt, abgeleitet aus der Länge der Kapitel, beim Aufbau der Haut (Schichtenmodell) und deren Beeinflussung durch Sonne, Körperpflege und Faltenbehandlung. Die Themen Ernährung, Erotik und Psyche sind deutlich kürzer gefasst. Hierzu könnten eigene Bücher geschrieben werden.

„Hautnah“ ist kein typischer Ratgeber, aber auch kein Buch für Fachleute. Es ist ein Buch für Menschen, die sich einen verständlichen Überblick zum Thema verschaffen möchten. „Wer der Haut wirklich Gutes tun will, sollte nicht zu viel tun“ ist eine zentrale Aussage aus dem Buch.

5 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 21.10.2016
Davies, Paul

Gott und die moderne Physik


sehr gut

Urgründe des Universums

„Mit wahrhaft herzerfrischender Unbekümmertheit rückt Davies hier so mancher antiquierten theologischen Aussage auf den Leib – unter anderem etwa der Forderung nach einer Anerkennung übernatürlicher, die Naturgesetze außer Kraft setzender göttlicher Eingriffe in den Weltlauf.“ (10) Hoimar von Ditfurth bringt in seinem Vorwort auf den Punkt, wo Davies die Grenze zieht zwischen Religion und Naturwissenschaft. Mit der Naturwissenschaft ist ausschließlich ein deistisch verstandenes Gottesprinzip vereinbar.

Paul Davies, von Haus aus Theoretischer Physiker, klärt die Leser über Grundlagen der Kosmologie auf. Dabei geht es um die Strukturen des Mikrokosmos (Materie, Quantentheorie) und um Fragen des Makrokosmos (Relativitätstheorie, Schwarze Löcher). Er diskutiert Grenzfragen wie „Warum gibt es ein Universum?“ oder „Kommt das Universum aus dem Nichts?“ aus dem Blickwinkel der etablierten Forschung und erläutert die Schwierigkeiten, die sich aus der Beziehung zwischen physikalischer und geistiger Welt ergeben.

Aufschlussreich sind die Ausführungen in „Freier Wille und Determinismus“, weil Davies hier u.a. Wechselwirkungen zwischen Quanteneffekten und Neuronen diskutiert. Auch thematisiert er Kategoriefehler, wenn es um die Beziehung von Geist und Gehirn geht. „Ohne Zweifel lenkt die moderne Physik die alte Frage nach dem freien Willen und nach der Vorbestimmung in eine neue Richtung, aber sie löst sie dadurch nicht.“ (189)

Das Buch ist verständlich und der Stil der Argumentation ausgewogen und angenehm. Davies ist kein Guru. Er klärt auf, aber er belehrt nicht. Auffallend sind die vielen Fragezeichen und wenigen Ausrufezeichen, die er setzt, wenn es um Grenzfragen geht. Damit erweist er sich als verantwortungsbewusster Autor. Was ich nicht teilen kann, ist den Optimismus in seinem Vorwort. „Tiefgreifende existenzielle Fragen – Wie entstand das Universum und wie wird es enden? Was ist Materie? Was ist Leben? Was ist Geist? - sind nicht neu. Neu ist, dass wir möglicherweise nahe daran sind, sie zu beantworten.“ (13/14)

Das sind Aussagen, die typisch sind für Klappentexte aufklärender Bücher. Hier wird den Lesern suggeriert, dass Grenzfragen bald beantwortet werden können, ungeachtet der Tatsache, dass ontologische Fragen, also Fragen nach dem Sein (Materie, Leben, Geist) nicht von Wesen beantwortet werden können, die selbst Teil dieser Welt sind. Vielleicht liegen die Antworten eher in der Erfahrung als in der rationalen Analyse.

Bewertung vom 16.10.2016
Bartens, Werner

Verletzt, verkorkst, verheizt


sehr gut

Sport und seine Nebenwirkungen

Sport dient der Gesundheit, heißt es allgemein. Dem steht entgegen, dass pro Jahr alleine in Deutschland 1,5 Millionen Sportunfälle registriert werden. (9) Wie passt das zusammen? Autor Werner Bartens, Arzt, Journalist und Hobbysportler, analysiert den Freizeit- und Wettkampfsport aus dem Blickwinkel der Gesundheit. Diese sollte im eigenen Interesse und im Interesse der Gesellschaft höchste Priorität haben.

Die Ursachen für Sportverletzungen und langfristige Gesundheitsschädigungen sind vielfältig. Hierzu gehören veraltete Trainingsmethoden, unwissende Trainer, übertriebener Ehrgeiz, ungesunde Ernährung bis hin zum Doping, falsche Vorbilder und fehlendes Fairplay. Sport dient vielfach nicht der Entspannung, sondern das Leistungsdenken der Berufswelt wird auf den Sport übertragen.

Der Autor beschreibt Fehler, die bereits beim Kinder- und Jugendsport gemacht werden. Da geht es um aus medizinischer Sicht zweifelhafte Übungen, fehlende Aufwärm- und Entspannungsphasen, rücksichtslose Eltern und unethische Verhaltensweisen. Wenn Fouls bereits in jungen Jahren trainiert und akzeptiert werden, läuft etwas schief. Die Selektion im Sport führt dazu, dass faires Verhalten auf der Strecke bleibt.

Auf der anderen Seite muss gefragt werden, wo es denn Fairplay gibt? Schule, Berufsleben, Politik, Medien und Internet sind eben keine Horte, wo Fairplay vorgelebt oder hinreichend gewürdigt wird. Unsere Welt ist von Gewinn- und Erfolgsmaximierung geprägt. Wer betrügt, gilt als listig. Fairplay gibt es am ehesten im engeren Freundes- und Familienkreis, und manchmal nicht einmal dort.

Was ist mit der Verantwortung unserer Medien? Der Autor ist Journalist. Insofern hätte er viel mehr über die Rolle der Medien beim Sport schreiben können. Ist es nicht unsere Presse, die Sportler massiv durch den Kakau zieht, wenn diese ihre erwarteten Leistungen mal nicht bringen?

Neben dieser Kritik muss positiv erwähnt werden, dass der Autor einige Vorschläge macht, wie Dinge verändert werden und Spaß und Augenmaß in den Fokus gerückt werden können. Insofern ist sein Buch keine Abrechnung mit dem Sport, sondern eher eine konstruktive Kritik am Sportgeschehen. Letztlich gilt auch für den Sport das alte Sprichwort: "Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus." Damit wird Fairplay nicht erzwungen, aber wahrscheinlicher.

Bewertung vom 10.10.2016
Bonner, Stefan;Weiss, Anne

Wir Kassettenkinder


sehr gut

Ära ohne Internet

Die Liste der verstorbenen Helden zu Beginn des Buches macht nachdenklich und konfrontiert die Leser mit der Vergänglichkeit des Lebens. (5) Bei dem Buch handelt es sich aber nicht um eine wehmütige Hommage auf die 1980er Jahre. Es ist eher der Idealismus der 1980er Jahre, der wiederbelebt wird und der in den Ausführungen zu Peter Lustig prägnant zum Ausdruck kommt: "Was wir von ihm lernen können, ist, neugierig zu bleiben, den Dingen spielerisch auf den Grund zu gehen – und vor allem: sich eine gute Portion Humor zu bewahren." (270)

Das Buch gliedert sich in vier Kapitel, in denen unterschiedliche Facetten der 1980er Jahre in Erinnerung gebracht werden. Bei den Erzählungen handelt es sich zu einem großen Teil um Erfahrungen der Autoren selbst, die in der Ich-Form oder genauer gesagt in der Wir-Form, auf verständliche Art und Weise aufbereitet wurden. Auffallend ist, dem Titel nach aber auch zu erwarten, dass Kassetten in den Fokus rücken. Dabei waren Kassetten bereits in den 1970er Jahren ein beliebtes Medium, um Lieblingssongs aufzunehmen. Und das geschah bereits in den 1970er Jahren über ein Verbindungskabel und nicht über das Mikrofon.

Das Buch bietet eine bunte Mischung aus Musik, Filmen, Fernsehsendungen, Werbung, Spielen, Magazinen, Essgewohnheiten, politischen Ereignissen und Affären der 1980er Jahre. Dazu gehören auch Volkszählung, Aids, Ozonloch und die Öffnung der Mauer sowie Ausflüge in den Schulalltag und in das Freizeitverhalten. Auffallend sind die fehlenden Sicherheitsstandards gegenüber der heutigen Zeit. Kinder wurden zwar schon "von einem gut organisierten Netz aus Mama-Taxis flächendeckend zu Musikschulen, Ballettklassen oder Sportvereinen gekarrt" (76), jedoch befanden sie sich noch nicht in einem Kokon wie unsere heutigen Kinder.

Die Besonderheiten der 1980er Jahre werden anschaulich vermittelt. Wer diese Zeit erlebt hat, wird vieles wiedererkennen, wer die Zeit nur vom Hörensagen kennt, bekommt einen guten Überblick. Dennoch sind einem Sachbuch bei der Behandlung eines solchen Themas Grenzen gesetzt. Es überwiegen die rationalen Beschreibungen. Das Lebensgefühl lässt sich prägnanter in einem Roman verarbeiten, selbst wenn dabei auf manches Detailwissen verzichtet wird.

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.10.2016
Haig, Matt

Ich und die Menschen


gut

Mensch werden, Mensch sein

Im Vorwort bringt Autor Matt Haig auf den Punkt, worum es in dem Buch geht: „Es handelt vom Sinn des Lebens … davon, was passieren muss, damit man auf die Ewigkeit verzichtet und sich der Sterblichkeit überlässt.“ (11) Damit wird die Messlatte sehr hoch gelegt. Die Leser erwarten einen anspruchsvollen tiefsinnigen Roman. Im Nachwort wird deutlich, dass die Geschichte auf einer symbolischen Ebene sehr persönlich ist. (350)

Ein Vonnadorianer materialisiert auf der Erde in Gestalt von Andrew Martin, einem Professor für Mathematik, um den technischen Fortschritt auszubremsen. Die erste Untat der Außerirdischen besteht darin, den echten Andrew Martin zu beseitigen, der die „Riemannsche Vermutung“ bewiesen hat und damit den Weg bereiten kann für technische Entwicklungen, für die die Menschheit aus Sicht der Vonnadorianer nicht reif genug ist.

Riemann hat die Eigenschaften der sogenannten Zeta- Funktion, einer komplexwertigen Funktion, untersucht und einen Zusammenhang mit den Primzahlen und damit zwischen Analysis und Arithmetik erkannt. Es gibt eine Beziehung zwischen der Anzahl der Primzahlen und den Nullstellen der Zeta- Funktion. Riemann vermutete, dass alle nichttrivialen Nullstellen dieser Funktion auf einer Geraden liegen. Der Beweis dieser „Riemannschen Vermutung“ wird als Heiliger Gral der Mathematik bezeichnet. [1]

Inwiefern dieser mathematische Beweis den Fortschritt beflügeln soll, wird nicht erläutert und bleibt damit der Fantasie der Leser überlassen. Sind es nicht eher die Fortschritte in Physik, Chemie und Biologie, die die Menschen technisch weiterbringen? Jedenfalls wurde die Infinitesimalrechnung bereits eingesetzt, als die logischen Fundamente noch nicht abschließend geklärt waren. Denn sie funktionierte trotz dieser Schwächen. [2]

Die Außerirdischen haben trotz ihrer hohen Intelligenz Vorurteile über die Menschheit. „Ich hatte außerdem gehört, dass die Menschen eine Lebensform von bestenfalls mittelmäßiger Intelligenz waren, die zu Gewalttätigkeit, sexueller Schamhaftigkeit und schlechter Lyrik neigten und die Angewohnheit hatten, sich ständig im Kreis zu bewegen.“ (32) Wo bleibt da die Weisheit? Wechselt man die Perspektive, so erscheinen die Vonnadorianer (aus Sicht der Menschen) als gefühllose Logiker, die vor Mord nicht zurückschrecken.

Im Kern geht es in dem Buch darum, Vorurteile aufzuarbeiten. Das geschieht dadurch, dass der Vonnadorianer im Zuge seines Aufenthalts auf der Erde seine Perspektive wechselt. Im Körper eines Menschen und in Gesellschaft von Menschen entwickelt er sich hin zum Menschen. „Ich war einer von Ihnen geworden. Gefangen in der menschlichen Gestalt, unfähig, dem unausweichlichen Schicksal, das sie erwartete, zu entrinnen.“ (122) Seine Argumentation „... wenn man etwas retten will, muss man manchmal einen kleinen Teil davon töten“ (135), wird im Zuge der Entwicklung ad absurdum geführt.

Das Buch ist lehrreich und phasenweise auch humorvoll. Lehrreich ist der Entwicklungsprozess des neuen Andrew Martin und das Zusammenspiel mit „seiner“ Familie. Humorvoll ist insbesondere der Einstieg in die Handlungen bis Andrew Martin in der Psychiatrie landet. Die „97 Ratschläge für einen Menschen“ (324) wirken aufgesetzt und belehrend. Sollten diese sich nicht aus den Handlungen selbst ergeben und nur in den Köpfen der Leser entstehen?

Trotz der Kritik habe ich das Buch gern gelesen, weil es mich neugierig gemacht hat. Es ist eine Hommage auf das menschliche Leben mit all seinen Schwächen. Wir sind keine Vonnadorianer, und das ist auch gut so. Ich glaube der im Nachwort angedeutete Selbstbezug des Autors kommt insbesondere im Entwicklungsprozess von Andrew Martin zum Ausdruck.

[1] Marcus du Sautoy: „Die Musik der Primzahlen“
[2] Ian Stewart: „Weltformeln“

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.09.2016
Strogatz, Steven H

Sync


sehr gut

Vom rätselhaften Rhythmus der Natur

Seit längerer Zeit beobachten Forscher die Existenz spontaner Ordnung im Universum. Nach den Gesetzen der Thermodynamik wäre das Gegenteil zu erwarten, unausweichlich müsste die Natur in einen Zustand größerer Unordnung (Entropie) entarten. Dennoch sind wir von geordneten Strukturen umgeben. Dieses Rätsel beschäftigt die Naturwissenschaften. Wie entsteht Ordnung?

Es gibt Ordnung im Raum (z.B. Aufbau von Eiskristallen) und auch Ordnung in der Zeit (z.B. Verhalten eines Fischschwarms). Die Ordnung in der Zeit wird Synchronismus genannt. Bei dieser Ordnung kann man bewusste Ordnung (z.B. eine Ballettvorführung) von unbewusster Ordnung (z.B. Aufbau von Zellen) unterscheiden. Bei bewusster Ordnung unterstellen wir Planung und Intelligenz. Wie kann unbewusste Ordnung erklärt werden?

Steven Strogatz erläutert im ersten Teil seines Buches Synchronismus in der belebten und im zweiten Teil in der unbelebten Natur. Im dritten Teil berichtet er über aktuelle Forschungen zum Thema.

Schon vor fast hundert Jahren wunderten sich Forscher über das synchrone Blinken von riesigen Versammlungen von Glühwürmchen. Viele Erklärungen wurden diskutiert, bis das Geheimnis entdeckt wurde: Die Glühwürmchen organisieren sich selbst. Das flächendeckende gemeinsame Leuchten entsteht durch wechselseitige Signalgebung. Jedes Glühwürmchen verfügt über einen Oszillator, dessen Zeittakt sich automatisch an das Blinken der Artgenossen anpasst.

Das Synchronisationsbestreben ist eine weltweit verbreitete Tendenz, erkennbar nicht nur bei Atomen oder Planeten, sondern auch bei Tieren und Menschen. Es gibt auch Negativbeispiele: Bei der Epilepsie feuern Millionen von Hirnzellen im Gleichschritt, was zu rhythmischen Krämpfen führt.

Nachdenklich stimmt das Beispiel mit den sich gegenseitig synchronisierenden Pendeluhren. Hatten die Forscher einmal erkannt, wie der Gleichklang der Uhren aus den Gesetzen der Mathematik und Physik erwächst, wurden die Erkenntnisse in der Technik genutzt.

Strogatz liefert naturwissenschaftliche Erklärungen – soweit das heute möglich ist - für ein rätselhaftes Phänomen. Die Ausführungen sind unterhaltsam und machen neugierig. Es handelt sich um eine populärwissenschaftliche Aufbereitung universeller Gesetzmäßigkeiten.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.09.2016
Mersch, Peter

Die Emanzipation - ein Irrtum! (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Neukonzeption der Gleichberechtigung

Peter Mersch beschreibt die Auswirkungen der Angleichung der Geschlechter auf die Gesellschaft und greift dabei auf die Evolutionstheorie zurück. „Einige Anthropologen sind der Ansicht, die spezifische menschliche Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern habe einen entscheidenden evolutionären Vorteil dargestellt, da es dem Homo Sapiens auf diese Weise gelungen ist, mehr Nachwuchs durchzubringen.“ (23/24)

„In patriarchalischen Gesellschaften besteht ein positiver Zusammenhang zwischen gesellschaftlichem Erfolg und der Zahl an Nachkommen.“ (32) In modernen Gesellschaften mit Gleichberechtigung ist das umgekehrt. Mersch analysiert, warum das so ist und schlägt vor, dass die Strategie geändert werden muss. Dazu gehört, die Nachwuchsarbeit als gesellschaftliche Kollektivaufgabe zu verstehen. Auch ist es erforderlich, reproduktive und produktive Aufgaben gleichzustellen.

Mersch liefert anschauliche Beispiele für seine Thesen. Er stellt das gesellschaftliche Weltbild der letzten Jahrzehnte infrage. Seine Ausführungen wirken erfrischend und verständlich. Selten findet man in Büchern ein so umfangreiches Literaturverzeichnis, was deutlich macht, dass sich der Autor intensiv mit der Materie vertraut gemacht hat. Das Buch ist empfehlenswert, weil Thesen aufbereitet und fundiert begründet werden, die gegenläufig zum Mainstream sind.

Bewertung vom 07.09.2016
Kehlmann, Daniel

Die Vermessung der Welt


ausgezeichnet

Forschung im Spannungsfeld von Abenteuer und Normalverteilung

Der Roman handelt von den Lebensgeschichten zweier bemerkenswerter deutscher Persönlichkeiten, die auf völlig unterschiedlichen Wegen wissenschaftlich tätig waren und der Menschheit großartige Werke hinterlassen haben. Der eine ist der Mathematiker, Geodät und Astronom Carl Friedrich Gauß und der andere der Abenteurer, Naturforscher und Universalgelehrte Alexander von Humboldt. Beide wurden im 18. Jahrhundert, dem Jahrhundert der Aufklärung, geboren und waren in ihrem rationalen Denken Kinder dieser Zeit.

Daniel Kehlmann beschreibt besondere Stationen im Leben von Gauß und von Humboldt. Reale Ereignisse sowie bedeutende Werke dieser beiden außergewöhnlichen Wissenschaftler fließen ein. Die schriftstellerische Freiheit beginnt bei ihrer Charakterisierung und ihrem persönlichen Umgang mit Erfolg. Kehlmann überzeichnet ihre Charaktere auf humorvolle, manchmal groteske Weise und lässt die Protagonisten mit ihren verschiedenen Weltbildern und ihrer unterschiedlichen Art der Forschung aneinander geraten. Seine Figuren wirken exzentrisch. Kehlmann suggeriert der Leserschaft, dass extreme Leistungen nur vollbringen kann, wer auch einen extremen Charakter besitzt.

Der Autor versteht es, imposante Leistungen der Protagonisten geschickt in den Handlungsablauf einzuflechten. Wenngleich die beschrieben Werke keine Fantasieprodukte sind, werden manche Ideen instrumentalisiert, in dem ihnen eine Bedeutung beigemessen wird, die sie aus historischer Sicht nicht haben konnten. So hat Gauß zweifelsohne die nichteuklidische Geometrie entdeckt, konnte hierin aber kaum mehr als ein alternatives mathematisches Modell sehen. Ein physikalisches Modell eines gekrümmten Raumes, in dem diese Geometrie zur Anwendung kommt, taucht erst viele Jahre später in Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie auf.

Die Kontroversen zwischen Gauß und von Humboldt sind, ebenso wie die sonstigen Gespräche im Roman, nicht sonderlich tiefgehend. Wer Diskussionen erwartet, die auch nur im Ansatz denen zwischen Settembrini und Naphta in Thomas Manns „Der Zauberberg“ gleichen, wird enttäuscht. Es geht Kehlmann offensichtlich nicht so sehr um den Inhalt der Dialoge, sondern um deren Stil und um die Menschen, die sie führen. Die Auseinandersetzungen sind humorvoll und haben einen hohen Unterhaltungswert. Kehlmanns Stärke sind pointierte Dialoge, in denen sich nicht nur Witz und Intelligenz offenbaren, sondern insbesondere die (immanenten) Schattenseiten der Genialität deutlich werden.

Das Buch kann ich sehr empfehlen, auch wenn ich darin nicht, wie im Klappentext beschrieben, einen philosophischen Abenteuerroman sehe. Es ist eher eine Satire. Der Roman handelt von der Vermessenheit zu glauben, die Welt durch Gitternetze, Zahlen und statistische Ergebnisse erfassen zu können. Es handelt sich aber auch um einen psychologischen Roman über das Leben und die Grenzen genialer Menschen – eine Gratwanderung zwischen Ruhm und Lächerlichkeit.

Bewertung vom 06.09.2016
Wiesing, Lambert

Sehen lassen


sehr gut

Ein Buch über die Praxis des Zeigens

Innerhalb der Zeige-Forschung haben sich zwei Strömungen herauskristallisiert und zwar die evolutionäre und die phänomenologische Beschreibung des Zeigens. Im ersteren Sinne ist Zeigen etwas Ursprüngliches, ein erster Schritt auf dem evolutionären Weg zur Sprache. Die zweite Form der Beschreibung widerspricht dieser nicht und kann als deren Ergänzung angesehen werden. Danach hat sich das Zeigen als eigenständige Dimension des menschlichen Handelns (weiter)entwickelt, welche nicht auf Sprache reduziert wird, sondern neben anderen Bewusstseinsleistungen existiert.

Autor Lambert Wiesing setzt sich mit der Frage auseinander, „wer“ etwas zeigt, wenn davon die Rede ist, dass ein Bild etwas zeigt. Da „Zeigen“ eine Handlung ist, muss ein Subjekt vorausgesetzt werden, welches etwas zeigt. Das Subjekt entscheidet darüber, was das Bild zeigen soll. „Das Bild zeigt Paris“ heißt genau genommen „Jemand zeigt jemandem mit dem Bild Paris“.

Aber ganz so einfach liegen die Dinge nicht. Einerseits gilt als richtig, dass man mit Bildern die realen, sichtbaren Dinge dieser Welt zeigen kann, andererseits ist der Hinweis ebenso überzeugend, dass der Betrachter durch ein Bild keineswegs den realen Gegenstand selbst zu sehen bekommt. Damit stößt man auf eine zentrale Frage der philosophischen Bildtheorie, mit der sich Wiesing im zweiten Teil des Buches beschäftigt..

Der Autor erklärt die Positionen der Illusionstheorie, der Phänomenologie und der neuen Bildmythologie. Bilder und Illusionen haben gemeinsam, dass für den Betrachter etwas sichtbar wird, was im physischen Sinne nicht real gegenwärtig ist. „Für Günther Anders zeigt ein Bild nicht etwas Reales, das nicht-anwesend ist, sondern das Bild zeigt etwas Nicht-Reales, das anwesend ist.“ (69)

Im Zuge der Erläuterungen zur neuen Bildmythologie macht Wiesing auf ein Kategorieproblem aufmerksam. Die Aussage „Ein Bild zeigt das und das“ ist genauso falsch wie die Aussage „Das Gehirn denkt das und das“. (80) In beiden Fällen wird ein physisches Ding vermenschlicht, um einen geistigen Vorgang zu beschreiben.

Wiesing liefert sechs Beschreibungen für das Zeigen. Angefangen mit der pragmatischen Interpretation, wonach das Bild nicht nur, aber auch ein Werkzeug zum Zeigen ist, führt sein Weg zur für alle Kulturen bedeutenden Zentralperspektive.

In einer Zeitschrift werden Bilder in einem eindeutigen Verwendungszusammenhang gezeigt, im Museum ist die Situation eine andere. Das Museum konfrontiert den Besucher mit Bildern, weil sie Bilder sind. Das Bild selbst ist das Objekt der musealen Zeige-Handlung. „Kunstausstellungen zeigen nicht zeigende Bilder, sondern sie zeigen die Möglichkeiten, wie Bilder zeigen können.“ (191)

Wiesing beschäftigt sich mit kausalen Zusammenhängen zwischen Bild und Gegenstand. „Wer mit etwas etwas in der Welt zeigen möchte, muss entweder eine Spur von diesem Etwas zum Zeigen verwenden oder etwas so zum Zeigen verwenden, als wäre es eine Spur.“ (215) Mit „Spur“ ist im weitesten Sinne ein kausaler Zusammenhang gemeint.

„Sehen lassen“ ist ein interdisziplinäres Fachbuch, in dem ein sehr spezielles Thema differenziert analysiert wird. Lambert Wiesing widerspricht darin dem Mythos, Bilder würden allein deshalb etwas zeigen, weil auf ihnen etwas sichtbar ist. Inhaltlich führen die Darstellungen aus unterschiedlichen Perspektiven zu thematischen Überschneidungen. Dem Leser geht es so, wie dem Autor, bevor er sich mit der Thematik beschäftigt hatte: „Der Begriff erschien mir – heute möchte ich sagen: zu lange – unproblematisch und selbstverständlich.“ (7) Ich hätte mir am Ende der Kapitel kurze Zusammenfassungen mit den wesentlichen Aussagen gewünscht.