Benutzer
Benutzername: 
Igelmanu
Wohnort: 
Mülheim

Bewertungen

Insgesamt 1033 Bewertungen
Bewertung vom 23.09.2019
Veitch, James

Lassen Sie uns kennenlernen!


sehr gut

»Grüße? Erstens, ich muss mich entschuldigung für hineinplatzen in deine Mailbox. Ich suche einen Entscheidungsträger um schnappen 50 % von $ 128 Millionen. Umsonst für Dich. Habe ich Dein Interesse geweckt?«

Jeder hat sie schon mal in seinem Postfach oder bei gut funktionierendem Spamfilter im gleichnamigen Ordner gehabt. Mails, die sagenhafte Verdienstmöglichkeiten bieten (ganz umsonst), von der großen Liebe reden oder von angeblich plötzlich und unverschuldet in Not geratenen Bekannten stammen.
Wie ich werden die meisten angesichts einer solchen Mail einfach die Löschtaste betätigen. Nicht so James Veitch, der sich eines schönen Tages überlegte, doch mal zu antworten. Und daran solchen Spaß bekam, dass er es zwei Jahre lang durchgezogen hat. Einige dieser „Briefwechsel“ hat er in diesem Buch zusammengetragen, ich habe wirklich sehr gelacht!

Es fängt schon lustig an, indem er Spam in Kategorien wie „Schätze“, „Gestrandet“, „Alles nur aus Liebe“, „Gelegenheiten“ und viele mehr einordnet. Bei vielen dieser Spammails fragt man sich schon, wie irgendjemand darauf hereinfallen kann, allerdings würde nicht in einem solchen Umfang Spam erzeugt, wenn er nicht immer wieder auf fruchtbaren Boden fallen würde. Veitch‘ Intention liegt daher (neben dem Spaß) darin, dass er die Spammer beschäftigen will, damit sie weniger Zeit haben, sich um andere Opfer zu bemühen. Persönlich denke ich, dass dies eine sehr blauäugige Hoffnung ist, aber Veitch hat, das merkt man deutlich, so manchen Spammer ordentlich Nerven gekostet. Und das ist zumindest ein bisschen gerecht ;-)

Selber werde ich künftig weiter meinen Spam einfach löschen, ich habe auch schlicht nicht die Zeit, mich mit so etwas länger zu befassen. Für Leser, die ihm nacheifern wollen, hat Veitch jedoch ein paar Hinweise zum sicheren Vorgehen. An manchen Stellen weist er zudem auf gerne ausgelegte Fallen und Besonderheiten hin, das könnte ganz hilfreich sein, wenn man mal auf eine gut gemachte Spammail trifft.

Fazit: Da kommt schon Schadenfreude auf. Genervte Spammer, die an einem kreativen Opfer verzweifeln – sehr unterhaltsam!

Bewertung vom 23.09.2019
Jornet, Kilian

Alles ist möglich


sehr gut

Ich habe ja schon einige Bücher über Bergsteiger gelesen. Also über „normale“ Bergsteiger. Die haben mir bereits reichlich Respekt abgenötigt, gehöre ich doch zu den Menschen, die zwar gerne in den Bergen unterwegs sind, aber nie einen Wanderweg verlassen würden. Und nun lese ich von einem Menschen wie Kilian Jornet, der auf Berge hinaufrennt. Gipfel erklimmt, wieder runter rennt – und alles immer möglichst schnell. Ein Mensch, für den das Training zur Lebensform geworden ist, der täglich viele Stunden auf Bergen läuft und kein Problem damit hat, einen Wettkampf nach dem anderen zu absolvieren. Ist schließlich auch Training. Und der innerhalb weniger Tage zweimal auf den Mount Everest läuft. Natürlich ohne zusätzlichen Sauerstoff. Wie bitte kann ein Mensch das schaffen?

Das Buch gibt mir einige Antworten. Jornet erzählt über sich und ist dabei durchaus selbstkritisch. Seine hohe Verbundenheit mit den Bergen zeigte sich seit früher Kindheit. Und ebenfalls früh merkte er, wie wichtig das Ausloten seiner körperlichen Grenzen für ihn ist. In diesem Zusammenhang berichtet er von bizarren Experimenten. Da wollte er zum Beispiel mal austesten, wie lange er leistungsfähig bleibt, ohne die kleinste Kleinigkeit zu essen. Nach fünf Tagen mit normalem Trainingsprogramm ist er dann beim Laufen zusammengebrochen. Experiment erfolgreich abgeschlossen.
Bei den vielen Berichten von Touren, die er im Buch schildert, kommen weitere solcher in meinen Augen höchst grenzwertigen Aktionen heraus. Da läuft er zum Beispiel eine über 56 Stunden dauernde Monstertour, irgendwann natürlich völlig übermüdet und nur mit gelegentlichen halbstündigen Schlafpausen. Beim Lesen erfährt man dann, dass er sich außerdem nur drei Wochen zuvor bei einem Sturz das Wadenbein gebrochen hat und selber zugibt, dass dieser Lauf sicher nicht das Beste für sein Bein ist.
Höchst widersprüchlich betont er, dass jeder für seinen Körper verantwortlich sei und sagt, dass er auf dem Berg „nicht den Tod sucht, sondern das Leben“. Wenn er da mal nicht eines Tages eine böse Überraschung erlebt. An anderer Stelle erklärt er, dass Bergsteigen für ihn keine Heldentat und der Einsatz des Lebens mehr Dummheit als Mut, schlicht eine „egoistische Handlung, gefährlich und teuer“ sei. Dem ist im Grunde nichts hinzuzufügen.

Die Selbstkritik geht noch weiter. Jornet gesteht, dass er große Schwierigkeiten im Umgang mit Menschen hat. Er erkennt klar, wie sehr seine Lebensgefährtin unter seinen gefährlichen Aktionen leiden muss, aber die Frage nach der Priorität „Sport oder Privatleben?“ hat er schon längst für sich beantwortet.

Jornets Schilderungen sind durchaus fesselnd, da man (siehe Buchtitel) immer wieder staunt, was so alles möglich ist. Dazu kommen herrliche Natur- und Landschaftsbeschreibungen – er liebt halt die Berge mehr als alles andere.
Sehr interessant fand ich auch die kritischen Worte über die allgemeinen Entwicklungen im Bergsport. Schon oft las ich in diesem Zusammenhang von Massentourismus, sah Bilder von Basislagern, die Zeltstädten gleichen. Der Schaden, den die Natur dadurch nimmt, ist groß. Zumal die vielen Touristen oft enorme Müllberge hinterlassen. Und so mancher dieser Bergfreunde hat im Grunde gar nicht die benötigte körperliche Fitness für die Gipfeltour, sondern geht große Risiken ein. Bergretter können davon ein Lied singen. Ob sich solche Menschen nicht womöglich durch einen Buchtitel wie „Alles ist möglich“ noch bestätigt fühlen?
Was mir noch nicht bekannt war, ist der hohe Erfolgsdruck, der auf Bergsportlern lastet. Jornet erzählt vom Druck der Sponsoren, die nach immer neuen Rekorden und Höchstleistungen verlangen und damit schon so manchen Sportler dazu gebracht haben, hohe Risiken einzugehen. Es reicht wohl nicht mehr aus, einen Berg „nur“ zu besteigen, man muss sich offenbar immer etwas Neues, Spektakuläres, einfallen lassen. Ein bedauerlicher Trend.

Bewertung vom 22.09.2019
Bugliosi, Vincent;Gentry, Curt

Helter Skelter


ausgezeichnet

Der Sommer von 1969. Neil Armstrong betrat als erster Mensch den Mond, in Woodstock feierten 400.000 Menschen ein großes Fest mit Love & Peace. Und in Los Angeles schockierten Charles Manson und seine „Family“ die Welt mit mehreren Morden von unglaublicher Brutalität, zu ihren Opfern zählte auch die hochschwangere Ehefrau von Roman Polanski, Sharon Tate.

Vincent T. Bugliosi, stellvertretender Bezirksstaatsanwalt in Los Angeles, war Anklagevertreter in den Fällen Tate/LaBianca gegen vier der Täter: Charles Manson, Susan Atkins, Patricia Krenwinkel und Leslie van Houten. In diesem Buch beschreibt er chronologisch und sehr detailliert die Morde, die Mörder, die Ermittlungen, die Suche nach dem Motiv und den Prozess. Sämtliche Untersuchungen, Verhöre und überhaupt der Prozessverlauf werden akribisch dargestellt, das wird in dieser Ausführlichkeit nicht für jeden etwas sein, wer aber (so wie ich) nichts spannender findet als wahre Verbrechen, sollte begeistert sein. Ich war es auf jeden Fall. Überhaupt habe ich hier wieder festgestellt, was ein wirklich spannend geschriebenes Buch ausmacht. Wenn man nämlich genau weiß, wie es ausgeht und trotzdem den Atem anhält – hier passierte mir das beim Urteilsspruch der Geschworenen.

Die amerikanische Originalausgabe erschien 1974. Im Nachwort von 1994, damals lagen die Morde 25 Jahre zurück, beschreibt der Autor u.a., was aus den Tätern, Zeugen und anderen Beteiligten geworden ist. Damals konnte er vermelden, dass alle Haupttäter nach wie vor inhaftiert waren. Leider war es ihm nicht vergönnt, ein erneutes „Update“ nach jetzt 50 Jahren zu schreiben, da er bereits 2015 verstarb. Es hätte ihm vermutlich gefallen, dass die Täter immer noch im Gefängnis sind. Bis auf Charles Manson und Susan Atkins, die 2017 bzw. 2009 in Haft verstarben.

Fazit: Die bizarre Faszination von Charles Manson und seiner Family wirkt noch heute nach. Ausgezeichnete Darstellung der damaligen Ereignisse einschließlich Motiv- und Erklärungssuche. Fast 750 Seiten, die mich wirklich gefesselt haben.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 22.09.2019
Crompton, Richard

Wenn der Mond stirbt / Mollel Bd.1


ausgezeichnet

»Mollel sieht hinunter auf ein junges, ovales Gesicht, das aschige Grau der Haut muss zu Lebzeiten ein leuchtendes, fast blau schimmerndes Schwarz gewesen sein. Ausgeprägte Wangenknochen, hohe Stirn. Auf beiden Wangen ist vor langer Zeit ein kleines flaches »o« eingeritzt worden.
Es ist ein vertrautes Gesicht. Er kennt die Person nicht, aber er kennt ihr Volk. Es ist sein eigenes.«

Nairobi, im Dezember 2007. Die Präsidentschaftswahl steht kurz bevor. In wenigen Tagen wird der amtierende Präsident neu vereidigt werden, Wahlbetrug wird im Raum stehen und das Land von schweren Protesten und Ausschreitungen erschüttert werden. Ein Zentrum besonders schlimmer Gewaltausbrüche werden die Slums von Nairobi sein. Man schätzt heute, dass zwischen 800 und 1.500 Kenianer ihr Leben verloren.
Nairobis Bevölkerung ahnt, was kommen wird und rüstet sich mit Hamsterkäufen. Währenddessen versucht Mollel den Tod der jungen Frau aufzuklären, die wie er zu den Massai und damit zu einer ethnischen Minderheit in Kenia gehört.

Dieser Kenia-Krimi hat mir ausgesprochen gut gefallen! Der besondere Reiz liegt natürlich im Schauplatz und den damit verbundenen Besonderheiten. So erfährt der Leser viel über das Verhältnis der einzelnen Volksgruppen zueinander, ich war schon schwer erstaunt, wie viele es da überhaupt gibt! Und erschüttert las ich von den zahlreichen gegenseitigen Vorurteilen und Ablehnungen, die leider existieren und das Leben der Bevölkerung zusätzlich erschweren. Besonders dramatisch ist dies, da das Land auch so schon mit mehr als genug Problemen zu kämpfen hat. Neben Armut und Arbeitslosigkeit sind da natürlich Korruption der wirtschaftlich und politisch Mächtigen zu nennen, die Vorkommnisse aus Dezember 2007 sind da ganz typisch. Dazu kommen weitere speziell für Frauen schlimme Probleme, wie die regional immer noch existierende weibliche Genitalverstümmelung, Zwangsheirat oder Prostitution aus schierer Not.

Vor diesem Hintergrund also ermittelt Mollel. Er ist ein interessanter und vielschichtiger Charakter, mit dessen Handlungsweisen (vor allem im privaten Bereich) ich mich nicht immer anfreunden konnte. Was aber andererseits den Reiz des Charakters erhöhte! Auch bei der Polizei war er in Ungnade gefallen und wird nur deswegen hinzugezogen, weil die Ermordete so wie er Massai ist.

Das Buch liest sich flott, die Auflösung ist schlüssig und passt in den Gesamtkontext. Es gibt noch einen weiteren Band dieser Reihe, den möchte ich kurzfristig auch noch lesen.

Fazit: Toller Kenia-Krimi, intelligente Handlung und anspruchsvoller Hintergrund.

Bewertung vom 22.09.2019
Simenon, Georges

Maigret und der gelbe Hund / Kommissar Maigret Bd.6


sehr gut

»Und irgend jemand lauert mir auf, irgend jemand, den ich nicht kenne … Weswegen? Sagen Sie es mir! Weswegen? … Er wird herkommen mit seinem entsetzlichen Hund, der den Blick eines Menschen hat…«

Concarneau, eine kleine französische Hafenstadt, in der jeder jeden kennt. Viele Fischer, aber auch einige Männer der besseren Gesellschaft treffen sich hier regelmäßig im Hôtel de l’Amiral, zum gemeinsamen Trinken und Kartenspiel. Eines Abends wird einer von ihnen auf dem Heimweg von einer Kugel getroffen – eine Reihe weiterer Verbrechen schließt sich an. Gleichzeitig taucht ein mysteriöser gelber Hund auf, den niemand kennt und der niemandem zu gehören scheint. In der Stadt kommt, angeheizt durch entsprechende Pressemeldungen, Panik auf. Und Einzelne scheinen sich besonders bedroht zu fühlen…

Kürzlich las ich meinen ersten Maigret und da er mir gut gefallen hatte, musste natürlich ein weiterer her. Auch hier hat mich die besondere Atmosphäre gleich eingefangen. Ich liebe diesen Schreibstil, sehe alles ganz genau vor mir und habe beim Lesen das Gefühl, mit durch die kleinen Straßen zu laufen.

Auch Kommissar Maigret sagte mir wieder sehr zu. Er ist halt der klassische Detektiv, der ruhig ermittelt und mit Hilfe seiner scharfen Beobachtungen, einer Kombination aus Erfahrung und Bauchgefühl und seinen umfangreichen handschriftlichen Notizen letztlich zum Erfolg kommt. Sehr amüsant fand ich, wie er herrlich cool blieb, wenn sich vor ihm der wütende Bürgermeister aufplusterte und mit Drohungen um sich warf. Bei den Ermittlungen muss Maigret sich mit den Besonderheiten einer Kleinstadt auseinandersetzen, der Leser lernt einige recht interessante Charaktere kennen. Die Furcht mancher Menschen vor dem Hund konnte ich allerdings nicht nachvollziehen, das Tier hat mir von Anfang bis Ende nur leidgetan.

Die Auflösung war letztlich schlüssig, aber auch sehr ungewöhnlich. Das gefiel mir. Auch das Ende war mir sympathisch. Ich denke, diesem zweiten Maigret werden weitere folgen ;-)

Fazit: Ruhige Detektivgeschichte mit toller Atmosphäre. Gerne mehr davon!

Bewertung vom 12.08.2019
Kreutner, Bernhard

Der Preis des Lebens


sehr gut

»Zwei Millionen Euro für ein neues Herz ohne weitere Fragen?«
»Exakt, Frau Duval. Wie Sie wissen, leiden Sie an einer Herzinsuffizienz der Stufe IV. Ihre Wartezeit auf ein reguläres, oder wie ich es vorziehe zu sagen, gewöhnliches Spenderherz beträgt derzeit rund drei Jahre. Aber so lange hält Ihr altes Herz nicht mehr durch. Bei mir bekommen Sie ein neues Herz und, wenn Sie so wollen, ein neues Leben.«

Michael Lenhart und Sabine Preiss, beides Polizisten aus Wien und strafversetzt in eine neu gegründete Abteilung für Ungewöhnliches und Altfälle bekommen es mit einem brandaktuellen, dafür aber wirklich höchst ungewöhnlichen Fall zu tun. Durch eine Panne fällt auf dem Wiener Zentralfriedhof ein Sarg auf, in dem nicht nur eine Leiche liegt, sondern gleich zwei. Und Nummer Zwei ist ganz offensichtlich keinen natürlichen Tod gestorben.

Ein brisantes Thema wird mit diesem Krimi angepackt und spannend verarbeitet. Jeder weiß, dass die Anzahl schwerkranker Menschen, die auf ein Spenderorgan warten, sehr groß ist und bei weitem die Anzahl verfügbarer Organe übersteigt. Die Wartelisten sind endlos lang und viele werden sterben, bevor sie an der Reihe sind. Vermutlich die meisten. Was wäre aber nun, wenn man nicht nur krank, sondern auch reich wäre? Und es eine Organisation gäbe, die einem das rettende Organ samt perfekt organisierter Abwicklung ohne Fragen und Probleme gegen eine gewisse Summe zur Verfügung stellen würde?
Wer jetzt spontan sagt, dass er niemals damit leben könnte, den Tod eines anderen Menschen für das eigene Überleben verursacht zu haben, der sollte sich noch mal die Frage stellen, wie es aussehen würde, wenn das eigene Kind betroffen wäre. Und man die finanziellen Mittel hätte, ihm das Notwendige zu beschaffen. Ich gestehe, ich bin an dieser Stelle ins Grübeln gekommen.

Genau diese Situation nutzen zwei skrupellose Mediziner hier aus und haben für die große Nachfrage ein passendes Angebot geschaffen. Bei der Beschreibung, wie mehrere Fälle von Organraub angegangen werden, verschlug es mir ob der eiskalten Planung und Umsetzung den Atem. Eine sehr spannende Ausgangslage, bei der man sich fragt, wie eine solch anscheinend perfekte Organisation geknackt werden kann. Zunächst mal fragt man sich jedoch, wie die unfreiwilligen Spender so zielsicher gefunden werden können. Hierzu ein paar Stichwörter: Big Data, gläserner Mensch und nicht selten sorgloser Umgang mit den eigenen Daten im Netz.

Diesen Tätern ist nur mit Kreativität, Intelligenz und einem ebenfalls hohen Maß an Technik beizukommen. Es entwickelt sich ein Katz-und-Maus-Spiel, das mir sehr gefallen hat. Nicht so begeistert haben mich die Charaktere, sie waren mir schlicht zu glatt. Die beiden Hauptermittler benehmen sich zwar nicht immer regelkonform, vertreten aber auch bei Ausfällen stets die gute Seite. So hat man reinweiße Ermittler und pechschwarze Verbrecher, das hätte ich mir vielschichtiger gewünscht. Außerdem hat mir Lenhart ein wenig zu viel philosophiert, das nahm mir persönlich Spannung raus. Einen Lieblingscharakter hatte ich trotzdem, die wirklich herrliche Sekretärin Frau Wolf. Wenn es Folgebände gibt, darf sie auf keinen Fall fehlen!

Fazit: Ein Alptraum-Szenario, das nachdenklich macht. Flott zu lesende und kurzweilige Unterhaltung.

Bewertung vom 11.08.2019
Muth, Jon J.

M


ausgezeichnet

»… Aber ich… kann ich denn anders?«

Ein grausamer Serienmörder treibt sein Unwesen, schon acht Kinder sind ihm zum Opfer gefallen. Die Polizei ist nicht untätig, durchkämmt stetig Bars, Kneipen und Rotlichtviertel. Sehr zum Ärger der örtlichen Unterwelt, die durch die ständigen Razzien hohe Einnahmeverluste hat. Und da man sich nicht auf die Polizei verlassen will, beschließt man, die Jagd auf den Kindermörder selbst in die Hand zu nehmen.

Von Zeit zu Zeit nehme ich eine Graphic Novel zur Hand, wobei mich die Bilder auf den ersten Blick ansprechen müssen. Dies war bei dieser Novel der Fall. Jon J. Muth hat zwei Jahre an diesem Buch gezeichnet und für mein Empfinden hat sich diese Mühe gelohnt. Düstere schwarz-weiß Bilder dominieren, für die ebensolche Fotos als Grundlage für die Skizzen dienten. An dieser Stelle gleich der Hinweis für alle Fans des Filmklassikers: Hier finden sich nicht die originalen Filmszenen. Für besagte Fotos wurden Szenen nachgestellt und die Fotos wurden in Amerika gemacht, was man an einigen Stellen sieht, mich aber nicht gestört hat. Die Handlung müsste ja auch nicht unbedingt in Berlin spielen, die Ereignisse lassen sich auf alle möglichen Schauplätze übertragen. Filmfans müssten versuchen, sich von der Vorlage zu lösen und das Buch als etwas Eigenes zu betrachten.

Für mich entwickelte sich von der ersten Seite an eine starke Sogwirkung. Die ausdrucksstarken Bilder bauten eine beängstigende Atmosphäre auf, sorgten stetig mit kleinen Details für Spannung. Da verfolgt man spielende Kinder, sieht eine auf die Heimkehr ihres Kindes wartende Mutter, sieht ihren Blick zur Uhr – und dann den Schatten eines Mannes. Gänsehaut! Eins ist beim Lesen dieser Novel wichtig: Man muss sie langsam lesen. Nur so entfaltet sich die Faszination der Einzelbilder und liest man die Bilder (und Texte) zu schnell, entgeht einem leicht so manches.

Auch die Story hat es in sich. Die Morde lassen in der Bevölkerung Panik aufkommen, diese führt zu vielfältigen Denunziationen und falschen Beschuldigungen. Leicht bildet sich ein Lynch-Mob und dieselben Menschen, mit denen man gerade noch Mitgefühl hatte, lösen beim Leser nun Abscheu aus.
Als Leser hat man es hier nicht leicht. Natürlich leidet man mit den Kindern und Eltern, aber der Täter, geplagt von Visionen, wird mehr und mehr selbst zum Opfer. Das ist sehr irritierend, man schwankt beim Lesen ständig mit seinen Gefühlen. Da ist der Wunsch nach Gerechtigkeit, womöglich nach Rache für die ermordeten Kinder. Dann wieder kommt glatt so etwas wie Mitleid auf. Nicht einfach! Täter und Opfer, Gut und Böse, sind schwer zu unterscheiden. Auch hier gilt: genau hinsehen! Denn es soll gar nicht so eindeutig sein, wer auf der guten und wer auf der bösen Seite steht.

Das umfangreiche Vorwort ist ebenfalls lesenswert, es berichtet unter anderem über den „schwarzen Mann“ unserer Kindheit, über Fritz Lang und seine Filme und stellt einen Vergleich der künstlerischen Mittel an.

Fazit: Wer ist gut, wer ist böse? Höchst ausdrucksstarke Bilder und eine Story, die nachdenklich macht. Unbedingt langsam lesen!

Bewertung vom 11.08.2019
Parmentier, Hanno

Der Würger von Düsseldorf


sehr gut

Ein Hammerschlag gegen die rechte Schläfe lässt die Dörrier lautlos zusammensinken. Kürten vergeht sich zuerst an der Sterbenden, um sich dann, nicht zum ersten Mal, in eine weihevolle Stimmung zu versetzen. »Nach dem Geschlechtsakt habe ich eine ganze Zeit – etwa 10 bis 15 Minuten – neben ihr gestanden und habe mir die Wirkung dieses neuen Falles vor Augen geführt. Ich stellte mir speziell die Wirkung, die diese neue Bluttat auf die Düsseldorfer Bevölkerung ausüben werde, vor und hatte dabei das Gefühl wie bei allen übrigen Mordtaten, das Gefühl der Befriedigung und Entsühnung. Nachdem ich dieses Gefühl durchkostet hatte, versetzte ich der Dörrier noch mehrere wuchtige Schläge mit dem Hammer gegen den Kopf.«

Nachdem ich kürzlich einen Kriminalroman über die Taten Peter Kürtens gelesen hatte, wollte ich Genaueres zu den tatsächlichen Hintergründen wissen. Mit diesem Sachbuch bin ich ein Stück weiter.
Für sein Buch hat der Autor sorgfältig recherchiert und reichlich Fakten zusammengetragen, alle aus Unterlagen im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen sowie aus Polizei- und Gerichtsakten. Präzise werden die Taten Kürtens beschrieben, wobei sich Hanno Parmentier auf die Morde und Mordversuche Kürtens beschränkt, die vielen Brandstiftungen vernachlässigt und auch die Einbrüche im Grunde nur erwähnt, wenn sie zu Schlimmerem führten. Ein verständlicher Ansatz, ansonsten wäre der Umfang des Buchs erheblich größer geworden. Morde und Versuche werden im Anhang ordentlich aufgelistet, wobei die Vielzahl erschreckend deutlich wird.

Die Beschreibungen der einzelnen Taten werden ergänzt durch zahlreiche Fotos, Tatortfotos und -skizzen. Speziell die Tatorte werden sehr genau beschrieben, was sicher von besonderem Interesse für Düsseldorfer und andere Leser ist, die die Örtlichkeiten kennen. Wie mag es wohl sein, in einer Gegend zu wohnen, die zu dem Bereich gehört, den Kürten „sein Revier“ nannte?

Ausgespart hat der Autor größtenteils die psychologische Sicht auf den Täter. Hier verweist er auf das wohl maßgebliche Werk des Düsseldorfer Gerichtsmedizinalrats Karl Berg von 1931, der sich seinerzeit intensiv mit Kürten auseinandersetzte. Trotzdem kann man schon einiges über Kürtens Werdegang und familiären Hintergrund erfahren und Aussagen wie die im einleitenden Zitat erlauben es, sich einen ersten Eindruck seiner psychischen Verfassung zu machen. Überhaupt wird ganz deutlich, dass ihm neben den sexuell motivierten Morden die Wirkung seiner Taten in der Bevölkerung zusätzliche Inspiration verschaffte. Anscheinend war Kürten jemand, der das Ausleben seiner Veranlagung einfach nur genießen konnte, ohne mit sich zu hadern. Sehr vielsagend, wenn die Leiche eines kleinen Mädchens nur aus dem Grund in Brand gesteckt wird, um das Entsetzen in der Bevölkerung noch zu steigern!

Der Autor selbst hält sich rein an die Fakten, stellt keine Mutmaßungen an und berichtet nüchtern. Dadurch wird allerdings auch der ein oder andere Volksglauben relativiert, zum Beispiel im Hinblick auf die Bezeichnung „Vampir“, die man Kürten gab und die ihm gefallen haben dürfte, weil sie die Panik weiter anheizte. Aber ob er nun stets das Blut seiner Opfer trank oder wohl nur in wenigen Fällen ist eigentlich gleichgültig, denn seine Taten schockieren auf jeden Fall und beweisen wieder einmal, dass fiktiver Horror nicht an die Realität herankommen kann.

Fazit: Reichlich Sachinfos zu den Taten Peter Kürtens, informativ und spannend zu lesen.

Bewertung vom 27.07.2019
Thoma, Erwin

Strategien der Natur


sehr gut

Bäume gibt es rund hundert Mal länger auf der Erde als Menschen. In diesem langen Zeitraum haben Bäume alle möglichen Gefahren, Krankheiten und Katastrophen bewältigt. Wie haben sie das angestellt, was macht sie so erfolgreich? Dieses Buch befasst sich mit genau diesen Fragen und regt zum Nachdenken an, wie wir Menschen davon profitieren könnten und was wir dazu tun sollten.

Es beginnt recht fundamental mit vielen hochinteressanten Infos zu Bäumen und ihren faszinierenden Fähigkeiten. Da erfährt man beispielsweise, wie die Photosynthese funktioniert, was Wurzeln alles können und was es mit diesem einmaligen Netzwerk der Pilze auf sich hat. Und auch die Ausführungen zum Erinnerungsvermögen der Bäume begeisterten mich! Wirklich ein ausgeklügeltes System und unschwer erkennt man, wo der enorme Erfolg der Bäume herkommt.

Wie sehr wir Menschen von Bäumen profitieren, nimmt einen weiteren großen Teil des Buchs ein. Immer schon habe ich Holz in der Umgebung als sehr angenehm empfunden und den Duft genossen, welch positive Wirkung Holz aber tatsächlich auf die menschliche Gesundheit haben soll, hat mich doch überrascht.

Kommen wir zur Frage, was wir konkret mit diesen Erkenntnissen anfangen können. Hier wird die Bewertung für mich schwieriger.

Einige Vorschläge zur notwendigen Änderung unserer Lebensweisen klingen sehr erstrebenswert. Weg von der Wegwerfgesellschaft hin zur Kreislaufwirtschaft, das unterschreibe ich gerne und werde für mich persönlich überprüfen, was ich als einzelner vielleicht noch tun kann. Kleines Problem und möglicher Widerspruch: Zu Beginn des Buchs wird der Weg »kampfloser, sanfter Veränderung« als der wirkungsvollste beschrieben. Das mag richtig sein und sich schon häufig bewährt haben, ob uns aber in der aktuellen Situation so viel Zeit bleibt? Und ob nicht so mancher eine Strategie des geduldigen Abwartens daraus ableiten könnte?

Andere Aussagen zur Rettung der Welt vor der Klimakatastrophe klingen für mich schlicht blauäugig. Jeder soll auf sein Herz hören, die »Verbundenheit aller Wesen mit ihrer Mitwelt in ihrem wahren Wert begreifen« und ähnliches. Viele grüne und überaus vernünftige Forderungen, und zur Finanzierung werden beispielsweise mal eben die weltweiten Rüstungsausgaben eingesetzt. Prima Idee, ich wäre sofort dabei, bezweifle aber, dass die Mächtigen der Welt das ähnlich sehen.

Auch meine private Umsetzung wird nicht einfach. Ich würde ja sehr gerne »zwischen hölzernen Wänden ruhig schlafen« oder mich an ein Kaminfeuer setzen, lebe aber leider in einer Großstadt und in einer Umgebung, in der nichts davon möglich ist. Ich kann mir auch keinen Umzug leisten. Und wenn der Autor vorgreifend das finanzielle Argument damit beantwortet, dass die Holzbauweise aufgrund diverser Begründungen auch nicht kostspieliger sei als die bisherigen Verfahren: Ich kann mir auch diese nicht leisten.

An dieser Stelle ein Punkt, der mir wirklich unangenehm aufstieß. Der Autor hat eine eigene Firma für den Bau von speziellen Holzhäusern. Und er macht reichlich Werbung dafür. So etwas in einem Sachbuch wirkt unangenehm und mindert die Glaubwürdigkeit. Mir fällt es ohnehin schwer zu glauben, dass unsere Wälder das massenweise Fällen von Bäumen problemlos wegstecken würden, das notwendig wäre, wenn wie vom Autor vorgeschlagen künftig primär in Holz gebaut werden sollte. Wenn ich dann gleichzeitig lese, wie er immer wieder die tollen Holzhäuser lobt, die sein Unternehmen baut, werden die Zweifel nur größer.

Die Texte sind leicht geschrieben, gut verständlich und lesbar. Die Liebe zur Natur merkt man sehr deutlich. Allerdings wird es mir manchmal ein wenig zu philosophisch, zu verträumt. Und dann ist da noch der kleine fiese Beigeschmack der Werbung… Ich vergebe 3,5 Sterne, die ich auf 4 aufrunde, da mich die vielen Infos rund um die Fähigkeiten der Bäume wirklich begeistert haben und einige sehr gute Gedankenansätze folgten.