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liesmal
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Wilhelmshaven

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Insgesamt 548 Bewertungen
Bewertung vom 10.10.2020
Lewinsky, Charles

Der Halbbart


ausgezeichnet

Das Buch „Der Halbbart“ von Charles Lewinsky, erschienen bei Diogenes, beginnt im Jahr 1313 in einem kleinen Dorf in der Talschaft Schwyz. Die Titelfigur, der Halbbart, ist ein Eigenbrötler, ein sonderbarer Fremder, der sich abseits des Dorfes einen Unterstand gebaut hat, seinen Lebensraum. Dort trifft ihn der Sebi, ein Junge, der mit seinen beiden älteren Brüdern im Dorf wohnt.

Das Cover zeigt einen Ausschnitt aus dem Bild „Die Kindheit“ von Ferdinand Hodler. Zu sehen ist ein kleiner Junge, der so aussieht, wie ich mir den Sebi vorstelle.

Der Sebi hört dem Halbbart gerne zu, ist sehr wissbegierig und liebt Geschichten. Der Halbbart erzählt nicht viel aus seinem eigenen Leben, doch es ist spürbar, dass er Schlimmes erlebt haben muss.

Der Einstieg ins Buch ist mir nicht ganz leichtgefallen, weil ich mich in einer ganz anderen Welt wiederfand. Der Autor hat mich nämlich direkt mitgenommen in ein fremdes Land und eine Zeit vor 700 Jahren. Der außergewöhnliche Schreibstil unter Verwendung vieler Helvetismen forderte zu Beginn hohe Konzentration beim Lesen, hatte aber bald einen ganz besonderen Charme. Lewinsky lässt den Sebi erzählen von seinen Erlebnissen – als Totengräber, im Kloster, vom Soldatenleben und von seiner großen Leidenschaft, Geschichten nicht nur zu hören, sondern auch selbst welche zu erfinden und zu erzählen. So wird dieses Buch mit seinen vielen kleinen Geschichten ganz großartig zu einer ganz großen Geschichte zusammengefasst. Dabei bringen nicht nur die historischen Ereignisse der damaligen Zeit, wie zum Beispiel der Marchenstreit, Spannung, sondern auch der Glaube an fremde Mächte, Teufel und Engel findet Raum und sorgt in so mancher Situation für Gänsehaut. Doch das Buch ist bei weitem nicht finster, sondern es bringt mich durch Sebis liebevolle Art immer wieder zum Lachen und bietet vor allem durch seine kleine Perpetua ganz besondere emotionale Momente.

Jedes der fast gleichmäßig langen Kapitel trägt eine Überschrift, die wie eine kleine Zusammenfassung zu lesen ist.

Für mich war „Der Halbbart“ mit seinen vielen ganz unterschiedlichen Charakteren ein ganz besonderes Leseerlebnis und ein großes Vergnügen. Von Herzen gern gebe ich meine Empfehlung für das Buch – das übrigens über viele, viele wunderbare Zitate verfügt, wie dieses Beispiel zeigt:

„Geschichten ausdenken ist wie lügen, aber auf eine schöne Art.“

Bewertung vom 10.10.2020
Schütz, Lars

Rache, auf ewig / Grall und Wyler Bd.3


ausgezeichnet

Himmel und Hölle - Jan Grall und Rabea Wyler arbeiten als Profiler. Sie betreiben eine Agentur für private Fallanalyse und werden als Berater vom BKA hinzugezogen, nachdem ein Mann von spitzen Bambussprossen, die langsam durch seinen Körper gewachsen sind, zu Tode gekommen ist. Der grausame Mord wurde von einem Täter begangen, der sich „Erlöser“ nennt. Und dieser Mordfall scheint erst der Beginn seiner Rache zu sein.
„Rache, auf ewig“ ist nach „Der Alphabethmörder“ und „Rapunzel, mein“ bereits der dritte Thriller von Lars Schütz, in dem ich die Profiler Jan Grall und Rabea Wyler bei ihren Ermittlungen jedesmal begleitet habe. Genau wie in den beiden ersten Fällen hat mich der absolut fesselnde, aber dennoch leicht verständliche Schreibstil von Lars Schütz gepackt und bis zum Schluss nicht losgelassen.
Auf dem roten Cover ist eine große geöffnete Sicherheitsnadel zu sehen, die hier scheinbar durch den Titel „Rache, auf ewig“ gestochen wurde und an den Stichstellen rote Flecken erkennen lässt. Bekomme ich bei dem Anblick bereits eine Gänsehaut, ist das lächerlich gegen die Beschreibung in der Geschichte, in der die Sicherheitsnadel zum Einsatz kommt. Immer wieder gibt es Momente, in denen mir der Atem stockt – manchmal wegen der Grausamkeit und Brutalität, mit der der Mörder vorgeht, manchmal aber auch wegen der Gefahren, in die sich Jan und Rabea in verschiedenen Situationen begeben.
Es war an keiner Stelle vorhersehbar, um wen es sich bei dem Täter handeln könnte. So blieb der Spannungsbogen bis zum Schluss zum Zerreißen gespannt.
Als treuer Lars-Schütz-Fan gebe ich gern eine schaurig-schöne Empfehlung für das Buch. Ich freue mich auf mehr!

Bewertung vom 05.10.2020
Blazon, Nina

Das Wörterbuch des Windes


ausgezeichnet

Leben und Lieben im Land des Windes und der Elfen
„Wir leiden alle an unseren Verlusten, an falschen Entscheidungen und unserer eigenen Dummheit, und oft genug auch an unserem Stolz.“

Eigentlich sollte die Reise nach Island eine Chance sein, die Ehe von Swea und ihrem Mann zu retten. Doch schon bald wird Swea klar, dass zu viele Lügengeschichten einen Neuanfang unmöglich machen. Hals über Kopf trennt sie sich.
Der Zufall führt sie zu einem Haus am Meer. Dort wohnt Einar, den ich kennenlerne als einen brummigen älteren Mann, der am liebsten allein ist. Trotzdem bietet er Swea an, eine Zeitlang in seinem Haus zu wohnen. Auch Jon Arnason wohnt seit einigen Jahren hier – in einem Nebenhaus, sehr zurückgezogen, man hört und sieht ihn kaum.
Schon bald bekomme ich das Gefühl, dass Einar Geheimnisse hat, was sein früheres Leben angeht. Auch Jon scheint etwas aus seiner Vergangenheit zu verbergen. Das einzige, was die drei unterschiedlichen Menschen miteinander verbindet, ist das am Bein verletzte Pferd Houdini, das Einar gekauft und mitgenommen hat. Und ganz langsam ist spürbar, dass Einar die Gesellschaft Sweas unendlich genießt.
Es ist eine abenteuerliche Zeit, in die Nina Blazon ihre Leser entführt nach Reykjavik auf Island. Der fesselnde Schreibstil, geheimnisvoll und sagenumwoben, lässt mich beim Lesen meine Umwelt vergessen und nimmt mich mit ins Land der Mythen und Legenden. Da fällt es auch nicht schwer, an Elfen zu glauben und selbst den Duft der Elfenkekse in der Nase zu spüren. Es macht so viel Spaß dabei zu sein, wie Swea Freundschaften schließt und dabei entdeckt, wie schön es sein kann, ein ganz anderes, ein viel einfacheres Leben lieben zu lernen.
Ich mag die vielen Gedanken und Träume, die durch eine andere Schriftart sehr leicht zu erkennen sind. Wunderbar, sehr bildhaft sind Landschaft und Natur beschrieben, die man bei Spaziergängen und Wanderungen kennenlernen kann.
Ich bin restlos begeistert von dieser wunderbaren Geschichte, die unendlich viele wärmende Zitate bereithält. Zwei davon möchte ich noch nennen, weil sie so viel über die Menschen und das Land aussagen:
„…funktioniert das soziale Leben wie ein Strickmuster: Alle verstehen sich als große Gemeinschaft, alles ist miteinander verwoben.“
„Geh immer mit dem Wind. Höre auf seine Stimme und lerne von ihm, statt zu kämpfen. Denn es kostet dich mehr Kraft als ihn.“
Ein großartiges Buch, das ich von Herzen gern meine Empfehlung gebe.

Bewertung vom 28.09.2020
Baier, Hiltrud

Tage mit Ida


ausgezeichnet

„Wir wissen doch manchmal selber nicht, wer wir sind. Wie sollen wir dann wissen, wer unsere Liebsten sind?“



Das Mädchen oder die junge Frau auf dem Titelbild, von der nur der geflochtene dicke Zopf mit den eingebundenen Schneeglöckchen zu sehen ist, hat meine Neugier auf das Buch geweckt. „Tage mit Ida“ von Hiltrud Baier ist erschienen im Verlag Krüger und erzählt eine wunderbar einfühlsame Geschichte über drei Frauen.

Als sich Susanne und Ida im Jahr 1999 über den Weg laufen, kennen sie sich noch nicht. Aber sie scheinen wie mit einem unsichtbaren Band verbunden zu sein. Sie treffen sich wieder. Bei dieser Begegnung erfährt Susanne, dass Ida die Schwester ihrer Mutter Christel ist. Susanne kann es nicht glauben, denn ihre Mutter hat nie von einer Schwester gesprochen. Warum nicht? Wenn sie es von ihrer Mutter nicht mehr erfahren kann, wird Ida ihre Frage beantworten?

Das Buch spielt in zwei Zeitebenen und geht dabei zurück bis in das Jahr 1927. Mir gefallen nicht nur die kurzen Episoden mit den Wechseln zwischen Zeit und Ort außerordentlich gut, sondern auch die Selbstverständlichkeit, mit der es der Autorin gelingt, mich als Leserin mit hineinzunehmen in die Geschichte, in der Susanne und Ida versuchen, Licht in das Dunkel ihrer Familiengeheimnisse zu bringen.

Für mich waren es großartige Tage mit Ida, die viel zu schnell zu Ende gegangen sind. Der außergewöhnliche Schreibstil, die spannende und emotionsgeladene Handlung und die vielen überraschenden Momente, die nicht immer nur schön waren, sondern manchmal den Atem stocken ließen, haben mir ganz besonders wertvolle Lesestunden bereitet. Dabei sind mir die Protagonisten so sehr ans Herz gewachsen, dass ich von einer Fortsetzung der Geschichte – hinein in die Gegenwart – träume. Sehr gern gebe ich meine Leseempfehlung für dieses besondere Buch.

Bewertung vom 23.09.2020
Kast, Bas

Das Buch eines Sommers


ausgezeichnet

Die Geschichte beginnt in einem Sommer vor langer Zeit…
Nicolas träumt davon, seinem Onkel Valentin nachzueifern und ebenfalls Schriftsteller zu werden. Gern nimmt er nach dem Abitur dessen Einladung an, seine Ferien bei ihm zu verbringen. Valentins Villa ist „an einem netten Ort, irgendwo, wo es sich leben lässt.“ Sie steht mitten in einem naturbelassenen, fast schon verwilderten Park und hat vielleicht gerade dadurch einen ganz besonderen Charme.
Nicolas erfährt in den Wochen mehr Liebe von seinem Onkel, als ihm sein eigener Vater jemals entgegengengebracht hätte. Mehr als einmal sagt Valentin ihm, wie lieb er ihn hat. Doch auch ohne dass er es gesagt hätte, spüre ich beim Lesen die innige Verbindung zwischen den beiden Menschen.
Von Valentin hat Nicolas erfahren, wie kostbar doch die Zeit ist, auch die, an die man lieber nicht mehr denken mag. „Denn was ist das Leben anderes als eine Aneinanderreihung von Momenten? Wenn man sich die wegwünscht, hat man sich am Ende das ganze Leben weggewünscht.“ Dieses Zitat ist nur eines von vielen Beispielen, mit denen Valentin Nicolas helfen will, den richtigen Weg auf der Reise seines Lebens zu finden.
In der Geschichte gibt es einen großen zeitlichen Sprung, das Leben kommt dazwischen.
Viele Sommer später…
Nicolas glaubte Verantwortung übernehmen zu müssen, als er die Firma seines Vaters weiterführte. Dadurch blieb für Frau und Kind kaum Zeit. Die Wünsche und Träume für sein eigenes Leben schienen vergessen. Die Erinnerung daran kam erst nach dem Tod von Onkel Valentin.
„Aus dem eingefahrenen Leben kommt er nicht wieder heraus, da bleibt er gefangen“, so waren meine Gedanken. Doch der Autor Bas Kast hat mich etwas anderes gelehrt. „Werde, der du bist“, heißt es im Untertitel. Vollkommen gebannt habe ich die fesselnde Geschichte von Nicolas verfolgt.
Es war ein wunderbarer Weg voll unerwarteter Überraschungen, den ich mitgehen durfte, manchmal voller Fröhlichkeit, dann wieder mit traurigen Situationen, in denen meine Augen so brannten, dass ich kaum mehr weiterlesen konnte.
Es gibt unglaublich viele Zitate, die mich unsagbar berührt haben, wie ich es mit Worten nicht beschreiben kann: Trauer: „… und die Welt um uns herum sich verdunkelte, als hätte man ihr jäh eine Handvoll ihrer schönsten Farben gestohlen…“
Besser geht nicht!

Bewertung vom 17.09.2020
Pope, Dirk

Still!


ausgezeichnet

Mariella spricht nicht mehr. Irgendwann ist sie einfach still. Dabei finde ich es eher zweitrangig, aus welchem Grund sie sich gegen das Reden entschieden hat – ob sie sich dazu entschlossen hat, weil ihre Eltern sich getrennt haben, weil niemand sie verstehen will oder weil ohnehin zu viel geredet wird. Mich fasziniert besonders, wie rigoros sie das durchzieht. Das stelle ich mir wirklich nicht einfach vor. Ob es ihre Mitschüler oder ihre Lehrer sind, egal wo sie unterwegs ist und wen sie trifft – nirgends verliert sie auch nur ein Wort. Damit stößt sie sehr häufig auf Unverständnis, was für mich unbegreiflich ist und worüber ich nur mit dem Kopf schütteln kann.
Dabei hat sie doch so viel zu sagen und das erzählt Dirk Pope in seinem Roman „Stille“ – bewundernswert, eindringlich und berührend, aber auch humorvoll, mit wunderbaren Worten und zauberhaften Wortspielereien.
Eine unerwartete Änderung in Mariellas Leben gibt es, als jemand an ihrem Lieblingsplatz sitzt. Der anfängliche Ärger, den sie spürt, wandelt sich bald, denn in dem gehörlosen Stan findet sie einen Freund, der sie so mag, wie sie ist. Irgendwie verstehen sie sich sofort und entdecken ihre eigene Art des Gesprächs. Sie erleben viel Schönes, doch es gibt auch traurige Situationen.
Mich hat die Geschichte von Mariella und Stan sehr berührt. Ich habe noch jetzt, wo ich die Rezension schreibe, das Gefühl, ich müsste ganz vorsichtig sein, um nichts zu zerstören.
Eines der bewegendsten Bücher, das ich in diesem Jahr gelesen habe – und eines, bei dem ich die fünf Sterne ganz fett drucken möchte, weil sie gar nicht ausreichen.
Ein grandioses Werk, das ich von Herzen gern weiterempfehle!

Bewertung vom 17.09.2020
Monti, Olivia

Das Haus (eBook, ePUB)


sehr gut

Ene mene meck und du bist weg. „Das Haus“ von Olivia Monti ist ein ganz typisches Mietshaus mit kleinen Wohnungen, die außer von zwei Schwestern und einem Ehepaar nur von Einzelpersonen bewohnt werden. Eigentlich ein ganz gewöhnliches Haus mit Menschen aus verschiedenen Schichten und unterschiedlicher Herkunft, die außer den üblichen kleinen Streitereien um Kleinigkeiten keine besondere Verbindung haben. Doch etwas ist vielleicht anders als in anderen Mietshäusern dieser Art, denn einmal im Monat lädt Herr Zimmermann, der das Penthouse bewohnt, die Nachbarn zu einem Umtrunk auf seine Dachterrasse ein. Das genießen die Bewohner und lernen sich allmählich etwas kennen.

Doch plötzlich unterscheidet sich dieses Haus total von anderen, nämlich an dem Tag, als die Parapsychologin Nadja plötzlich den Medizinstudenten Enis vor dem Haus findet – tot. Damit beginnt eine unheilvolle Serie, denn weitere Mieter werden tot aufgefunden oder sind plötzlich verschwunden. Die Angst geht um. Lebt womöglich ein Mörder unter ihnen? Oder liegt auf dem Unglückshaus ein Fluch?

Olivia Monti beschreibt die Menschen mit ihren unterschiedlichen Wesensarten und ihren Gedanken sehr detailliert. Wem können die Mieter noch trauen? Der Schreibstil ist spannend und lässt immer neue Ideen über einen möglichen Mörder, eine Mörderin oder doch etwas Übersinnliches in meinem Kopf entstehen. Ist es Nadja mit ihren Forschungsarbeiten? Sie spricht zum Beispiel von Orten mit physikalischen Besonderheiten, an denen gehäuft paranormale Erscheinungen auftreten. Was ist mit der Rauhaar, die über alles und jeden im Haus Bescheid weiß, die spioniert und tratscht? Und was ist überhaupt mit …?

Insgesamt tummelten sich viele Verdächtige in meinem Kopfkino. Meine Neugier hat mich die etwa 180 Seiten in einem Rutsch lesen lassen und der Krimi hat mich gut unterhalten.

Bewertung vom 15.09.2020
Elliott, Rachel

Bären füttern verboten


ausgezeichnet

„Und was wäre, wenn ich sagen würde, ich überliebe dich?“



Eine außergewöhnliche Geschichte ist der Autorin Rachel Elliott mit dem Roman „Bären füttern verboten“ aus dem mareverlag gelungen.

Es gibt ein ansprechendes Cover, das Häuser und ihre Dächer zeigt. Die Dächer gehören zu Sydney, der Protagonistin, deren Leidenschaft „Freerunning“ ist. „…dass der Verstand abschaltet und man aufhört zu denken…“ Ist der Sport tatsächlich eine Leidenschaft für Sydney oder versucht sie dadurch Vergangenes zu bewältigen?

In Sydneys Kindheit hat ihre Familie einige Jahre den Urlaub in St. Ives verbracht. Doch dann muss etwas geschehen sein, denn erst viele Jahre später – Sydney ist mittlerweile 47 Jahre alt – kehrt sie an den Ort ihrer Kindheit zurück.

Im Buch gibt es zeitliche Sprünge, die ich irgendwie faszinierend finde, obwohl diese Art des Schreibens am Anfang doch für einige Verwirrung bei mir sorgte. Freerunning auch hier?

Neben diesem ständigen Wechsel der Zeiten lebt das Buch von Gedanken, Träumen und Erinnerungen, in erster Linie von denen Sydneys und ihres Vaters. Dabei ist zu spüren, dass etwas zwischen ihnen steht. „Und wenn er die Hand ausstreckt, werde ich nie wissen, ob er damit sagt komm her oder bleib weg.“

Ein bewegender Schreibstil, der die Traurigkeit über das Geschehen mit allen Facetten, aber auch das Unvermögen loszulassen und sich wieder dem Leben in der Gegenwart hinzugeben, sehr eindringlich wiedergibt.

Doch neben allem Bedrückenden kommt auch der Humor nicht zu kurz. Es macht unglaublichen Spaß, die Menschen von St. Ives kennenzulernen, sich mit ihren Eigenarten vertraut zu machen. Tatsächlich gibt es viele skurrile Typen, aber auch Menschlichkeit und Freundlichkeit begegnen uns – und Stuart, ein liebenswerter Hund mit menschlichen Zügen.

Das Buch hat mich von Anfang an gepackt, weil es immer wieder neue Überraschungen bereithält. Die Leselust hat mich bis zum Schluss nicht losgelassen. Begeisterung pur bei diesem Lesehighlight!

Bewertung vom 14.09.2020
Schmidt, Joachim B.

Kalmann


ausgezeichnet

Kalmann - wunderbar anders. „Großvater hatte mir einmal gesagt, dass jeder in gewisser Weise anders sei, und darum sei ich ganz normal.“

Island – Felsen bis ins Wasser, schneebedeckte Berge, ein Haus in der Ebene von Melrakkaslétta: Das Cover macht Lust auf die Einsamkeit Islands mit seinen besonderen Menschen. Die Geschichte führt ganz nach oben in den Nordosten. Dort liegt der kleine Ort Raufarhövn, die Heimat von „Kalmann“, der Titelfigur des Romans von Joachim B. Schmidt, erschienen bei Diogenes.
Von manchen Leuten wird er bezeichnet als „Dorftrottel“. Dabei ist er doch der selbsternannte Sheriff von Raufarhövn, lebte lange Jahre bei seinem Großvater, von dem er alles gelernt hat, was man braucht. So wurde Kalmann nicht nur ein guter Jäger, sondern auch ein Haifischfänger, der stolz ist, wenn er hört, dass sein Gammelhai fast so gut ist wie der seines Großvaters. Das Zusammenleben von Großvater und Enkel ist geprägt von Liebe und Respekt. Großartig finde ich zum Beispiel die Erklärung des Großvaters zu den Quotenspekulationen.

Als Kalmann eines Tages eine Blutache im Schnee entdeckt, lebt sein Großvater bereits in einem Heim. So muss er allein entscheiden, wie er mit seiner Entdeckung umgeht. Ihn dabei zu begleiten, an seinen Gedanken teilhaben zu können und festzustellen, dass er sein Herz am rechten Fleck hat, war für mich pure Leselust.
In der Buchbeschreibung heißt es: „…in Kalmanns Kopf laufen die Räder manchmal rückwärts.“ Das ist eine wunderschöne Umschreibung und ich glaube, gerade das ist es, was mich an Kalmann so fasziniert. Dabei ist er auf keinen Fall so trottelig, wie er manchmal scheint oder wie er von einigen Leuten dargestellt wird. Er kann sogar recht pfiffig sein und ist überzeugt davon: „Kein Grund zur Sorge.“ Gerade wegen seiner fast kindlichen Naivität und seiner Ehrlichkeit hat es nicht lange gedauert, bis ich Kalmann richtig liebgewonnen hatte.
Ich bin begeistert von dem einzigartigen Schreibstil des Autors, von der Beschreibung der Landschaft und der Menschen, der Darstellung der Charaktere, von denen mir Noi, der einzige Freund Kalmanns, und Magga, die Kalmann jeden Samstag mit ihrem Auto und einem rasanten Fahrstil zu seinem Großvater gefahren hat, am besten gefallen haben. Toll war das Gespräch mit Joachim B. Schmidt am Ende des Buches, denn dadurch gab es noch interessante Informationen.
Der Autor muss Land und Leute lieben, ansonsten wäre es wohl kaum möglich gewesen, so viel Herzenswärme in diese Geschichte zu legen. Sehr empfehlenswert!