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Aischa

Bewertungen

Insgesamt 572 Bewertungen
Bewertung vom 04.10.2019
Klemm, Gertraud

Hippocampus


ausgezeichnet

Ganz ehrlich: Wäre dieser Roman nicht in meinem Lieblingsverlag "Kremayr & Scheriau" erschienen, dann hätte ich ihn vermutlich nicht gelesen. Denn der Klappentext kündigt "einen Kreuzzug gegen Bigotterie und Sexismus" an, vor dem Hintergrund einer deutschsprachigen Literaturbranche, für die Gleichberechtigung immer noch ein Fremdwort ist. Nun verstehe ich mich selbst zwar durchaus als Feministin, der Literaturbetrieb interessiert mich jedoch - mit Ausnahme seiner Produkte - ehrlich gesagt eher wenig, und zeitgenössische feministische Literatur ist mir oft zu hasserfüllt und humorlos.

Nicht so bei Gertrud Klemm! Sie zaubert einen unfassbar schrägen Roadtrip aus ihrer Feder, skurrille Protagonisten à la "Harold und Maude" und ein Plot, der witzig, spannend - ach was: einfach grandios originell ist. (Samt Überraschung im vorletzten Satz des Anhangs!)

Die Sprache wimmelt nur so von bissigen Formulierungen, die auf den Punkt sind, ich habe mich köstlich amüsiert. So etwa, wenn der Sex mit der Campingplatz-Bekanntschaft beschrieben wird: "Akrobatisch war da gestern nichts. Im Gegenteil. Es war sogar ein bisschen geriatrisch." Den ein oder anderen österreichischen Ausdruck musste ich recherchieren, aber die lokale Sprachfärbung ist den Aufwand in jedem Fall wert.

Inhaltlich demontiert Klemm den Filz im Literaturbetrieb, zeigt die Bigotterie der katholischen Kirche zeigt auf, dass wir noch einen weiten Weg bis zu wirklicher Gleichberechtigung vor uns haben. Dies alles gelingt auf extrem unterhaltsame Art.

Mein erstes, aber definitiv nicht mein letztes Buch von Gertrud Klemm! Und der Verlag hat - wieder Mal - sein gutes Gespür für hervorragende zeitgenössische Literatur bewiesen, vielen Dank!

Bewertung vom 19.09.2019
Cantor, Jillian

Das Mädchen mit dem Edelweiß


ausgezeichnet

Jillian Cantor ist ein fesselnder, berührender Roman über Familie gelungen und darüber, ob es (nur) die eine große Liebe im Leben gibt.
Die Geschichte spielt in zwei Ländern, den USA und Österreich, und in zwei Zeitebenen, in der Gegenwart und zur Zeit der NS-Diktatur.
Eigentlich zählen Liebesromane nicht zu meinen Lieblingsgenres - zu oft finde ich deren Plots zu unglaubwürdig, die Charaktere zu einseitig und die Liebesszenen zu kitschig. Doch "Das Mädchen mit dem Edelweiß" ist hierzu in jeder Hinsicht das Gegenteil und hat mich von der ersten bis zur letzten Seite in seinen Bann gezogen. Vielleicht auch deshalb, weil die Story auf wahren historischen Begebenheiten beruht und die Autorin auch ihre persönliche Erfahrung mit ihrer Großmutter verarbeitet hat. Herausgekommen ist eine hervorragend gelungene Kombination aus Liebesgeschichte und Historienroman.
Die Lektüre ist unterhaltsam, spannend und macht dankbar dafür, dass wir in einer friedlichen Demokratie leben dürfen. Unbedingte Leseempfehlung von mir!

Bewertung vom 19.09.2019
Eden, Caroline

Schwarzes Meer


sehr gut

Es ist ein ungewöhnliches Buch, das Journalistin Caroline Eden verfasst hat. "Schwarzes Meer" ist eine gelungene Melange aus Reisereportage und Kochbuch mit viel Lokalkolorit.
Man merkt Eden ihr Interesse an Menschen und Geschichte an, sie erzählt von schrulligen Gastgebern und frenetischen Fußballfans, denen sie auf ihrer Reise rund ums Schwarze Meer begegnet. Sie lässt die Historie der bereisten Städte durch Anekdoten über Schriftsteller oder anhand bekannter literarischer Zitate auferstehen.
Eine weitere Art, sich den Kulturen der Anrainerstaaten zu nähern, ist die kulinarische: 58 Rezepte erlauben es dem Leser, sich beim Nachkochen und -backen ein wenig bulgarisches, ukrainisches oder türkisches Flair in die eigene Küche zu holen. Die Rezepte sind durch für deutsche Leser ungewohnte Zutaten oder Kombinationen raffiniert, und doch größtenteils einfach zuzubereiten.
Ein besonderes Highlight stellen die zahlreichen Farbfotografien dar, die ein feines Gespür der Autorin für Land und Leute zeigen. Überhaupt ist das Buch ein Schmuckstück, das erkennen lässt, dass der Verlag hier mit viel Liebe zum Detail gearbeitet hat: Der schwarze Schnitt und die glänzenden Elemente des Hardcovers geben der Ausgabe einen edlen Anstrich, die geografische Karte der Schwarzmeerregion auf Vor- und Nachsatz ist nicht nur hilfreich, um die beschriebenen Orte aufzufinden, sondern durch die kreative grafische Gestaltung geradezu ein Kunstwerk.
Lediglich zwei kleine Kritikpunkte habe ich: Wenn man beim Nachkochen von Rezepten umblättern muss, finde ich das etwas unpraktisch, hier hätte man besser darauf achten können, ein Rezept auf je einer Doppelseite unterzubringen. Und das Register ist ein wenig knapp gehalten; zusätzlich zur alphabetischen Anordnung hätte ich mir für die Rezepte eine Sortierung nach Vorspeise, Suppe, Hauptgericht, Desser etc. gewünscht.

Bewertung vom 24.07.2019
Ludwig, Mario

Tierische Jobs


sehr gut

Biologe Mario Ludwig präsentiert eine äußerst unterhaltsame Sammlung "tierischer Mitarbeiter".
In kurzen abgeschlossenen Geschichten erzählt er von Tieren, die - mal im eigentlichen, mal auch nur im weitesten Sinn - dem Menschen zu Diensten sind. Nicht alles ist neu, vom Fisch-Spa zur Fußpflege oder der Spanischen Fliege als Aphrodisiakum haben wohl die meisten schon mal gehört. Aber Ludwig überrascht auch mit relativ unbekannten tierischen Jobs. Oder haben Sie schon davon gehört, dass man durch das Lecken an Exemplaren einer bestimmten Krötenart gegen das Betäubungsmittelgesetzt verstoßen (und high werden) kann? Wussten Sie, dass Tauben auf histologischen Präparaten Tumorgewebe erkennen können, und dies wesentlich schneller als entsprechende Fachmediziner? Oder dass die französische Luftwaffe Adler als Drohnenjäger einsetzt?
Der Autor beschreibt die tierischen Fähigkeiten nicht nur, sondern hinterfragt die Nutzung durch den Menschen auch, etwa bei der Delfintherapie für behinderte Kinder, deren Nutzen bislang nicht fundiert belegt werden konnte. Auch fehlt ein Ausblick in die nahe Zukunft nicht, wenn er spekuliert, ob es bald Cyborgs als tierisch-technische Spionagehybride geben mag.
Das Buch ist populärwissenschaftlich und auch für den biologischen Laien sehr verständlich geschrieben, es hat mich bestens unterhalten. Ein Auge zugedrückt habe ich bei "tierischen Jobs", für die das Tier das Leben lassen muss, dies finde ich nicht ganz passend für die Überschrift.
Die Ausstattung ist sehr gut, das Hardcover ist handlich genug, um auch als Lektüre für unterwegs dienen zu können. Hübsche schwarz-weiß-Zeichnungen des betreffenden Tieres illustrieren den Beginn jedes Kapitels.
Im Anhang findet sich ein ausführliches Literaturverzeichnis, jedoch sind im Fließtext keine Quellenangaben vorhanden. Wer ein Thema vertiefen möchte, muss daher leider selbst recherchieren, falls er nicht die gesamte Literaturliste abarbeiten möchte. Hier wäre eine Unterteilung der Quellen nach Kapiteln meines Erachtens sinnvoller gewesen.
Davon abgesehen ist es ein rundum gelungenes, kurzweiliges und informatives Buch.

Bewertung vom 13.07.2019
Fuchs, Katharina

Zwei Handvoll Leben


ausgezeichnet

Ganz ehrlich: Ich muss aufpassen, bei dieser Rezension nicht zu sehr ins Schwärmen zu geraten. Denn Rechtsanwältin Katharina Fuchs hat mich mit der Lebensgeschichte ihrer beiden Großmütter völlig in ihren Bann gezogen.
Auf den knapp 550 Seiten findet sich alles, was ich von einem historischen Roman erwarte: Fundiert recherchierte geschichtliche Fakten, eingebettet in eine glaubwürdige, fesselnde Handlung. Die Charaktere überzeugen durchweg, sind sie doch facettenreich und realistisch dargestellt.
Auch die Entwicklung der beiden Protagonistinnen von jungen, verliebten Mädchen zu verantwortungsvollen Frauen, die ihr Schicksal auch während der Gräuel der Nazi-Diktatur meistern, erzählt Fuchs glaubwürdig.
Eine besondere Stärke des Romans ist die Darstellung der Entwicklung des sogenannten Dritten Reichs unter der Führung Hitlers. Die Autorin schildert, wie Ressentiments gegen Juden schließlich in unverhohlenen Rassismus münden, wie Mütter machtlos ansehen müssen, wie ihre Kinder durch Schule und Hitlerjugend falsche Werte übernehmen oder auch welch unterschiedliche Überlebensstrategien die Menschen im Krieg entwickelten.
Besonders erwähnenswert ist dabei, dass das Buch trotz aller Schicksalsschläge einen gewissen Grundoptimismus wahrt. Die Protagonistinnen müssen mit Enttäuschungen, Armut und Tod fertig werden, aber sie zerbrechen nicht an den Herausforderungen, die das Leben ihnen stellt, sondern gehen gestärkt daraus hervor.
Der Autorin ist ein großartiges Stück Zeitgeschichte gelungen, einfach wundervoll, wie sie die Leser am Leben ihrer Großmütter teilhaben lässt!

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.07.2019
Müchler, Günter

Napoleon


sehr gut

Pünktlich zum 250. Geburtstag des weltberühmten Korsen legt Günther Müchler seine Napoleon-Biografie vor.
Der Autor ist Historiker und Politologe und hat als Journalist gelernt, mit Sprache zu fesseln.
Geschichte zählte bislang nicht gerade zu meinen großen Interessen, ich wollte mit dieser Biografie denn auch eher Wissenslücken füllen. Umso mehr schätzte ich es, dass Müchler gleichzeitig informativ wie auch unterhaltsam zu schreiben vermag. Der Stil ist für ein Sachbuch oft sehr bildhaft, Müchler interpretiert viel, spekuliert jedoch selten. Bereits die Überschriften der großen Abschnitte, in die er sein Werk unterteilt hat, versprechen Spannung: Suche - Gestaltung - Improvisationen - Lähmung - Absturz -Nachhall.
Und ich wurde nicht enttäuscht. Besonders gefällt mir, dass zwar den geschichtlichen Daten, den Schlachten und politischen Schachzügen viel Raum gegeben wird, aber gleichzeitig ein umfassendes Psychogramm Napoleons entsteht. In diesem Buch geht es nicht nur um den Feldherrn, sondern immer auch um den Menschen Napoleon Bonaparte, seine Charakterzüge, sein Begehren, seine Ängste.
Die Gestaltung ist sehr gut, zwei historische Karten, zahlreiche schwarz-weiß-Fotografien bzw. Zeichnungen veranschaulichen den Text, und ein Lesebändchen ist ein willkommenes Detail.
Zwei kleine Kritikpunkte habe ich dennoch: Erstens hätte ich mir eine Zeittafel im Anhang gewünscht, anhand derer ich wichtige Ereignisse leichter einordnen hätte können. Und zweitens ist leider die Schriftgröße sehr klein gewählt, für mich als Brillenträgerin ist der Text dadurch recht anstrengend zu lesen.
Fazit: Sehr fesselnd, gut verständlich, umfangreich, gutes Preis-Leistungs-Verhältnis!

Bewertung vom 03.07.2019
Schneider, Jürgen;Braune, Tanja

Grüne Durstlöscher


sehr gut

Dieses Buch kam wie gerufen: Es war der heißeste Juni seit Beginn der Wetterauszeichnungen, und ich verspreche seit einigen Monaten nur noch wenig Zucker zu konsumieren. Gerade bei Getränken kann man viele Kohlehydrate einsparen, aber auf Dauer finde ich immer nur Wasser zu trinken doch etwas langweilig. Daher habe ich mich sehr auf neue Rezepte gegen den Durst gefreut.
Die Einleitung erläutert, worauf man beim Sammeln der verwendeten Pflanzen achten sollte. Auch zum richtigen Haltbarmachen gibt es Tipps, ebenso wie zur Wahl des Mixers für Smoothies. Etwas zu kurz geraten finde ich den Abschnitt über das Süßen, zumal in den meisten folgenden Rezepten mit Zucker nicht gerade gegeizt wird.
Der Rezeptteil ist nach den verwendeten Hauptpflanzen unterteilt; den einzelnen Abschnitten ist jeweils ein Kräuterporträt vorangestellt. Die Rezepte sind überwiegend einfach umzusetzen und dabei dennoch sehr kreativ. Auch die Getränkearten sind sehr vielfältig, es gibt Tees, Limonaden, Smoothies, Fruchtbowlen, Sirupe und Aromawasser zu entdecken.
Zahlreiche Farbfotos veranschaulichen die Durstlöscher.
Ein kleines Manko ist das fehlende Stichwortverzeichnis, dadurch ist die Suche nach einem bestimmten Rezept etwas mühsam. Sehr gestört hat mich, dass im Porträt der Mariendistel nicht darauf hingewiesen wird, dass diese untru Artenschutz steht und nicht wild wachsenden gepflückt werden darf. Dies wird lediglich in der Einleitung kurz erwähnt, das ist nicht ausreichend, da nicht alle Leser ein Kochbuch komplett von vorne bis hinten lesen.

Bewertung vom 19.06.2019
Falaki, Mahmood

Ich bin Ausländer und das ist auch gut so


sehr gut

Der persischstämmige Literaturdozent und Autor schildert in seinen Kurzgeschichten kurze Alltagssituationen und zeigt dabei seinen persönlichen Blick auf Deutschland und die Deutschen. Das liest sich flüssig und unterhaltsam, ist kurzweilig, humorvoll, manchmal aber auch schwerer verdaulich und mit Nachgeschmack.

Der selbstkritische Leser bekommt reichlich Anstöße, seinen Umgang mit und seine Urteile über Migranten zu reflektieren. Falaki beschreibt skurrile Begegnungen in der U-Bahn, erzählt von lustigen Missverständnissen und anrührenden Erlebnissen auf dem Friedhof. Seine Sprache ist präzise, die Geschichten sind sehr vielfältig. Nicht alles ist nach meinem Geschmack, manche Story ließ mich doch recht ratlos zurück. Aber das ist o.k., auch im wahren Leben verstehe ich nicht immer alles.

Fazit: Erfrischend andere "Exil-Literatur", ohne erhobenen Zeigefinger oder Selbstmitleid.

Bewertung vom 19.06.2019
Ribeiro, Gil

Weiße Fracht / Leander Lost Bd.3


ausgezeichnet

Drehbuchautor Gil Ribeiro alias Holger Karsten Schmidt legt mit "Weiße Fracht - Lost in Fuseta" den dritten Band seiner Reihe rund um den Hamburger Kommissar Leander Lost vor, der mit seinen portugiesischen Kollegen in der Algarve ermittelt. Ich habe die Vorgängerbände nicht gelesen, dennoch viel mir der Einstieg in die Geschichte leicht, es sind keinerlei Vorkenntnisse nötig.
Der Krimi hat mich sehr gut unterhalten. Weniger aufgrund des Plots, dieser ist recht unaufgeregt gestaltet. Die Story spielt rund um den Drogenhandel an der portugiesischen Südküste und ist zwar solide und ohne große Übertreibungen konstruiert, kommt jedoch auch weitestgehend ohne Überraschungsmomente aus. Nein, die Stärke des Buchs ist nicht Spannung, sondern es besticht vor allem durch seine liebevoll gezeichneten Charaktere. Leander Lost ist nicht nur namentlich und durch seine deutsche Herkunft ein Sonderling, er unterscheidet sich auch durch Aussehen und Verhalten deutlich von seinen Mitbürgern. Dies liegt darin begründet, dass er das Asperger-Syndrom hat, eine besondere Form von Autismus. Dessen Begleiterscheinungen sorgen für reichlich Situationskomik und machen Lost für den Leser zu einem großen Sympathieträger, während seine Kollegen durchaus auch unter ihm zu leiden haben. Ribeiro bleibt in seinen Beschreibungen stets respektvoll, ab und an mit einem Augenzwinkern, aber ohne "den Asperger" slapstickartig vorzuführen. So kann dieser Kriminalroman nicht nur unterhalten, sonder nebenbei auch noch Verständnis für die von dieser Autismus-Form Betroffenen wecken; in meinen Augen eine wundervolle Begleiterscheinung.
Überhaupt ist das Buch unter der Oberfläche mit einer großen Portion Mitmenschlichkeit ausgestattet. Der Autor präsentiert Landschaft und Leute der Algarve mit so viel Sympathie, dass man sich nach der Lektüre umgehend auf den Weg dorthin machen möchte.
Fazit: Kein 08/15-Schmöker, sondern ein Regionalkrimi mit Herz und Verstand.