Benutzer
Benutzername: 
herrzett
Wohnort: 
lübeck

Bewertungen

Insgesamt 118 Bewertungen
Bewertung vom 24.05.2023
Zevin, Gabrielle

Morgen, morgen und wieder morgen


sehr gut

Gabrielle Zevin ließ mich mit ihrem Roman oft an meine Jugend und spätere Studienzeit zurückdenken, das Spielen von Computerspielen, das Programmieren und Brainstormen für Projekte, liebte ich damals sehr. Die Idee eines Gaming-Romans fand ich daher so auch super interessant, zumal die Entwicklung, der technologische Fortschritt und die Computerspielewelt für jeden meiner Generation ein Stück weit Kindheit und das Entdecken neuer Möglichkeiten, sowie Spaß bedeutet. Dieser Roman ist irgendwie wie ein Spiel mit verschiedenen Räumen angelegt, nach einer kurzen Eingewöhnungs- und Findungsphase tauchen wir mit den Protagonisten in eine Welt aus verschiedenen Räumen, Zeiten, Leveln und Add-ons ein. Manche Kapitel bauten Spannung auf, ich wollte unbedingt mehr entdecken, weiter in ihre Welt eintauchen, weitere Hinweise finden und 'das Spiel lösen', anderes fühlte sich hingegen eher wie Pflichtkapitel an, die deutlich weniger Spaß machten, aber vielleicht zur Erklärung und Charakterentwicklung beitrugen. So sorgten die Kapitel über das Kennenlernen, die Entwicklung von ihrem ersten gemeinsamen Spiel "Ichigo", ihre Ideen dahinter und die Freundschaftsgeschichte zwischen Sam, Sadie und Marx bei mir anfänglich für sehr viel Freude, konnte ich vieles doch sehr gut nachempfinden und ihre Gedankengäverschwinden wieder, Handlungen führen ins Leere oder 'geheime' Autobahnen sind einfach da, Abkürzungen, deren Bedeutung ich in diesem Roman nach wie vor nicht ganz verstehen kann... höchstens als ein kleiner Zeitsprung in Form der Röhren, die, wie bei Supermario, von einem Raum in einen anderen führen, nur leider ohne diese bedeutsame Funktion. nge verstehen, aber dann sprangen die Kapitel zeitlich und thematisch etwas, die Beziehung zwischen den Freunden wurde etwas komplizierter (und anstrengender) oder wie in "Pioneers" nahm das Kapitel die Form eines MMOs ein, was es für mich dann deutlich schwerfälliger und langwieriger machte, mich vllt. sogar von den Protagonisten eher distanzierte, sehnte ich mich doch nach einem tollen Ende. Und das war dann auch das, was mich dann wieder versöhnlich stimmte. Dieser Roman ist für mich nicht ganz rund. Gefühlt reißt Zevin viele Ideen einfach nur an, Hunde oder mögliche Endgegner tauchen plötzlich auf und
"Morgen, morgen, und wieder morgen" ist wie das Abtauchen in eine andere Welt voller Tragik, Freude, Liebe und Innigkeit, die Begeisterung und Enttäuschung, Optimismus und Scheitern miteinander auf eine angenehme Weise miteinander vereint, nicht ganz ruckelfrei, und doch ist es vielleicht genau das, was eine Freundschaft im inneren ausmacht... die Mischung aus begeisterten und sehr innigen Phasen und Distanziertheit aufgrund äußerlicher Einflüsse oder fast schon hirnrissiger Gedanken. Ein gutes Spiel... Team one, sie haben noch 2 Leben, weiter? oder start again?!

Bewertung vom 22.05.2023
Teige, Trude

Als Großmutter im Regen tanzte


ausgezeichnet

An sich finde ich diesen Roman nicht nur sehr beeindruckend, sondern auch wahnsinnig faszinierend. Trude Teige widmet sich einer sehr spannenden Liebes- und Familiengeschichte, sowie Nachkriegsgeschichte und deren Folgen bis in die Gegenwart. Die Protagonistin Juni versucht dem Unausgesprochenen ihrer Familie auf die Spur zu kommen und folgt aufgrund einiger gefundener Schriftstücke und Fotos dem einstigen Weg ihrer Großmutter Tekla von Norwegen nach Deutschland. Ja, die Ausgangslage ist nicht ganz neu und dennoch mochte ich die Entwicklung dieses Romans recht gern. Was mir dabei besonders gefiel, ist dass Trude Teige sich über die Grenzen hinaus mit dem Schicksal der Norwegendeutschen und dem Geschehen der sehr düsteren, tragischen Nachkriegszeit in der Kleinstadt Demmin, auseinandersetzt, ohne zu viele fragwürdige und massiv überzogene Handlungen einzufügen. Vielleicht ist die Geschichte im weiteren Verlauf um die Liebe zwischen Tekla und dem deutschen Soldaten Otto Adler etwas auf die Spitze getrieben, dennoch gab es in und um Demmin sehr viel Leid, Tod, Vergewaltigungen und Enteignungen - ein Schicksal einer Stadt und größten Verlierer des Krieges, das viel zu lange verschwiegen wurde und dessen Schatten sich bis heute hält. Die beschriebenen Szenen setzen setzen sich dabei aus vielen realen Vorfällen und Geschichten zusammen, die Trude Teige auf ihrer Recherche durch Demmin und Berlin sammelte. Und so kam eine sehr intensiv, tragische Geschichte heraus, die das Leid der Frauen von damals aufgreift und in einem weiteren Erzählstrang einen Fokus auf die heutige Sicht und Überlieferungen lenkt.
Allerdings machte mich die Klammer/das Setting aus der schwangeren Krankenschwester, die vor ihrem gewalttätigen Mann flieht und ausgerechnet auf der Insel, auf der sie wieder zu sich finden möchte, einen Mann kennenlernt, der sie ermutigt auf Spurensuche zu gehen und zwischen denen sich irgendwie etwas anbahnt und der sie verteidigt, nicht ganz so glücklich. Wahrscheinlich wäre der Roman auch ganz gut ohne diesen Teil ausgekommen. Die Vermischung von Fakten und Fiktion, die Empfindungen beim Lesen, die Sogwirkung und das Gefühl sich der Geschichte noch einmal neu zu nähern, fand ich wirklich beeindruckend.

Bewertung vom 14.05.2023
Furre, Heidi

Macht


ausgezeichnet

Dieses Buch finde ich so wahnsinnig beeindruckend. Ich könnte beinahe das ganze Buch zitieren und würde noch immer weitere Gedanken darin finden. Heidi Furre hat teilweise sehr poetisch, aber auch sehr eindringlich beschrieben, wie das Leben sich durch eine Vergewaltigung, auch wenn man selbst an Einzelheiten zweifelt, verändert, wie Gegenden, Gegenstände und Gerüche... plötzlich einen viel größeren, bedeutsameren und betäubenderen Einfluss erhalten. Und obwohl ich recht häufig Romane mit Traumatabezug lese, so fand ich diesen Roman nochmal viel intensiver, umfangreicher und um einiges Augen öffnender. Zwar konnte ich mir bereits vorstellen, wie einem Menschen durch so eine Tat plötzlich die Sicherheit geraubt wird, wie er*sie versucht sich zu schützen und in ein großes Loch stürzt, gar verschwinden möchte, doch gerade so Aussagen wie: "Du glaubst vielleicht, ich sei ein kaputter Mensch. Dass ich hier einfach rumliege und eine Vergewaltigte bin. Aber das bin ich nicht. Ich bin alles andere. Das Leben bleibt für Vergewaltigte nicht stehen." oder "Wenn du sagst, du bist vergewaltigt worden, dann bist du das in den Augen der anderen auch. Und wenn du es nicht sagst, dann stehst du ganz alleine da. Es ist eine Falle." enthalten so Gedanken, die viel größeres bedeuten (wollen). Für Liv ist es ein ständiger Kampf der Opferrolle zu entkommen, sich selbst wieder zu ermächtigen und sich als starke Frau sehen und fühlen zu können. Doch seit dieser Nacht fühlt sie sich wie ein Kind, das ständig eine Rolle spielen muss, unsicher durchs Leben geht und selbst an einfachen Situationen, wie einem Zahnarztbesuch fast scheitert. Und gerade diese ganzen Ausprägungen sind einem als Außenstehenden nie wirklich präsent. Ein Stück Wald, ein unbeleuchteter Tunnel, ein plötzlich auftauchender Duft, eine unbedachte Handlung eines anderen... alles kann das mühevoll zugeschüttete Loch wieder aufreißen und das beinahe tagtäglich, wenn nicht sogar noch viel häufiger.
Dieses Buch sensibilisiert und macht verständlich wie es ist mit einem Trauma leben zu müssen, für das eigene Leben zu kämpfen, während es für andere unbedeutend erscheint. Und ein*e jede*r sucht sich andere Ausflüchte, wird anders getroffen, muss sich anderen Dämonen stellen. Es ist ein wichtiges Buch um vielleicht auch toleranter und verständnisvoller mit und für Menschen zu werden. Sicherlich kein Allerheilmittel und dennoch macht dieser Roman was mit einem, ich glaube zumindest, ich habe zum ersten Mal ein (fremdes/anderes) Trauma so wirklich gefühlt und verstanden.

Bewertung vom 14.05.2023
Wunn, Andreas

Saubere Zeiten


ausgezeichnet

Auch wenn die Ausgangssituation eines sterbenden Verwandten und unausgesprochene Geheimnisse, die mit dem Verlust ans Tageslicht kommen nicht sonderlich neu ist, hat Wunn hier eine Geschichte erschaffen, die sehr intensiv daherkommt. Wunn beteuert zwar in seiner Anmerkung, dass diese Geschichte bis auf einzelne Fakten, die seinen Großvater und die Erfindung des Waschmittels betreffen, rein fiktiv ist und dennoch bleibt er seiner journalistischen Rolle treu, nimmt die Leser*innen mittels Jakobs Recherche, Tonbandaufnahmen und Tagebucheinträgen mit auf eine sehr nahbare Entdeckungsreise durch die Familiengeschichte der Aubers und erschafft damit den Eindruck, als könnte es wirklich seine eigene Spurensuche gewesen sein. Einzig die sehr detaillierten Ausschmückungen und Handlungen ließen mich anfangs nicht immer an das Nacherzählen dieser Aufnahmen glauben, aber ohne diesen Gedanken hat mich die Handlung wirklich gepackt. Es handelt sich bei "Saubere Zeiten" um einen großen, einnehmenden Roman über eine Familie, die in Zeiten des deutschen Wirtschaftswunders Aufstieg und Fall erlebt, 'Sprachlosigkeit vererbte', mit vielen Verlusten umgehen und so einiges ertragen musste. Für mich ein ganz besonderes Buch, ein Stück weit deutsche Historie und eine sehr mitreißende Vater-Sohn-Geschichte... Eine große Leseempfehlung!

Bewertung vom 17.04.2023
Schüttpelz, Esther

Ohne mich


gut

Ich kann mich noch genau an meine Zeit nach dem Studium erinnern, gefangen in so einem Gefühl zwischen Euphorie, dem großen Drang endlich etwas bewegen zu können, dem Abschied von Schul- und Studienfreunden und der verzweifelten Suche nach sich selbst und seinen Wünschen und dem Korrigieren von früheren Entscheidungen. Und irgendwie hat Esther Schüttpelz es geschafft genau diese Ungewissheit und den Aufbruch bzw. das Befreien von naiven, fast schon jugendlichen, unüberlegten Impulsen und Gedanken einzufangen. Es ist keine Geschichte, die plotgetrieben auf ein großes Ahhh-Erlebnis zusteuert, für mich ist es mehr so ein Zustandsroman. Eine Suche nach dem Ziel, dem Weg und irgendwie auch dem eigenen Platz in der Gesellschaft. Es ist eine beispielhafte Auseinandersetzung mit dem anfänglichen, eigenständigen Leben und den vorherrschenden Themen des frühen Erwachsenenalters. Was fange ich mit mir an? Wo will ich hin? Ist das alles wirklich so richtig? Und da glaube ich, dass dieser Roman sehr von Esther Schüttpelzs eigenen Gedanken und Erlebnissen geprägt wurde. Die Parallelen im Lebenslauf könnten zumindest auf dies hindeuten.
Und auch wenn ich das schon wieder sehr faszinierend finde, fehlten mir im Roman selbst manchmal so ein bisschen Nähe und Tiefe. Ich konnte die Protagonistin nicht immer greifen bzw. hatte häufig das Gefühl, dass auch sie eher ein austauschbarer Charakter ist... was einerseits natürlich diese Allgemeingültigkeit zusätzlich verstärkt, aber leider auch so ein bisschen Distanz und Kühle aufbaut, wenn nicht sogar Begeisterung für das Gelesene raubt.

Bewertung vom 17.04.2023
Chan, Jessamine

Institut für gute Mütter


sehr gut

Ich hätte niemals gedacht, dass mich ein Buch so faszinieren und mir gleichzeitig so unangenehm sein könnte. Die Beschuldigungen, die Einmischung und konsequente Überwachung durch die KSB und den Staat, sowie die strikte Einordnung von Gefühlen, Handlungen und Empathie nach Lehrschlüssel haben mich fertig gemacht. Der Begriff Mutterschaft bekommt eine extreme, enge Schablone über beinahe alles gestülpt und jede einzelne Handlung wird beurteilt... doch was genau macht eine gute Mutter aus? Was ist falsch daran, wenn man einem Kind zu viel Aufmerksamkeit und Nähe schenkt oder auch mal, kurze, verzweifelte Momente hat? Und das in dieser extremen Kombination mit dieser utopischen Vorstellung, die irgendwie den Blick für alles menschliche verloren hat, sofern es nicht mit "Lernschlüssel" konform ist, ist sehr erschütternd und aufwühlend. Am Verlauf könnte man nun etwas mäkeln, denn bereits die zweite Hälfte lockt zwar mit einigen Herausforderungen, aber sobald das Setting genaustens erklärt wurde, allen Müttern eine Puppe zugeordnet wurde und alle Beteiligten sich in ihren Rollen einfinden, plätschert es irgendwie so vor sich hin. Und das Ende ist dann nur noch eine logische Konsequenz. Dennoch löst dieses Buch beim Lesen so einiges aus, lässt über menschliches Zusammenspiel, Elternschaft und Freundschaft nachdenken, eigene Wege und Erklärungen finden...

Bewertung vom 17.04.2023
Birnbacher, Birgit

Wovon wir leben


weniger gut

Ich hätte diesen Roman irgendwie gerne gemocht, so finde ich die Auseinandersetzung mit dem Leben und andere Ansichten doch immer sehr faszinierend, allerdings war mir die Aneinanderreihung von 'Zufällen' einfach zu viel. Auch, dass beinahe alle Protagonisten dieses Romans mit ihrer Gesundheit hadern und kämpfen, von Julia mit ihren Asthmaanfällen, ihrem Vater, der sich selbst schon als tickende, kranke Zeitbombe betrachtet, bis Oskar, der natürlich einen Herzinfarkt erlitt und sich in dem Ort erholen muss. Dass Julia und Oskar dann näher zusammenfinden und was dann noch so passiert... ach, warum? Das hat mir persönlich die ganze Geschichte ins Absurde driften lassen und ich war immer weniger gewollt ihrem weiteren Werdegang zu folgen. Da konnten dann auch die verschiedenen Lebenswege, Ansichten und Erwartungen vom Leben, die hier aufeinanderprallen, mich nicht mehr wirklich begeistern. Wer sich nun nicht an solch fragwürdigen Zufällen stört und gerne leichtere Geschichten mit tiefgründigen Gedanken liest, wird an diesem Buch sicherlich Gefallen finden, meins war es einfach nicht.

Bewertung vom 07.03.2023
Stuart, Douglas

Young Mungo


gut

Wenn Douglas Stuart etwas kann, dann sehr bewegend von schiefen Familienbahnen, vorhandenen Spannungen und Zwiespälten zu erzählen. Eher zufällig lernt in diesem Fall Mungo James kennen, den Jungen, bei dem er so sein kann, wie er wirklich ist - ohne jemanden zu enttäuschen, ohne von seinen Geschwistern aufgezogen oder zu etwas aufgefordert zu werden und lernt dabei seine Sexualität und sehr viel mehr über sich selbst kennen. Die Umstände sind schwierig, seine Familie erwartet von ihm ein durchsetzungsfähiger, ganzer Mann zu werden, einer, der mit seinem Bruder Hamish in die Bandenkriege zieht, für sich und seine Familie einsteht und Härte zeigen kann. Das Bild des homosexuellen Jungen, der den kleinen Taubenzüchter von gegenüber liebt, passt da so gar nicht. Sehr einfühlsam und nahbar erzählt Stuart von eben dieser 'Entdeckungsreise', diesen Gegensätzen und später auch von der Angst, sowie seinem kraftvollem eigenen Weg, der ihm viel sehr mehr abverlangt als Hamish und Mungos restliche Familie sich überhaupt vorstellen können. Und auch, wenn es für mich nicht an Douglas' Debüt "Shuggie Bain" heranreicht und die Ausgangssituation leider fast genau identisch ist, so ist es doch ein sehr beeindruckendes Buch über die Findungsphase eines Jungen, sowie die Diskrepanzen und Erwartungen der Gesellschaft, der Familie und von einem Selbst im Vergleich zum allgemeinen Weltbild, in das man hineingewachsen ist.

Bewertung vom 06.03.2023
Hauff, Kristina

In blaukalter Tiefe


weniger gut

Puh, so viel Unausgesprochenes, Versuche den anderen eifersüchtig zu machen, Übergriffe... ich glaube, ich bin für solche Romane einfach nicht gemacht. Ich habe mich auch lange gefragt, ob ich dieses Buch ohne das erste Kapitel vielleicht schöner gefunden hätte oder nicht, denn bereits nach den ersten fünf Seiten hatte ich das Gefühl, den weiteren Verlauf und den Ausgang des Buches bereits zu kennen und so war es dann tatsächlich auch. Das machte es mir neben den immer unsympathischer werdenden Protagonist*innen mit ihren fragwürdigen, unausgesprochenen Problemen immer schwieriger an diesem Buch überhaupt noch Gefallen zu finden. Abwechselnd berichten sie von ihren Ansichten, den Geschehnissen an Bord und ihren Zwischenaufenthalten an Land. Und was irgendwie als eine Art Pärchen-Segelausflugs- und Beziehungs-Rettungsaktions-Geschichte startete wurde für mich mehr und mehr zu einer schlechten Soap voller künstlicher Dramatik, Abhängigkeiten und natürlich auch neu aufflammender Liebe. Kristina Hauff alias Susanne Kliem hat mit "In blaukalter Tiefe" einen Roman geschrieben, in dem sie sehr viele Themen und Probleme, die in Partnerschaften auftauchen, gemeinsam mit fünf grundsätzlich verschiedenen Charakteren auf den begrenzten Raum eines Bootes packt und dieses 'Sozialexperiment' mit einem auf die Spitze getriebenen Spannungsroman kombiniert... als Unterhaltung ist dies sicherlich lesenswert - etwas übertrieben, mit einem steten flauen Gefühl im Magen und sehr viel Pärchendynamik, aber sobald man mehr erwartet, würde ich dann doch eher zu einem anderen Buch raten.

Bewertung vom 28.02.2023
Schmitt, Caroline

Liebewesen


gut

Puh, dieser Roman hat es in sich und das in so ganz unterschiedliche Richtungen. Wäre dieses Buch nicht so dünn gewesen, hätte ich es bereits in der Mitte des ersten Teils abgebrochen, denn Caroline Schmitt legt mit ihrem jungen Roman ein Tempo vor, das es mir wahrlich schwer gemacht hat. So springt sie mit ihren Charakteren ständig von einem Thema zum anderen, ohne wirklich auf etwas einzugehen. Man findet sich irgendwo zwischen Tinder, rasantem Kennenlernen, komischen Dates, Sinnkrisen, Depression, Problemen mit dem eigenen Körper, schwierigen Familienverhältnisse, Sex, Vergewaltigung, Schwangerschaft, Blumenbeeten, Beerdigungen... die Liste ist wirklich lang und gefühlt ploppt mit jedem 3-zeiligen Dialog, der nicht nur aus einzelnen Worten besteht, mindestens ein weiteres Thema auf und bleibt einfach so im Raum stehen. Man muss nicht alles ausführlich erklären, aber zwischen all dem Witz, dem fast schon etwas flapsigen Grundton und der ungewöhnlichen Annäherung zwischen Lio und Max, fühlt man sich als Leser*in zwar irgendwie unterhalten, aber man schrubbelt eben nur an der Oberfläche entlang ohne eine wirkliche Bindung aufzubauen. Aber dann kam der zweite Teil, der zwei Jahre später spielt und doch etwas fokussierter und intensiver, vielleicht sogar etwas ausführlicher ist. Die ungeplante Schwangerschaft, der Abbruch und die kriselnde Beziehung dominieren diese Hälfte, man kann Lios Zweifel und Probleme endlich verstehen, mit ihr mitfühlen und findet sich zeitgleich gedanklich in eigenen Beziehungsproblemen und -geschichten wieder.
Und das fand ich wirklich toll! Im Nachgang verblasst vieles zwar recht schnell wieder, aber "Liebewesen" hat bei mir für den Moment Eindruck hinterlassen. Dieses Buch und meine Lesezeit kann man vielleicht am besten mit einer Achterbahnfahrt beschreiben... zunächst die etwas holprigere, anstrengende Ansteigung, das Fahrt aufnehmen, etwas links und recht anditschen und hin und her geschleudert werden, bevor man rasant dem Abgrund entgegenfährt, nach kurzer Überforderung, Euphorie und einem "Oh, Gott, bloß nie wieder", bleibt nach der Fahrt die Begeisterung und Aufregung noch kurz hängen, aber dann stürzt man sich in ein neues Abenteuer und die Erinnerung verblasst.