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Andy
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Frankfurt am Main

Bewertungen

Insgesamt 46 Bewertungen
Bewertung vom 02.04.2024
Catton, Eleanor

Der Wald


ausgezeichnet

Ungewöhnlich, spannend und ohne klare Antworten

Auch nachdem ich nun mit „der Wald“ durch bin, kann ich das Buch immer noch nicht gut einordnen und das gefällt mir. Auf dem Titel heißt das Ganze „Roman“, aber die Romanform wird schon arg strapaziert. Mit ein bisschen gutem Willen hätte man es auch einen Thriller nennen können. Am Ende ist es wohl ein Roman-Thriller-Genremix, der sich um die jeweiligen Grenzen nicht viel schert.
Bei „der Wald“ steht die Geschichte ganz klar im Mittelpunkt. Es gibt einen Bösewicht, der recht früh enthüllt wird, und eine Gruppe junger idealistischer Menschen, die in seinem Umfeld agiert. An Hand dieser Interaktionen schaukeln sich die Geschehnisse immer mehr nach oben, bis es am Ende ganz Thriller-Like zum Grand Finale kommt.
Und trotz der rasanten Geschichte wird den einzelnen Charakteren viel Platz eingeräumt. Mira, Shelley, Tony & Co. dürfen sich entwickeln und ausbreiten und in diesem Zusammenhang orientiert sich Eleanor Cattons Werk eher an den großen amerikanischen Romanen à la Wellness von Nathan Hill.
Insgesamt kommt das Buch so mit einem spannenden Plot und interessanten Charakteren daher. Im Verlauf der Geschichte werden so viele Fragen aufgeworfen und gerade in der jetzigen, diskussionsbeladenen Zeit, werden die Spannungen am Ende nicht aufgelöst. Und ich mag es, dass ich immer noch nicht genau weiß, was ich von dem Ende der Geschichte halten soll. Es macht das Buch in jedem Fall interessanter. Eine schöne Lektüre war es sowieso. Von mir wird es, trotz der ein oder anderen Länge, empfohlen.

Bewertung vom 28.03.2024
Berg, Sibylle

Mein ziemlich seltsamer Freund Walter


sehr gut

Jeder braucht manchmal einen Freund

WOW. Direkt das Cover von „Mein ziemlich seltsamer Freund Walter“ einer Co-Produktion von Sibylle Berg und Julius Thesing springt ins Auge und spricht mich an. Berg verfolge ich schon länger und so lese ich dieses Buch gerne mit meiner 10jährigen Tochter und versuche ihr Feedback hier mit einfließen zu lassen.
Das Buch hat definitiv seine traurigen Seiten, die bei meiner Tochter ins Mark treffen. Sie kann sich mit der Einsamkeit von Lisa identifizieren und Lisas Probleme und Themen sind nachvollziehbar. Wir mögen auch beide Walter. Walter ist anders und besonders. Walter steht für einen externen Impuls, den Lisa und ihre Eltern benötigen, um die Kurve zu bekommen. Walter steht für die Hoffnung im Leben, die manchmal anklopfen muss. Walter ist toll.
Und so vermittelt das Buch einerseits Hoffnung, dass traurige Lebensphasen und Situationen überwindbar sind. Und andererseits bringt es uns zum gickern und lachen. Der Humor sitzt und als meine Tochter „Arschlöcher“ vorliest und etwas errötet, da finde ich das gut. Der Ton sitzt insofern, als dass traurig eben traurig bleibt, aber Hoffnung in die eigene Kraft und die Möglichkeiten kleiner Änderungen eine umso größere Wirkung haben. Einzige ernsthafte Beschwerde: es ist ja nun wirklich zu kurz. Dagegen konnte ich nichts einwenden.

Bewertung vom 25.03.2024
Sack, Adriano

Noto


sehr gut

Trauer auf Sizilien

Adriano Sacks Roman Noto ist ein Beispiel dafür, wie ein Roman auf unterschiedlichen Ebenen überzeugen kann. Einerseits überzeugt Sack mit seinen Darstellungen von Sizilien, unterschiedlichen Städten dort und macht mir Lust, selbst die Insel zu bereisen und zu entdecken. Dabei schafft Sack es wunderbar die Gegensätze zwischen konservativen sizilianischen Einflüssen und modernen Gentrifizierungstendenzen darzustellen und diese Spannung lebhaft darzustellen. Sizilien wirkt in seiner Darstellung wie eine Insel, die einige Konflikte lösen muss.
Andererseits hat Sacks Roman unterschiedliche soziale Ebenen. Dort ist Konrads Umgang mit seiner Trauer um seinen Lebensgefährten und seine Suche nach einer weiteren Lebensperspektive. Dort ist allerdings auch die Hinterfragung des klassischen Familienbilds in mehreren Konstellation auch mit der Darstellung der weiblichen Teilnahme am Erwerbsleben und der Bindung an die eigenen Kinder. Sack wirft hier wichtige Fragen auf und bringt seine eigene Perspektive auf die Themen ein.
Der Roman ist dabei nicht perfekt. Einerseits hat er Längen. Andererseits ist er mit Details an manchen Stellen überladen, und diese wirken nicht immer zielführend. Dies stört das Lesevergnügen dennoch nicht nachhaltig. Und auch über das Ende könnte man sich beschweren. Dabei findet Sack einen Abschluss, ohne diesem eine zu große Bedeutung zuzumessen. Insgesamt ist so ein Roman gelungen, der vor großen Gefühlen nicht zurückschreckt und zudem nach Sizilien einlädt und den ich insgesamt gerne gelesen habe.

Bewertung vom 20.03.2024
Prokopetz, Felicitas

Wir sitzen im Dickicht und weinen


ausgezeichnet

Von einer Frau zur anderen

Das Cover von Felicitas Prokopetz‘ Roman „Wir sitzen im Dickicht und weinen“ erschließt nicht auf den ersten Blick, genauso wenig, wie sich das Buch einem direkt öffnet. Prokopetz erzählt eine Familiengeschichte über mehrere Generationen, in deren Hauptfokus die Beziehung zwischen Valerie und ihrer Mutter steht. Auch die vorhergegangenen Generationen werden allerdings nicht ausgespart. Naja, vielleicht auch doch. Prokopetz Roman ist rein stilistisch das absolute Gegenstück zur klassischen Familiensaga à la Thomas Manns Buddenbrooks. Die Geschichte wird nicht linear erzählt, sondern springt immer wieder zwischen den Generationen, aber nur für kurze Abschnitte.

Dies fordert zumindest mich als Leser. Man lernt die Charaktere in den kurzen Abschnitten nur bedingt gut kennen. Durch sie Sprünge, muss man sich immer wieder orientieren, wo man gerade ist. Irgendwann hat man zumindest direkt eine Vermutung, wo man gerade wieder gelandet ist, aber einen Stammbaum als Orientierungshilfe hätte ich schon genommen.

Zwischen all dem sollte nicht verloren gehen, worum es in dem Buch meiner Meinung nach im Kern geht. Im Fokus des Buchs stehen die Traumata, die durch familiäre Beziehungen entstehen und der Umgang mit denselben. Über die Geschichte des Buchs stellt der Roman relevanten Fragen an den Leser: Kann man seinen Eltern diese Traumata überhaupt vorwerfen, wenn man selbst davon ausgehen kann, dass diese von der Vorgängergeneration stammen? Wie verhält man sich im Angesicht des Todes? Das Buch ist in diesem Zusammenhang äußerst gesellschaftlich relevant und auch so interessant, dass man die Stilistik gerne in Kauf nimmt. Will sagen: ich habe es gerne gelesen und es beschäftigt mich noch immer.

Bewertung vom 04.03.2024
Bohlmann, Sabine

Wer ist schon normal? / Willkommen bei den Grauses Bd.1


ausgezeichnet

Ich habe meiner Tochter das Buch bestellt, weil sie von Sabine Bohlmann auch schon andere Bücher gelesen und gemocht hat. Auch dieses Buch hat ihr wieder gut gefallen. Dies liegt daran, dass es sehr lustig und spannend war.
Im Buch geht es um Familie Grause, die keine Familie im eigentlichen Sinne ist. Es handelt sich derweil um eine verrückte Mischung unterschiedlicher Charaktere, die alle besondere Eigenarten haben. Ohne zu viel zu verraten: diese Eigenarten führen zu lustigen Situationen. Dazu muss sich die Gemeinschaft der Grauses beweisen und sie müssen zusammen halten, obwohl sie sehr unterschiedlich sind. Dabei fiebert die Leserin mit, ob die Grauses es denn gemeinsam schaffen oder nicht. Alle Charaktere waren für meine Tochter interessant, wobei gerade auch hervorzuheben ist, dass ihr die Geister ein Lächeln auf die Lippen gezaubert haben, als sie daran dachte, dass diese die Luft anhalten müssen. Auch hervorzuheben ist eine Szene, in der diese besonderen Charaktere, die man auch als Monster bezeichnen könnte, sich gegenüber einem normalen Menschen erklären mussten. Meine Tochter lacht immer noch, wenn sie beschreibt, wie dieser Mensch schreiend wegrannte.
Nachdem es anfänglich gedauert hat, bis die Action losging, war es nachher ein Lesevergnügen, das leider zu schnell wieder zu Ende war.

Bewertung vom 22.02.2024
Dost, Sehnaz

ruh


gut

In der Ruhe liegt keine Kraft

ruh ist ein komplexer Roman. Er handelt in der Hauptsache von Cemal und seiner Geschichte, aber in der Nebensache viel von Cemals familiären Verflechtungen und Freunden. Es geht um die Suche nach Identität, auch zwischen Orten und Kulturen, aber vor allem aus einer sehr persönlichen, verzweifelten Perspektive heraus. Es geht dabei auch um Einsamkeit und verstanden werden. Oder eben nicht verstanden werden.
ruh bietet dabei tiefe Einblicke, wie sich familiäre Traumata über Generationen fortsetzen und auch einen interessanten Blickwinkel darauf, wie man diesen entfliehen und sich selbst vielleicht finden kann. Dabei vereinfacht der Roman nicht, sondern fordert den Leser auf, die Komplexität selbst zu entwirren.
Mich hat in dem Buch die Komplexität erschlagen. Ich habe bis zum Ende den Überblick nicht gefunden und war verwirrt, auch auf Grund vieler unterschiedlicher Punkte. Einerseits springt das Buch in den Zeitebenen. Andererseits fließen die Perspektiven vieler Personen ein. Dazu kommt eine mystische / religiöse Ebene, über die ich noch ein wenig grübeln werde. Geholfen hat sie mir ad hoc nicht.
Und so fehlt diesem hoffnungsvollen Roman-Debüt eine Prise Auflösung zumindest aus meiner Sicht. Es kann auch sein, dass ich das Buch nicht oder nur teilweise verstanden habe, was an mir liegen mag. Mich hat es schlussendlich nicht vollends überzeugt.

Bewertung vom 09.02.2024
Seck, Yandé

Weiße Wolken


ausgezeichnet

Die Farben des Covers sind wunderschön, die Geschichte spielt in Frankfurt und ist aktueller denn je. Ich mag Familiengeschichten und war zumindest positiv gestimmt, dass mir Yandé Secks Debüt gefallen würde. Diese Hoffnungen wurden nicht nur erfüllt, ich wurde sogar äußerst positiv überrascht und habe mit dem Buch einen Schatz gefunden. Yandé Seck erzählt die Familiengeschichte rund um Dieo, Simon, Zazie und ihr Rudel drumherum auf eine Art und Weise, die mich tief berührt hat. Einerseits behandelt sie die großen Themen, u.a. Kinderwunsch, Beziehungen mit Eltern und Freunden und Trauer. Andererseits sind ihre Charaktere menschlich so greifbar. Mir kommt direkt ein Moment in den Sinn, in dem Simon im Buch einfällt, an was seine Frau gedacht hätte, er aber in diesem Moment nicht. Vielen von uns ist vielleicht gar nicht bewusst, wie viele unterschiedliche Aspekte unsere Persönlichkeiten haben. Seck schafft es wunderbar, diese Persönlichkeitsaspekte bei ihren Charakteren herauszuarbeiten, sie nahbar zu machen und dem Leser damit einen Spielplatz zur Reflektion auf die eigene Persönlichkeit zu eröffnen. Ein wunderschönes literarisches Werk, das ich gerne weiterempfehle.

Bewertung vom 05.02.2024
Tyson, Neil deGrasse

Im Spiegel des Kosmos


gut

Perspektiven auf einen Kontinent

Neil deGrasse Tysons Buch nennt sich zwar „Im Spiegel des Kosmos“ und fügt im Untertitel sogar dazu „Perspektiven auf die Menschheit“, derweil Titel und das schöne, glitzernde Cover nicht passen. Derweil in diesem Buch interessante Informationen und Perspektiven enthalten sind, sind es meist keine Perspektiven auf die Menschheit sondern auf die nordamerikanische Gesellschaft. Es geht um amerikanische Jury-Bestellungen und den Rassismus der amerikanischen Gesellschaft als auch die Historie der Sklaverei. Die Perspektiven auf die amerikanische Gesellschaften – so gut ausgeführt sie auch sind – überlagen die globalen Themen. Was dieses Buch dazu eher mittelmäßig erscheinen lässt: die Thesen und Perspektiven sind nicht besonders originell. So bleibt dieses Buch bei mir nicht lange im Gedächtnis und wird eines von vielen Sachbüchern sein, aus dem ich trotzdem das ein oder andere Nugget mitnehmen konnte.

Bewertung vom 27.01.2024
Hill, Nathan

Wellness


ausgezeichnet

Erkenntnisse über tiefe Einblicke
„Wellness“ ist ein umfassendes Buch, ein großer Roman im besten Sinne. Jacks und Elizabeths Leben liegen am Ende vor dem Leser, der alle möglichen Eindrücke bekommen hat und selbst von diesen beeindruckt ist. Nathan Hill liefert mit „Wellness“ ein Werk ab, dass aus vielen unterschiedlichen Perspektiven auf die Leben seiner Protagonisten blickt und auf diesem Wege den Leser mit auf die Reise der Protagonisten nimmt. Und diese Reise ist spannend. Wie Zwiebelscheiben entblättern sich die Leben vor einem und enthüllen immer wieder eine neue Schicht. Und wie bei einer Blume, die sich langsam öffnet, ist das Farbenspiel der Eindrücke, welches sich vor einem eröffnet, bunt und eindrucksvoll. Ich bin immer noch geflasht. Es ist Januar und ich zweifle, ob ich im weiteren Jahresverlauf ein weiteres Buch finde, dass mich so beindrucken, berühren und erstmal konsterniert zurücklassen wird. Alles in allem eine überaus lohnens- und empfehlenswerte Lektüre.

Bewertung vom 01.01.2024
Raether, Till

Hab ich noch Hoffnung, oder muss ich mir welche machen?


gut

Handeln für Hoffnung

Till Raethers Gefühlslage springt mich direkt an. Ich kann sie einfach so gut nachvollziehen. Und so lese ich seine Gedanken interessiert und nicke ganz viel. Dennoch springt das Buch zu kurz. Ja, es ist wohl formuliert, mit interessanten Geschichten angereichert und Raethers Einblicke in sein Leben lassen eine Verbindung entstehen. Am Ende wird allerdings eine entscheidende Frage nicht beantwortet: Was tun? Raether macht klar, dass jede(r) von uns individuell trotz der Aussichtslosigkeit der Situation handeln sollte. Und handeln führt zu Hoffnung. Aber wie? Was sind die besten Möglichkeiten etwas zu tun? Ich hätte mir dann in einem zweiten Buchteil etwas in der Art von Ilja Trojanows „Meine Olympiade“ gewünscht. Raether hätte unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten testen und beurteilen können. So bleibt das Buch die Antwort auf die wichtigste aller Fragen leider schuldig und erfüllt meine persönlichen Erwartungen nur zum Teil. Schade.