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Anne
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Berlin

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Insgesamt 44 Bewertungen
Bewertung vom 02.01.2021
Doyle, Glennon

Ungezähmt


sehr gut

Wie Glennon Doyle ihren persönlichen Weg von der Selbstverleugnung zur Selbstverwirklichung gefunden hat, beschreibt sie in "Ungezähmt". Der Moment, der alles verändert, ist die erste Begegnung mit ihrer zukünftigen Frau Abby, zu der sie sich auf den ersten Blick hingezogen fühlt. Zu dem Zeitpunkt lebte die Autorin noch ein eher traditionelles Leben mit ihrem (fremdgehenden) Ehemann und den drei Kindern.

Das Narrativ ist daher nicht wirklich neu: Eine große Liebe sorgt dafür, dass sich die Autorin selbst findet, ihr Leben hinterfragt und erkennt, dass sie sich von den Meinungen anderer zu sehr beeinflussen lässt.

"Selbstlose Frauen ermöglichen, zwar eine effiziente Gesellschaft, aber keine, die schön ist, wahrhaftig oder gerecht." (S.87)

"Ungezähmt" lässt sich wunderbar leicht lesen, denn Glennon Doyle pflegt einen humorvollen Schreibstil, der von Metaphern geprägt ist, die vor allem ihre Gefühle greifbar machen. Die große Stärke der Autorin ist ihr Erzähltalent, das mitreißt und begeistert. Ihre Botschaften und Erkenntnisse verpackt Glennon Doyle in kurze Geschichten. Sie erzählt von persönlichen Erlebnissen, die verdeutlichen, wie sie zu der jeweiligen Erkenntnis oder Meinung gekommen ist. Oft verpackt sie ihre Weisheiten auch in Dialoge, sodass sie die Leser:innen nicht direkt anspricht und belehrt. So ein Gespräch liest sich auf jeden Fall lockerer und weniger aufdringlich, als wenn sie dieselbe Botschaft einfach nur im Fließtext mit direkter Ansprache untergebracht hätte.

Dadurch schafft es die Autorin ziemlich geschickt, dass ihr Buch nicht zu sehr nach Selbsthilfe-Ratgeber klingt. Als Leser:in kann man Episoden, mit denen man weniger zustimmt, leichter als Geschichten und weniger als Belehrung lesen. Dem pathetischen Tonfall typisch amerikanischer "selfhelp books" entkommt sie aber nicht ganz, immer mal wieder springen einem esoterisch-übertriebene Ratgeber-Formulierungen entgegen.

Glennon Doyle behandelt große Themen wie Feminismus, Rassismus, Glauben, Erziehung und Selbstbild aus ihrer persönlichen Perspektive. Religion nimmt dabei einen ziemlich großen Teil ein, schließlich ist sie gläubige Christin. Das war mir streckenweise zu viel. In anderen Passagen habe ich mich jedoch wiedergefunden, habe Probleme wiedererkannt und musste das ein oder andere Mal schlucken. Durch die große Bandbreite der Themen denke ich, dass fast jede Frau sich und ihre Zweifel, Probleme, Ängste in dem Buch wiederfindet. Die große Themenmenge und die kurzen Kapitel sorgen allerdings dafür, dass vieles an der Oberfläche bleibt. Man sollte das Buch also eher als Denkanstoß und nicht als allumfassende Ausführung betrachten.

Problematisch finde ich ihre Aussage , dass sie Menschen ohne Ängste und Depressionen "nicht besonders interessant" findet (S.296). Dieses Romantisieren psychischer Krankheiten muss endlich aufhören. Leiden ist nicht schön oder interessant, es schränkt viele Menschen unfassbar ein.

Bisschen merkwürdig auch, dass sie in einem Kapitel etwas melodramatisch erzählt, dass sie außer ihrer Schwester keine Freund:innen hat (und sie das als Introvertierte nicht problematisch findet), und in späteren Kapiteln dann z.B. von einem Anruf ihrer Freundin Martha berichtet. Leser:innen sollten nicht alles wortwörtlich nehmen.

Wer Denkanstöße für das eigene Leben sucht, aber nicht erwartet, alle Antworten zwischen zwei Buchdeckeln zu finden, sollte "Ungezähmt" definitiv lesen.

Bewertung vom 02.11.2020
Trinkwalder, Sina

Heimat muss man selber machen


ausgezeichnet

Ich kannte Sina Trinkwalder oder ihr Unternehmen vor diesem Buch nicht, habe auch keines ihrer anderen Werke gelesen. "Heimat muss man selber machen" hat mich spontan angesprochen, weil es um das Thema soziales, nachhaltiges Unternehmertum, aber auch globaler um Zugehörigkeit in unserer Gesellschaft geht.

Ziemlich am Anfang erklärt die Autorin direkt, warum sie Heimat und Herkunft nicht gleichsetzt und warum Heimat nicht un bedingt ein Ort sein muss. Ihre Erfahrungen mit und ihr Verständnis von Heimat erklären viel über sie als Person. Aus ihrer - sehr interessanten - Perspektive ist Heimat etwas, das sich jede:r selbst schafft, das man selbst wählen und gestalten kann.

Das bedeutet eben auch, dass sich Heimat im Laufe des Lebens verändern kann. Sina Trinkwalder schildert, wie eine kurze Begegnung mit einem Obdachlosen ihr Weltbild ändert. Nachdem sie ein Jahrzehnt lang ihre eigene Werbeagentur geleitet hat, baut sie nun ein soziales Unternehmen auf, das Menschen, die auf dem sogenannten ersten Arbeitsmarkt aus den verschiedensten Gründen keine Chance mehr haben, einstellt und fördert. Dieses Unternehmen wird ihre Heimat.

Dass das keine Geste des Mitleids ist, sondern dass diese Menschen engagiert und hart arbeiten, wird schnell klar. Die Autorin berichtet anhand vieler persönlicher, nachvollziehbar erzählter Beispiele, welche Vorurteile ihr bei diesem Neustart begegnet sind, welche Hürden und Shitstorms sie meistern musste und was sie auf diesem neuen Karriereweg gelernt hat.

Immer wieder finden sich interessante und/oder anregende Gedanken in dem Buch, z.B. dazu, wie viele Menschen andere kritisieren und herabwürdigen (etwa Grünen-Politiker, die mit dem Flugzeug fliegen), um selbst nichts an ihrem Lebensstil ändern zu müssen - statt zu erkennen, dass niemand perfekt ist und dass jede:r etwas tun kann, um unsere Welt zu verbessern. Ein kleiner Schritt in die richtige Richtung ist besser als keiner.

Da das Buch geprägt ist von eigenen Erfahrungen, liest es sich teilweise schon sehr nach PR für Frau Trinkwalders Unternehmen und auch für sie selbst. Das lässt sich bei dieser Art der autobiografischen Überlegungen vermutlich nicht vermeiden. "Tue Gutes und rede darüber" ist ja nicht ohne Grund einer der beliebtesten PR-Grundsätze.

Bewertung vom 10.08.2020
Beck, Zoë

Paradise City


ausgezeichnet

Zoë Beck erzählt beinahe filmisch – die Geschichte fließt so leicht, dass man unversehens hineingezogen wird. Der Thriller baut geschickt Spannung auf, ohne blutrünstig zu sein. Zu Beginn steigt der Spannungsbogen subtil an, als die Rechercheurin Liina, die undercover für eine der letzten nicht-staatlichen Nachrichtenagenturen arbeitet, für eine scheinbar sinnlose Recherche in die Uckermark geschickt wird. Natürlich hängt am Ende alles zusammen – der Recherchetrip, Liinas Erinnerungen an ihre Jugend, der dramatische Fall, an dem ihr Chef und Liebhaber dran ist. Die Autorin verwebt die einzelnen Handlungsstränge geschickt zu einem komplexen Bild einer erschreckenden Zukunft.

Dafür hat sie eine dystopische Welt erschaffen, die den perfekten Background für diesen Thriller abgibt. Nach mehreren Pandemien (ja, irgendwie hat man schnell das Gefühl, dass die Handlung nicht komplett unrealistisch ist...) ist FFM zur 10-Millionen-Metropole und deutschen Hauptstadt angewachsen. Der Meeresspiegel steigt. Außerhalb der großen Städte, im Hinterland, leben die "Parallelen": Menschen mit Depressionen oder Behinderungen zum Beispiel – alle, die nicht in eine scheinbar perfekte Gesellschaft passen. Wer bestimmt, wer gut genug für das Stadtleben ist? Es ist ein grusliges Szenario, dessen ganzer Schrecken sich erst nach und nach offenbart.

Die modernen Errungenschaften der Zukunft, die das Leben verbessern sollen, scheinen den Menschen zunächst hauptsächlich Vorteile zu bringen (Schließlich ist nichts perfekt, stimmt's?), aber mit der Zeit zeigt sich, wie gefährlich und grausam Technik gegen den Menschen verwendet werden kann. Das krasseste Beispiel ist hier das Gesundheitssystem KOS, das die Menschen kontrolliert, bei Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes sofort Tipps gibt (Ruhepause einlegen) oder an die Einnahme von Medikamenten erinnert. Doch es hat nicht nur Vorteile. Es überwacht die Menschen komplett. Wie anfällig das System für Manipulation ist, kann man sich zwar denken, es wirkt jedoch extrem erschreckend, wie sich diese Gefahr in der Geschichte entfaltet.

Die Charaktere sind sehr unterschiedlich und ergänzen sich dadurch sehr gut. Allen voran hat mich die Protagonistin Liina fasziniert, die gerne vor ihren Problemen wegläuft und schon mal das Land verlässt, aber für die (wenigen) Menschen, die ihr wichtig sind, kein Risiko scheut.

"Paradies City" ist ein mitreißender und erschreckender Thriller.

Bewertung vom 18.05.2020
Burns, Anna

Milchmann


sehr gut

„Milchmann“ ist ein anregendes und aufregendes Werk! Man spürt beim Lesen förmlich die Gedanken im Kopf der 18-jährigen Ich-Erzählerin hin- und herspringen, fühlt ihre Ängste, Zweifel, ihre Zerrissenheit und ihre Sorgen. Das erreicht Anna Burns durch den Gedankenstrom und ihre fast atemlose Erzählweise, bei der ein Gedanke wie selbstverständlich in den anderen übergeht – so als würden wir wirklich den ungefiltert festgehaltenen Gedanken der Protagonistin folgen.
Eine weitere Besonderheit: Keine der handelnden Personen wird bei ihrem Namen genannt. Alle werden nur mit ihrem Job bzw. ihrem Familienverhältnis zur Protagonistin bezeichnet. Das ist am Anfang etwas verwirrend, z.B. bei den drei Schwagern, entpuppt sich jedoch als eindrucksvolles Stilmittel. Dadurch macht die Autorin auf clevere Weise deutlich, wie starr die Rollenverteilung gerade in dieser ländlichen, nordirischen Gegend ist, wie die Menschen nur durch ihre Arbeit und ihre Rolle in der Familie charakterisiert werden, wie diese Rollen die Erwartungen formen, wie daraus Gerüchte entstehen und wie die Menschen dadurch in ihren Rollen gefangen sind. Das Ergebnis ist ein herausragendes Buch, das streckenweise herausfordernd zu lesen ist, bei dem es sich aber lohnt durchzuhalten.

Bewertung vom 23.04.2020
Schreiber, Jasmin

Marianengraben


ausgezeichnet

In einer ausdrucksstarken, bildreichen Sprache erzählt Jasmin Schreiber die Geschichte von Paula, deren Leben zwei Jahre nach dem tragischen Unfalltod ihres Bruders immer noch stillsteht. Durch eine verrückte Zufallsbegegnung nachts auf dem Friedhof trifft sie den kauzigen Herbert und unternimmt schließlich mit ihm und diversen Haustieren einen Roadtrip, bei dem sie sich ihren Gefühlen stellen muss.
Das Buch zeichnet sich durch seinen sensiblen Umgang mit Depressionen, Trauer und Schuld aus, ohne dabei selbstmitleidig-kitschig zu werden. Neben den traurigen, bewegenden Szenen gibt es immer wieder skurrile Schmunzelmomente, sodass die Geschichte eine wirkliche Achterbahn der Gefühle auslöst. Sehr berührend und überraschend lebensbejahend!

Bewertung vom 03.02.2020
Scharer, Whitney

Die Zeit des Lichts


weniger gut

Der Roman hat viel versprochen, aber für meinen Geschmack leider wenig davon gehalten. Lee Miller, US-amerikanisches Ex-Modell, will im Paris der 1930er Jahre Fotografin werden und gerät als Kriegsreporterin in die Wirren des 2. Weltkriegs, wo sie u.a. die Befreiung von zwei Konzentrationslagern dokumentierte. Was für ein Schicksal!
Statt einen fesselnden Roman über eine ungewöhnliche Frau vorzulegen, fokussiert sich die Autorin in großen Teilen auf die Beziehung zwischen Lee und dem Fotografen Man Ray, der in Paris ihr Mentor und Liebhaber wird. Trotz der relativ vielen Liebes- und Sex-Szenen bleibt die Beziehung für mich merkwürdig unemotional. Vielleicht liegt es daran, dass ich hier in erster Linie keinen Liebesroman erwartet habe. Die Beziehung ist für mich so ziemlich der uninteressanteste Teil ihres Lebens. Die schockierenden und faszinierenden Episoden als Kriegsreporterin, die Millers Leben so außergewöhnlich machen, kommen im Vergleich dazu viel zu kurz. Teilweise sind sie nur ganz kurze Zwischeneinblendungen zwischen irgendwelchen banalen Beziehungsszenen. Streckenweise wird mir auch einfach zu viel berichtet und zusammengefasst, z.B. wie Lee überhaupt Kriegsreporterin wird. Da fehlt mir das künstlerisch Erzählende, schließlich handelt es sich hier um einen Roman und keine nüchterne Biografie. Ich hätte einen Fokus auf diese Szenen bevorzugt. Durch die langgezogenen Liebesszenen hat sich das Buch für mich streckenweise leider sehr zäh gelesen.

Bewertung vom 29.12.2019
Berg, Mary

Wann wird diese Hölle enden?


ausgezeichnet

Neuaufgelegt hat der Orell Füssli Verlag das Tagebuch von Mary Berg - eigentlich Miriam Wattenberg; ihre Erlebnisse erschienen nach ihrer erfolgreichen Flucht in die USA unter Pseudonym, um noch in Polen lebende Verwandte zu schützen. Nun hat man schon so viel über den Holocaust gelesen und gehört, trotzdem sind die Details immer wieder schockierend und unvorstellbar. Mary Berg berichtet teils emotional, aber oft erschreckend knapp und beinahe distanziert über ihre grausamen Erlebnisse von der Flucht aus ihrer Heimatstadt Łódź und dem Leben im Warschauer Ghetto. Nur die amerikanische Staatsbürgerschaft von Marys Mutter rettet die Familie letztendlich vor dem Tansport nach Treblinka. Sie können nach einer langen Haft nin die USA ausreisen, trotzdem lassen sie die schrecklichen Jahre im Ghetto - verständlicherweise - nicht los.
Im Laufe des Tagebuchs berichtet Mary auch immer wieder darüber, welche Gerüchte über die Vernichtung der Juden im Umlauf sind. Hier wird schnell klar, dass es kein Geheimnis war, was in den Konzentrationslagern vorging. Zwar ist allen das tatsächliche grausame Ausmaß des Holocausts nicht bewusst gewesen, aber dass Juden im großen Stil ermordet worden sind, war der Bevölkerung bereits während des Zweiten Weltkriegs bekannt. Unabsichtlich legt Mary hier dar, dass all die Deutschen, die hinterher angeblich von nichts gewusst haben wollten, nicht die Wahrheit sagen können.

Es ist mittlerweile leider eine Floskel, aber dieses Buch ist so wichtig und aktuell. Wahrscheinlich werden es die, die es am dringendsten lesen sollten, nicht zur Hand nehmen. Trotzdem ist es gut, dass Mary Bergs Tagebuch neuaufgelegt wurde und uns mahnt.

Ein Vorwort sowie ein Quellenverzeichnis runden das Buch ab. Ich hätte mir nur gewünscht, dass die Anmerkungen in Fußnoten direkt auf der entsprechenden Seite gestanden hätten statt gesammelt am Ende des Buchs. Ansonsten ist das Tagebuch uneingeschränkt zu empfehlen!

Bewertung vom 29.12.2019
WW

WW - Genial saisonal!


sehr gut

Mit saisonal wachsende Zutaten zu kochen, zählt zu den wichtigsten aktuellen Trends in einer nachhaltig geprägten Küche, daher passt das Buch gut zum Zeitgeist. Unterteilt in die vier Jahrszeiten, werden hier die verschiedensten Gerichte von Salaten und Suppen bis Hauptspeisen und Deserts präsentiert. Bis auf wenige Ausnahmen werden außerdem bei allen Rezepten gängige Zutaten verwendet, die man in jedem Supermarkt bekommt. Auch wenn mich nicht alles anspricht, habe ich doch einige Rezepte gefunden, die ich noch ausprobieren möchte. Zwei Rezepte habe ich bereits ausprobiert - die Anweisungen waren leicht verständlich und ließen sich gut folgen.
Das Kochbuch ist mit seinem übersichtlichen Design und den großen, ansprechenden Fotos auch optisch schön. Ich folge dem WW-Programm nicht, deswegen sind die Infos zu den verschiedenen Programmen und Punkten für mich nicht relevant. Die Rezepte kann man natürlich trotzdem problemlos nachkochen.

Bewertung vom 19.11.2019
Skybäck, Frida

Die kleine Buchhandlung am Ufer der Themse


gut

Eine wirklich charmante Geschichte über einen privaten und beruflichen Neuanfang. Die Autorin erzählt leicht und mit Herz. Das Ende ist relativ leicht absehbar, aber hier ist eher der Weg das Ziel und das Ende der Geschichte für mein Empfinden nicht so wichtig wie die persönliche Entwicklung von Charlotte. Lediglich der letzte Konflikt zwischen Charlotte und William erscheint mir stark konstruiert und irgendwie übertrieben seifenopernmäßig, um noch ein bisschen Drama und eine Wendung vor Ende einzubinden. Generell hätte das Buch von mir aus ~100 Seiten kürzer sein können, denn einige Stellen waren etwas langatmig und gerade Charlottes Zweifel wiederholten sich immer wieder, ohne wirklich jedes Mal etwas Neues zur Geschichte hinzuzufügen und die Handlung voranzutreiben. Im Großen und Ganzen aber eine schöne Geschichte mit Wohlfühl-Charme.

Bewertung vom 02.11.2019
Kelley, William Melvin

Ein anderer Takt


sehr gut

Zu Beginn habe ich die Sprache dieses ursprünglich 1962 erschienen Romans als etwas altbacken empfunden und habe eine Weile gebraucht, um mich einzulesen. Dann hat „Ein anderer Takt“ aber eine ziemliche Sogkraft entwickelt. Der schwarze Autor William Melvin Kelley wagt ein spannendes Gedankenexperiment: Wie reagieren die Weißen, wenn plötzlich alle Schwarzen einen fiktiven Bundesstaat im Süden der USA Richtung Norden verlassen? Dabei treten die Abgründe der Rassentrennung und des Rassismus anschaulich hervor, denn Kelley schreibt hauptsächlich aus der Perspektive der Weißen – sie beobachten den plötzlichen Aufbruch und versuchen ihn einzuordnen. Beeindruckend, dass es sich hier um Kelleys Debutroman handelt. Er hat trotz seines Alters leider nichts an Aktualität eingebüßt.
Ein Vorwort einer Buchkritikerin und ein Nachwort der Tochter des Autors ordnen den relativ kurzen Roman sowie Kelleys gesamtes schriftstellerisches Schaffen ein.