Benutzer
Benutzername: 
Hamaru
Wohnort: 
Nürtingen

Bewertungen

Insgesamt 69 Bewertungen
Bewertung vom 15.01.2025
Mosebach, Martin

Das Bett


sehr gut

Mosebachs erster Roman aus dem Jahr 1983 beinhaltet schon das typische Mosebach-Personal: Florence, eine dominante Dame der oberen Zehntausend, ihr schwacher, lebensfremder Sohn Stephan und zwei geistige Hochstapler in Form eines verliebten Psychoanalytikers und eines dichtenden Monsignores. Erzählt wird die Geschichte, die kurz vor und nach dem Zweiten Weltkrieg spielt, von einem Jungen, einem allwissenden Ich- Erzähler, wenn es so etwas gibt, der das kurze Aufblühens seiner Tante durch die unglückliche Liebe zu Stephan am heimischen Esstisch miterlebt. Nur ein katholischer Autor wie Mosebach kann das Aufbrechen einer Magnolienblüte so erotisch beschreiben, nur eine an Thomas Mann geschulte Ironie den Kinobesuch eines Psychoanlytikers so treffend wiedergeben. Auch das für Mosebach typische Verlangsamen des Erzählflusses, das vom Hölzchen aufs Stöckchen Springen ist schon erkennbar und erleichtert die Lektüre nicht unbedingt. Dafür wird man dann aber immer wieder durch erzählerische Kabinettstückchen belohnt.

Bewertung vom 06.01.2025
Powers, Richard

Drei Bauern auf dem Weg zum Tanz (eBook, ePUB)


gut

Wer Richard Powers "Das große Spiel" mit Begeisterung gelesen hat, wird vielleicht zu seinem ersten Roman "Drei Bauern auf dem Weg zum Tanz" greifen. Doch er sei gewarnt. Dieser Erstling ist keine leichte Kost, denn sein Schöpfer hat meines Erachtens zuviel gewollt: einen Roman über den Ersten Weltkrieg und gleichzeitig eine philosophische Abhandlung über das Medium Fotografie schreiben. Doch im Jahr 1985, dem Jahr seines Erscheinens, war die Fotografie noch analog, es gab kein Photoshop und keine KI und so kommen dem Leser all die Ausführungen über die Fotoplatten des August Sander und seiner drei Bauern auf dem Weg zum Tanz zunehmend anachronistisch vor. Und selbst zur unbegrenzten Reproduzierbarkeit der Fotografie hat der Kunstmarkt inzwischen eine Antwort gefunden: Für ein Unikat des Fotografen Andreas Gursky wurden kürzlich bei Christie's 4,3 Millionen Dollar bezahlt.
Doch wer den Weg des Autors Richard Powers zum erfolgreichen Schriftsteller nachverfolgen möchte, wird schon in diesem Roman von seiner erstaunlichen Phantasie und seinem fundierten naturwissenschaftlichen und historischen Wissen fasziniert sein.

Bewertung vom 29.12.2024
Zhadan, Serhij

Die Erfindung des Jazz im Donbass


sehr gut

Ein Buch wie Freejazz, mit lyrischen Elementen, wilden Improvisationen und diversen Soli einer Band schräger Figuren. Ein Buch über den wilden Osten in der Ukraine nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, in dem ein naiver Held von einer Kalamität in die nächste stolpert. Irgendwann hört man auf nach Plausibilität und Wahrscheinlichkeit zu suchen. "Kurzum diese Geschichte ist so verworren wie das Gras zwischen den Schwellen." Und sie endet mit einem eindringlichen Plädoyer für den Zusammenhalt in der Gruppe. Wie hellsichtig von einem Autor im Jahr 2012, der heute als Soldat für die Freiheit kämpft.

Bewertung vom 23.12.2024
Powers, Richard

Das große Spiel


sehr gut

Erstaunlich, dass die meisten Rezensenten nicht auf den rätselhaften Schluss eingehen. Die letzten 50 Seiten von Powers "Das große Spiel" ziehen einem buchstäblich den Boden unter den Füßen weg. Bis dahin ist es ein faszinierender Roman, der vor allem wegen der unglaublichen Unterwasserszenen beeindruckt. Wie in "Die Wurzeln des Lebens" ( da ist es das geheime Leben der Bäume) ist man verblüfft über Powers Fülle des Wissens und seine anschaulichen Beschreibungen.
Aber dann gilt plötzlich nichts mehr. Leben die wichtigsten Protagonisten oder sind sie tot? Hat die KI sie wieder zum Leben erweckt? Oder ist alles ein Traum?
Sollte wirklich die KI die nicht kursiven Teile des Romans geschrieben haben, dann ist das eine Erklärung, aber auch problematisch. Der Leser fragt sich unwillkürlich, inwieweit der Autor tatsächlich KI benutzt hat. Wer schreibt in Zukunft die Romane? Keine rosigen Zukunftsaussichten.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 15.12.2024
Strunk, Heinz

Es ist immer so schön mit dir


weniger gut

Gescheiterter Musiker in der midlife crisis verliebt sich in eine wesentlich jüngere erfolglose Schauspielerin und wird ihr sugardaddy. Eine nicht sonderlich originelle Ausgangslage mit erwartbarem Ausgang. Strunk zeichnet sein Personal als Karikaturen in Schwarzweiß, wobei das Schwarz überwiegt. Strunk zelebriert eine Ästhetik des Hässlichen und ist der George Grosz des Unterhaltungsromans. Dem Feuilleton gefällt's.

Bewertung vom 06.12.2024
Mora, Terézia

Muna oder Die Hälfte des Lebens


sehr gut

Wie in Jenny Erpenbecks Roman "Kairos" verliebt sich ein junges Mädchen in Terezia Moras "Muna oder die Hälfte des Lebens" zur Zeit des Mauerfalls in einen wesentlich älteren Mann. In beiden Fällen entsteht eine amour fou, die für die Frauen toxisch ist. Während Erpenbecks Hans sich nicht von seiner Frau trennt, aber krankhaft eifersüchtig reagiert, wird Moras Magnus zunehmend gewalttätig. Beiden Frauen, klug und emanzipiert, gelingt es nicht, sich von dieser Beziehung zu lösen. Moras Ich-Erzählerin Muna schildert schonungslos, wie sie sich bis zum Rande der Selbstaufgabe bei Magnus anbiedert, bis er sie schließlich buchstäblich mit einem Fußtritt auf die Straße setzt. Sie schreibt assoziativ, spontan, so dass manchmal bestimmte Formulierungen durchgestrichen werden, nicht Gesagtes in Klammern steht, was den Roman authentisch und glaubwürdig erscheinen lässt. Das Ende ist ein wenig rätselhaft, aber es scheint, dass Muna zur Hälfte ihres Lebens, sich von dieser Beziehung lösen kann, wenn auch nicht freiwillig.

Bewertung vom 28.11.2024
Kermani, Navid

Große Liebe


ausgezeichnet

Die erste große Liebe vergisst man nicht. Navid Kermani ist seiner ersten Liebe auf der Spur und beschreibt sie in 100 Kapiteln, jeden Tag, wie er behauptet, eine Seite, um dem Gedächtnis Gelegenheit zu geben, sich genau an den 15-Jährigen zu erinnern, der ihm so fremd erscheint, dass von ihm nur in der dritten Person die Rede ist. Unterfüttert sind seine Erinnerungen mit Zitaten persischer und arabischer Mystiker, "wobei die Religionen die Hingabe an Gott am Beispiel der körperlichen Vereinigung anschaulich machen", er dagegen sich auf die religiöse Erfahrung bezieht, "um eine ganz weltliche Liebe zu verstehen." Also eine nicht ganz einfache Kost und der Leser sollte sich Zeit lassen (nicht unbedingt nur eine Seite pro Tag) den schmalen Band zu lesen, denn unwillkürlich beginnt in seinem Kopf der Film seiner ersten Liebe zu laufen.

Bewertung vom 24.11.2024
Powers, Richard

Die Wurzeln des Lebens


sehr gut

Faszinierend wie Powers im ersten Teil seines Romans neun ganz unterschiedliche Personen entwickelt, die später alle miteinander im Kampf um den Erhalt der Bäume verflochten sind. Faszinierend auch, was er alles über das geheime Leben der Bäume weiß. Man wir danach ganz anders durch den Wald gehen. Doch mit zunehmender Dauer wiederholt sich die Botschaft, dass der Mensch das gefährlichste Raubtier ist und die Welt nur ein Chance hat, wenn er verschwindet, doch zu oft. Am Ende lässt er aber offen, ob seine Baumprophetin selbst diesen Schritt als letzte Konsequenz vollzieht.

Bewertung vom 15.11.2024
Bossong, Nora

Reichskanzlerplatz


weniger gut

Wer Corinna Harfouch als Magda Goebbels in "Der Untergang" gesehen hat, wird die gnadenlose Kälte der ersten Frau im Dritten Reich nicht so schnell vergessen. Bei Nora Bossong ist sie eine unglückliche Ehefrau des Unternehmers Günther Quandt und danach von Joseph Goebbels, die am Ende ihrem Liebhaber im Sanatorium ihr Leid klagt. Dieser Hans Kesselbach hat Magda benutzt, um seine homosexuellen Neigungen zu kaschieren und aus Angst vor der Entdeckung wird er zum unauffälligen Mitläufer im diplomatischen Dienst. Erst als er vor den Greuel der SS nicht mehr die Augen verschließen kann, versucht er sich in die Schweiz abzusetzen. Aber der Zug kommt nur bis Gotha. Am Ende besucht Hans den Friedhof seines Jugendfreunds Hellmut und der Schluss bleibt so vage, wie vieles in diesem Buch. Aber vielleicht soll diese Vagheit ein bewusstes Stilmittel in diesem Roman sein, der vieles anreißt, aber nicht zu Ende führt.

Bewertung vom 11.11.2024
Powers, Richard

Das größere Glück


ausgezeichnet

Selbstreferentielle Aussagen des Autors, die die Künstlichkeit des Fiktionalen betonen, können beim Leser oft eine gewisse Ent-Täuschung bewirken, was den Plot und die Figuren betrifft. Für den Autor und Naturwissenschaftler Richard Powers gehören solche Überlegungen jedoch zur Wahrheit fiktiven Schreibens. Trotzdem oder vielleicht gerade darum zieht der Roman über das Mädchen mit dem Glücks-Gen, das für eine schöne neue Welt missbraucht werden soll, den Leser in seinen Bann. Schonungslos zeigt Powers, wie ein Medienhype und ein heißlaufendes Internet einen glücklichen Menschen fast zerstören können. Auch wer noch nichts von Allelen gehört hat und nicht alle Details einer Gen-Sequenzierung versteht, wird diesen Roman so schnell nicht vergessen.