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Raumzeitreisender
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Buchwurm, der sich durch den multidimensionalen Wissenschafts- und Literaturkosmos frisst

Bewertungen

Insgesamt 761 Bewertungen
Bewertung vom 06.04.2017
Förster, Jens

Der kleine Krisenkiller


ausgezeichnet

Die Entscheidung liegt bei Dir!*

Psychologe Jens Förster zeigt Wege auf, die man gehen kann, nicht gehen muss. Er selbst beschreibt sich eher als Begleiter und weniger als Therapeut. Menschen sind freiheitsliebend und sollen es auch bleiben. „Wir kräftigen den Menschen durch ihn selbst ...“ (15) Der Autor benötigt dafür kein „Chaka Chaka“, kein „Omm“ und keine Rat“schläge“.

Dabei beweist Förster Humor, wenn es um die Frage geht, was zu tun ist, wenn man z.B. ins Wohnzimmer kommt und dort einen Bienenschwarm am Kronleuchter entdeckt. (13) Stress führt zu einem Tunnelblick und damit zu Unflexibilität. Mit einem Wasserschlauch lassen sich die Bienen vertreiben. Ist das auch eine sinnvolle Lösung?

Der Autor möchte nach eigenem Verständnis Türen zeigen, durch die man gehen kann. In zwölf Kapiteln erläutert er, was sich hinter diesen Türen verbirgt. Es geht um Themen wie Sport, Natur erleben, Gemeinschaft, Achtsamkeit, Hobbys, Musik und Kunst, um Beispiele zu benennen. Dabei fließen seine persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse ein.

Der Autor wirkt authentisch, verhält sich nicht aufdringlich und nicht belehrend. Das Buch ist angenehm zu lesen, ausdrucksstark und kommt ohne die Beschreibungen großer Theorien und genialer Geister aus. Prägend für den Autor ist die ergebnisoffene Herangehensweise an die Themen.

* In Anlehnung an das gleichnamige Buch des Managementberaters Reinhard Sprenger, der in seinem Buch aus einer anderen Perspektive als Jens Förster, aber mit dem selben Ziel, die aktive Rolle des Menschen selbst betont.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.04.2017
Beine, Karl H.;Turczynski, Jeanne

Tatort Krankenhaus


gut

Wirtschaftsunternehmen Krankenhaus

Mit diesem Buch tue ich mich schwer. Auf der einen Seite meine ich, dass brisante Themen nicht unter den Tisch gekehrt werden sollen, auf der anderen Seite frage ich mich, wie aussagekräftig eine Studie ist, die auf Befragungen beruht. Ist in einem solchen Fall die Aufklärung höher zu gewichten, als die damit verursachte Verunsicherung? Das Buch ist auf dem Markt und man darf es nicht ignorieren.

„Es geht nicht mehr um den Patienten, sondern es geht um abrechenbare Leistungen und um Geld.“ … „Dementsprechend wird gemacht, was Geld bringt, nicht, was medizinisch sinnvoll ist.“ (16) Wenn Krankenhäuser als Wirtschaftsunternehmen geführt werden, darf man sich nicht wundern, wenn der Patient auf der Strecke bleibt. Zuwendung, Gespräche und intensive Betreuung des Patienten werden nicht separat vergütet und daher reduziert; vergütet wird Gerätemedizin, Gewinne werden durch Massenabfertigung generiert. Das führt im Ergebnis zu unzufriedenen Patienten und überlasteten Pflegekräften und Ärzten. In Stresssituationen erfolgt die Behandlung weniger rücksichtsvoll, passieren Fehler und der Umgangston wird rauer.

Führt das auch dazu, dass Gewalt angewendet wird und im Extremfall Menschen getötet werden? Die Autoren berufen sich auf eine (nicht repräsentative) Studie der Universität Witten-Herdecke. Danach gibt es Gründe für die These, dass es eine hohe Dunkelziffer von Tötungsdelikten in Krankenhäusern und Heimen gibt. Die Studie beruht auf einer Befragung. Ein kausaler Zusammenhang zwischen den oben beschriebenen Mängeln und einer hohen Anzahl von Tötungsdelikten wird konstruiert, ist aber nicht belegt.

Belegt sind die Machenschaften mehrerer verurteilter Einzeltäter, die zumeist Serientäter waren. Aus den Profilen dieser Täter geht hervor, dass sie psychisch auffällig waren. Auffallend ist nicht nur, dass die Taten lange Zeit unentdeckt blieben, sondern auch, dass Verdachtsmomenten nicht nachgegangen wurde. So kann der Eindruck entstehen, dass Mitarbeiter eines Systems Täter decken. Könnte es nicht auch sein, dass solche Taten einfach außerhalb der Vorstellungskraft des Pflegepersonals liegen und Anzeichen deshalb übersehen werden?

Wenn es Tötungsdelikte in Krankenhäusern und Heimen gibt, sind das Fälle für die Staatsanwaltschaft. Eine Studie wie die oben beschriebene sollte für die notwendige Sensibilisierung sorgen, bei Zweifelsfällen in alle Richtungen zu ermitteln.

Die Autoren gehen von Systemfehlern als Ursache aus und machen Vorschläge, was sich aus ihrer Sicht ändern müsste. Es sind die üblichen Verdächtigen: Verbesserung der Ausbildung, Konfliktmanagement, Transparenz, bessere Kontrolle, Klasse statt Masse, um nur Beispiele zu nennen. Alle Lösungen kosten Geld. Wie Verbesserungen kostenneutral erreicht werden können, wird eher am Rande angesprochen.

Als positives Beispiel für die Gesundheitsversorgung wird Schweden genannt. Das hätte weiter ausgeführt werden können. Wie ist die Kostenentwicklung in Schweden? Sind die Schweden mit ihrem System zufrieden? Sind Gesundheitsberufe beliebte Berufe oder wandern Ärzte ab, weil der Verdienst anderswo besser ist? Gibt es vergleichbare Taten auch in schwedischen Krankenhäusern und Heimen?

Die Studie legt nahe, dass es eine hohe Dunkelziffer an nicht aufgeklärten Tötungsdelikten gibt. Über das wahre Ausmaß kann aber nur spekuliert werden. Jeder Fall von Gewalt ist einer zu viel und einer modernen Industrienation unwürdig. Es besteht daher Aufklärungsbedarf im Interesse der Patienten und Pflegekräfte und insbesondere die Gesundheitspolitik muss hinterfragt werden. Wenngleich die Studie hinsichtlich ihrer Aussagekraft einer kritischen Würdigung unterzogen werden muss, sollten die Alarmglocken bei diesem Thema läuten.

Bewertung vom 02.04.2017
Ruiz Zafón, Carlos

Der dunkle Wächter


gut

Eine Schauergeschichte

Von den Erstlingswerken ist dies nach „Der Fürst des Nebels“ und „Der Mitternachtspalast“ der dritte Roman von Carlos Ruiz Zafón. Es handelt sich um einen Schauerroman mit magischen Elementen. Im Vergleich zu „Der Schatten des Windes“ ist dies wirklich ein Jugendbuch. Die Magie wirkt, im Vergleich zu „Der Schatten des Windes“, flach und direkt. Der Roman ist spannend, verzaubert die Leser aber nicht. Bekanntermaßen sind die drei Erstlingswerke erst auf dem deutschsprachigen Büchermarkt erschienen, nachdem Zafón bekannt geworden war. Ich konnte mich in diesen Roman nicht so vertiefen, wie in Zafón spätere Werke. Interessanterweise taucht der Name „Andreas Corelli“ auf (139) und bei der Geschichte mit dem Schatten (142) musste ich an Schlemihl denken, den Mann, der seinen Schatten verkauft hat, eine lesenswerte Novelle nach Adelbert Chamisso.

Bewertung vom 28.03.2017
Seethaler, Robert

Ein ganzes Leben


sehr gut

Geschichte eines Lebens - Geschichte des Lebens

"Wo wollen Sie denn eigentlich genau hin?", fragte der Mann. … "Ich weiß es nicht", sagte er [Andreas Egger] und schüttelte langsam und immer wieder den Kopf. "Ich weiß es einfach nicht." (182/183)

Autor Robert Seethaler verrät im Klappentext viel über die Handlung, insbesondere nennt er wichtige Abschnitte im Leben des Bergbauern Andreas Egger. Daher kann der Fokus des Buches nicht auf dem "was" liegen, sondern eher auf dem "wie". Es geht um eine Gesamtschau auf ein hartes entbehrungsreiches, aber letztlich glückliches Leben.

Die Beschreibungen des rauen Lebens in den Bergen erinnern an "Schlafes Bruder" von Robert Schneider. Es handelt sich um eine Erzählung aus der Perspektive eines neutralen Erzählers mit wenig wörtlicher Rede. Die Geschichte ist nicht streng chronologisch aufgebaut, sondern angereichert mit Retrospektiven und Prospektiven.

Wir wissen nicht, wo wir herkommen, wir wissen nicht, wo wir hingehen und dazwischen liegt ein Leben, welches uns manchmal in Staunen versetzt, manchmal verwirrt, welches wir aber schicksalhaft mit all seinen emotionalen Momenten annehmen. In Eggers Leben spiegelt sich diese Ur-Philosophie des Seins wider.

Bewertung vom 23.03.2017
Herzog, Lisa

Freiheit gehört nicht nur den Reichen


sehr gut

Liberalismus mit sozialer Komponente

Lisa Herzog versucht „Liberalismus wieder so zu verstehen, dass er sich an der Idee eines freien [selbstbestimmten] Lebens orientiert und diese als Grundlage der Politik sieht.“ (8) Insofern geht es um die Fragen, wie ein zeitgemäßer Liberalismus definiert wird und was das für die wirtschaftliche Ordnung einer Gesellschaft bedeuten kann. Basis für die Überlegungen ist ein realistisches Menschenbild und nicht der „Homo oeconomicus“. Autorin Herzog, selbst studierte Ökonomin, schreibt aus der Perspektive einer Philosophin.

„Wesentlich ist jedoch, dass die Freiheit aller Individuen als grundsätzlich gleichberechtigt in Betracht gezogen wird.“ (15) Dabei ist Freiheit nicht gleichzusetzen mit freiem Markt. Spätestens die Bankenkrise 2008 hat deutlich gemacht, dass der Staat eingreifen muss, um den Zusammenbruch der Wirtschaft zu verhindern. Märkte müssen so gestaltet werden, dass sie die Freiheit aller Mitglieder der Gesellschaft unterstützen.

Der Mensch entspricht nicht dem Bild des klassischen Liberalismus. Die Autorin gibt einen Überblick über die Thesen großer Denker wie John Locke, Thomas Hobbes, Adam Smith, Karl Marx und Albert Hirschman, um nur Beispiele zu nennen, und stellt diese gegenüber. Freiheit erfordert, Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die diese beschränken. Der Mensch muss die Fähigkeit zu einem selbstbestimmten Leben erst entwickeln.

Liberalismus erfordert auf der einen Seite Handlungsfreiräume für die Entwicklung eigener Vorstellungen und auf der anderen Seite Ressourcen für die Realisierung eines selbstbestimmten Lebens. Eine Begrenzung des Liberalismus erfolgt durch die Frage nach Gerechtigkeit. Ressourcen sind nicht gleich verteilt und manchmal spielt der Faktor Glück eine große Rolle. Insofern ist es nicht nachvollziehbar, dass Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden.

Der Weg durch die Geschichte lehrt, dass die heutigen Strukturen wesentlich komplexer sind, als vor Jahrhunderten. Auch ist heute deutlicher als je zuvor klar geworden, dass die Ressourcen der Erde begrenzt sind. Zudem ist der Mensch ein soziales Wesen und sucht den Sinn in seiner Tätigkeit. Insofern geht es in der heutigen Gesellschaft nicht nur um das reine Geldverdienen. Die Arbeitsbedingungen müssen stimmen.

Die Autorin stellt Gewinnmaximierung um jeden Preis infrage. Dem Liberalismus sind Grenzen gesetzt und zwar im Interesse der gesamten Gesellschaft. Statt eines Wettbewerbs nach den billigsten Produkten sollte ein Wettbewerb nach den fairsten Lebens- und Arbeitsbedingungen stattfinden. Liberalismus, Wirtschaft und Freiheit aus der Perspektive einer Philosophin betrachtet, führt zu einer anderen Gewichtung. Die soziale Komponente rückt in den Fokus. Ob es sich um ein rein theoretisches Plädoyer handelt, was leider zu befürchten ist, wird die Zukunft zeigen.

Bewertung vom 07.03.2017
Ruiz Zafón, Carlos

Der Mitternachtspalast


gut

Eine Gruselgeschichte aus Kalkutta

„Der Mitternachtspalast“ ist der zweite Roman von Carlos Ruiz Zafón aus dem Jahr 1994. Es handelt sich um ein spannendes Jugendbuch mit Elementen aus dem Genre Fantasy. Insbesondere die Kenner der Barcelona-Romane werden neugierig sein auf Zafóns frühere Werke. Auffallend ist, das Mystische ist in „Der Mitternachtspalast“ noch nicht so feinsinnig eingewoben, wie in „Der Schatten des Windes“.

Der Roman spielt in Kalkutta und beschreibt zwei Zeitebenen und zwar 1916, das Jahr der Geburt der Zwillinge Ben und Sheere und 1932, das Jahr der schicksalhaften Ereignisse. Beide wachsen ohne Eltern auf, Ben im Waisenhaus St. Patrick`s und Sheere bei ihrer Großmutter Aryami Bosé. Die Trennung hat ihren Grund, da die Kinder in Gefahr sind. Ein seltsames Wesen namens Jawahal trachtet ihnen nach dem Leben.

Ben ist zusammen mit sechs Freunden des Waisenhauses Mitglied des Geheimbundes Chowbar Society. Zusammen versuchen sie den Ursprung für die Gefahr durch Jawahal zu ergründen und erleben einige Abenteuer. Der Roman ist fantasievoll und gruselig. Die Beschreibungen der Umgebung sind jedoch etwas wirr und lassen keine plastischen Bilder im Kopf entstehen, zudem ist die Geschichte phasenweise dick aufgetragen. Man merkt, dass Carlos Ruiz Zafón noch auf der Suche nach seinem Stil war.

Bewertung vom 05.03.2017
Houellebecq, Michel

Unterwerfung


ausgezeichnet

Das Versagen der Eliten

Joris-Karl Huysmans, französischer Schriftsteller, lebte von 1848 bis 1907. Seine ersten Werke wurden als sittenwidrig bezeichnet und sind überwiegend im Milieu der französischen Unterschicht angesiedelt. Bekannt wurde er insbesondere mit dem Roman „Gegen den Strich“, der von einem dekadenten neurotischen Aristokraten handelt. Dieser trägt Züge des Autors Huysmans, ist aber auch ein Spiegel seiner Zeit.

Literaturwissenschaftler Francois, Protagonist aus „Unterwerfung“, hat über Huysmans promoviert und beschäftigt sich als Professor mit diesem Autor. Bereits auf den ersten Seiten drängen sich Parallelen zwischen Huysmans, seinen Romanfiguren und Protagonist Francois auf. Dies gilt für Francois spöttische gleichgültige Haltung, seine sexuellen Eskapaden und seine dekadente Einstellung. So stellt er ironisch fest, „ein Abschluss in Literaturwissenschaften kann ein zusätzlicher Pluspunkt sein“, wenn ein junges Mädchen sich als Verkäuferin bewirbt. (13)

Als Leser taucht man sehr schnell in Houellebecqs Romanwelt ein. Er versteht es, Atmosphäre zu schaffen. Francois ist einsam und desillusioniert. Der Sex mit seinen Studentinnen führt nicht zur Befreiung. An seinem Lebenswandel wird der Werteverfall der westlichen Welt gespiegelt. Der Roman hat viele Facetten. Er beschreibt die Unterwerfung unter den Islam und damit verbunden das Versagen der Eliten. Es ist aber auch ein Roman über den dekadenten intellektuellen Zyniker Francois.

Der Roman ist voller Anspielungen auf Huysmans. Es ist sicherlich kein Zufall, dass sowohl Huysmans als auch Francois eine Phase der Besinnung im Kloster verbracht haben, wobei es zu Francois passt, dass ihm diese Zeit nichts gebracht hat. Was ändert sich durch die Unterwerfung unter die muslimische Gesellschaft? Für Francois recht wenig. Erlaubte Polygamie, insbesondere für Eliten wie Hochschulprofessoren, sind ein Ersatz für seine bisherigen Beziehungen zu seinen Studentinnen. Die Verlierer der Entwicklung sind die Frauen, die sich nunmehr muslimischen Traditionen unterwerfen müssen.

Der Roman ist dicht gespickt mit Anspielungen auf Huysmans und ein Kenner dieses Autors wird die Zusammenhänge in der Romanwelt besser verstehen, als andere Leser. Houellebecq gelingt es, Gleichgültigkeit, Zynismus, Opportunismus und Dekadenz überzeugend darzustellen. Dazu gehört auch eine Priese Sex, die bei Houllebecq ein wenig größer ausfällt und, passend zum Roman, nicht wirklich zur Erfüllung führt. Es gibt zahlreiche Autoren, die es verstehen, eindimensionale Romane zu verfassen. Houllebecq gehört ganz sicher nicht dazu.

5 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 01.03.2017
Bahnsen, Ulrich

Das Leben lesen


sehr gut

Die geheime Sprache des Blutes

„Es hat eine medizinische Revolution begonnen, in ihrem Mittelpunkt steht das Blut.“ (8) Autor Ulrich Bahnsen, Diplom-Biologe, macht deutlich, worum es in dem Buch geht. Im Fokus stehen die versteckten Botschaften, die sich im Blut befinden und die entschlüsselt werden können. Der geheime Code gibt Aufschluss über Erkrankungen, die im Entstehen begriffen sind. Aber das ist noch nicht alles. Gesucht werden im Blut die Stoffe, die den Verfall des Körpers aufhalten können. Ist die Entdeckung einer Methusalem-Formel im Bereich des möglichen?

Bahnsen beschreibt den Aufbau des Blutes, soweit er für das Verständnis seiner Thesen erforderlich ist. In der Blutflüssigkeit befinden sich Erbmoleküle toter Zellen. Wissenschaftler sprechen hier von zellfreier DNA. Diese spiegelt jede Krankheit wider, die mit dem Untergang der Zellen verbunden ist. Das gilt für Krebszellen und bei einer Schwangeren auch für die Zellen des Fötus. Damit wird Leben transparent. Zum Verständnis der Thematik stellt Bahnsen die Entwicklung der Entschlüsselung der Gene vor.

Die Frühdiagnostik wirft Fragen auf, die in Politik und Gesellschaft zu Diskussionen führen. Sollen Krankheiten bzw. Anfälligkeiten für Krankheiten ermittelt werden, wenn eine Heilung nicht möglich ist? Manche Kritiker sehen in der vorgeburtlichen Diagnostik eine „Perfektionierung der Selektion ungeborenen Lebens“. (93) Der Autor untersucht Fragen der Ethik und Moral im Hinblick auf vorgeburtliche Testverfahren. Deutlich wird, dass es keine einfachen Antworten gibt.

Dem Thema Früherkennung von Krebs widmet der Autor ein ganzes Kapitel. „Es ist tatsächlich möglich, einen Krebsherd im Körper mit einem Bluttest aufzuspüren. Und noch mehr: Die Erbmoleküle darin verraten nicht nur, dass ein Tumor wächst, sie geben auch Auskunft darüber, in welchem Organ er zu suchen ist.“ (132) Da die Testverfahren nicht perfekt sind und auch im Hinblick auf Heilungschancen, gilt es abzuwägen, in welchen Fällen eine Früherkennung im Interesse des Patienten ist.

„Das Altern ist nach der Entstehung des Lebens auf der Erde das größte Mysterium der Biowissenschaften.“ (200) Aus dem Blickwinkel der Evolution ist Sterben notwendig, damit eine Entwicklung stattfinden kann – ohne Tod keine Evolution. Dennoch ist der Mensch auf der Suche nach Möglichkeiten, die Lebenszeit zu verlängern und bei Fruchtfliegen ist das auch schon gelungen. Die Wissenschaft ist auf dem Weg, dieses Ziel auch für Menschen zu erreichen.

Der Schlüssel liegt im jungen Blut. Parabiose-Experimente, bei denen der Blutkreislauf zweier unterschiedlich alter Mäuse verbunden wird, bestätigen, dass eine Verjüngung stattfindet. Experimente mit Mäusen sind nicht übertragbar auf Menschen. Dennoch tun sich Chancen auf, Krankheiten wie Alzheimer in den Griff zu bekommen und darüber hinaus der Vergreisung insgesamt entgegen zu wirken. Sollte das tatsächlich gelingen, wäre das eine gesellschaftliche Revolution. Der derzeitige Stand der Forschung liefert Stoff für Romane.

Im Blut stecken Informationen, die bei üblichen Untersuchungen nicht erfasst und nicht ausgewertet werden. Ulrich Bahnsen macht deutlich, was sich an der Front der Forschung abzeichnet. Die Krankendiagnostik wird sich verändern und auch die Behandlung von Krankheiten. Das „Drehen an der Lebensuhr“ wird gesellschaftliche Diskussionen auslösen. Forscher Tony Wyss-Coray weist darauf hin, was das Ziel sein sollte. Es gehe nicht darum dem Tod auszuweichen, sondern darum, die guten Jahre zu verlängern.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 21.02.2017
Rüther, Tobias

Helden


ausgezeichnet

Hero(es) – Bowie in Berlin

„Er [Bowie] begreift die Stimmungsbilder einer musikalischen Landschaft, wie ich sie schaffe“, sagt Eno, „und er kann sie wirklich scharf stellen, sowohl mit den Worten, die er benutzt, als auch mit dem Gesangsstil.“ (74)

David Bowie konnte sich nicht nur in Stimmungen einfühlen, er hatte ein Gespür für Stilrichtungen, die im Entstehen begriffen waren und wurde damit stets zum Trendsetter für Musik, Mode und Design. Seine Musik, seine Auftritte und sein Aussehen waren außergewöhnlich und im Verhältnis zum jeweiligen Zeitgeist gewagt.

Tobias Rüther beschreibt in „Helden“ schwerpunktmäßig David Bowies Zeit in Berlin. 1976 ist er, angezogen von der deutschen avantgardistischen Musik der 1970er Jahre (Can, Kraftwerk, Michael Rother, Neu!, La Düsseldorf) und abgestoßen von LA, nach Berlin umgezogen. Die Mauer sollte ein Jahr später eine große Rolle spielen.

Bowie war experimentierfreudig. „Low [beeinflusst von Eno] ist die radikalste Abkehr von Hitparadenmusik, die je ein Superstar gewagt hat.“ (72) Aber Low war nicht der Höhepunkt von Bowies Berliner Zeit. Dieser folgte ein Jahr später und ebenfalls unter dem Einfluss von Brian Eno mit „Heroes“, einer Liebe im Schatten der Mauer.

Autor Rüther geht in die Tiefe und versteht es, Hintergründe und Querverbindungen einfließen zu lassen. Im Gegensatz zu Marc Spitz in „David Bowie“ deckt Tobias Rüther einen kleinen Abschnitt aus dem Leben von David Bowie ab, diesen aber sehr ausführlich und tiefgehend.

Gibt es etwas zu kritisieren? Der Autor macht die Leser an verschiedenen Stellen neugierig durch Hinweise auf bestimmte Fotos, druckt diese aber nicht im Buch ab. Es handelt sich um ein lesenswertes Buch über einen großen Künstler.