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Fornika
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Bewertungen

Insgesamt 402 Bewertungen
Bewertung vom 24.07.2015
Filer, Nathan

Nachruf auf den Mond


ausgezeichnet

„Ich bin neunzehn Jahre alt, und das Einzige, worüber ich in meinem Leben frei bestimmen kann, ist diese Geschichte und wie ich sie erzähle. Allein schon deswegen will ich es nicht vermasseln. Es wäre nett von Ihnen, wenigstens zu versuchen, mir zu vertrauen.“ (S. 95)
Matthew Homes hat mit nur 9 Jahren seinen älteren Bruder Simon verloren. Als wäre diese Tragödie nicht schon groß genug, wird bald klar, dass Matt noch anderweitige psychische Probleme hat. Jahre später wird er endlich in einer psychiatrischen Klinik behandelt und beginnt dort Simons und v.a. seine Lebensgeschichte zu erzählen.
Nathan Filer hat ein zu Recht hochgelobtes Buch geschrieben, auch mich hat er völlig überzeugt. Nachruf auf den Mond ist kein einfaches Buch, denn Matthew erzählt seine Geschichte nicht chronologisch und nachvollziehbar, sondern in Bruchstücken und scheinbar zusammenhangslosen Gedanken, die zudem durch Zeitsprünge unterbrochen werden. Diese wirre Erzählweise macht es aber gerade umso authentischer, ist Matts Schizophrenie doch inzwischen manifest. Er erzählt manchmal regelrecht flappsig, schildert tragische Ereignisse in so leichtem Ton, dass der Leser erst recht betroffen ist. Durch die direkte Ansprache fühlt man sich ihm noch näher. Die Geschichte lebt neben ihrer dramatischen Entwicklung auch von ihren starken Charakteren, die allesamt hervorragend gelungen sind. Natürlich Matt, der mit einer Trauer und vermeintlichen Schuld durchs Leben geht, die jeden noch so gesunden Menschen zerrüttet hätten. Der Simons Begeisterung für Ameisen für sich übernimmt, seinen Bruder im Wind, Wasser, ja sogar im verschütteten Salz entdeckt; und der seine Medikamente vielleicht auch deswegen verweigert, weil so sein Bruder endgültig zu verschwinden droht. Seine Mutter, die nach dem Tod ihres Kindes das andere völlig vereinnahmt, es vor der großen bösen Welt beschützen will und quasi täglich zum Arzt bringt, sollte sich doch mal ein Bakterium in seine Nähe verirrt haben. Der Vater, der seine Trauer ins letzte Kämmerlein verbannt. Die Großmutter, die ihrem Enkel ziemlich hilflos zur Seite steht und hofft, dass mit einer guten Mahlzeit schon alles ins Reine zu bringen ist. Sie alle haben Tiefgang, sind sehr plastisch und realistisch.
Erwähnen möchte ich auch die tolle optische Aufarbeitung, verschiedene Schriftarten, Briefe, Zeichnungen u.ä. vergrößern den Lesegenuss zusätzlich.
Fazit: Es ist eine tragische Geschichte, aber auch eine wundervolle, die man sich nicht entgehen lassen sollte.

Bewertung vom 24.07.2015
Mosse, Kate

Die Frauen von Carcassonne


sehr gut

Frankreich, 1942: der Kampf gegen die Deutschen ist verloren, Frankreich besiegt. In Carcassonne lebt die 18jährige Sandrine trotzdem relativ unbehelligt mit Schwester und Haushälterin ein recht behütetes Leben. Eines Tages rettet sie einen Ertrinkenden aus dem Fluss, doch bevor sie mehr erfahren kann, wird sie selbst niedergeschlagen und muss nun ebenfalls aus dem Fluss gezogen werden. Zu Hilfe kommt ihr der smarte Raoul, Mitglied der örtlichen Résistance, in deren Arbeit Sandrine mehr und mehr eingebunden wird.
In einem zweiten Handlungsstrang begleitet der Leser den Mönch Arinius auf seiner gefährlichen Mission im Jahre 340 n. Chr. Er versucht einen magischen Codex vor der Zerstörung zu bewahren.

Kate Mosse hat diese fiktive Geschichte um einige reale Ereignisse gesponnen und es geschafft, dass sich Wahrheit und Fiktion zu einem unterhaltsamen und informativem Ganzen verbinden. Die Angst und Beklemmung, die das Leben in dieser Zeit mit sich brachte, wird sehr gut herausgearbeitet. Diese ständige unterschwellige Bedrohung, die Bespitzelung durch die eigenen Nachbarn und die Willkür, mit der Juden und andere „unbequeme“ Mitbürger inhaftiert werden, schnüren dem Leser teilweise selbst die Kehle zu. Auch die Charaktere sind der Autorin sehr gut gelungen, die Figur der Sandrine beispielsweise ist zunächst noch das naive Mädchen, entwickelt sie sich im Laufe des Buches aber zu einer starken Persönlichkeit, die für ihre Überzeugung alles riskiert. Einziger Kritikpunkt meinerseits ist der Versuch Übersinnliches mit in die Geschichte zu packen, denn gerade die Arbeit der Menschen, die damals täglich ihr Leben im Kampf gegen die Deutschen riskiert haben, werden hier durch Hexerei & Zauberei etwas ins Lächerliche gezogen.

Mir hat „Die Frauen Carcassonne“ insgesamt recht gut gefallen, allerdings hat für mich der übersinnliche Part so überhaupt nicht in die Geschichte gepasst und deswegen bekommt das Buch von mir 4 von 5 Punkten.

Bewertung vom 24.07.2015
Bernuth, Christa

Das Falsche in mir / Lukas Salfeld und Sina Rastegar Bd.1


sehr gut

Lukas Salfeld führt ein völlig normales Leben: guter Job bei einer Sicherheitsfirma, verheiratet, zwei Töchter. Doch dieses Leben ist nur Schein, denn er hat als Jugendlicher seine Freundin Marion ermordet und zehn Jahre im Gefängnis abgesessen. Seine Familie weiß nichts davon, denn Lukas hat seinen dunklen Trieb im Griff. Oder doch nicht? Denn in seiner gemütlichen Heimatstadt Leyden verschwindet ein junges Mädchen, das Marion erschreckend ähnlich sieht. Und Lukas kann sich einfach nicht mehr erinnern, was er zur Tatzeit gemacht hat…

Dieses Buch lässt mich etwas zwiegespalten zurück. Die Passagen, in denen der Täter mit seinem Trieb ringt, gehen so unglaublich tief unter die Haut, sind erschreckend, düster und doch kann man diesen Mann manchmal einfach nur bemitleiden. Ebenso eindringlich geschildert ist der Kampf, den Lukas jeden Tag auf sich nimmt um ein ganz normaler Mensch zu sein. Das Falsche in mir startet sehr gut, verliert sich dann aber in der zweiten Buchhälfte etwas. Den erzählerischen Wechsel zwischen Lukas, Marions Tagebuch, der Ermittelnden Sina Rastegar u.a. gefiel mir zu Anfang noch ganz gut, gegen Ende war es für mich einfach zu viel des Guten und störte den Ablauf der Geschichte. Ebenso konnten mich einige Wendungen nicht recht überzeugen, manche Verbindungen waren für mich einfach zu früh zu erahnen, weswegen ich später etwas enttäuscht war; nicht zuletzt über die Auflösung des ganzen Falls.
Christa Bernuth hat hier einen soliden Krimi geschrieben, der sich recht flüssig lesen lässt und trotz weniger Schwächen spannende Unterhaltung bietet.

Bewertung vom 24.07.2015
Le Carré, John

Empfindliche Wahrheit


gut

Gibraltar: ein Diplomat Ende 50 ist unter dem Decknamen Paul Anderson in geheimer Mission unterwegs. Obwohl er sonst eigentlich eher nicht als Spion an vorderster Front tätig ist, wurde er vom neuen Staatsminister Quinn persönlich für diesen Einsatz ausgewählt. Er soll als „rotes Telefon“ agieren und so Quinn unmittelbar über das Fortkommen von Operation Wildlife berichten. Diese wird in Kooperation mit der privaten Sicherheitsfirma Ethical Outcom durchgeführt und soll einen Waffenankauf von hochgefährlichen Terroristen unterbinden. Die Operation gelingt. Zumindest soll Paul das glauben. Und auch Toby Bell, ein enger Mitarbeiter von Quinn stößt auf einige Ungereimtheiten. Nachforschungen eindeutig unerwünscht…

Empfindliche Wahrheit war mein erstes Buch von diesem Autor, ich kann also nicht sagen ob es sich um einen „typischen Carré“ handelt. Ich muss auch ehrlich zugeben, dass mir der Stil des Autors nur bedingt zugesagt hat. Er schreibt recht unaufgeregt, vielleicht war das mit ein Grund warum mich dieses Buch nur mäßig fesseln konnte. Zudem hatte ich sprachlich immer das Gefühl in einem Spionagethriller aus den 60ern zu stecken, die Handlung spielt aber heute; kamen SMS, Google und Co vor, hat mich das immer etwas irritiert. Die Gründe für das Handeln der Protagonisten Anderson und Bell kann man sehr gut nachvollziehen, insgesamt bleiben diese Charaktere aber etwas blass. Le Carré greift ein brisantes Thema auf, kann es aber nicht gänzlich überzeugend umsetzen. Anfang und Ende des Buches fand ich recht schwach, im Mittelteil jedoch schafft es der Autor einen Sog aufzubauen, der einen mitten hineinzieht in das Gebilde aus Lügen, Vertuschungen, Korruption und Verschwörungen. Hätte er dieses Niveau über das ganze Buch halten können, wären durchaus 5 Sterne drin gewesen, aber so schien mir einiges Potential verschenkt.

Bewertung vom 24.07.2015
Constable, Benjamin

Die drei Leben der Tomomi Ishikawa


sehr gut

Der Hobbyschriftsteller Ben Constable führt ein ganz normales Leben, sieht man mal davon ab, dass er an Prosopagnosie leidet und eine imaginäre Riesenkatze namens Cat hat. Seine tiefgründige und ehrliche Freundschaft zu Tomomi Ishikawa scheint ein plötzliches, trauriges Ende zu finden, denn sie begeht Selbstmord. Zumindest steht das so in ihrem Abschiedsbrief an Ben. Und der begibt sich auf Spurensuche, denn Tomomi hat ihm in Briefen und emails Hinweise hinterlassen, die ihn auf eine Schnitzeljagd quer durch Paris und New York führen. Ben erfährt Dinge über seine Freundin, die er sich nie erträumt hätte und bei dem er immer ein großes Fragezeichen im Hinterkopf behalten muss: Realität oder Fiktion? Denn nichts ist so, wie es zuerst scheint und bald weiß Ben überhaupt nicht mehr was oder wem er glauben und vertrauen soll…
Mir hat Constables Buch wirklich gut gefallen, auch wenn (ohne hier zu spoilern) ich das Ende etwas schwach fand. Eine herrlich skurrile, spannende, manchmal auch verwirrende Reise durch Paris und New York, bei der so mancher Leser ins Schwärmen geraten wird. Der Stil ist gut zu lesen, Briefe, Hinweise etc. sind optisch hervorgehoben, sodass keine Missverständnisse aufkommen können. So manch kleines Detail aus Tomomis Leben (wie z.B. die Uhrzeit Zwanzig nach drei) erscheint plötzlich durch ihre Vergangenheit in einem völlig neuen Licht und auch sonst hält das Buch allerlei Überraschungen und Twists bereit. Cat, als imaginäre Verkörperung von Bens Gewissen und sein Partner in kniffeligen Situationen hat mir ausgesprochen gut gefallen; allerdings hätte der Autor dieses Mittel meiner Meinung nach etwas mehr ausschöpfen können.
Alles in allem ein besonderes Buch, bei dem der Autor mit dem Leser spielt und man auch nach der Lektüre teilweise noch rätselt: Realität oder Fiktion?

Bewertung vom 24.07.2015
Atkinson, Kate

Die Unvollendete


ausgezeichnet

„Die weiche Dunkelheit lockte sie mit dem Versprechen von Schlaf, endlosem Schlaf, und sachte begann der Schnee zu fallen, bis sie ganz davon bedeckt und alles dunkel war.“
So endet das Leben von Ursula Todd. Eines zumindest. Denn jedesmal, wenn sie stirbt, springt die Geschichte zurück, z.B. zum Tag ihrer Geburt. Allein bis sie ihren sechzehnten Geburtstag erlebt, stirbt sie acht Mal um wieder- und wiedergeboren zu werden. Mit der Chance, das Leben anders zu leben und vermeintlich bessere Entscheidungen zu treffen. Doch man darf nicht vergessen, dass auch äußere Umstände und das Verhalten der Mitmenschen eine große Rolle spielen…
Eine großartige Buchidee, ausgezeichnet umgesetzt. Kate Atkinson hat mit Die Unvollendete einen eindringlichen, nachdenklichen, gefühlvollen Roman geschrieben, der sich aber auch nicht scheut, die Grauen und das Elend des zweiten Weltkriegs schonungslos darzustellen, das Ursula so oft hautnah miterlebt.
Die Figur der Ursula ist sehr tiefgründig, sie macht sich Gedanken um das Weltgeschehen, ist außerdem sehr belesen und findet für jede Situation ein entsprechendes Zitat. An ihrem Charakter kann man sehr gut ablesen, dass auch dieser durch Lebensumstände und Mitmenschen geprägt wird, mal ist Ursula eine toughe Frau, in einem anderen Leben völlig eingeschüchtert von ihrem Ehemann. Auch die anderen Protagonisten sind sehr plastisch, mit jedem neuen Leben lernt man auch die Familie und Mitmenschen von Ursula von einer neuen Seite kennen. Das Mutter-Tochter-Verhältnis beispielsweise zeigt alle Facetten von Liebe bis Verachtung und Hass.
Obwohl manche Tage in den verschiedenen Leben von Ursula immer wieder gelebt werden (beispielsweise der Tag ihrer Geburt), ist das keineswegs langweilig; denn jedes Mal wird eine andere Facette des Tages beleuchtet und jedes Mal ist ein Detail anders und man überlegt sich als Leser, welche Auswirkungen einen wohl erwarten werden. Wer ein Buch sucht, um mal schnell ein paar Seiten vor dem Einschlafen zu lesen, für den ist die Unvollendete nicht das Richtige. Um den Überblick über das aktuelle Leben zu behalten, muss man schon aufmerksam lesen, denn sonst geht es einem wie Ursula: „Die Vergangenheit war ein großes Durcheinander in ihrem Kopf“.
Dieses Buch spielt mit der Frage: was wäre wenn? Wenn dieses und jenes anders gelaufen wäre, welche Folgen hätte das? Und man erkennt: manche Zusammenhänge lassen sich nicht vorhersagen; kleine Dinge haben oft Konsequenzen, die man einfach nicht überblicken kann. Und das ist auch gut so.

Bewertung vom 24.07.2015
Shamsie, Kamila

Die Straße der Geschichtenerzähler


gut

Vivian Rose Spencer. Jung und aus wohlhabendem englischem Hause, darf zum ersten Mal bei einer archäologischen Ausgrabung in Labraunda mitwirken. Gerade als sie erkennt, dass der alte Familienfreund Tashin vielleicht doch mehr sein könnte als nur ein Freund, bricht der erste Weltkrieg aus und sie muss zurück nach London. Der Türke Tashin bleibt zurück.

Der Krieg verändert auch das Leben des Inders Qayyum Gul. Er kämpft für das britische Empire in Frankreich.

Das „exotische“ Setting in Peschawar macht den großen Pluspunkt dieses Buches aus. Die Autorin entführt den Leser gekonnt und schafft ein gewaltiges und buntes Bild der Stadt. Gleichzeitig zeigt sie die gesellschaftlichen Unterschiede zwischen Engländern und Indern sehr gut auf. Das Unabhängigkeitsstreben Letzterer macht einen großen Teil der Story aus und wird ebenfalls sehr realistisch dargestellt. Auch die Rolle, die indische Soldaten im ersten Weltkrieg gespielt haben, wird zumindest angerissen, da hätte ich mir aber doch etwas mehr Fleisch auf den erzählerischen Rippen gewünscht. Etwas fehlplatziert wirkte das Thema Archäologie, ich habe es Vivian nie so wirklich abgenommen, dass sie sich dafür interessiert. Obwohl die Autorin viel tut um es mich glauben zu lassen. Völlig untergegangen ist die vom Klappentext suggerierte Liebesgeschichte mit Tashin. Das mag jetzt mancher als Spoiler empfinden, wenn aber Inhalt und Klappentext so gar nicht zueinander passen wollen, dann will ich das hier schon auch ansprechen. „Die Straße der Geschichtenerzähler“ ist also auf keinen Fall eine nette kleine Lovestory.

Ich weiß nicht warum, aber die Story kam mir einfach nicht so recht nah. Qayyums Schicksal hat mich immer ein bisschen mehr interessiert als Vivs, doch insgesamt ließen mich ihre Leben doch eher kalt. Auch der Schreibstil war nicht ganz meins, obwohl ich niemand bin, der überall und immer Action und Spannung braucht, habe ich mich doch ab und an gelangweilt. Gerade in der ersten Hälfte des Buches springt der rote Faden doch etwas ziellos hin und her; in der zweiten Hälfte bessert sich das, sodass ich mit etwas mehr Begeisterung weitergelesen habe. Am Ende kann die Story dann noch mal punkten, aber insgesamt bleibt doch etwas Enttäuschung zurück.

Fazit: Interessant sind eigentlich nur die Ausführungen zum indischen Freiheitskampf. Der Rest eher mau.