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Igelmanu
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Mülheim

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Insgesamt 1033 Bewertungen
Bewertung vom 17.08.2020
Arendt, Judith

Helle und der Tote im Tivoli / Kommissarin Helle Jespers Bd.1


gut

»Ein Mann, der durchschnittlicher nicht sein konnte. Der weder geliebt noch gehasst wurde. Nicht einmal von seiner eigenen Frau. Der moralisch einwandfrei gelebt hatte, aber eines grauenvollen Todes hatte sterben müssen.«

Skagen, die nördlichste Stadt von Dänemark. In der kleinen Gemeinde läuft außerhalb der Touristensaison das Leben ruhig ab. Helle Jespers, Leiterin der Polizeistation von Skagen, hat es in ihrem Alltag meist nur mit Dieben und Falschparkern zu tun. Als der ehemalige Gymnasialdirektor grausam ermordet im Tivoli aufgefunden wird, ist es vorbei mit der Ruhe. Dass die Mordkommission von Kopenhagen sich um die Ermittlungen kümmern will, stört Helle wenig. Wer kennt sich in Skagen schließlich besser aus als sie? Schon bald muss sie zu ihrem Entsetzen feststellen, dass der Täter sein blutiges Werk noch nicht vollendet hat.

Ein paar Dinge gefielen mir an diesem Krimi, dem ersten Fall für Helle Jespers, richtig gut. Zum einen die Küstenatmosphäre, die war toll und sehr stimmungsvoll beschreiben. Und dann der Hauptcharakter selbst. Eine Frau in den Wechseljahren, mollig und immer mal wieder übellaunig. Mit anderen Worten: Die berühmte Frau wie du und ich. Man könnte ihr ankreiden, dass sie zu viel trinkt. Allerdings tun das auch viele männliche Charaktere, ohne dass ein Wort darüber verloren wird. Ich fand sie jedenfalls sehr authentisch. Mein zweiter Lieblingscharakter war ihr Mann Bengt, optisch beschrieben als Wikinger, der den Haushalt schmeißt und Helle mit leckeren Dingen bekocht.
Helles Kolleginnen und Kollegen bieten ein Spektrum unterschiedlicher Charaktere, die sich bei der Teamarbeit ergänzen und reiben. Da stimmte eigentlich auch alles.

Was mich nicht so überzeugt hat, war der Täter. Immer wieder werden Abschnitte eingestreut, in denen man seinen Gedanken folgt. Eigentlich eine schöne Sache, aber mir war praktisch sofort klar, in welche Richtung das Ganze steuert. Da wäre eindeutig weniger mehr gewesen! Die Auflösung war letztlich schlüssig, für mich aber auch nicht überraschend.

Fazit: Da ist noch Luft nach oben. Da ich die Ermittlerin sehr mochte, werde ich der Reihe mit dem nächsten Band eine weitere Chance geben.

Bewertung vom 17.08.2020
Thompson, Colin

Bücher öffnen Welten


ausgezeichnet

»Peter folgte den alten Männern in ein großes, verschlossenes Buch. Es war erfüllt von dem Duft von Gewürzen und Erinnerungen.«

Was für ein herrliches Buch! Schon der Einleitungssatz in die Geschichte haute mich um. Eine Bibliothek mit vielen tausend Räumen und allen Büchern, die jemals geschrieben worden sind? Das musste ich sehen!

Bereits der erste Blick ins Regal zeigt den ganz besonderen Zauber dieses Buchs. Die Regale quellen nicht nur über vor lauter Büchern, sie leben auch. Das wird deutlich, wenn abends das Licht ausgeht. Dann öffnen sich auf den Buchrücken Türen und Fenster, winzig kleine Bewohner erscheinen, leben ihr ganz normales Leben.
Der kleine Peter ist einer von ihnen. Zusammen mit seiner Familie lebt er im Regal der Bücher, die mit „Q“ beginnen. Eines nachts entdeckt er, dass ein Buch fehlt: „Für immer leben“ ist spurlos verschwunden. Niemals altern ist ein Gedanke, der Peter gefällt und er macht sich zusammen mit seinem Kater Pixi auf die Suche…

Farbenprächtige Bilder lenken den Blick immer wieder auf winzige Details. In manche Bücher kann man hineinsehen, erkennt Bad, Wohn- und Kinderzimmer. Überall entdeckt man winzige Bewohner und Tiere, kleine Treppen verbinden die Regale, auf denen auch Bäume wachsen. Der Blick nach oben zeigt Wolken, einen Sternenhimmel, einen Heißluftballon mit Einhorn oder die Satellitenschüssel am Wohnbuch. Wie in einem Wimmelbuch lässt sich vermutlich auch beim zigsten Betrachten immer noch etwas Neues entdecken.
Auch die Titel der Bücher machen Spaß. „Robinson Crusoe und Freibier“, „Nicht ohne meine Torte“, „Sofis Geld“ oder Michael Anfangs „Mono“ – hier könnte man ein schönes „Wie-heißt-das-Buch-richtig“-Spiel spielen ;-)

Aber das Buch ist nicht nur lustig, sondern zugleich tiefgründig. Das Schicksal des uralten Kindes ist ein furchtbar trauriges, auch Peter wird nachdenklich und trifft schließlich eine wichtige Entscheidung. Wer sich auf diese phantasievolle Entdeckungsreise einlassen möchte, kann das egal in welchem Alter tun, er wird fündig werden.

Fazit: Wundervoller kleiner Bücherschatz für Leser jeden Alters.

Bewertung vom 11.08.2020
Ludwig, Stephan

Zorn - Tod um Tod / Hauptkommissar Claudius Zorn Bd.9


ausgezeichnet

»Sie sollten sich langsam bereitmachen. Sie wissen ja, wie Sie sterben werden.«

Wenn man schon viele Krimis und Thriller gelesen hat, denkt man leicht, dass man von der Brutalität eines Mordes nicht mehr überrascht werden könnte. Stephan Ludwig tritt mit diesem Buch mal wieder den Gegenbeweis an.

Zorn und Schröder ist schnell klar, dass das Motiv des Mörders ein sehr persönliches sein muss, dass aus der Tat blanker Hass spricht. Bei den Ermittlungen stellt Zorn zudem fest, dass er das Opfer kannte und mit ihm Anfang der 1990er Jahre ein ausgesprochen unangenehmes Erlebnis hatte.
Und natürlich wird es nicht bei diesem einen Mord bleiben. Zorn muss in diesem Band mächtig arbeiten. Und wer ihn kennt, der weiß, wie es daher um seine Laune steht.

Thriller gibt es reichlich und Rachestorys ebenso, das Besondere an dieser Reihe sind für mich wirklich die beiden Kultkommissare. Seit Band 1 verfolge ich, wie sich die beiden Charaktere und ihr Verhältnis zueinander entwickeln, ich habe sie wirklich ins Herz geschlossen, genieße ihr Geplänkel und bedauere ihre Streitigkeiten. Obwohl es für die Handlung des Thrillers selbst nicht notwendig wäre, würde ich neuen Lesern deshalb empfehlen, die Reihe vorne zu beginnen.

Der Thriller selbst ist wie gewohnt handwerklich gut aufgebaut. Wechselnde Perspektiven sorgen dafür, dass man als Leser immer ganz nah an der Handlung ist, regelmäßige Rückblenden und eingestreute Tagebucheinträge lassen einen miträtseln. Durch das Zusammenspiel dieser Punkte ahnte ich früh, wohin das Ganze steuert, die Spannung entstand weniger durch überraschende Aktionen, sondern durch die erwarteten Brutalitäten. Die sind wirklich nicht ohne und empfindliche Leser sollten vielleicht besser nach einem anderen Buch schauen.

Fazit: Wieder mal ein Pageturner. Ich erwartete gute Unterhaltung und bekam sie auch. Zum Glück erscheint bald schon der nächste Band!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.08.2020
Lee, Harper

Wer die Nachtigall stört ... Graphic Novel


ausgezeichnet

»Sie haben es vorher getan, sie haben es heute getan, und sie werden es wieder tun. Und wenn sie’s tun, weinen anscheinend nur Kinder.«

Harper Lees Klassiker gehört seit meiner Jugend zu meinen Lieblingsbüchern. Schon als junges Mädchen bin ich darin versunken und tue es noch heute, denn dieses Buch nehme ich immer mal wieder zur Hand. Für die großartige Verfilmung mit Gregory Peck empfinde ich ähnlich. Als ich entdeckte, dass es eine Umsetzung als Graphic Novel gibt, genügte ein kurzer Blick ins Buch, um mich zu überzeugen, einen Versuch zu wagen. Es hat sich gelohnt!

Die Novel verbindet auf geniale Weise Buch und Film. Die Handlung lehnt sich in ihrer Ausführlichkeit stark am Buch an, es gibt recht viel Text, der meist wörtlich der Buchvorlage entspricht. Die Art der Illustration erinnert mich stark an den Film, ist lebendig und ausdrucksstark. Die wunderbare Atmosphäre wird ebenso intensiv dargestellt wie die Emotionen der Charaktere und die Tragik und Schönheit der Handlung.

Ich hoffe, dass die Novel mithilft, neue Leser für dieses wichtige Buch zu finden. Die Thematik ist (leider) zeitlos wichtig, geht es doch primär um Rassismus, Vorurteile und Klassenunterschiede. In einem kleinen Südstaaten-Nest namens Maycomb wächst in den 1930er Jahre die 8jährige Scout zusammen mit ihrem 4 Jahre älteren Bruder Jem auf. Ihr Vater, Atticus Finch, ist Rechtsanwalt und hat die Aufgabe übernommen, einen jungen Schwarzen zu verteidigen, dem die Vergewaltigung einer Weißen vorgeworfen wird. Die Kinder, die von ihrem idealistischen Vater zu denkenden, vorurteilsfreien Menschen erzogen werden, bekommen nun einen sehr unschönen Blick hinter die Fassade der Bewohner von Maycomb. Sie werden bedroht, geraten sogar in Lebensgefahr und erhalten Hilfe von einer Seite, mit der sie nicht gerechnet hätten.

Fazit: Unbedingt lesen! Dieser Roman ist zeitlos wichtig und in dieser Adaption sehr leicht auch für junge Leser zugänglich.

Bewertung vom 09.08.2020
Nygaard, Hannes

Tod am Kanal


sehr gut

»Wie schön, dass du bei uns bist, wenn man davon ausgeht, dass du Mord und Totschlag anziehst. Wärst du in Kiel geblieben, hättest du unsere Landeshauptstadt von der Einwohnerzahl auf das Niveau einer kriminellen Kleinstadt dezimiert. So halten wir diesen Landstrich in einer überschaubaren Größenordnung.«

Für Mordfälle in Husum sollte eigentlich die Kripo in Flensburg zuständig sein. Das Team rund um den aus Kiel versetzten Kriminalhauptkommissar Christoph Johannes zeigt aber auch in diesem Band mal wieder Ermittlerqualitäten. Und Arbeit gibt es genug, der Mord an einer Lehrerin ist nur der Auftakt, weitere äußerst brutale Taten werden folgen…

Küstenkrimis lese ich immer wieder gern und diese Reihe verspricht gute Unterhaltung mit viel Atmosphäre und Witz. Für Letzteren sorgen die diversen lockeren Dialoge zwischen den Ermittlern und die teils skurrilen Charaktere. Neben dem „Schnüffelschwein“ Große Jäger mag ich besonders jeden Auftritt des ewig meckernden Chefs der Spurensicherung.

Gut gefällt mir, dass die Ermittler ordentlich ranmüssen. Eine Zeugenbefragung folgt der nächsten, dazwischen Spurensuche und Tatorte. Viel Polizeiarbeit also, die durch die schon genannten Dialoge aufgelockert wird, Nebenhandlungen mit Privatem kommen kaum vor. Was aber auch in diesem Band wieder stark auftaucht, ist die Betonung von Missständen. Hier zum Beispiel das stetige Kompetenzgerangel zwischen Behörden, bei dem sich gleich das ungute Gefühl aufdrängt, dass so etwas doch den Ermittlungserfolg eher behindern als fördern könnte. Außerdem wird nicht mit Kritik an einer gewissen Art von Menschen gespart, die es gewohnt sind, sich alles, was sie wünschen, kaufen zu können. Passend dazu wird ein System angeprangert, dass ein solches Verhalten überhaupt erst möglich macht.

Ein paar Charaktere fand ich etwas überzogen dargestellt, da wäre etwas weniger mehr gewesen. Im Großen und Ganzen hat mich aber der fünfte Band dieser Reihe wieder gut unterhalten. Die Kenntnis der Vorgänger ist für das Verständnis nicht erforderlich.

Fazit: Solider Küstenkrimi mit Atmosphäre und Witz. Diese Reihe verfolge ich weiter.

Bewertung vom 07.08.2020
Crompton, Richard

Hell's Gate Mord in Kenia / Mollel Bd.2


sehr gut

»Gestern, als Sie kamen, nahm ich an, Sie wären wie die anderes. Die anderen polisi. Ich kenne die. Taugenichtse, die nur auf ihren Profit aus sind. Aber wie Sie sich um den Fall hier kümmern. Ihnen liegt wirklich was daran.«

Mollel ist wirklich anders als seine Ermittlerkollegen. Der eigentlich in Nairobi tätige Massai-Ermittler ist mit seinen diversen Eigenarten mal wieder auf- und in Ungnade gefallen. Als Konsequenz wird er zwangsversetzt, in den Nationalpark Hell’s Gate. Hier gibt es normalerweise nur zwei Dinge, um die man sich kümmern muss: Touristen und Wilderer. Und die tote Blumenpflückerin, die aufgefunden wird, hat mit Sicherheit Selbstmord begangen. So die allgemeine Annahme. Aber nicht die von Mollel…

Nachdem mich Mollel im Vorgängerband „Wenn der Mond stirbt“ schon begeistert hatte, musste ich natürlich auch dieses Buch lesen. Leider gibt es bislang nur zwei Fälle für den ungewöhnlichen Ermittler. Die Kenntnis des Vorgängers ist für das Verständnis hier nicht erforderlich.

Der Schauplatz und seine Besonderheiten sorgen erneut für den besonderen Reiz des Krimis. Das Thema Korruption taucht immer wieder auf, die politische Situation und das Verhältnis der einzelnen Volksgruppen zueinander erzeugen zusätzliche Spannung. In diversen Rückblenden erfährt man als Leser zudem einiges über das Leben der Massai. Ich fand gerade diese Abschnitte hochinteressant und da der Autor seit 2007 in Nairobi lebt, unterstelle ich, dass er vernünftig recherchiert hat.

Die Krimihandlung überrascht einen immer wieder. Mollel ist schwer beschäftigt, denn er versucht nicht nur den Mord an der Blumenpflückerin aufzuklären, sondern geht gleichzeitig noch dem Verdacht nach, dass sich Kollegen in Selbstjustiz üben. Leicht vorzustellen, wie gefährlich das für ihn werden kann.

Mollel ist kein einfacher Charakter, auch das ein für mich sehr reizvoller Punkt. Er hat diverse Schwächen und Fehler und nicht alle seine Aktionen kann ich gutheißen. Und trotzdem fiebert man mit ihm mit, Fehler machen einen schließlich auch menschlich.

Fazit: Wieder ein toller Afrika-Krimi, ungewöhnlich und kritisch. Ich hoffe, es wird noch mal einen weiteren Fall für Mollel geben.

Bewertung vom 06.08.2020
Stöbe, Tankred

Mut und Menschlichkeit


ausgezeichnet

»Der Distrikt zählt mit der zweithöchsten Todesrate zu den von politischen Unruhen am stärksten betroffenen Gegenden im Westen Nepals. Alle Auslandsbotschaften raten eindringlich von einem Besuch dort ab, und doch war genau diese Region mein Ziel.«

Stell dir vor, es ist Krieg und du gehst hin. Dieser abgewandelte Spruch ging mir beim Lesen des Buchs ständig durch den Kopf.
Dr. med. Tankred Stöbe arbeitet seit 17 Jahren für „Ärzte ohne Grenzen“. In dieser Zeit hat er 19 Einsätze in 15 Ländern absolviert, war in Myanmar, Nepal und Liberia, in Indonesien, Uganda und im Gazastreifen, im Sudan, in Syrien, Sierra Leone und auf einem Rettungseinsatz im Mittelmeer. Dazwischen arbeitet der Internist und Intensivmediziner als leitender Notarzt in Berlin und wurde von der Bundesärztekammer mit der Paracelsus-Medaille ausgezeichnet.

Ich habe schon immer enormen Respekt und Bewunderung für Ärzte und Helfer empfunden, die sich in die Krisengebiete der Welt wagen, die bereit sind, größte Strapazen und Lebensgefahr auf sich zu nehmen, um anderen Menschen zu helfen. Das könnte ich nicht. Überhaupt frage ich mich, wie man mit diesen seelischen Belastungen fertig wird, mit so viel erlebtem Elend und Grausamkeiten.

Wenn Tankred Stöbe über seine Einsätze berichtet, klingt ein unerschütterlicher Mut und Enthusiasmus durch. Und das, obwohl er im Einsatz nicht „nur funktioniert“, sondern sich auf die Menschen einlässt, auch viele Gespräche mit ihnen führt, nicht selten nur zuhört, ohne wirklich helfen zu können. Das muss man ertragen können.

In seinen Berichten schildert er eine Grenzerfahrung nach der anderen. Seine Patienten sind Opfer von Gewalt und/oder bitterer Notlagen, ich lese von furchtbaren Grausamkeiten - aber auch Geschichten voll Hoffnung, denn es gibt auch Lichtblicke und schöne Erlebnisse. Ich schwanke beim Lesen zwischen Entsetzen, Trauer, Ergriffenheit und immer wieder Bewunderung für den Einsatz der Helfer und nicht selten den Lebensmut der betroffenen Bevölkerung. Wenn man dann darüber nachdenkt, worüber man selber oft jammert…
Tankred Stöbe pendelt zwischen zwei Welten, denn eine andere Welt erlebt er bei seiner Arbeit in Berlin. Wie empfindet er dort seine Arbeit auf der Intensivstation? Wird nicht alles, was für uns selbstverständlich ist, in ein anderes Licht gerückt?

Fazit: Grauslich faszinierender Bericht über bewundernswerten Einsatz in den Krisengebieten der Welt. Schockiert, macht aber auch Hoffnung. Und schärft den Blick für das Wesentliche.

»Ich habe weniger Angst vor den Schwierigkeiten dieser Welt, weil ich gesehen habe, was Menschen in Extremsituationen leisten können. Jeder kann über sich hinauswachsen.«

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.07.2020
Kurbjuweit, Dirk

Haarmann


sehr gut

»Der Letzte war am 27. Oktober 1923 vermisst worden, davor einer am 25. Oktober und einer am 12. Oktober. Im September wurde ein Junge vermisst gemeldet, im August einer, Pause im Juli, im Juni einer, im Mai zwei, Pause im April, im März einer. Der Erste verschwand am 12. Februar 1923, Fritz Franke. Die Namen steckten tief in Lahnsteins Kopf, in seinem Gemüt, er kannte sie alle.«

Hannover in den Jahren 1923 und 1924. Ermittler Robert Lahnstein kann sie zu jeder Zeit auswendig aufzählen, die verschwundenen Jungen seiner Stadt. An jedem Tag fürchtet er sich davor, wieder ein besorgtes Elternpaar oder eine weinende Mutter in seinem Büro vorzufinden. Als die Serie irgendwann aufgeklärt und Fritz Haarmann als Mörder zum Tode verurteilt wird, stehen auf seiner Rechnung 24 Namen…

Fritz Haarmann hat es mit der Monstrosität seiner Taten zu weltweiter Bekanntheit geschafft. Selbst Menschen, die sich nicht für „True Crime“ interessieren, kennen zumindest Eckdaten. Nachdem ich schon vor Jahren durch die „Haarmann-Protokolle“ umfangreiche Sachkenntnisse erwerben konnte, interessierte mich nun die Umsetzung in einem Kriminalroman.

Im Zentrum der Handlung steht nicht Haarmann, sondern der Ermittler Lahnstein. Zwischendurch gibt es zwar immer wieder Abschnitte aus wechselnden Perspektiven (Haarmann, Opfer, Angehörige), aber im Wesentlichen verfolgt der Leser die Taten und Gedanken Lahnsteins. Leider zerfasert dabei der Krimi nicht selten. Lahnstein hat wie sehr viele Menschen seiner Zeit ein Kriegstrauma, das ihn in jeder Nacht verfolgt. Als Sozialdemokrat sorgt er sich zudem aufgrund der aktuellen politischen Entwicklungen.
Professionelle Distanz zu seinen Fällen zu halten, gelingt ihm nicht. Neben der emotionalen Belastung steht er natürlich unter Erwartungsdruck von Vorgesetzten und der Bevölkerung. Seine Psyche leidet, weil er einen neuen Vermisstenfall gleichzeitig fürchtet und erhofft, schließlich könnte ein neuer Fall ihm endlich die ersehnten Ansatzpunkte geben.

Während wir es bei Lahnstein mit einem fiktiven Ermittler zu tun haben, sind die dargestellten Szenen aus Polizeialltag und Gesellschaft sehr realistisch. An diesen Stellen wird das Buch zu einer gelungenen Milieustudie, die kritisch Verhörmethoden hinterfragt und deutlich macht, wie das soziale Umfeld Haarmanns Wirken über so lange Zeit überhaupt möglich machte. Stichwort: Gesellschaftliche Verantwortung!

Bei der Bewertung habe ich mich etwas schwergetan. Manchmal liegt der Fokus sehr lange auf Lahnsteins Befindlichkeiten. Diese Punkte sind zwar wichtig, um ihn als Charakter richtig verstehen zu können, doch wird der Krimi da leicht zur Nebensache. Einige Abschnitte, bei denen er politisch diskutierte oder grübelte konnten mich nur wenig erreichen. Letztlich gaben die gelungenen Kapitel mit Verhören und Prozess den Ausschlag, dass ich mich doch für 4 Sterne entschieden habe.

Fazit: Gelungen, aber mehr Milieustudie als Krimi. Wer Spannung sucht, ist hier falsch. Aber gut, der Ausgang ist eh bekannt ;-) Mit Blut sollte man auch kein Problem haben, die geschilderte Zerlegung einer Leiche ist nicht ohne.

Bewertung vom 13.07.2020
Ribeiro, Gil

Schwarzer August / Leander Lost Bd.4


sehr gut

»Sie sind verblüffend ehrlich. Das ist eine seltene Tugend.«
»Das ist keine Tugend, sondern das ist zwanghaft.«

Leander Lost, Austauschkommissar aus Deutschland an der Algarve, ist endlich mit Soraia, der Schwester seiner Kollegin Graciana, zusammengezogen. Die glücklichen Tage werden jäh von einer explodierenden Autobombe beendet. Ein Schock für alle in der Region! Und leider bleibt es nicht bei dem einen Anschlag. Als sich der Bombenleger mit seinen Forderungen meldet, wird klar, dass unsere Ermittler ein riesiges Problem haben...

Ich liebe die Krimireihe rund um Leander Lost und seine portugiesischen Kollegen. Ich mag den Stil des Autors, ich mag die Charaktere, die Beschreibung der Umgebung und der diversen landestypischen Besonderheiten. Sollte ich mal in das Land kommen, werden mir beim Blick auf eine Speisekarte vermutlich einige Passagen aus dem Buch einfallen ;-) Und obwohl ich bei Krimis normalerweise nicht viel „Drumherum“ mag, passt es hier einfach und fügt sich harmonisch und lebensecht zusammen.
Die Fälle empfand ich immer als sehr spannend, ein wenig stutzte ich daher, als die erste Bombe hochging. Ganz ehrlich, wenn in einem Krimi Bomben explodieren, fesselt mich das gewöhnlich nicht so. Zum Glück entwickelte sich aber im Lauf des Buchs eine interessante Thematik. Die Präsentation des eigentlichen Täters war nicht ganz gelungen und überraschend, was mir irgendwo aber auch gefiel, da ich schon viel zu früh einen anderen Verdacht hatte, der dann zur klassischen falschen Fährte wurde. Und zum Ende hin wurde es sogar noch richtig spannend!

Losts besondere Fähigkeiten kommen leider nicht ganz so zum Tragen wie in den Vorgängerbänden, aber dafür finde ich die Entwicklung seiner Beziehung zu Soraia sehr interessant. Ein Asperger, der versucht, einen neuen Bereich in seinem Leben zu etablieren, Logik und Gefühl zu verbinden – das hat was. Ich fand die entsprechenden Abschnitte sehr gelungen.
Unter anderem durch Losts Unfähigkeit zu lügen entwickeln sich immer wieder amüsante Wortwechsel (siehe z.B. das einleitende Zitat). Ich mag es sehr, wie Losts Kollegen sich darin üben, mit dieser für ihren Beruf klaren Schwäche umzugehen.
Auch bei anderen Charakteren lassen sich Entwicklungen beobachten. Besonders fiel mir da Duarte auf, eigentlich bislang für mich eine unsympathische Lachnummer – und nun blickt man ein wenig hinter die Fassade. Zudem bringt Duarte nun Dinge zustande, die ich ihm früher nicht zugetraut hätte. Ich bin wirklich gespannt, wie es mit ihm in einem hoffentlich bald erscheinenden Folgeband weitergehen wird!

Dieser vierte Band der Reihe setzt keine Vorkenntnisse der ersten drei Bände voraus, um die Entwicklung der Charaktere besser genießen zu können, würde ich aber empfehlen, die Reihe vorne zu beginnen.

Fazit: Toller Urlaubskrimi! Ich mag den Mix aus Krimihandlung, interessanten Charakteren und schöner Umgebung. Gerne mehr davon!

Bewertung vom 06.07.2020
Pierach, Christine

MARCO POLO Reiseführer Bayerischer Wald


gut

In meiner Kindheit war ich diverse Male im Bayerischen Wald, der letzte Aufenthalt liegt nun aber über 40 Jahre zurück. Ein guter Grund, vor der nun anstehenden Reise zu einem Reiseführer zu greifen.

Der MARCO POLO Reiseführer startet wie erwartet mit einer Auflistung der Highlights und „Insider-Tipps“, unterteilt in „Beste Tipps“, Ziele bei Regen, zum Entspannen, für den kleinen Geldbeutel und „Typisches“. Zu dieser Auflistung gehören natürlich nur Stichpunkte und ein Verweis zu der entsprechenden Seite im Buch. Klingt alles recht vielversprechend und ich lese gutgelaunt weiter.

Ein geschichtlicher Hintergrund zur Region schließt sich an, ergänzt um ein Kapitel, das auf die dort lebenden Menschen und ihre Eigenarten eingeht. Das fand ich sehr interessant, davon hätte ich gern noch mehr gelesen. Ein kurzer Abschnitt zu Essen & Trinken folgt, so etwas mag ich ebenfalls, hilft es doch beim Verständnis so mancher Speisekarte. Das Kapitel zum Einkaufen hätte ich nicht gebraucht, meine Interessenlage ist einfach eine andere.

Es folgen drei umfangreiche Kapitel zu Zielen im Oberen Bayerischen Wald, im Unteren Bayerischen Wald und im Nationalpark. Unterteilt wird dann nach Städten und zu jeder gibt es die üblichen Infos wie Sehenswürdigkeiten, Hotels & Restaurants, Ausflugstipps usw. Zu den Städten Regensburg kommt noch ein kleiner Innenstadtplan dazu. Ich fand die genannten Infos manchmal etwas dürftig, oder besser für meine Interessenlage falsch ausgerichtet. Ich hätte für mehr Details bei den Sehenswürdigkeiten lieber auf ein paar Angaben zu Souvenirs verzichtet. Kann man natürlich alles googlen, muss man hier aber auch.

Vier Erlebnistouren werden dann beschrieben, diese kann man auch in der Touren-App zum Buch aufrufen. Habe ich nicht gemacht, weil ich andere Touren plane. Weitere Wanderungen werden leider nicht beschrieben, die muss ich mir anderweitig raussuchen. Ein paar Links werden im Buch empfohlen. Der Abschnitt „Reisen mit Kindern“ beschränkt sich auf vier Seiten, auch die praktischen Hinweise (Anreise, öffentliche Verkehrsmittel, Klimatabelle) sind für mein Empfinden etwas knapp gefasst.

Was ich dann aber wirklich bedauerlich finde, sind die Karten im Buch und die herausnehmbare Faltkarte. Keine davon werde ich einfach unterwegs einsehen können, denn die Schrift ist winzig und durch die eigentlich hübsch aussehende Karte mit reichlich Grün und Bergen noch schlechter zu entziffern. Ich benötige eine Lesebrille plus sehr guter Beleuchtung, sonst habe ich keine Chance. Ist also trotz kleinem, kompaktem Format nur was fürs Hotelzimmer.

An Kleinigkeiten fehlen mir außerdem ein Wörterbuch ;-) und ich hätte gerne noch ein paar Infos zum tschechischen Grenzgebiet bekommen, aber alle Ausflugstipps enden an der Grenze.

Fazit: Schön für einen ersten Überblick, aber ich benötige noch detailliertere Infos, Tourenpläne und vor allem eine besser lesbare Karte.