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Igelmanu
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Mülheim

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Insgesamt 1033 Bewertungen
Bewertung vom 27.09.2020
Arendt, Judith

Helle und die kalte Hand / Kommissarin Helle Jespers Bd.2


ausgezeichnet

»Die Nachricht war von Ole. Er hatte ein Foto geschickt. Helle begriff nicht gleich, was darauf abgebildet war, ein Gegenstand im grellen Blitzlicht, außen herum schwarze Nacht. Dann erkannte sie es. Eine Hand. Die Finger, absurd gekrümmt, ragten mahnend in die Nacht.«

Helle Jespers ist Leiterin der Polizeistation in Skagen, einem ruhigen kleinen Ort im nördlichsten Zipfel Dänemarks. Schwere Kriminalität ist hier selten, der Fund einer Leiche in einer Wanderdüne schockiert daher umso mehr. Die Tote war eine junge Frau aus Südostasien, monatelang wurde sie von der Düne verborgen und in der ganzen Zeit hat sie niemand vermisst. Helle und ihr Team stürzen sich mit vollem Einsatz auf den Fall und stoßen auf reichlich Schmutz in ihrem sauberen kleinen Fleckchen Erde.

Schon der erste Band um Helle Jespers hat mir gut gefallen. Ich mag die Protagonistin, eine Durchschnittsfrau in den Wechseljahren, die für mein Empfinden sehr glaubwürdig rüberkommt. Sie hat natürlich ihre Schwächen und sollte wirklich weniger trinken, aber wenn sie zusammen mit ihrem Team über den Fall grübelt, ist sie fix drauf. Überhaupt wirken die vielen Teamgespräche und Zeugenbefragungen, Auswertungen von Material und Aussagen, kurz Detektivarbeit, sehr realistisch.

Meist verfolgt man als Leser die Ereignisse rund um die Ermittler, dazwischen gibt es aber auch Kapitel aus anderen Perspektiven. Das erhöht die Spannung, weil man beim Lesen merkt, wie sich die Ereignisse dramatisch zuspitzen und die Frage im Raum steht, ob die Ermittler schnell genug sein werden. Am Ende laufen verschiedene Fäden zusammen, blickt man in menschliche Abgründe und empfindet leider nicht überall Gerechtigkeit. Aber auch das ist realistisch.

Fazit: Dieser Fall hat mir sehr gefallen! Ich freue mich, dass es noch einen dritten Band gibt, der landet gleich auf meiner Liste.

Bewertung vom 27.09.2020
Jonasson, Ragnar

DUNKEL / HULDA Bd.1


gut

»Sie möchten, dass ich … heute aufhöre?«
»Sicher, wenn Sie wollen? Sie können natürlich auch noch ein, zwei Wochen bleiben, wenn Ihnen das lieber ist.«

Hulda Hermannsdóttir, 64 Jahre alt und Kommissarin bei der Polizei Reykjavik hat gerade erfahren, dass sie vorzeitig in den Ruhestand verabschiedet wird. Ihre Dienststelle strukturiert sich um, verjüngt sich und ihre Fälle wurden bereits unter den Kollegen verteilt. Hulda ist schockiert, ein Leben im Ruhestand kann sie sich nicht vorstellen. Zwei Wochen gesteht man ihr noch zu und in dieser Zeit darf sie sich einen ungelösten Fall vornehmen. Hulda braucht nicht lange zu überlegen, erinnert sie sich doch gut an die junge Russin, die vor einem Jahr tot aufgefunden wurde. Der Kollege damals gab sich für ihr Empfinden keine Mühe mit den Ermittlungen, noch viele Fragen sind offen, die will sie jetzt klären. Und ahnt nicht, in welche Gefahr sie sich damit begeben wird…

Ich ging mit großen Erwartungen an das Buch. Eine Kommissarin kurz vor dem Ruhestand, ein letzter Fall – das klang vielversprechend. Doch schon nach kurzer Zeit war ich genervt von der Protagonistin. Sie klagt und jammert, versinkt in Selbstmitleid und glaubt, dass keiner sie achtet. Ganz ehrlich: Wenn sie sich immer so aufführt, würde mich das nicht wundern. Im Laufe der Handlung kristallisiert sich heraus, was sie in ihrem Leben alles durchmachen musste, welche Dramatik bei ihr zuschlug. Wenn man das Buch als Aufarbeitung von Huldas seelischen Problemen ansieht, dann ist es sehr gelungen. Ich wollte aber gerne, dass die Ermittlerin ordentlich arbeitet, für die Lösung des Falls kämpft. Aber auch als Polizistin konnte sie mich nicht überzeugen. Gut, sie ist hartnäckig, aber überhaupt nicht teamfähig. Und sie macht Fehler, die man bei ihrer Erfahrung eigentlich nicht machen sollte.

Der Fall selber ist interessant und hat Potential, Huldas Befindlichkeiten spielen sich aber immer wieder in den Vordergrund. Vielleicht hätte ich mit einer anderen Erwartungshaltung rangehen müssen, die Spannung eines Thrillers fehlte mir, die Bezeichnung Roman hätte ich treffender gefunden.

Sehr überraschend ist das Ende, das bildete einen Pluspunkt, mit dem ich wirklich nicht gerechnet hatte. Ich werde die beiden folgenden Teile der Reihe allerdings nicht mehr lesen.

Fazit: Spannender Roman ja, aber Thriller geht für mich anders. Ein interessanter Fall, aber die Psyche der Ermittlerin steht klar im Vordergrund.

Bewertung vom 27.09.2020
Messner, Reinhold

Layla im Reich des Schneekönigs


gut

»Papa war häufig auf Reisen und lebte oft monatelang im Reich des Schneekönigs. Wenn er zurückkam, erzählte er nur wenig. Das Wasser, die Luft und das Licht dort oben hatten ihn schweigen gelehrt oder alles vergessen lassen. Das machte mich neugierig und eines Tages fragte ich ihn, ob ich mitdürfe.«

Reinhold Messner ist sicher jedem bekannt, auch als Autor hat er sich bereits einen Namen gemacht. Mit diesem Kinderbuch nun richtet er sich an junge Leser, denen er etwas von seiner Begeisterung für das Hochgebirge, vom Respekt für andere Völker und die Natur und vom Wert der Stille und Einsamkeit vermitteln möchte.

Teilweise gelingt das. Die Atmosphäre des Buchs ist schon eine besondere, die Illustrationen liebenswert und eindrucksvoll zugleich. Die Weite und Faszination dieser völlig anderen Welt werden spürbar und da mich Natur und ferne Länder immer schon begeisterten, hätte ich mich als Kind wohl sehr angesprochen gefühlt.

Was Layla auf der Reise mit ihrem Vater erlebt, ist wirklich spannend. Das Reich des Schneekönigs wird nicht genauer bezeichnet, aber die Beschreibung der Lebensumstände der Menschen, das Zusammentreffen mit Yaks und die überall hängenden Gebetsfahnen sprechen für Nepal und Tibet. Die Menschen jedenfalls dort leben zufrieden, obwohl es ihnen doch an zahlreichen materiellen Dingen mangelt. Laylas Sinne werden auf die bewusste Wahrnehmung der sie umgebenden Natur geschärft, sie fühlt sich verzaubert.

All das ist sehr schön und die Botschaft empfinde ich als wichtig. Ich fürchte nur, dass die Sprache nicht jedes Kind ansprechen wird, sie ist an einigen Stellen recht philosophisch. Mein Ding ist das nicht und ich kenne auch ehrlich gesagt kein Kind, das so spricht. Vielleicht war Herr Messner als Kind ja so? Laut seiner Vita bestieg er als Fünfjähriger seinen ersten Dreitausender, gemeinsam mit dem Vater. Ob der auf diese Weise mit seinem Sohn gesprochen hat?
Mir ist das fremd. Ich habe in meinem Leben schon viel vorgelesen und ich sehe vor meinem geistigen Auge, wie an manchen Stellen Fragezeichen in Gesichtern erscheinen würden. Und an anderer Stelle ungläubiges Staunen darüber, dass Layla (groß genug, um eine weite Reise zu machen, Feuer zu machen und Zelte aufzubauen) ein Flugzeug als riesigen Metallvogel bezeichnet.

Fazit: Wichtige Botschaft, schöne und stimmungsvolle Illustrationen. Für mein Empfinden ist die Sprache aber nicht kindgerecht.

Bewertung vom 27.09.2020
Leo, Maxim;Gutsch, Jochen-Martin

Es ist nur eine Phase, Hase


sehr gut

»Die Alterspubertät ist eine Zeit der Entscheidungen. Es gibt dieses Gefühl, vielleicht nur noch einmal etwas ändern zu können, bevor die Autobahn des Lebens keine Ausfahrten mehr hat. Ich weiß, das klingt dramatisch, aber genauso sind Alterspubertiere nun mal drauf.«

Alterspubertiere, allein schon den Begriff fand ich witzig. Und da ich mich selber in dieser schwer dramatischen Lebensphase befinde, war ich neugierig auf dieses Buch.

Die ersten Kapitel überzeugten mich noch nicht. Weder die Lesebrille noch der 50. Geburtstag hatten bei mir besondere Emotionen ausgelöst, ich fühlte mich deswegen nicht älter. Allerdings weigere ich mich bis heute hartnäckig, die Brille (wie mir empfohlen wurde) an einem Band um den Hals zu hängen. DAS ist wirklich nur was für alte Leute ;-)

Danach wurde es witziger. Natürlich werden zahlreiche Vorurteile bedient, an so manchen Dingen ist aber wirklich etwas dran und was sich so alles an Körper, Psyche und Sexualität verändert, nicht ohne. Da die Autoren Männer sind, wurde auch in einem Kapitel die erste Prostata-Vorsorge-Untersuchung thematisiert. Sehr unterhaltsam und natürlich überspitzt dargestellt, ich fragte aber gleich mal meinen Mann, ob in der Praxis seines Urologen schon mal ähnliche Dinge vorgefallen wären. Er verneinte zum Glück.

Den Mittelteil des Buchs, der „Im Körper des Alterspubertiers“ lautet, fand ich ebenfalls sehr unterhaltsam. Hier drehte sich dann alles um Prostata, Haarausfall, Hitzewellen, Stimmungsschwankungen und Gewichtszunahme. Und auch die folgenden Kapitel las ich gerne, versuchten doch hier die Alterspubertiere, sich mit ihrer neuen Lebenssituation irgendwie zu arrangieren.

Der Untertitel beschreibt das Buch als Trostbuch, man kann es auch so sehen. In nicht allen, aber in so manchen Situationen wird man sich selbst wiedererkennen. Man kann über die kleinen Anekdoten schmunzeln und sich sagen, dass alles a) doch nicht so schlimm ist, wie es aussieht, b) es den meisten anderen genauso geht und c) diese doofe Phase (so wie die erste Pubertät) irgendwann auch vorbeigeht.

Fazit: Nette Anekdoten, unterhaltsam geschrieben und mit diversen Gelegenheiten, sich wiederzuerkennen.

Bewertung vom 27.09.2020
Böhm, Anna

Einhorn kann jeder! / Emmi & Einschwein Bd.1


ausgezeichnet

»Papas Drache saß an der Seite und versuchte, sich dünn zu machen. Das war sehr rücksichtsvoll von ihm – und völlig hoffnungslos. Er hieß Henk und gehörte zur Sorte der Blauen Drachlinger, was bekanntlich ziemlich große Drachen sind. Und so nahm Henk einen beträchtlichen Teil der Küche ein. Er war so lang wie zwei Sofas – und so dick wie ein Sofa. Das führte immer wieder zu Debatten zwischen Papa und seinem Fabelwesen. Papa fand, dass so ein großer Drache versuchen sollte, nicht auch noch dick zu sein. Henk wiederum war der Meinung, es gäbe nichts Besseres als Gebäck.«

Emmi ist so aufgeregt wie noch nie in ihrem Leben. Ihr 10. Geburtstag, ihr Fabeltag, steht kurz bevor. Und an ihrem Fabeltag wird sie, wie jeder andere Wichtelstädter, ihr Fabeltier bekommen, mit dem sie dann auf Dauer verbunden bleibt. Welches Tier es sein wird, weiß niemand vorher, doch Emmi ist überzeugt, dass sie ihr Leben mit einem zarten, wunderschön anmutigen Einhorn verbringen wird. Tatsächlich hat das Wesen, das ihr am großen Tag in die Arme hopst, ein Horn. Aber zart und anmutig ist nichts an ihm. Emmi ist verzweifelt, denn mit einem pummeligen Einschwein kann sie sich nicht in der Schule sehen lassen. Doch sie wird feststellen, dass Einschwein wirklich etwas Besonderes ist…

Gut, ich gehöre wohl nicht zur Zielgruppe und meine Kinder sind erwachsen. Trotzdem habe ich von Zeit zu Zeit Spaß an einem gut gemachten Kinderbuch. Und dieses hier gehört zu der Sorte.

Wichtelstadt ist eine coole Gegend. Auf den ersten Blick sieht alles so aus, wie bei uns auch. Ganz normale Kinder und Erwachsene, die Kinder gehen zur Schule und die Großen zur Arbeit. Emmis große Schwester beschäftigt sich mit ihrem Smartphone, der kleine Bruder macht Quatsch. So weit, so normal. Aber neben jedem Wichtelstädter sitzt sein Fabeltier, gehört so selbstverständlich zur Gesellschaft, dass neben der Schule eine Landebahn für fliegende Fabeltiere steht und gute Restaurants eine eigene Speisekarte für sie parat haben. Die Fabeltiere sprechen und lesen und haben neben ihren besonderen Fähigkeiten auch jedes seinen eigenen Charakter.

Es gibt massenhaft witzige Szenen und Dialoge. Ich hatte enormen Spaß an der großen Vielfalt der Fabeltiere. Wer jetzt nur mit den „Klassikern“ wie Drache und Einhorn rechnet, wird sich wundern! Die Autorin hat bei der Erschaffung der Wesen und ihrer Fähigkeiten beachtliche Kreativität bewiesen. Ich will hier gar nichts verraten, davon sollte man sich einfach überraschen lassen.

Aber das Buch präsentiert nicht nur heile Wunderwelt. Emmi hat in der Schule gewaltige Probleme, sie ist ein Mobbing-Opfer. Mit einem Einhorn als Fabeltier hofft sie, endlich Akzeptanz und Freunde zu gewinnen. Ihr Selbstbewusstsein leidet natürlich sehr. Ein trauriger Hintergrund, der so manchem Leser bekannt sein dürfte. Nur ohne Einhorn natürlich ;-)

Fazit: Eine rundum gelungene Geschichte, witzig, phantasievoll und mit lustigen Illustrationen. Verdiente 5 Sterne für diesen Auftaktband der Einschwein-Reihe.

Bewertung vom 12.09.2020
Kallentoft, Mons;Lutteman, Markus

Die Fährte des Wolfes / Zack Herry Bd.1


gut

»Im Konferenzraum ist die Kerntruppe versammelt … Alle sitzen auf ihren Stammplätzen, aber Zack hat das Gefühl, als schauten sie ihn merkwürdig an. Als wüssten sie, was er letzte Nacht getan hat.«

Die Idee dieses Thrillers hatte mich neugierig gemacht: Ein junger Sonderermittler mit dunkler Seite auf der Jagd nach dem Mörder mehrerer brutal hingerichteter thailändischer Frauen. Klingt doch spannend, oder?

Streckenweise war es das auch. Der Typ Ermittler, den Zack Herry verkörpert, ist zwar stereotyp, aber durchaus reizvoll. Während dieser Typus sonst meist ein Alkoholproblem hat, weil er den Verlust von Ehefrau oder Kind nicht verarbeiten kann, sind es bei Zack harte Drogen und die tote Mutter.
Nächtliche Partyexzesse und der beste Freund ist gleichzeitig der Dealer – da sind Konflikte mit dem Polizei-Berufsalltag vorprogrammiert. Trotzdem ist Zack der Top-Ermittler im Team. Inwieweit das realistisch ist, darüber kann man schon spekulieren.

Aber zunächst einmal zum Fall. Vier ermordete thailändische Frauen werden in einem Massagesalon aufgefunden, die Tat wirkt wie eine brutal inszenierte Hinrichtung. Wer steckt dahinter? Ein Frauenhasser? Ein Rassist? Oder liegt ein Fall von Bandenkriminalität vor? Die Ermittler haben gerade die Arbeit aufgenommen, da folgt schon die nächste blutige Tat…

Empfindlich darf man bei diesem Buch nicht sein, die geschilderten Grausamkeiten sind sehr heftig und lassen teilweise die Frage aufkommen, welches menschliche Gehirn sich so etwas einfallen lässt. Wer also sensibel ist, sollte die Finger von diesem Buch lassen!

Freunde von Logik und Realismus (so wie ich) dürften beim Lesen ebenfalls das ein oder andere Problem haben. Ich habe schnell gemerkt, dass der Schwerpunkt hier nicht auf Schlüssigkeit, sondern auf Action gelegt wird. Kann man machen, finden sicher auch viele gut so, aber an einigen Stellen killte der fehlende Realismus bei mir völlig die Spannung. Auch der wohl geplant hochspannende Showdown ging so für mich daneben.

In der Summe lande ich bei 2,5 Sternen, die ich auf freundliche 3 aufrunde. Ich werde der Reihe auch noch eine Chance mit dem 2. Band geben. Das liegt in erster Linie daran, dass ein paar Fragen zu Zack und seinem Umfeld noch offen sind und ich auf Antworten hoffe. Falls die Formel aber erneut „Viel Action, viel Blut, kaum Logik, kaum Realitätsbezug“ lautet, gibt es keinen dritten Versuch.

Fazit: Viel Action, Blut und Grausamkeiten. Dafür fehlen leider Logik und Realitätsbezug.

Bewertung vom 02.09.2020
Meter, Peer

Beethoven


ausgezeichnet

»Dann schloss er die Augen, um im Geiste ganz bei seiner Symphonie zu sein. Es war, als würden tief in seinem Innersten Freude über sein Werk und Schmerz über seine Taubheit miteinander ringen.«

Nachdem mich schon mehrere Graphic Novels von Peer Meter begeistert hatten, wurde ich sofort neugierig, als ich diese hier entdeckte. Auch diesmal konnte mich der Autor in Zusammenarbeit mit dem Zeichner Rem Broo überzeugen.

Der Ansatz des Buchs ist ungewöhnlich. Hatte ich ursprünglich mit einer Art Biographie gerechnet, wurde ich gleich zu Beginn überrascht. Die Handlung setzt praktisch mit dem Tod Beethovens ein, der zu diesem Zeitpunkt schon als Star verehrt wird. Im Fokus steht dann auch die Gesellschaft Wiens, reichlich bissig richtet Peer Meter den Scheinwerfer auf Tratsch und Reliquienjagd.
Viele „beste Freunde“ und angeblich nahestehende Personen tauchen auf und schildern ergreifende Momente, die sie mit dem Verstorbenen erlebt haben wollen. Der Leser erfährt dadurch natürlich einiges aus Beethovens Leben, erhält kleine Einblicke, staunt über so manche Anekdote. Die Tatsache, dass er in seiner Wiener Zeit in der Stadt fast achtzig Mal umgezogen ist, wird zum Beispiel gleich zu Beginn mit viel Humor dargestellt. Oder der Kult um seine Locken! Unglaublich!
Gleichzeitig wird deutlich, dass es mit den ganzen guten Freunden in der Realität nicht weit her war. Manche schwärmen in höchsten Tönen von dem einmaligen Genie Beethovens, andere lästern und verunglimpfen den Menschen und Komponisten. Offensichtlich ging es ihnen dabei darum, deutlich zu machen, dass sie durch persönliche Erlebnisse zu diesem Urteil befähigt sind. Vielleicht trauerten sie tatsächlich um Beethoven, in erster Linie wollten sie aber ein Stück vom Ruhm abhaben. Dieses Phänomen lässt sich sicher auch auf Stars der jüngeren Zeit übertragen.

Wie immer hat Peer Meter im Vorfeld gut recherchiert, im Anhang geht er darauf ein. Der Leser erhält neben einigen Infos einen interessanten Einblick in die menschliche Natur, alles mit viel Wiener Lokalkolorit und unterhaltsam dargebracht. Die Illustrationen empfand ich als wirklich gelungen, farbenprächtig und ausdrucksstark.

Fazit: Sehr gelungene Graphic Novel, ausdrucksstarke Illustrationen und ein unterhaltsamer, informativer Inhalt. Das Buch werde ich sicher (so wie die anderen des Autors) immer mal wieder zur Hand nehmen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 01.09.2020
Rademacher, Cay

Tödliche Camargue / Capitaine Roger Blanc ermittelt Bd.2


sehr gut

»Meine Karriere ist am Arsch. Und ich fahre durch einen Sumpf, um mir den einzigen Fahrradfahrer Frankreichs anzusehen, der bescheuert genug war, sich von einem Ochsen entleiben zu lassen!«

Capitaine Roger Blanc, zwangsversetzt aus Paris, kämpft mit der Gluthitze eines Sommers in der Provence, seiner Ruine von Haus, dem ewig streikenden Auto und einem extrem blutigen Tatort. Ein Kampfstier ist aus seinem Gehege ausgebrochen und hat einen Radfahrer getötet. Ein klarer Unfall, so scheint es jedenfalls für alle außer Blanc. Der glaubt, dass jemand den Stier bewusst freiließ und der Radler, ein prominenter Fernsehmoderator nicht zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort war, sondern einem gezielten Anschlag zum Opfer fiel. Doch wer tut so etwas? Und warum?
Blanc macht sich mit seinen Ermittlungen mal wieder prompt unbeliebt. Jeder halbwegs Verdächtige scheint über gute Verbindungen zu verfügen, Blanc erfährt ordentlich Druck, die Akte soll zügig geschlossen werden. Doch wenn Blanc wühlt, dann richtig. Und stößt dabei auf mehrere alte und ungeklärte Verbrechen, die irgendwie mit dem aktuellen Fall zusammenhängen könnten…

Auch dieser zweite Band der Reihe hat mir wieder gut gefallen. Ich mag Blanc, weil er den Typ von Ermittler verkörpert, den man sich im Idealfall wünscht: In den Fall verbissen ignoriert er sämtliche Versuche von Prominenten, Politikern und sonstigen Personen mit Einfluss, seine Nachforschungen zu unterbinden. Wo andere aus Sorge um ihren Job einknicken, macht er trotzdem weiter. Manchmal heimlich und manchmal mit rechtlich nicht ganz einwandfreien Methoden, immer das Ziel im Blick. Ein schöner Gedanke, wenn jemand „Wichtiges“ es mal nicht schafft, sich Sonderrechte zu erkaufen.

Blancs Team gerät bei diesen Ermittlungen gelegentlich ins Schwitzen. Marius Tonon hat eh ein Alkoholproblem und einen dunklen Fleck in der Vergangenheit, über den niemand spricht, den aber jeder außer Blanc kennt. Kollegin Fabienne ist schon wesentlich cooler und ohne ihre IT-Kenntnisse wäre Blanc aufgeschmissen.

Der Fall wird, wie schon erwähnt, zu mehreren Fällen. Da muss man beim Lesen gut achtgeben, um nicht den Überblick zu verlieren. Zumal es teilweise weit in die Vergangenheit geht, auch die Bereiche Kunst und Politik einschließt. Zusammen mit den wieder tollen Landschaftsbeschreibungen wird eine runde Sache draus.

Fazit: Klasse Ermittler, tolle Landschaft und ein komplexer Fall. Hat wieder Spaß gemacht, ich verfolge die Reihe weiter.

»Wenn ich solche Tricks schon früher gekonnt hätte, dann würde ich immer noch in Paris arbeiten.«
»Wenn du immer noch in Paris wärst, wüsste ich nicht einmal, dass es überhaupt so etwas wie illegale Ermittlungen gibt.«

Bewertung vom 20.08.2020
Rademacher, Cay

Mörderischer Mistral / Capitaine Roger Blanc ermittelt Bd.1


sehr gut

»Blanc starrte durch die Windschutzscheibe. Er hatte eine verbrannte Leiche an den Hacken und einen Edith-Piaf-Chansons singenden Kollegen neben sich. Er hoffte, irgendwann aufzuwachen, in seinem Bett in Paris, Geneviève an seiner Seite. Das kann nur ein verrückter Traum sein, sagte er sich, bloß ein Traum, ein Traum, ein Traum, merde.«

Gerade eben noch war Capitaine Roger Blanc ein höchst erfolgreicher Ermittler in Paris und Ehemann einer schönen Frau. Von einer Minute zur anderen muss der fähige Korruptionsermittler feststellen, dass er diesmal wohl jemandem mit reichlich Einfluss zu gefährlich geworden ist. Sein Abstellgleis ist ein kleines Nest in der Provence, hübsch, aber eben mit null Gemeinsamkeiten zu seinem früheren Leben. Zumal seine Frau bei dieser Gelegenheit noch einen Schlussstrich unter die Ehe zog.
Unmittelbar nach Dienstbeginn wird der Capitaine zu einem brutalen Mord gerufen. Sein Vorgesetzter möchte den Fall gerne fix als Auseinandersetzung krimineller Banden aus Marseille abhaken, die Kollegen von dort wären dann zuständig. Doch Blanc hat Zweifel und fängt bei seinen Ermittlungen vor Ort gleich an, sich Freunde zu machen. Als noch ein zweiter Mord geschieht, merkt Blanc, dass ihn das weitere Verfolgen der Spur noch auf ein viel tieferes Abstellgleis bringen kann…

Nachdem ich mit großem Vergnügen die Krimis des Autors rund um Oberinspektor Frank Stave gelesen habe, machte ich mich nun neugierig an den ersten Fall für Capitaine Blanc. Die Provence ist für mich einer der Orte, die ich noch nie gesehen habe. Allerspätestens jetzt, nach der Lektüre, steht sie ziemlich weit oben auf meiner Reise-Wunschliste. Cay Rademacher hat es wirklich raus, Landschaft, Menschen, Speisen und Eigenarten so zu beschreiben, dass ich am liebsten sofort den Koffer packen würde. Abgesehen vom Mistral natürlich ;-)

Blanc ist jemand, dem ich zwar Sympathie entgegenbringe, mit dem ich aber so schnell noch nicht warmgeworden bin. Aber vermutlich ist der Charakter genau so angelegt, Blanc ist einfach niemand, der sich mit anderen Menschen gutstellen will. Er will aufklären, Korruption aufdecken, Verbrecher überführen. Und er schreckt dabei vor keinem einflussreichen Gegenspieler zurück.

Sein Mitstreiter, der ihm zugewiesene Partner, ist da ganz anders. Ein Mann, der ganz offensichtlich neben einem Problem mit zu viel Rosé auch noch ein Bündel charakterlicher Schwächen und/oder einen psychischen Knacks mit sich rumschleppt. Tatkräftige Unterstützung gibt es für Blanc eher von einer jungen IT-Spezialistin. Blancs Vorgesetzter fürchtet sich davor, dass Blanc seiner Karriere schaden könnte, daher agiert er lieber als Bremsklotz. Und das Verhältnis zur Untersuchungsrichterin lässt sich wohl am besten mit dem Wort „kompliziert“ beschreiben.

Die Ermittlungsarbeit fand ich logisch und schlüssig, abgesehen von einem ordentlichen Showdown gen Ende ist der Krimi eher ruhig angelegt. Mir hat das gut gefallen, ich lese gleich mit dem nächsten Band weiter.

Fazit: Gelungener Reihenauftakt. Spannender Krimi mit viel Atmosphäre.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 20.08.2020
Milton, Giles

Vom Mann, der mit zwei Flaschen Whiskey den Untergang der Titanic überlebte


ausgezeichnet

»Ich bin schon lange davon überzeugt, dass historische Details bei dem Versuch, die Vergangenheit zu rekonstruieren, von wesentlicher Bedeutung sind. Gerade vermeintliche Nichtigkeiten können größere Ereignisse auf eine Art untermalen, wie es der grobe Pinselstrich meist nicht vermag.«

Einige dieser Details und vermeintlichen Nichtigkeiten stellt der Autor in diesem Buch vor. Der britische Historiker, der sich im Vorwort selbst als „Schatzsucher“ bezeichnet, durchforstet mit großer Leidenschaft Archive, sichtet Briefe und persönliche Dokumente, immer auf der Suche nach den genannten Details, die beim Verständnis der großen Ereignisse helfen können.

Da gibt es beispielsweise Schilderungen aus dem 2. Weltkrieg, die üblicherweise nicht im Fokus der Aufmerksamkeit stehen und deren Bedeutung sich trotzdem sofort erschließt. Immer drehen sich die Geschichten um einzelne Menschen, manche von ihnen berühmte Persönlichkeiten, von anderen hingegen las ich zum ersten Mal. So begegnet man in loser Folge Hitler, Agatha Christie, Stalin oder Charlie Chaplin, aber auch zum Beispiel dem Mann vom Titel, einem Crewmitglied der Titanic.
Manchmal sind es einfach nur kuriose Ereignisse, die da geschildert werden, manchmal lerne ich aber auch Menschen kennen, die größte Hochachtung verdienen. Manche Berichte gingen ans Herz, andere machten mich wütend. Und was Walter Harris, einem Korrespondenten der Times 1903 in Marokko passierte, hätte sich kein Thriller-Autor besser ausdenken können.

Das Buch liest sich sehr leicht und unterhaltsam, die vielen kurzen Episoden sind perfekt für das Geschichtshäppchen zwischendurch. Mal amüsant, mal spannend oder berührend und immer informativ. Manches klang so phantastisch, dass ich zweifelnd googelte – um dann zu staunen. Im Anhang findet sich aber auch ein umfangreiches Literaturverzeichnis.

Fazit: Lesen und staunen. Diese Geschichtshäppchen sind informativ und unterhaltsam zugleich.