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allegra
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Insgesamt 295 Bewertungen
Bewertung vom 09.03.2011
Melandri, Francesca

Eva schläft


sehr gut

Sisiduzza heißt Fünkchen

Der Roman „Eva schläft“ von Francesca Melandri beschreibt das Leben der Familie Huber aus dem Südtirol zwischen 1919 und der Gegenwart. Diese Erzählung, die geprägt ist von den politischen Entwicklungen des Südtirols, hin- und hergerissen zwischen dem deutschsprachigen Mutterland Österreich und der erzwungenen Zugehörigkeit zu Italien, ist eingestreut als Rückblick in Evas Reise mit der Bahn aus dem Südtirol bis nach Kalabrien, wo sie den schwer kranken Vito besuchen will. Vito hatte über längere Zeit eine Liebesbeziehung zu Evas Mutter Gerda und war für Eva ein Vater. Sie war sein „Sisiduzza“, sein Fünkchen. Als er aus ihrem Leben verschwunden ist, hat er im Leben der kleinen Eva eine Lücke hinterlassen, die Gerda nie aufgearbeitet hat.

Die Beschreibungen des Schicksals der Familie Huber sind sehr gefühlvoll, wenn es um Gerda oder Eva geht, entsprechend kühl und zurückhaltend werden jedoch Gerdas Eltern Hermann und Johanna beschrieben. Das Leben scheint für diese so hart zu sein, dass sie keine Energie in Gefühle verschwenden können und ihre gesamten Lebensgeister zum Überleben benötigen. Das Leben verlangt den ärmeren, deutschsprachigen Südtirolern so viel ab, dass die Gefühlsebene weitgehend verdrängt wird.

Der historische Hintergrund wurde von Francesca Melandri ausgesprochen gründlich recherchiert. Für Leser, die sich für die Geschichte des Südtirols interessieren, ist dieser Roman ein echter Gewinn.
Der Roman ist sprachlich sehr flüssig zu lesen. Francesca Melandri spielt mit einsilbigen Dialogen, detaillierten, nicht beschönigenden Landschaftsbeschreibungen und Wiederholungen. So hat man den Prolog, den man anfangs gar nicht einordnen kann, schon beinahe vergessen, als er an passender Stelle wieder hervorgeholt wird.

Auf Grund der Leseprobe und des Klappentextes habe ich eine Geschichte einer Familie, deren Beziehungen zwischen den Personen und deren Entwicklungen erwartet, alles vor dem geschichtlichen Hintergrund des Südtirols, bzw. des Alto Adige. Insgesamt ist das Buch aber eher ein Geschichtsbuch, in das einzelne Schicksale eingestreut sind.
Das ist sehr schade, weil durch den Klappentext und das eher ungünstige Cover die historisch sehr interessierte Leserschaft eher nicht angesprochen wird. Auf der anderen Seite sind Liebhaber von gefühlsbetonten Familiengeschichten sicherlich enttäuscht, wenn sie sich seitenweise durch eine detaillierte Aufarbeitung des politischen Wechselbades der Region in den 1960er Jahren durcharbeiten müssen. Ein literarisch wertvoller Roman in der falschen Verpackung.

Ein Buch, das eindeutig polarisiert. Entweder man mag es sehr, oder man kann gar nichts damit anfangen.
Mich hat es nach den ersten 150 Seiten völlig in seinen Bann gezogen. Durch die wechselnden Erzählperspektiven ist eine Spannung aufgebaut worden, so dass ich immer weiterlesen musste, obwohl die eigentliche Handlung eher das Leben so widerspiegelt, wie es tatsächlich ist - in der Regel wenig aufregend. So entspricht auch der Schluss nicht einem Ende, wie man es von Romanen gewöhnt ist. Die Menschen verletzen sich gegenseitig, aufgrund ihrer eigenen Unzulänglichkeiten. Sie leiden jahrelang, ohne dass ihre Probleme aufgearbeitet werden. Das wird weder verurteilt, noch beschönigt.

In Vitos Worten: „Es ist nicht zu spät – nur später.“

4 von 7 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.03.2011
Durst-Benning, Petra

Die Zarentochter / Zarentochter Trilogie Bd.2


sehr gut

Erwachsen werden am Hofe des Zaren

Der historische Roman „Die Zarentochter“ von Petra Durst-Benning handelt vom Leben der jungen Olga Nikolajewna Romanowa, die als drittes Kind des Zaren
Nikolaus I und seiner Ehefrau Alexandra Fjodorowna 1822 geboren wurde.
Olga wuchs mit ihren 6 Geschwistern in einer erstaunlich modernen Familie auf. Der Zar und die Zarin legten großen Wert darauf, den direkten Kontakt zu allen ihren Kindern zu pflegen, obwohl jedes Kind natürlich seine Gouvernante oder seinen Lehrer hatte. So waren die Teestunden geprägt von fröhlichem Erzählen, Kinder wollten nicht nur gesehen, sondern auch gehört werden - anders als es zu jener Zeit in den meisten Familien der Fall war.
Die Familie lebte im Winterpalast in St. Petersburg und verbrachte die Sommer in der Regel am Peterhof am finnischen Meerbusen, wo sich Olly (Olga), ihre ältere Schwester Mary und die jüngere Adini ausgesprochen wohl fühlten.

Im Prolog wird der Zar im Dezember 1825 von Aufständischen (den Dekabristen) aufgesucht und die älteren drei Kinder erleben das unerfreuliche und beängstigende Gespräch mit, worauf der Zar sie beruhigt und ihnen versichert, er werde immer für sie da sein. Dieses bedingungslose Vertrauensverhältnis in den Vater spiegelt sich später auch wieder, wenn die Kinder ins heiratsfähige Alter kommen, und eine passende Partie für sie gefunden werden muss. Selbstverständlich bestimmt der Zar in erster Linie welche Vereinigungen mit anderen Königshäusern für Russland politisch wünschenswert sein könnten, aber die jungen Leute verfügen über erstaunlich viel Mitspracherecht.
Der Roman erzählt ausführlich über die Zeit, als für die ältesten 4 Kinder eine passende Verbindung gesucht wird. Enttäuschungen und unglückliche, nicht standesgemäße Liebschaften kommen dabei ebenso vor, wie politisches Kalkül. Nach einigen Misserfolgen heiratet Olly im Jahre 1846 den Prinzen Karl von Württemberg und zieht mit ihm nach Stuttgart.

Ich habe die Lektüre dieses Buches wirklich sehr genossen. Obwohl es in einem mir relativ unbekannten Umfeld und vor langer Zeit spielt, liest sich die Sprache angenehm flüssig und passt sich dennoch sehr gut in die damalige Zeit ein, ohne auf unpassende Weise modern zu klingen. Wenn von den Mädchen in ihren langen Kleidern geschrieben wird, musste ich immer wieder an „Sissi“ denken. Ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass dieser Stoff auch eine gute Grundlage für einen Historienfilm.

Die Schilderungen der Württemberger brachten mich immer wieder zum Schmunzeln. Die eher hölzern wirkenden Umgangsformen der Schwaben, die Sparsamkeit, die schwankt zwischen „Zeigen, dass man jemand ist“ und einem liebenswürdigen Geiz, beobachtet man im Alltag immer wieder, nicht zuletzt bei offiziellen Empfängen. Der Reichtum eines jeden Buffets wird sozusagen an den Brezeln gemessen.

Bisher war mir auch gar nicht bewusst, dass verschiedene soziale Institutionen von den russischen Königinnen ins Leben gerufen wurden. Wenn man in der Umgebung von Stuttgart wohnt und Kinder hat, kommt kaum um das „Olgäle“ herum, dem Kinderkrankenhaus in Stuttgart. Das heutige städtische Gymnasium „Königin Olga Stift“ wurde von Olga als Mädchenschule gegründet und Olgas Tante, Katharina Pawlowna, hat sich mit dem „Katzenstift“ (Königin Katharina Stift) und dem Katharinenhospital in den Herzen der Stuttgarter verewigt.

Wenn jemand gerne übrschaubare historische Romane hat, die man zügig lesen kann, dann kann ich „Die Zarentochter“ nur empfehlen. Man lernt einiges über das Leben am Hofe der Zaren und kann dabei herrlich entspannen. Dass man das Ende auf Grund der Historie bereits kennt, tut dem Buch keinen Abbruch. Die dadurch etwas fehlende Spannung wird durch viel Gefühl und wunderbare Beschreibungen von Landschaft und Palästen mehr als wett gemacht.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 01.03.2011
Böttcher, Sven

Prophezeiung


sehr gut

Kluger Rat - Notvorrat

Das war der Slogan, der mich in meiner Kindheit während mancher Einkaufstour mit meiner Mutter verfolgt hat. Peinlich genau hat jede Familie eine bestimmte Menge an Grundnahrungsmitteln zu Hause gehortet - für den Notfall.
Mögliche Ursachen für einen solchen Notfall liefert der Roman „Prophezeiung“ von Sven Böttcher, wo eine fiktive Erhöhung der Strahlungsintensität der Sonne für eine schnelle Veränderung des Klimas sorgt: In den trockenen Regionen wird es extrem heiß und trocken und die nördlicheren Breiten werden von heftigem Dauerregen und Überschwemmungen heimgesucht.

Vor diesem Hintergrund wird die Geschichte von Mavie Heller erzählt, die als Wissenschafterin in einem geheimen Klimaforschungsinstitut auf La Palma durch ihre Neugierde auf ein Wetterprognoseprogramm namens Prometheus aufmerksam wird, das das Wetter auf der ganzen Erde detailliert und zutreffend voraussagen kann. Zu Mavies Entsetzen muss sie feststellen, dass die Prognose für die unmittelbare Zukunft verheerend ist: Mit extremen Dürren und schlimmen Überschwemmungen muss gerechnet werden, was 400 – 800 Millionen Todesopfer zur Folge haben wird.

Die Frage, weshalb diese Informationen geheim gehalten werden, bildet die Ausgangssituation für eine spannende, teilweise auch beängstigende Zukunftsvision.

Persönliche Meinung:

Ich würde das Buch als eine Mischung von Öko-, Klima- und Wirtschaftsthriller sehen, weil alle Teilbereiche den Verlauf bestimmen und auch dazu reichlich Hintergrundwissen geliefert wird. Was nur am Rande eine Rolle spielt, das sind die politischen Kräfte im Hintergrund, und das wäre auch einer meiner Kritikpunkte. Ich möchte mir lieber nicht vorstellen müssen, dass Politiker in Ost und West angesichts einer globalen Katastrophe, die Geschicke der Erde gänzlich in die Hände einiger weniger, sogar eher zwielichtiger Wissenschaftler, legen.

Im Laufe der Zeit gibt es im Roman immer wieder längere Passagen, wo man als Leser mit einer Vielzahl an Abkürzungen konfrontiert wird und Abhandlungen von wissenschaftlichen Hintergründen und wirtschaftlichen Verstrickungen über sich ergehen lassen muss. Da hätte dem Verständnis manchmal etwas weniger nicht geschadet.

Das Buch ist nebst Prolog und Epilog in vier größere Kapitel unterteilt, deren Überschrift jeweils aus der griechischen Mythologie stammt und mit dem Inhalt korrespondiert.
So ist das Kapitel, indem Mavie Heller versucht, die Welt von der verheerenden Prognose zu unterrichten, übertitelt mit „Kassandra“, der Seherin und ungehörten Warnerin in Troja. Im letzten Kapitel, das die Überschrift „Styx“ trägt, dem „Wasser des Grauens“, werden dem Leser actionreiche Szenen im überschwemmten Hamburg sehr anschaulich und mitreißend vor Augen geführt.

Die Beschreibung der Personen ist teilweise etwas spröde, so wurde ich nie wirklich warm mit der Protagonistin Mavie, ebenfalls andere Hauptpersonen sind nicht so wirklich zum Leben erwacht.

Fazit:

Sprachlich und inhaltlich ist der Roman recht anspruchsvoll, er bietet gute und interessante Unterhaltung und handelt von einem sehr brisanten Thema. Durch die Aktualitätsbezogenheit regt er hoffentlich viele Diskussionen an über die Art und Weise, wie wir mit unseren Ressourcen umgehen und was wir für Vorkehrungen für die Zukunft treffen sollten - und wenn es nur das Anlegen eines Notvorrats ist.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 16.02.2011
Roversi, Paolo

Die linke Hand des Teufels


gut

Das rote Halstuch der Partisanen

Dieser Roman ist der Auftakt einer Reihe um den jungen Journalisten Enrico Rovereschi, der in Mailand wohnt, für den Corriere della sera schreibt und befreundet ist mit dem dortigen Vicequestore Loris Sebastiani, der Rovereschi manchmal als Sachverständigen in Computerproblemen um Hilfe bittet.
Rovereschi ist in Campo die Ponte Emilia aufgewachsen, wo der Haupterzählstrang des Romans spielt. Er muss während des Urlaubs im Haus seiner Eltern die Katze füttern. In der Wohnung nebenan ist der Maresciallo Boskovic eingezogen, der sich ein Gürteltier namens Gatsby als Haustier hält, und in der Kaserne der Carabinieri mit dem etwas schwerfällligen Brigadiere Rizzitano zusammenarbeitet. Diese Konstellation gibt immer wieder Raum für humorvolle Situationen.

In Mailand wird eine weibliche Leiche gefunden, Vicequestore Sebastiani zieht Rovereschi hinzu, der dafür mehrmals zwischen Mailand und Campo di Ponte hin und her fahren muss. Dieser Handlungsstrang plätschert so dahin und zieht sich ziemlich in die Länge und es will nicht wirklich klar werden, wozu er überhaupt führen soll. Seine Auflösung wirkt auf mich leider etwas aufgesetzt und simpel.
Dieser langatmige Zwischenteil ließ mich einerseits etwas irritiert zurück, andererseits passt genau das zu der langen Hitzeperiode, die das Leben allgemein langsamer und träger macht.

Die Ermittlungen der Morde an zwei alten Männern in Campo die Ponte, denen als Warnung abgehackte Hände in den Briefkasten gelegt wurden, führen zeitlich weit zurück, in ein düsteres Kapitel in Norditalien, in die Zeit der Repubblica di Saló, um 1943, wo Benito Mussolini Staatschef war und eine italienische SS gebildet hat, die Partisanen und Zivilbevölkerung blutig bekämpft hat. Am 25.4.1945 kam es zu einem Aufstand der Nationalen Befreiungsfront der Partisanen Norditaliens. Während diesen Unruhen versteckten sich SS Angehörige, wechselten das Hemd, und kamen, nachdem sich die Wogen geglättet hatten mit dem rote Halstuch der Partisanen zurück, um sich eine neue Identität aufzubauen.

Ich musste mich etwas in die historischen Hintergründe einlesen, bis ich alles verstehen konnte, finde aber, dass sich das durchwegs gelohnt hat.

Mir hat sehr gut gefallen, wie der Autor die sommerliche Stimmung rüberbringen kann. Die Figuren sind alle sehr detailreich, liebevoll schrullig gezeichnet. Die südliche Leichtigkeit kommt ebenso wenig zu kurz wie die Vorliebe für gute Küche. Ich fühlte mich bei diesem Roman mehrheitlich gut unterhalten und habe etwas erfahren über ein mir bisher unbekanntes Kapitel europäischer Geschichte.

Was ich etwas gewöhnungsbedürftig finde, ist die Tatsache, dass die Hauptpersonen alle Männer sind. Wenn Frauen vorkommen, sind sie entweder tot, weinen, wischen Tische ab, oder sie sind im Bett mit einem Kerl. - Machos eben, wie es das Klischee der Männerwelt in Italien so will.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.01.2011
Läckberg, Camilla

Engel aus Eis / Erica Falck & Patrik Hedström Bd.5


sehr gut

Camilla Läckberg führt ihre Hauptfigur, die Schriftstellerin Erica Falck durch ein neues Kapitel ihres Lebens. Sie nimmt nach einer einjährigen Babypause ihre berufliche Tätigkeit wieder auf und setzt sich gleichzeitig mit dem Leben ihrer Mutter Elsy auseinander. Dabei wird die Zeit des 2.Weltkriegs beleuchtet und dessen Auswirkungen auf das ländliche Leben im schwedischen Fiällbacka.

Der Roman spielt auf zwei Zeitebenen, wobei der Übergang anfangs nicht immer ganz klar ist. Man findet sich aber sehr schnell in die beiden Handlungsstränge ein, wobei die jeweils an spannenden Stellen stattfindenden Wechsel für Spannung sorgen. Während im ersten Teil des Romans die familiären Nebenschauplätze der „Jetztzeit“ im Umfeld von Erica Falck einen großen Raum einnehmen, legt der Roman im zweiten an Tempo zu und die losen Enden der erst zusammenhangslosen Protagonisten finden rund und einfühlsam zu einem Ganzen zusammen., ohne dass eine Hektik aufkommt, wie es leider recht häufig bei Kriminalromanen gegen Ende zu der Fall ist.

Im Überblick gesehen, ist der Roman sehr sorgfältig konzipiert und obwohl die Autorin noch recht jung ist, schafft sie es, die sehr unterschiedlichen Personentypen recht glaubwürdig darzustellen. Was mich etwas gestört hat, war die gebetsmühlenartige Wiederholung, dass Ericas Ehemann, der Polizist Patrik Hedstrom im Erziehungsurlaub ist und dass Erica nach einem Jahr Babypause infolge mangelnder geistiger Stimulation schon kurz vor dem intellektuellen Zerfall steht.

Die Entwicklung der einzelnen Figuren, von den Polizisten Mellberg und Gösta bis hin zu Ericas Schwester, Anna, lässt viel Spielraum offen für neue Folgen der Serie. Ich freue mich darauf, hoffe aber, dass die Babies recht schnell gedeihen, so dass mir mehrseitige Krabbelgruppenszenen in Zukunft erspart bleiben.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.