Benutzer
Benutzername: 
Barbara
Wohnort: 
Remscheid

Bewertungen

Insgesamt 205 Bewertungen
Bewertung vom 11.03.2025
Morrison, Ewan

Überleben ist alles


gut

Das Thema und die Aufmachung des Thrillers hat mich sehr angesprochen, die Geschichte und vor allem die Erzählweise blieben jedoch hinter meinen Erwartungen zurück.
Die 15jährige Haley erzählt aus ihrer Sicht die Geschichte, wie sie zusammen mit ihrem Bruder Ben vom Vater entführt und in ein Prepper-Camp in den Bergen gebracht wird. Davon überzeugt, dass eine tödliche Pandemie ausgebrochen ist, lebt hier eine Gruppe von Überlebenskünstlern abgeschottet von der Zivilisation, ohne jede Kommunikation mit der Außenwelt, in einem selbstgewählten Lockdown.
Interessant finde ich die Schwankungen, die man als Leser*in durchlebt. Ist das alles nur ein Hirngespinst des Vaters, der schon immer Verschwörungen und Gefahren gewittert hat? Oder ist die Bedrohung real und das Grüppchen wird die einzigen Überlebenden in der Zukunft stellen? Hier beschreibt Ewan Morrison eine Dystopie zwischen Überlebenswillen und Wahnsinn.
Haleys Figur schwankt zwischen zickigem Teenager und abgebrühter Kämpferin. Tragisch dabei das Dauerthema des Scheidungskindes, das es immer nur einem Elternteil recht machen kann und im Dauerdilemma lebt, ob es jetzt Mutter oder Vater gerecht werden soll. Die Aufzählungen ihrer Listen und des Survival-Handbuches lesen sich am Anfang ganz witzig, erzeugen aber im Laufe des Buches eher Langeweile. Zudem fehlt mir etwas die Spannung, das Thema wird etwas langatmig erzählt und ich würde das Buch nicht unbedingt als Thriller bezeichnen. Insgesamt hätte ich mir bei den zum Teil etwas sonderbaren Figuren etwas mehr Tiefgang gewünscht. Der Schreibstil ist oft flapsig und manchmal recht derb, das soll wohl der Sprache der 15jährigen geschuldet sein. Doch das nimmt oft den Fluss, wirkt ab der Hälfte eher ermüdend und macht das Buch für mich nicht zu einem angenehmen Leseerlebnis.
Ein interessantes Thema, das mich in der Umsetzung jedoch nicht ganz überzeugen konnte.

Bewertung vom 08.03.2025
Groschupf, Johannes

Skin City (eBook, ePUB)


gut

Es sind drei Erzählstränge, die Johannes Groschupf hier in seinem neuen Berlin-Noir-Thriller mehr oder weniger miteinander verknüpft.
Koba aus Tiflis gehört zu einer Einbrecherbande, die in Berlin massenweise Häuser ausräumt. Romina Winter ist Polizistin, aber als Roma auch noch fest mit ihrer Familie und deren Werten verwurzelt. Jaques Lippold ist frisch aus der Justizvollzugsanstalt Tegel entlassen und möchte sich ein Leben als Kunstexperte bei den Reichen und Schönen aufbauen.
Zu Beginn liest es sich durchaus spannend, welchen Weg jeder der drei Charaktere einschlägt und es macht neugierig, wie diese verschiedenen Figuren zusammen finden. Doch im Verlauf der Geschichte werden die Figuren immer klischeebeladener, vor allem Romina fehlt für mich die Authentizität. Wer sich so hochkämpft aus der Roma-Familie, sich für den Polizeidienst entscheidet, der hat gefühlt mehr verdient als zum Schluß fast nur noch auf seine Herkunft reduziert zu werden. Die Verbindung zwischen Romina und Lippold ist interessant und spannend, die Verknüpfung zu Koba macht mich lange neugierig und enttäuscht mich dann am Ende.
Bei allen drei Hauptfiguren geht es vor allem um die Verteidigung der Ehre. Romina möchte den Angriff auf ihre Familie rächen, Lippold den Diebstahl seiner teuren Uhr in der Haftanstalt und Koba rutscht in die Kriminalität durch einen Ehrenmord in Georgien, der ihn zur Flucht nach Deutschland zwingt. Doch alles ist ein bisschen zu konstruiert, die Erlebnisse einen Tick drüber. Die Beschreibungen aus der Kunstszene lesen sich herrlich versnobt, die Diskrepanz zur Berliner Szene ist gerade an der Figur Lippolds gut beschrieben: in den Neunziger Jahren war er Tickerboy im Bunker in Berlin, jetzt sitzt er in der Feinkostabteilung des KaDeWe bei Champagner und Austern.
Skin City führt die Leser*innen rasant durch Berlin, von der Harzer Strasse wo die Roma leben bis zu den Villen in Lichterfelde. Ein kurzer Thriller mit 230 Seiten, der zwar spannend ist, aber mehr Tiefgang vertragen hätte.

Bewertung vom 24.02.2025
Johnsrud, Ingar

Echokammer / Ein Fall für Benjamin & Tong Bd.1


sehr gut

Es sind zwei Erzählstränge, die in diesem politischen Thriller aus Norwegen aufeinander treffen. Zum einen geht es um die anstehenden Wahlen, bei denen sich Christina Nilsen der Arbeiterpartei große Hoffnungen auf den Posten der Ministerpräsidentin macht. Doch Intrigen werden in- und außerhalb der eigenen Parteiriegen geschmiedet, es wird taktiert und manipuliert was das Zeug hält. Hier kommt auch der ehemalig Polizei-Jurist Jens Meidell ins Spiel, der als juristischer Berater angeheuert wird. Er versucht, sein Privatleben aus der Politik herauszuhalten und seine Integrität zu bewahren, auch als der Wahlkampf immer schmutziger wird. Zum anderen arbeiten Liselott Benjamin und Martin Tong als Anti-Terror-Ermittler daran, einen drohenden Giftgas-Anschlag zu verhindern. Hat etwa die drohende Gefahr etwas mit den führenden Politikern zu tun?
Dieser politische Thriller liest sich brandaktuell, unter anderem natürlich auch durch die zeitliche Nähe zu unserer eigenen Bundestagswahl. Gefühlt wurde für mich der Ton auch in unserem Land rauer, der Wahlkampf persönlicher und schmutziger. Hier sind durchaus Parallelen, die sich auch auf die zunehmende Verschiebung nach Rechts in ganz Europa beziehen. Und auch die Regierung unter Trump in den USA wird am Rande angesprochen, hier ist also ein aktueller Bezug von Ingar Johnsrud durchaus gewollt.
Dieser Thriller ist in drei Teile mit jeweils relativ kurzen Kapiteln aus unterschiedlichen Perspektiven gegliedert. Zu Beginn bedarf es dadurch etwas Konzentration, um in beide Erzählstränge richtig einzutauchen. Das Herunterzählen der Tage vor der Parlamentswahl erzeugt Spannung bis zur Wahlnacht am Ende. Der Spannungsbogen baut sich zum Ende jedes Teils enorm auf um dann dem Leser wieder eine kurze Verschnaufpause zu geben. Das ist geschickt gemacht und bewirkt Spannung bis zum Schluß.
Der Cliffhanger am Ende macht natürlich neugierig auf die Fortsetzung.
Die Charaktere sind interessant in ihrer Unterschiedlichkeit, über ihre Vergangenheit erfährt man relativ wenig. Da hätte ich mir manchmal ein paar tiefere Einsichten gewünscht, zum Beispiel in das Leben von Liselott und Martin.
Den gelben Farbschnitt hätte ich nicht gebraucht, das verbinde ich immer mit wenig anspruchsvoller und eher reißerischer Lektüre.
Ein spannender politischer Thriller mit erschreckend aktuellen Bezügen, solide gemacht und gut unterhaltend.

Bewertung vom 17.02.2025
Henríquez, Cristina

Der große Riss


sehr gut

Erwartet habe ich bei diesem Buch die Geschichte des Baus des Panama-Kanals zu lesen. Allerdings ist in diesem Roman von Christina Henríquez der Fokus weniger auf den Bauvorgang als auf menschliche Schicksale gerichtet, was mich durchaus positiv überrascht hat. So erfährt man die Geschichte der mutigen jungen Ada aus Barbados, die ganz alleine nach Panama kommt, um Geld für die Operation ihrer Schwester in der Heimat zu verdienen. Wobei ebenfalls das Schicksal ihrer Mutter interessant erzählt wird, auch wenn es nicht in Panama spielt. Oder das Leben von Omar dem Fischersohn, der seinen Vater zutiefst enttäuscht als er sich gegen die Fischerei und für den Bau des Panama-Kanals entscheidet. Die harten Bedingungen als einfacher Handlanger sind unmenschlich und willkürlich. Auch der amerikanische Arzt John Oswald und seine Frau Marian kommen nach Panama mit dem Plan, die Malaria auszurotten. Ihr Schicksal ist es, mit den ungewohnten klimatischen Bedingungen und dem Leben in der fremden Welt zurecht zu kommen. So beschreibt die Autorin arme und reiche Menschen, Einheimische und Fremde und damit kommen viele verschiedenen Perspektiven zur Darstellung.
Der große Riss beschreibt hier nicht nur das Ausheben des Erdreichs in Panama sondern auch die Spaltung der Gesellschaft rund um dieses Projekt und in der Zeit um 1900.
Ein sehr interessantes Buch, anders als erwartet aber mit hohem Unterhaltungswert. Es verbindet ein historisches Ereignis mit sehr unterschiedlichen menschlichen Schicksalen und ist in einem angenehmen Schreibstil geschrieben. Die zeitlichen Kapitel springen manchmal etwas, aber daran gewöhnt man sich beim Lesen.
Einige Schicksale haben mich besonders berührt, zum Beispiel das von Marian Oswald. Hier hätte ich mir noch ein wenig mehr Details gewünscht, aber das hätte sicher in der Gesamtheit zu weit geführt.

Bewertung vom 30.01.2025
Crouch, Sarah

Middletide - Was die Gezeiten verbergen


sehr gut

Elijah und Nakita verbindet eine intensive Jugendliebe, doch Elijah verlässt das kleine Örtchen Point Orchards, um ein erfolgreicher Autor zu werden. Nachdem seine Pläne geplatzt sind kehrt er viele Jahre später gescheitert und desillusioniert in die Heimat zurück. Nakita und er versuchen sich wieder anzunähern, doch dann geschieht ein Mord in der beschaulichen Kleinstadt und nichts ist mehr so, wie es einmal war.
Mit intensiven Beschreibungen der Umgebung von Point Orchards im Staat Washington vermittelt Sarah Crouch eine große Liebe zur Natur, sie lassen ein wundervolles Bild über Seenlandschaften, Wälder und Naturromantik vor den Augen der Leser*innen entstehen. Der Mord an einer jungen Ärztin aus dem Ort überschattet die Idylle und bedroht die Zukunft von Elijah.
Dieser Roman ist eine unterhaltsame Mischung aus Liebesroman und Krimi, der mich jedoch nicht voll überzeugen konnte. Leider ist die Auflösung des Falls relativ früh vorhersehbar und kommt am Ende dann doch ein bisschen zu plötzlich.
Im Verlauf der Geschichte erfährt man viel über die Gefühlswelt von Elijah, sein gespaltenes Verhältnis zum Vater, sein beruflicher Frust und die Reue über Fehlentscheidungen in seinem Leben. Nakita kommt hier für meinen Geschmack ein wenig zu kurz, da hätte ich mir etwas mehr Zuwendung zu ihren Emotionen gewünscht.
Außerdem sind die Zeitsprünge, in denen dieser Roman geschrieben ist, ein bisschen irritierend und unterbrechen den Fluß der Geschichte. Normalerweise mag ich diese Art der Erzählung, hier hat sie mich jedoch häufig irritiert und ich war angewiesen auf die Angabe des Datums vor dem jeweiligen Zeitabschnitt.
Dieses Buch hat mich thematisch stark an "Der Gesang der Flusskrebse" von Delia Owens erinnert, kann jedoch in Bezug auf Schreibstil und Raffinesse nicht ganz mithalten. Dennoch ist es ein unterhaltsamer Roman mit vielen Facetten und ein interessantes Debüt von Sarah Crouch.

Bewertung vom 22.01.2025
Würger, Takis

Für Polina


ausgezeichnet

Hannes Prager ist ein besonderes Kind, was für ihn das Leben nicht leicht macht. Von seiner alleinerziehenden jungen Mutter wird er mit viel Liebe und Verständnis aufgezogen, begleitet von der besten Freundin mit ihrer gleich alten Tochter Polina. Hannes entdeckt fast durch Zufall seine große Begabung für die Musik und das Klavierspiel, beides wird für ihn der Sinn des Lebens und eine Möglichkeit, seine Gefühle auszudrücken. Durch den Verlust der beiden wichtigsten Frauen in seinem Leben zieht er sich vom Klavierspielen zurück, doch er kann Polina nur wiederfinden, wenn er durch seine Musik sprechen kann.
Takis Würger erzählt das Leben von Hannes so leicht und dabei eindringlich, dass man intensiv mit dem jungen Mann liebt und leidet. Zu erleben, wie ein Mensch so aufgeht in seiner Musik, ist faszinierend und interessant. Dieser scheue Junge, der wenig wortgewandt, ungelenk und nicht ehrgeizig ist, wird zu einem völlig Anderen, wenn er sich ans Klavier setzt. Die tiefe Liebe der Mutter trägt ihn, seine Freundin Polina erdet ihn und der Vermieter Heinrich wird eine Art Großvater-Ersatz, so dass dem ungewöhnlichen Kind eine glückliche Kindheit beschert wird. Doch wirklich interessant wird es im zweiten Teil, in dem Hannes alles verloren hat was ihm lieb und teuer ist und er sich entscheiden muss, wie sein weiteres Leben verlaufen soll. Dabei fällt er Entscheidungen, die so verrückt erscheinen, dass man darüber nur den Kopf schütteln kann.
Der Autor versteht es sehr einfühlsam Gefühle auszudrücken, so dass einem Hannes sehr ans Herz wächst. Durch den feinen Humor ist dieser Roman auch in den traurigen Passagen überraschend lustig.
Die Charaktere sind interessant und authentisch: köstlich der verschrobene und meist betrunkene Heinrich, zerrissen vom Auf und Ab im Leben die kunstbegabte Polina, nach außen brutal und innen ganz weich der furchteinflößende Freund Bosch, urkomisch der Chef und verkappte Jazzpianist Blau - sie alle tragen diese Geschichte rund um Hannes mit und sorgen für hervorragende Unterhaltung.
Dieses Buch handelt vor allem von der Liebe, ohne dabei kitschig zu sein. Es geht um die Liebe zwischen Müttern und Kindern, um die Intensität der Liebe zwischen zwei Seelenverwandten, aber auch um die Wichtigkeit von Freundschaft.
Ein großartiger Roman mit tiefen Gefühlen, intensiv und unterhaltsam, elegant geschrieben, der mich in seiner Gesamtheit sehr gut unterhalten zurück lässt. Solche Bücher sind es, die mich als Leserin begeistern und sehr glücklich machen.

Bewertung vom 10.01.2025
Glattauer, Daniel

In einem Zug


ausgezeichnet

Das Buch handelt von dem Gespräch zwischen dem älteren Eduard Brünhofer, Autor von Liebesromanen, und der früh mittelalten Catrin Meyr, Therapeutin, die gemeinsam unterwegs sind im Zug zwischen Wien und München. Catrin lockt den zurückhaltenden Eduard mit ihren Fragen geschickt so lange aus der Reserve, bis er private Dinge über seine Familie, sein Leben und seinen Beruf preis gibt.

Man könnte meinen, dieses Gespräch über 4 Stunden gemeinsame Zugfahrt sei für ein Buch nicht interessant genug - doch weit gefehlt, wenn der Autor Daniel Glattauer heißt und seine sprachgewaltigen Dialoge zu Papier bringt. Der etwas verkautzte Eduard wird ganz gegen seine Gewohnheit zur Plaudertasche, er beobachtet, kommentiert und bewertet seine Mitreisende, seine Umgebung und sein Leben mit viel Humor und Ironie. Sein Gegenpart Catrin fasziniert ihn mit ihrem lächeln - oder besser in der Mehrzahl: ihren verschiedenen Arten zu lächeln, ihrer Neugier und ihrem Lebensentwurf, der so ganz anders ist als Eduards. Und so kommt es über Gespräche mit Themen, die Eduard nie Preis gegeben hätte, wenn sein Gegenüber nicht Catrin Meyr wäre. Er spricht über die Liebe, was ihm in sofern schwer fällt, als er ein Autor von Liebesromanen ist, der jedoch mit einer Schreibblockade zu kämpfen hat. Catrin zwingt ihn mit ihren direkten Fragen, sein Leben zu formulieren, sich über seine Liebe zu Frau und Tochter zu äußern, auch über Sex nachzudenken und sich seinem Lebensentwurf zu stellen.

Und so vergehen die Stunden in einem Zug für die Protagonisten und die Leser*innen des Buches wie im Fluge. Man taucht ein in die Dialoge und erlebt trotz kaum vorhandener Handlung eine Art Sog, der einen dieses Buch kaum aus der Hand legen lässt. Dazu kommt ein interessanter Turn Glattauers, der einen am Ende schmunzelnd und sehr gut unterhalten zurück lässt.

Eine Empfehlung für jeden, der Wert auf einen guten und besonderen Schreibstil legt.

Bewertung vom 29.12.2024
Decker, Anika

Zwei vernünftige Erwachsene, die sich mal nackt gesehen haben


sehr gut

Wenn sich zwei Menschen ineinander verlieben, die 20 Jahre Altersunterschied aufweisen, dann ist das eigentlich etwas alltägliches. So ist es bei Ninas geschiedenem Mann mit seiner jungen Frau, erfolgreiche Influencerin und Mutter von niedlichen Zwillingen. Doch als die 50jährige Nina den 30jährigen David trifft, scheint eine Beziehung zwischen den beiden für alle undenkbar zu sein.

Anika Decker gelingt es mit viel Humor, ganz unterschiedliche Themen in ihrem Buch anzuschneiden. Es geht um die MeToo-Bewegung in der Filmbranche, um die scheinheilige Empörung beim Thema ältere Frau - jüngerer Mann, um den Stellenwert von Freundschaft und Familie, um die Wechseljahre und um die Oberflächlichkeit der Ehefrauen aus bestem Hause. Ganz im Sinne von "Übertreibung veranschaulicht" werden hier auch ein paar Klischees bedient, die allerdings sehr unterhaltsam verpackt sind, zum Beispiel die gebotoxten Yoga-Damen und ihr Streben nach Perfektion in allen Lebenslagen. Zum Glück wird das Thema der sexuellen Belästigung nicht zu klamaukig behandelt, ansonsten geht es sehr emotional zu. Es wird viel geweint und gelacht, gelästert und geliebt. Gut gefällt mir hier der Perspektivwechsel, so dass neben Nina auch die Sicht der anderen Personen und ihre Gefühle zum Ausdruck kommen. Und immer wieder wird das Thema mangelnde Kommunikation vor allem in der Familie aufgenommen. Viele Missverständnisse und alte Ressentiments lassen sich vermeiden, wenn man offener und ehrlich miteinander spricht. Gerade zwischen den Schwestern Lena und Nina und ihrer Mutter schwelen viele alte Familienkonflikte, Neid und Eifersucht. Auch die Freundschaft von Nina und ihrer Kollegin Zeynep ist wunderbar beschrieben, wer sagt denn, dass Frauen um die 50 mit Hormonschwankungen nicht auch noch viel Spaß haben können?

Vor allem ist dieses Buch sehr unterhaltsam und lustig, hat jedoch trotzdem durch seine vielfältigen Themen einen ernsten Kern. Ich würde es hauptsächlich Frauen empfehlen.

Bewertung vom 18.12.2024
Thorpe, Rufi

Only Margo


sehr gut

Als Margo mit 19 von ihrem College-Professor schwanger wird und sich entscheidet, das Kind zu behalten, ändert sich ihr Leben von Grund auf. Sie liebt ihren Sohn Bodhy abgöttisch, aber es fehlt ihr an Geld und an Unterstützung von außen. Bis Margo eine Idee hat, die ihr jedoch viel abverlangt und sie selber immer wieder zweifeln lässt.
Rufi Thorpe gelingt es, mit viel Humor die Geschichte von Margo zu erzählen und deren Beruf als Sex-Arbeiterin vor der Kamera völlig normal und unaufgeregt darzustellen. Nachvollziehen kann ich tatsächlich besser die Reaktion von Margos Mutter und einer Schulfreundin, die diese Tätigkeit ablehnen und sich für Margo schämen. Ungewöhnlich dagegen die Rolle von Margos Vater, der sich Zeit seines Lebens nie um seine Tochter gekümmert hat, nun aber als Retter in der Not gerade rechtzeitig auf der Matte steht. Überrascht bin ich, dass dieser Roman ausgerechnet in den eher verklemmten USA spielt. Ich bewundere die Autorin dafür, mit welcher Lockerheit und Selbstverständlichkeit sie über Dick-Pics, Dick-Ratings und das Drehen von Filmen einer Sex-Arbeiterin schreibt, ohne dass dieser Roman dadurch zum Soft-Porno oder sexistisch wird. Hier geht es im Wesentlichen um eine junge Frau, die von ihrem Professor ausgenutzt wurde und nun zusieht, wie sie als alleinerziehende junge Mutter zurecht kommt. Und das kommt sie, trotz ihrer etwas anderen Marketing-Idee und dabei ist sie eine sehr liebevolle und fürsorgliche Mutter. Der Sorgerechtsstreit, die finanziellen Probleme, die emotionalen Schwierigkeiten mit beiden Elternteilen, der Stress einer alleinerziehenden Mutter und die ungewisse berufliche Zukunft sind alles Themen, die in diesem Roman angesprochen werden.
Nebenher erfährt man durch den Beruf von Margos Vater viel über Wrestling, das ist nicht uninteressant und mal eine ausgefallene Sportart.
Ein Roman, der modern und jung ist und die Arbeit als Sex-Arbeiterin im weitesten Sinne als ganz normal darstellt. Er räumt mit Vorurteilen auf und gibt den Leser*innen das Gefühl, Margos Job ist ein Beruf wie jeder andere auch, er macht ihr Spaß und sie ist gut darin.

Bewertung vom 04.12.2024
Blake, Katherine

Not your Darling


sehr gut

Margaret wird auf ihrer erschwindelten Reise in die USA schnell klar, dass sie es in einer männerdominierten Welt als junge und ein bisschen naive Engländerin nicht leicht hat. Als Loretta Darling lernt sie, wie wichtig Freundschaften sind und wie gefährlich das Leben um 1950 als Frau im aufstrebenden Filmgeschäft sein kann. Doch mit einer gehörigen Portion Mut und einer Menge Frechheit erkämpft sie sich ihren Traum, auch wenn sie dabei manchmal Grenzen überschreiten muss.

Spritzig erzählt hier Katherine Blake von dem Traum einer jungen Frau, Maskenbildnerin zu werden und dafür alles zu riskieren. Beim Lesen drängt sich schnell der Gedanke an die #MeToo-Bewegung auf, die die Vorkommnisse in der Filmbranche ans Licht gebracht hat. Genau mit solche Situationen wird Loretta konfrontiert, in diesem Roman durchlebt man die Macht von Männern zur damaligen Zeit noch einmal so richtig. Wunderbar beschrieben die zickigen Allüren der Filmstars - überhaupt gelingt es der Autorin hervorragend, die Leser*innen in das Milieu von Los Angeles um 1950 zu versetzen.
Ein heiterer und witziger Roman, der jedoch durchaus auch ein paar ernste Untertöne hat. Lorettas Erlebnisse in der Heimat vor ihrem Aufbruch in die USA zählen dazu, die Freundschaft zu der Prostituierten Primrose oder die Fassade, die Lorettas Chef Petraś sich aufbauen musste, um in Hollywood bestehen zu können. Überhaupt sind es die vielen Charaktere, die Blake hier beschreibt, die zusammen mit Loretta Darling diese abenteuerliche Geschichte erleben und in Wirklichkeit ganz anders sind, als es vordergründig den Anschein hat. Zum Beispiel Lorettas Mann Raphael, der sich als egoistischer Mistkerl entpuppt oder die angsteinflössende alternde Schauspielerin Sally, die als herrische Diva auftritt, um ihre Ängste und Alkoholsucht zu kaschieren. Sie alle tragen diese Geschichte von Loretta mit, die es faustdick hinter den Ohren hat.
Ein leichter Roman, der mit einem Stück Zeitgeschichte gut unterhält, wenn man sich auf das Thema einlässt. Von mir eher eine Empfehlung für Frauen.