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Barbara
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Remscheid

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Insgesamt 229 Bewertungen
Bewertung vom 28.07.2025
Maschik, Anna

Wenn du es heimlich machen willst, musst du die Schafe töten


sehr gut

Dieser Buch sticht einem sofort durch das schöne Cover und den ungewöhnlichen Titel ins Auge. So wie diese beiden nicht wirklich zueinander passen wollen, so bemüht auch die Geschichte über 4 Generationen von Frauen zahllose Bilder, die scheinbar nicht harmonisieren. Aber so wie sich der Titel gleich zu Beginn des Romans erklärt und auch die Zitrone immer wieder Teil der Geschichte wird, so fügen sich auch die kurzen Lebensfragmente insgesamt zu einer harmonischen Einheit zusammen.
Die Urenkelin Alma erzählt vom Leben ihrer Urgroßmutter Henrike, die mit ihrem Mann Georg auf einem kargen Bauernhof an der Nordsee lebt. Tochter Hilde versucht, dem harten Alltag als Bäuerin zu entkommen, in ihr bleibt aber die Liebe zur Natur und zum Garten. Obwohl Hilde schwer unter der Lieblosigkeit ihrer Mutter leidet, zieht auch sie eines ihrer Kinder deutlich den anderen vor. Mit ihrer zuletzt geborenen Tochter Miriam, Almas Mutter, verbindet sie eher negative Gefühle, dieses Kind wollte sie nicht mehr bekommen. Überhaupt geht es viel um die Liebe zwischen Mütter und Kindern, den Männern in diesem Roman kommen eher Nebenrollen zu. Gestraft wird mit Verstummen oder harten Worten. Das Verhältnis der Familienangehörigen untereinander ist überwiegend geprägt durch Missgunst und fehlender Nähe. Die jeweiligen Töchter versuchen alle mit einer gewissen Verzweiflung, sich im Laufe ihres Lebens von der Prägung durch die Mütter zu lösen.
An diesem Debütroman von Anna Maschik ist vieles ungewöhnlich, dennoch liest er sich schnell und trotz der Schwere des Themas sehr leicht. Ich habe ihn mit großer Neugier an einem Nachmittag hintereinander weg gelesen. Viele Dinge bleiben ungesagt, viele Lücken werden nicht gefüllt, aber trotzdem entsteht beim Lesen im Kopf eine Geschichte über 4 Generationen von Frauen, die ihren Weg gehen. Trotz der geringen Seitenzahl hat dieser Roman eine große Dichte, die mich beim Lesen immer wieder ein wenig überrascht hat. Sehr gut gefallen mir zudem am Ende des Romans die 5 Fragen an die Autorin, die einen guten Einblick in das Entstehen des Buches und in die Geschichte geben.
Ein (halber) Stern Abzug dafür, dass ich insgesamt an mehreren Stellen gerne noch weiter in die Tiefe gegangen und mehr Details erfahren hätte.
Hier werden durchaus alte Themen ganz neu erzählt, dass macht für mich den großen Reiz des Buches aus. Eine Empfehlung für alle, die einen in vielen Facetten ungewöhnlichen Roman zu schätzen wissen.

Bewertung vom 23.07.2025
Rytisalo, Minna

Zwischen zwei Leben


sehr gut

Jennys Leben teilt sich in ein Vorher und ein Nachher: Den Cut hat sie selber dadurch herbeigeführt, dass sie ihren Mann verlassen und einen Neuanfang gewagt hat. Früher war sie Jenni, Ehefrau und Mutter, angepasst, fürsorglich, stets bemüht zu gefallen. Heute ist sie die 51jährige Jenny die alleine lebt, kontaktfreudig und mutig ist und einen guten Draht zu ihrer Familie hat.
Erzählt wird die Geschichte in verschiedenen Ebenen, alles ohne von wörtlicher Rede untermalt zu sein. Es gibt den beobachtenden Erzählstrang, dann die kommentierenden Geschichten der Ajatarras (weibliche Märchenfiguren) und schließlich die Briefe, die Jenny auf Anraten ihrer Therapeutin an eine beliebige Person schreiben soll. Diese unterschiedlichen Ansätze erzählen Jennys Geschichte in Zeitsprüngen und Rückblicken, wobei mir am besten die Briefe gefallen. Interessanter Weise sucht sie sich Brigitte Macron aus, die ihr mit ihrer Lebens- und Liebesgeschichte imponiert."Distanz schafft Sicherheit" (S.233), und so öffnet sich für mich Jenny am deutlichsten in Zeilen, die niemals abgeschickt werden.
Witzig auch die Sichtweise der weiblichen Märchenfiguren, die ihr Rollenbild in der Gesellschaft hinterfragen und Jenny sozusagen gute Tipps geben.
Es ist ein emanzipatorischer Roman, den Minna Rytisalo hier geschrieben hat und auf erfrischende Art von einer Frau erzählt, die sehr durchschnittlich ist und mit der man sich deshalb wunderbar identifizieren kann. Jenny greift in ihrer Veränderung auch nie zu drastischen Mitteln oder schlägt völlig über die Stränge. Selbst der Aufbau ihres neuen Lebens geht gesittet und meist unsentimental vor sich. Dies ist kein radikal feministisches Buch sondern besticht durch leise Töne, einzig die aufmüpfigen Märchenfiguren trauen sich hier manchmal etwas. So findet man sich als Frau in zahlreichen Rollenklischees wieder, kennt die nicht dramatischen und doch belastenden Probleme von Jenny.
Ein ungewöhnlicher Roman, der sich vor allem an Frauen wendet. Eine Leseempfehlung für alle, die ein emanzipatorisches Buch lesen mögen, das nicht mit der Brechstange und dem erhobenen Zeigefinger daher kommt.

Bewertung vom 21.07.2025
Fonthes, Christina

Wohin du auch gehst


ausgezeichnet

Es ist eine ganz andere Welt, in die einen Christina Fonthes mit ihrem Debütroman entführt. Es geht um zwei Frauen, die auf ihre Art versuchen, mit einem Leben zwischen dem Kongo und London zurecht zu kommen.

Mira ist die etwas aufmüpfige Tochter einer wohlhabenden Familie im Kongo, die bei ihren Eltern in Ungnade fällt. Sie zieht nach Europa und landet schließlich in London, wo sie 20 Jahre später als verhärmte und tiefgläubige Frau lebt. Die junge Bijoux wird weg von ihrer afrikanischen Familie zu Mira nach London geschickt. Als sie entdeckt, dass sie lesbisch ist, beginnt ein quälendes Ringen um Selbstfindung im Kreis der afrikanischen Gemeinde.

Beide Geschichten werden im Wechsel jeweils aus der Sicht von Mira und von Bijoux erzählt. Durchsetzt mit vielen afrikanischen Wörtern, die teilweise hinten in einem Glossar erklärt werden, versetzt die Autorin einen hinein in das Leben in Afrika einerseits und in eine afrikanische Gemeinde in London andererseits. Dabei beschreibt sie so anschaulich und authentisch, dass man die afrikanischen Gewänder, die Frisuren und das Essen fast vor sich sieht. Auch legt Fonthes immer wieder den Fokus auf bestimmte Gerüche, die intensiv beschrieben werden. Auf ihre Art erschütternd sind beide Schicksale, auch wenn das von Mira mir noch näher geht. Ihre Entwicklung ist extrem, man wirft ganz langsam einen Blick hinter die Fassade der unsympathischen, herrischen und lieblosen Frau, die so gar nicht zu dem aufmüpfigen und lebensfrohen Mädchen aus dem Kongo passen will. Aber auch Bijouxs Kampf ist sehr berührend geschrieben und zeigt auf erschreckende Art, was afrikanische Frauen alles durchmachen müssen. Dabei sind viele Themen brandaktuell, auch wenn die Geschichten zwischen 1974 und 2007 erzählt werden. Es geht um Liebe zwischen Eltern und ihren Kindern, um afrikanische Lebenseinstellung, um Bevormundung, um Akzeptanz, um Diversität und um das Recht der freien Partnerwahl. Aber auch die Gefühle von Menschen, die aus ihrer gewohnten Umgebung gerissen werden und sich plötzlich zwischen zwei Welten mit einem Kulturschock wiederfinden. In den aktuellen politisch unruhigen Zeiten eine Geschichte, die einen sofort an die vielen Flüchtlinge denken lässt, die versuchen, in einem neuen Leben Fuß zu fassen. Am Ende gibt es noch einen Twist, der das Buch zusätzlich interessant und überraschend macht.

Ein Buch vor allem für Frauen, das zwei eindrückliche Geschichten über afrikanische Frauen und die afrikanische Kultur erzählt und dabei viele verschiedene Themen anspricht. Es macht viel Spaß zu lesen und versetzt einen im Laufe der Handlung nach Kinshasa, London, Brüssel und Paris.

Bewertung vom 16.07.2025
Hauff, Kristina

Schattengrünes Tal


sehr gut

Lisa und Simon führen eine Ehe, die hauptsächlich auf Gewohnheiten beruht. Lisa fühlt sich ihrem lieblosen Vater verpflichtet, der nur noch mühsam sein Hotel betreiben kann. Außerdem kümmert sie sich um ihre demente Mutter. Plötzlich muss sie erleben, wie sich eine unbekannte Frau in ihr Leben drängt und alles in Frage stellt, was sie sich aufgebaut hat.
Dieser Roman wird abwechselnd aus der Sicht von Lisa, ihrem Mann Simon, dem Vater Carl und seiner Freundin und Haushälterin Margret geschrieben. Der Schwerpunkt liegt jedoch klar bei Lisa, von deren Gemütslage man am meisten erfährt.
Auch in diesem Roman gelingt es Hauff, viele verschiedene unterschwellige Konflikte darzustellen, die unter einer vermeintlich harmonischen Oberfläche lauern. Allen voran ist es die Beziehung von Lisa und Simon, in der beide irgendwie unglücklich sind, ohne dass sie den Grund richtig benennen können oder wollen. Durch Danielas Auftauchen wird eine Aussprache erzwungen, die eigentlich schon lange überfällig ist. Auch das Verhältnis zwischen Lisa und ihrem Vater Carl ist zutiefst gestört. Lisas bettelt um die Liebe oder wenigstens die Anerkennung ihres Vaters, der jedoch nur den abwesenden Sohn vergöttert, der sich aus allem raushält. Damit ist auch das Verhältnis von Lisa und ihrem Bruder Felix stark belastet, obwohl beide unter der schwierigen Kindheit mit den hohen elterlichen Ansprüchen gleichermaßen leiden mussten. Dass Lisas Freundin Johanna so leicht gegen ihre beste Freundin einzunehmen ist finde ich eher unrealistisch, ist aber hier auf Neid zurück zu führen. Nicht zuletzt die Konflikte zwischen Carl, Lisa und Margret vervollständigen dieses Bild der vermeintlichen Harmonie, bis die Situation durch das Auftauchen von Daniela völlig eskaliert.
Wer die beiden Vorgängerromane von Kristina Hauff gelesen hat, der findet hier die gleiche Leichtigkeit in der Lektüre, auch einen gewissen Sog und die Spannung, wie es wohl mit den Charakteren weiter geht. Für mich bleibt dieser Roman jedoch leider hinter den anderen zurück. Ein bisschen zu vorhersehbar kommt die Handlung daher, die Charaktere könnten etwas mehr Tiefe vertragen. Die ersten beiden Teile des Buches gefallen mir besser, der dritte Teil ist mir ein wenig zu platt, die Figuren - hier vor allem Lisa - allesamt ein bisschen naiv, das Ende zu glatt. Da hätte ich mir etwas mehr Raffinesse oder einen Twist gewünscht.
Trotzdem ein gut geschriebener Roman, der sich flott liest und die Geschichte einer geschickten Manipulation erzählt.

Bewertung vom 13.07.2025
Fox, Candice

Devil's Kitchen


ausgezeichnet

Wie immer bei Candice Fox geht es um etwas zwielichtige Gestalten, es wird brutal und sehr spannend. Diesmal spielt ihr Thriller im Feuerwehr-Milieu, wo die Crew von Engine 99 tatsächlich sehr viel mehr tut als Brände zu löschen. Die private Ermittlerin Andy wird auf die Gang angesetzt und ermittelt undercover und mit Einsatz ihres Lebens in einer harten und gewaltbereiten Männerwelt.
Einzig wirklich sympathischer Charakter in dieser Gruppe ist Ben, obwohl auch der an Verbrechen beteiligt ist. Aber er hat einen weichen Kern, leidet noch unter seiner Kindheit und träumt von einem Leben als liebevoller Familienvater. Auch Andy ist eine krasse Frau, die ihre weiche Seite nicht wahr haben will. Sie kniet sich völlig in ihre Fälle rein und verändert dafür ihr gesamtes Leben. Was für ein Leben, bei dem man sich immer vollständig an eine neue Rolle anpasst.
Wie realistisch dieses Szenario von Candice Fox ist weiß ich nicht. So kann ich mir zum Beispiel nicht vorstellen, dass sich Andy in ein paar Tagen trotz Crash-Ausbildung als Feuerwehrfrau alles draufschaffen kann, was man wissen muss. Manche Szenen finde ich ein bisschen übertrieben brutal, aber auch das bin ich von der Autorin gewöhnt. Die Figur von Matt ist da schon extrem.
Ein knallharter Thriller mit interessanter Hintergrundgeschichte, der gut unterhält.

Bewertung vom 09.07.2025
Capes, Kirsty

Girls


ausgezeichnet

Im Mittelpunkt dieses Romans von Kirsty Capes stehen die beiden Girls Matilda und Nora, die beiden Töchter der gefeierten Künstlerin Ingrid Olssen. Ihre Kindheit war alles andre als harmonisch und liebevoll, die Skandale und Exzesse der Mutter überschatten ihr Leben bis in die Gegenwart. Jetzt ist die Mutter tot und vor allem Matilda weigert sich, die Künstlerin in einer großen posthumen Retrospektive feiern zu lassen. Doch dafür müssen sich die beiden Schwestern erst einmal wieder annähern und Ereignisse aus der Vergangenheit aufarbeiten.
Der Roman wird aus der Sicht von Matilda erzählt, sie ist hier die Protagonistin, die die Geschichte zusammen hält. 9 Jahre älter als ihre Schwester ist sie es, die an der Verantwortung für Noras Leben gescheitert ist weil sie sich entschieden hat, sich selbst zu retten. Sie wird mit 16 Mutter und die Liebe zu ihrer Tochter Beanie ist überwältigend. Es scheint so, als versuche sie mit ihr all das richtig zu machen, was ihre eigene Mutter versäumt hat. Doch Beanie ist auch nur ein Teenager mit allen Höhen und Tiefen und so ist die Beziehungen zwischen den beiden erfrischend und lebendig dargestellt.
Nora ist eine schwer traumatisierte junge Frau, die die Vernachlässigung in ihrer Kindheit und das Verlassen werden durch die Schwester nie ganz verkraftet hat. Selber Künstlerin driftet sie zwischen Ruhm und Absturz am Rande des Lebens entlang. Die Beschreibung ihres Lebens ist zutiefst traurig und wird von Capes gefühlvoll und eindringlich erzählt.
Besonders berührt hat mich die schwierige Annäherung der beiden Schwestern mit all ihren menschlichen Facetten.
Aber auch mit Ingrid Olssen hat man trotz ihres Lebenswandels irgendwie Mitleid. Völlig überfordert zwischen ihrer Kunst und dem Leben als Mutter ist sie manisch depressiv, Alkohol-, Tabletten- und Drogenabhängig und phasenweise völlig hilflos.
Kirsty Capes gelingt dieses Porträt der drei Frauen so gut, dass ich tatsächlich anfangs geglaubt habe, es handelt sich bei ihrem Roman um eine Biografie. Das liegt nicht zuletzt auch daran, dass immer wieder Kapitel mit Interviews eingestreut werden, die ein Biograf für ein Buch über Ingrid Olssen mit Familienangehörigen führt.
Ein Buch, dass mich sehr gefesselt hat, so dass die 540 Seiten viel zu schnell vergangen sind. Zugleich ist die Geschichte sehr berührend und auch die Nebencharaktere wie Beanies Vater oder Ingrids Schwester Karoline runden das Bild sehr gut ab. Viele ernste Themen werden behandelt, doch der Autorin gelingt es, sie mit einer Leichtigkeit und einer Spur Humor so zu erzählen, dass die Lektüre nicht bedrückend ist.
Ein wunderbares Buch, vor allem für Frauen zu empfehlen.

Bewertung vom 02.07.2025
Scheffler, Axel;Green, Alison

Willkommen. Ein Buch über Freundschaft


ausgezeichnet

Das neue Buch von Alison Green und Axel Scheffler befasst sich mit Freundschaft und dem Thema Akzeptanz. Die Kernaussage: Wie im kunterbunten Tierreich können auch alle Menschen Freunde werden, egal wie sie aussehen, sprechen, was sie anziehen oder wie sie reden. Sehr schön illustriert mit den bekannten Tieren aus vorherigen Büchern Schefflers zeigt die Autorin hier, dass wir alle etwas dazu tun können, um Freundschaften aufzubauen, füreinander da zu sein oder einfach nur nett zu sein. Erstaunlich kindgerecht für ab 3jährige vermittelt dieses Buch die Botschaft, dass wir alle etwas dazu tun können, dass die Menschen sich willkommen fühlen. Also hier eindeutig die Aussage zu Flüchtlingen, ihnen ohne Befremden und offen zu begegnen. Mit den kurzen aber eindrücklichen Texten und den vielen bunten Illustrationen kommt diese ernste Botschaft sehr gut bei den Kleinen rüber. Es gibt so viele Dinge hier zu entdecken, irgendwo findet jedes Kind sich wieder. Auch für die Vorlesenden ist dieses Buch sehr schön, es lässt neben dem Text Platz zum Geschichten erzählen und auf Details hinzuweisen.

Die Informationen über die Three Peas am Ende sind in meinen Augen eher an die Erwachsenen gerichtet, obwohl der Text kindgerecht geschrieben wurde. Für 3Jährige noch ein bisschen schwierig zu verstehen, für ältere Kinder vielleicht schon Thema. Schön von Anfang an die leuchtend gelben Anfangs- und Endseiten sowie die erste Willkommens-Seite und die Widmung am Schluß.

Ein sehr schönes Kinderbuch, toll illustriert und mit einer ungeheuer wichtigen Botschaft, die hervorragend kindgerecht dargestellt wird. Ein aktuelles Buch, das unsere Kleinsten in die derzeitige politische Lage mit einbeziehen möchte. "Stell dir mal vor, die ganze Welt wäre wie in diesem Buch - alle wären nett und jeder würde sich willkommen fühlen." Tolle Vorstellung.......

Bewertung vom 24.06.2025
Grandl, Peter

Reset


sehr gut

Es ist das reinste Horror-Szenario, das Pater Grandl hier beschreibt: Fake News beherrschen alle Medienkanäle, Videos werden brutal gefälscht und niemand kann mehr wissen, was wirklich wahr ist. Die ganze Welt steht am Abgrund, es drohen Kriege auf allen Kontinenten. Und dieser Thriller ist nicht etwa ein Science Fiction sondern er spielt im Jahr 2024 mitsamt aller zu der Zeit regierenden Politiker. Das macht diese rasante Geschichte rund um KI und digitale Kommunikation um so realistischer, zumal das Thema brandaktuell ist und die Menschheit sehr intensiv beschäftigt.
Es sind viele verschiedene Charaktere, mit denen der Autor rund um den Globus seine Geschichte erzählt. Zur Vereinfachung gibt es am Anfang eine Auflistung der wichtigsten Figuren, falls man mal zwischendurch den Faden verliert. Die Beziehung der Personen untereinander sind manchmal ein bisschen viel, hier wäre vielleicht weniger mehr gewesen. Gut gefällt mir, dass hier führende Köpfe der ganzen Welt intensiv zusammen arbeiten müssen. Und das sind nicht nur die Politiker, sondern neben Wissenschaftlern auch einfache Menschen aus dem Volk, die hier zu Helden mutieren. Egal ob ein Pförtner bei der New York Times oder ein Amateurfunker, der im Kreml als Koch arbeitet: die Menschen halten plötzlich zusammen, wachsen über sich hinaus und helfen einander. Interessant ist, dass nach anfänglicher Hilflosigkeit beim Ausfall aller medialen Technik die Menschen wieder kommunizieren wie früher. Für manchen vielleicht eine Anregung, ob es auch mal ohne Handy geht.
Der Schreibstil ist angenehm zu lesen, die gesamte "Tragödie" ist in drei Akte unterteilt, wovon mir der erste mit Abstand am besten gefällt.
Dieser Thriller ist sehr spannend aufgebaut, gerade der Anfang packt einen mit Grauen und großer Intensität. Das lässt im Laufe der Geschichte ein bisschen nach, was bei so einem hohen Spannungslevel kein Wunder ist. Was mich ein bisschen enttäuscht ist das Ende, es ist mir etwas zu schnell abgehandelt und zu flach.
Das Cover passt hervorragend zum Titel und zum Thema.
Ein sehr aktuelles und spannendes Buch, dass Thriller-Fans gute Unterhaltung bietet.

Bewertung vom 24.06.2025
Kornmüller, Jacqueline

6 aus 49


sehr gut

Jaqueline Kornmüller erzählt die Lebensgeschichte ihrer Großmutter Lina, zu der sie ein sehr enges und herzliches Verhältnis hatte. 1911 geboren wächst Lina in sehr ärmlichen Verhältnissen auf und wird mit 13 Jahren von zu Hause weg in die Arbeit geschickt. Sie beginnt als Kindermädchen zu arbeiten, dann als Kupferwäscherin in einem Hotel, wo sie bald durch Fleiß und harte Arbeit zum Serviermädchen aufsteigt. Sie erarbeitet sich ein eigenes Hotel, das sie zeitlebens mit viel Begeisterung und Engagement mit Gästen und Leben füllt.
Was sich zu Beginn fast schon bedrückend liest ist ein Leben, dass Lina selber als voll von glücklichen Zufällen empfindet. Die leidenschaftliche Lotto-Spielerin ist dabei immer offen für das Glück, obwohl ihr Lebensweg nicht einfach war. Das Scheitern als Kindermädchen eines behinderten Kindes, die schwere Arbeit als Kupferwäscherin, eine Vergewaltigung mit anschließender Schwangerschaft, der Ehemann dann ein Bigamist - man muß schon sehr positiv denken, um die glücklichen Aspekte in diesem Leben zu würdigen.
Mir gefällt Lina als emanzipierte Frau, die ein Hotel leitet und zusammen mit einer Freundin eine Geschäftsidee umsetzt und eine Firma gründet. Die nebenbei alleine ihre Tochter aufzieht und sich unermüdlich in die Arbeit stürzt. Ihr Verhältnis zur Enkelin scheint besser zu sein als zu ihrer Tochter, warum wird hier nie ganz klar. Nur, dass die Enkelin einen Keil zwischen Großmutter und Mutter getrieben hat.
Der Schreibstil ist ungewöhnlich, es gibt viele kurze Sätze und Wiederholungen von Satzteile. Dazu werden keine Männer-Namen genannt, hier gibt es stattdessen zum Beispiel den Zufallsgast, das Gewissen, den Schwärmer oder einfach nur Du. Frauennamen werden genannt, sie scheinen in diesem Roman wichtiger zu sein, während die Männer eine deutlich untergeordnete Rolle spielen.
Kornmüller erzählt als Ich-Erzählerin, dadurch werden viele Episoden eher aus der Sicht der Enkelin dargestellt. Leider fehlt mir so manchmal die Gefühlslage von Lina, es ist eher eine Aneinanderreihung von Ereignissen, die manchmal in Zeitsprüngen dargestellt werden. Und über ihre Mutter, die immer nur als Linas Tochter bezeichnet wird, erfährt man gar nichts, was ich ebenfalls schade finde. Dafür gibt es kurze Ausflüge in das Leben der Autorin, die ich jetzt hier weniger passend oder interessant finde. Die Darstellung der Nazis und später der Alt-Nazis in Garmisch-.Patenkirchen ist dagegen sehr gelungen und manchmal blitz ein sehr trockener Humor zwischen den Zeilen auf.
Eine außergewöhnliche Lebensgeschichte über eine Frau, die offen für das Glück durch ein hartes aber erfülltes Leben gegangen ist.

Bewertung vom 16.06.2025
Clavadetscher, Martina

Die Schrecken der anderen


gut

Was sich zunächst mit dem Auffinden einer Leiche im zugefrorenen See als Krimi beginnt, entpuppt sich im Laufe der Handlung als genreübergreifende Literatur. Dabei beschreibt Martina Clavadetscher etwas skurrile Personen, die sich alle irgendwie auf der Jagd befinden - um das Bild des Covers gleich mit ins Spiel zu bringen. Da ist der von Phobien geplagte Polizei-Archivar Schibig, der nach der Identität und dem Mörder der Leiche im See sucht. Dann der reiche Kern, der verzweifelt nach einem Weg sucht, mit der eigenen Unzulänglichkeit und Feigheit fertig zu werden und sich gegen seine übermächtige Mutter zu behaupten. Diese fast 100jährige und todkranke Greisin wiederum sucht immer wieder Wege, ihre Macht auszuspielen, zu manipulieren, sich einzumischen und zu erniedrigen. Kerns Frau Hanna wiederum sucht einen Weg um doch noch schwanger zu werden. Und Rosa, die schrullige Alte aus dem Wohnwagen, sucht nach Gerechtigkeit aus der Vergangenheit. Über allem das Thema der Nazis, Neo und Alt gleichermaßen, Bereicherung und Herrendenken, und das in der ach so neutralen Schweiz.
Geschickt versteht es die Autorin, diese so unterschiedlichen Figuren auf ungewöhnliche Art miteinander zu verbinden. Dazu bedient sie sich eines ausgefallenen Schreibstils, der ganz besondere Bilder beschreibt und mich immer wieder innehalten und die Formulierung noch einmal lesen lässt. Manche Sätze sind so lang, dass sie eine ganze Seite oder mehr umfassen ( S.131 ). Viel wird erklärt, aber nicht immer bis zum Ende ausgesprochen. So bleibe ich nach der Lektüre des Buches mit dem Gefühl der Unsicherheit zurück, ob ich diesen Roman wirklich ganz verstanden habe. So viele Schrecken gibt es da zu verarbeiten, dazu die Geschichten über Drachen und Mythen, die Sagen und Legenden. Man ahnt schon im Laufe des Romans, dass es zu einem tragischen Ende kommen wird.
Es ist eine düstere Geschichte, keiner der beschriebenen Charaktere war mir besonders nahe oder wenigstens sympathisch. Mir fehlte etwas der Lesefluss, auch wenn die einzelnen Erzählstränge für sich sehr interessant waren.
Ein anspruchsvoller Roman mit einem ganz besonderen und ausgefallenen Schreibstil.