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meany
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Seligenstadt

Bewertungen

Insgesamt 158 Bewertungen
Bewertung vom 11.03.2025
Haas, Wolf

Wackelkontakt


ausgezeichnet

Der Schnitt in der Malerei

Ein verschmitztes Spielchen treibt da der Altmeister der literarischen Metaform wieder mit seinen Lesern, indem er zwei Geschichten ineinander verschränkt. Fragt man sich auch immer wieder nach dem Sinn des Ganzen, so genießt man dennoch die Unterhaltung und den untergründigen Humor.

Der Verlauf der Handlungsstränge ist weniger wichtig als das Konstrukt und die stilistischen Finessen, die sich in geschliffenen Dialogen und vergnüglichen Wortspielen zeigen (zum Beispiel die Kombination von "Hals" und "umdrehen" in einem Satz). Dabei verkneift er sich keineswegs jede Menge ironischer Seitenhiebe, und es gelingen ihm richtige Kabinettstückchen wie die Kundenberatung bei der Bank.

In der Mitte des Buchs schürzt Haas geschickt den Knoten, als einer der Akteure der Verknüpfung gewahr wird. Das Tempo der hanebüchenen Story steigert sich zum Ende hin immer mehr, aber wenn auch die Mafia eine prägende Rolle spielt, kanm man das nicht als Krimi verkaufen.

Über dem Buch sehe ich die ganze Zeit das schmunzelnde Gesicht von Wolf Haas.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.03.2025
Mittelmeier, Martin

Heimweh im Paradies


ausgezeichnet

Keine Wurzeln geschlagen

Thomas Mann hatte das Glück, die Geistesgegenwart und den notwendigen öffentlichen Status, rechtzeitig den Absprung aus Nazideutschland in die USA zu schaffen. Nach verschiedenen örtlichen Veränderungen ließ er sich in Los Angeles nieder inmitten einer regelrechten Kolonie von wenn auch privilegierten so doch heimatlosen Deutschen. Diese Lebensphase des Nobelpreisträgers umreißt Mittelmeier in einer chronologischen Folge unter Betonung der jeweils anstehenden Themen.

Während in Europa der Zweite Weltkrieg tobt, schließt er hier seine Josephsromane ab und vollendet den Doktor Faustus unter Verwendung des Fachwissens seiner musikalischen Freunde wie Adorno und Schönberg, was zu Kontroversen führte. Eingebettet in eine Gruppe, die zusammengehalten wird durch die gemeinsame Sprache, aber auch durch das Schicksal der Emigration, entwickelt sich eine spezielle Dynamik von Meinungsverschiedenheiten, deren Pole von Thomas Mann über Alfred Döblin hin zu Bert Brecht reichen. Gemeinsam ist ihnen die Verachtung der Nazis, die sie mit ihren Mitteln in die ganze Welt hinein propagieren.

Philosophisch-geistesgeschichtliche Reflektionen in geschliffenen journalistischen Wendungen helfen Thomas Manns Werk zu verstehen - im Spannungsfeld von Richard Wagner zu Arnold Schönberg ortet er die Parallelen im literarischen Schaffen. Ein ganzes Kapitel widmet der Biograf der Gönnerin Agnes E. Meyer. Man darf sich nicht vom lockeren Plauderton täuschen lassen: die Positionen z.B. Adornos stellt er in ihrer ganzen Komplexität dar, reißt die Themen insgesamt aber nur an in einem ambitionierten Stil.

Am Ende verabschiedet sich Thomas Mann vom Land seiner Zuflucht, das in der Ära des Kalten Kriegs unter Joseph McCarty politisch eine unheilvolle Wendung nimmt.

Das flüssig zu lesende Buch hat mir einige neue Informationen geboten und manches von dem, was ich schon wusste, in eine übersichtliche Ordnung geführt. Ich fühle mich bereichert.

Bewertung vom 23.02.2025
Henríquez, Cristina

Der große Riss (eBook, ePUB)


sehr gut

Der Herr wird sich kümmern

Welche Bedeutung der Panamakanal für den Welthandel besonders der USA hat, rufen uns regelmäßig auch heute noch Schlagzeilen in Erinnerung, wenn die Durchfahrt behindert ist oder es zu Interessenkollisionen kommt. Was für ein Mammutprojekt stellte damals der Bau dar, der ganze Völkerscharen anlockte, denn er verhieß Lohn und Brot. Der vorliegende Roman bildet einen Querschnitt durch die Gruppierungen ab, die aus den unterschiedlichsten Interessenlagen heraus miteinander zuweilen auch konfliktreiche Beziehungen eingingen.

Die 16jährige PoC Ada kommt als blinde Passagierin mit einem Royal Mail-Schiff, um von Panama aus ihre durch Krankheit der Schwester in Not geratene Familie zu unterstützen. Marian und John Oswald, kinderlose Naturwissenschaftler und Mediziner, suchen wissenschaftliche Erkenntnisse über die grassierenden Tropenkrankheiten. Der Einheimische Omar möchte kein Fischer wie sein Vater Francisco werden, sondern wünscht seinem Land eine Modernisierung. Joaquin und Valentina setzen sich für den Erhalt ihrer Heimatstadt Gatun ein, die dem Bauprojekt weichen soll.

Viele Männer heuern teils aus materieller Not, teils aus Abenteuerlust an und müssen sich mit den Problemen Klima, Krankheiten und Ausbeutung auseinandersetzen.

Durch lange Passagen hindurch vermisste ich beim Lesen die geostrategische Dimension, den historischen Zusammenhang, denn die Autorin ergeht sich hauptsächlich in den privaten Gegebenheiten, die natürlich stark von den äußeren Bedingungen geprägt sind. Durch die Verflechtungen ergibt sich gegen Ende dann doch ein schlüssiges Gesamtbild, das man empathisch mitverfolgt.

Bewertung vom 16.02.2025
Moore, Liz

Der Gott des Waldes


ausgezeichnet

In der Natur ist jede Entscheidung unumkehrbar

Ein Vermisstenfall im Ferienlager reißt alte Wunden auf: ausgerechnet Barbara, die Tochter der reichen Grundbesitzerfamilie Van Laar verschwindet etwa fünfzehn Jahre, nachdem das Gleiche ihrem Bruder geschah. Die Ermittlung nimmt natürlich Bezug zum alten Fall, aber irgendwie versucht die Familie ganz massiv, darauf Einfluss zu nehmen.

Wie Liz Moore die Vergangenheit der Fünfzigerjahre mit der Gegenwart von 1975 in verschachtelten Szenen, jeweils aus der Sicht verschiedener Akteure, miteinander verwebt, ist ein dramaturgisches Meisterwerk, das einen den Roman nicht aus den Händen legen lässt bis zum Erwachen aus der atemlosen Spannung ganz zum Schluss.

Dabei eröffnen sich mehr und mehr Abgründe, nicht nur zwischen Arm und Reich, sondern auch zwischen Frauen und Männern, wo selbst noch in den Siebzigern die Benachteiligten wie in einer Verschwörung ohnmächtig ausgeliefert sind, die jede sachliche Erwägung im Keim erstickt. Denn der hat das Sagen, dem das Land gehört, und was haben überhaupt Frauen als Ermittlerinnen im Polizeidienst verloren? Alte Todsünden treten zutage und zeitigen ihre üblen Früchte auch noch Jahre danach. Man nimmt das mit zunehmender Empörung wahr, leidet mit den Opfern und fiebert der finalen Auflösung aller Rätsel entgegen. Während der Lektüre dieses gesellschaftskritischen Krimis hofft man die ganze Zeit auf ausgleichende Gerechtigkeit, denn die Geschehnisse können einen keineswegs kalt lassen. Dabei lässt die Autorin schlicht die Fakten für sich sprechen ohne Effekthascherei, sondern indem sie alle Details sorgfältig aufeinander abstimmt, so dass sie am Ende ein schlüssiges, glaubwürdiges Bild ergeben, das passenderweise genau die undurchdringlichen Wälder der Adirondacks widerspiegelt.

Ein aufregendes Leseerlebnis, das ich jedem wärmstens empfehlen kann.

Bewertung vom 16.02.2025
Liepold, Annegret

Unter Grund


sehr gut

Unkraut zwischen den Gräbern

Im Mittelpunkt steht Franka, eine hochgradig verwirrte junge Frau, an deren Kernproblem sich die Autorin Annegret Liepold langsam herantastet. Es manifestiert sich in der Anfangsszene in der Auseinandersetzung mit dem NSU-Prozess in München und bewegt sie zu einer Flucht in ihre Heimatgemeinde, wo alles begann. In Rückblenden fügt sie Szenen ein aus Frankas dörflicher Kindheit und lässt ihre engsten Verwandten und Freunde Revue passieren. Nach dem frühen Tod ihres Vaters wächst sie bei der esoterisch angehauchten Mutter, ihrer Großmutter und deren Schwester auf. Einen Kontrast dazu bildet die unkonventionelle Tante June. In ihrer jugendlichen Orientierungs- und Haltlosigkeit stolpert die eigentlich Unideologische in die rechte Szene hinein, mehr durch allgemeine Umstände und zwischenmenschliche Angelegenheiten angetrieben. Das entsprechende Gedankengut breitet sich unauffällig im Alltag aus und nimmt eine Eigendynamik an, begünstigt durch den Verfall ländlicher Strukturen.

Nach einer üblen Eskalation gelingt Franka der Schnitt und der Start in ein neues Leben, was aber nicht ohne einen schmerzhaften Lernprozess abgeht, in dem klar wird, wie schnell junge Leute in einen solchen Sog geraten. Für die meisten scheint sowieso das Gedankengut weniger wichtig zu sein als die Provokation an sich und die Subkultur, in der Musik, Geselligkeit und vor allem Alkohol eine herausragende Rolle spielen, bis die realen Konsequenzen nicht mehr zu bewältigen sind. Bemerkenswert ist dabei das Verhalten des Umfelds, das sich mit Schweigen und Aussitzen begnügt.

Es ist ein sehr nachdenkliches Buch, das anfangs vieles im Vagen lässt und bei dem am Ende noch Spannung aufkommt durch die aufgeklärten Verwicklungen.

Bewertung vom 12.02.2025
Blake, Katherine

Not your Darling


sehr gut

Liebe ist eigentlich nicht Teil des Plans

Frech, zielstrebig und skrupellos bahnt sich die 21jährige Engländerin Loretta Darling (eigentlich Margaret) ihren Weg bis nach Hollywood, trotz ihrer Jugend erfrischend schlagfertig in allen Situationen. Kaum dort angekommen, gerät sie in eine der für eine Frau übelsten vorstellbaren Lagen. In der erzählten Zeit 'zig Jahre vor der Me-too-Bewegung wird einem schon hier klar, aus welchem Sumpf diese erwuchs. Die Schlüsselszene, eine Orgie mit einer Fast-Vergewaltigung zeigt, dass sich hier eine wehren kann und wie sich einmal eine Frau nicht in die Opferrolle fügt. Dass sie daraufhin nicht ihre gesamten Ambitionen bereits im Keim abschreiben muss, hat sie allerdings dem einen oder anderen frauenfreundlichen Gönner zu verdanken.

Mit Finesse und Beharrlichkeit ebnet sie sich ihren Weg, und es nimmt für sie und ihr Schicksal ein, dass sie sich dafür nicht verkaufen muss, sondern ihren unerschrockenen Charakter bewahrt. Dabei erhält der Leser interessante Einblick in die Hintergründe des Showbusiness. Sehr apart finde ich es auch nebenbei, etwas über die Kniffe der Visagisten zu erfahren.

Erst ganz zum Schluss erfährt man, was eigentlich hinter ihrer Schnodderigkeit steckt. Sie ist ihrer Heimat nach schlimmen Erlebnissen entflohen und hatte keine andere Chance.

Sprachlich unkompliziert mit lebendigen, fast filmreifen Dialogen liest sich das Buch weg wie nichts.

Bewertung vom 28.01.2025
Schlick, Oliver

FC Stinkesocke - Glücksbringer wäscht man nicht


sehr gut

Kein Verein wie jeder andere

Relativ harmlos und frei von Ecken und Kanten kommt dieses Kinderbuch aus dem Fußballmilieu daher, das doch eigentlich genug Diskussionsstoff beinhaltet. Aufgrund der demographischen Lage bekommen ja kleine Gemeinden nur noch schwer in den jeweiligen Altersklassen eine funktionsfähige Mannschaft zusammen. Deshalb kommt man in Stokkesinke auf die geniale Idee, durch Fusion ein gemischtgeschlechtliches Team zusammenzustellen - und als Trainerin bietet sich die Sportlehrerin der örtlichen Schule an, die alle Beteiligten durch besonderen Sachverstand verblüfft.

Das alles wird anstandslos akzeptiert. Ein Wunder, dass da nicht der eine oder andere kleine oder große Macho Einspruch erhebt.

Gewonnen wird im Kopf - verloren aber auch. Wie es schließlich dazu kommt, bringt in der Vorbereitungsphase auf das entscheidende Spiel dann doch einige Spannung, besonders in der mit Fachwörtern gespickten Schilderung der Duelle. Wie Schlick da am Ende die Kurve kriegt und mit einer wichtigen Erkenntnis aufwartet, hat mich sehr amüsiert und für die Geschichte eingenommen.

Besonders schön finde ich die graphische Gestaltung, die den Fließtext immer wieder auflockert und bereichert.

Bewertung vom 25.01.2025
Frank, Arno

Ginsterburg


ausgezeichnet

Opfer müssen gebracht werden

Dieser historische Roman präsentiert uns den Querschnitt durch die Bewohner einer fiktiven deutschen Mittelstadt in Zeiten des aufkommenden Nationalsozialismus und seiner Folgen. Das Profil der bürgerlichen Bevölkerung wird gebrochen in der Spiegelung des gastierenden Zirkus. Drei Zeittranchen im Abstand von jeweil fünf Jahren bilden die Entwicklungsstadien ab.

Im Kapitel des Jahres 1935 startet die Geschichte relativ unspektakulär. Wir "Nachgeborenen" lesen freilich vieles zwischen den Zeilen. Doch genauso unauffällig hat sich dieser Ungeist wohl tatsächlich eingeschlichen - die Wahrsagerin des Zirkus prophezeit da schon so manches. Schade, dass dieser Handlungsstrang nicht weiter verfolgt wird.

Dramatischer geht es dann im Abschnitt 1940 zu, da hat der Zweite Weltkrieg schon angefangen, aber die Deutschen sind noch ganz auf den Sieg eingestellt. Und wie alles 1945 endet, ist bekannt, aber Frank verschont uns vor den übelsten Grausamkeiten, sondern entwickelt lediglich einen gnadenlosen Zynismus, indem er allen Handelnden kaum ein gutes Haar lässt. Niemand bleibt schuldlos, irgendwie sind sie alle verwickelt. Auch das romantische Liebespaar besteht aus einem BDM-Mädchen und einem Kampfflieger, der stolz ist auf seine zahllosen Abschüsse. Die Personen und ihre Beziehungen zueinander konnte ich mit der Zeit gut überblicken, weil sie treffend charakterisiert sind mit ihren typischen Eigenschaften.

Bis zum Schluss leben die beschriebenen Deutschen in ihrer eigenen Realität und wollen trotz augenscheinlicher Verluste nicht wahrhaben, dass das Spiel aus ist. Gegen Ende führen sie sich aber selbst ad absurdum, bis man sich vorkommt wie in einem surrealistischen Gemälde. Und schließlich entpuppt sich diese ganze deutsche Epoche als das, was sie von Anfang an war: eine einzige bodenlose, menschenverachtende Absurdität.

Franks Stil ist ambitioniert mit zuweilen kreativen Wortschöpfungen, manchmal wechselt er kapitelweise vom Imperfekt zum Präsens, besonders bei Action-Szenen. Wenn man sich auf das schwierige Thema einlassen kann, wird man gerade in den heutigen auch wieder labilen Zeiten einen Eindruck gewinnen, wie jeder einzelne Einfluss auf die Zeitläufte nimmt.

Bewertung vom 19.01.2025
Hüging, Andreas

Touchdown für die Grasdorf Rebels / Die Football-Freunde Bd.1


sehr gut

Warum gibt es nur so viele Fußballfans?

American Football ist hierzulande bei weitem nicht so verbreitet wie Fußball, hat aber zweifellos seine eigenen Reize. Jimmy King jedenfalls lebt und stirbt für diese Sportart und seine Mannschaft, so sehr, dass er alles andere dafür sträflich vernachlässigt, insbesondere das Schulfach Mathe.

Auch wenn man damit nicht so viel im Sinne hat, bildet dieser Sport im vorliegenden Buch eine Folie für all die Probleme, die man in dem betreffenden Alter immer hat in Schule, Familie und Freundeskreis. Hüging beschreibt das alles flott und eloquent. Mit Jimmys Umgangssprache trifft er den Jargon der jungen Sportskanonen überzeugend und verleiht den Verwicklungen Spannung und eine Folgerichtigkeit.

In die Materie American Footbal fühle ich mich als blutiger Laie keineswegs eingeführt, Sinn und Ziel eines solchen Spiels haben sich mir gar nicht erschlossen, und die vielen Fachbegriffe im Glossar nachzuschlagen fand ich recht mühsam. Deshalb habe ich Zweifel bezüglich der Nachfrage nach diesem Titel, der in erster Linie für Insider lesenswert ist.

Bewertung vom 04.01.2025

Trinken wie ein Dichter


weniger gut

Nur im Angesicht der Nacht zu sich nehmen

Befördert der Konsum alkoholischer Getränke den kreativen Prozess? Geschmeidig liegt das rote Büchlein in der Hand, das uns darüber aufklären will. Nicht konsequent chronologisch nach den Lebensdaten der Autoren reichert die nicht namentlich bezeichnete Redaktion die Rezepte zum Nachbrauen an mit einschlägigen Zitaten aus dem jeweiligen Werk der Dichter vornehmlich aus dem angelsächsischen Sprachraum. Darüber hinaus finden Bars als Treffpunkt diverser Literatenzirkel Erwähnung wie z.B. das Vesuvio Café und der Algonquin Round Table.

Der wissenschaftlichen Seriosität tut eine ausführliche Bibliographie Genüge. Dennoch darf man hier keine Literaturgeschichte erwarten, sondern in erster Linie eine Anregung zur Herstellung und zum Genuss von Spirituosen. Dabei bleibt jedem nach Veranlagung selbst überlassen, von welchen Inspirationen man sich übermann lässt. Der Rest ist Geschmackssache.