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Frie
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Insgesamt 68 Bewertungen
Bewertung vom 17.09.2022
Hultsch, Wolfgang

Der Himmel über Sachsen


gut

Wolfgang Hultsch schreibt die Lebensgeschichte seines Großvaters auf Basis von dessen Tagebüchern. Ergänzt wird der Text durch eigene Internetrecherchen des Autors.
Die Geschichte ist plastisch erzählt: zu gerne würde ich die in der Werkstatt gefertigten Pyramiden sehen oder erfreue mich an Neujahrskarten oder vergoldeten Nüssen. Die Sitte mit Geldgeschenken an Fremde, wenn sie an Neujahr Glückwünsche aussprechen, war mir gänzlich neu. Auch von einem Bienenkorb aus Makronenteig hatte ich noch nie gehört. Die Hinweise zum Kriegswillen in der Gesellschaft sind deutlich herausgearbeitet. Die Anzahl der Päckchen von zuhause während des Krieges hat mich sehr gewundert. Ich habe etwas gelernt und mich überraschen lassen.
Diese Teile des Buches gefallen mir sehr gut.
Es gibt örtliche Gemeinsamkeiten mit meiner Vita: Meißen, Leipzig, München. Oder auch ähnliche Erfahrungen, z.B. mit den Festen der schlagenden Verbindungen.
Ich wollte das Buch wirklich mögen.
Leider gibt es aus meiner Sicht sehr gewichtige Kritikpunkte:
Nicht gefallen haben mir z.B. ausführliche Passagen zum Betrieb der Familue de Großmutter; der seitenlange Einschub zu einer Sängerin (woher stammen diese Informationen?).
Mir war während des Lesens also nicht immer klar: was ist Tagebuch, was Internetrecherche, was Ergänzung des Autors (so auch Seite 144 oder 146).
Die Rolle des Großvaters im Zusammenhang mit dem Einmarsch nach Österreich ist mir zu unklar beschrieben: die Aufgabe seiner Einheit war u.a. die Verhaftung bekannter Nazigegner!
Damit kommen wir zum m.E. kritischten Punkt: Widerstand und 'stiller Held': Von 260 Seiten nimmt dieser Teil im Buches gerade mal 13 Seiten ein.
Als Beispiel wird ein Brief eines Juden an Hultsch von 1945 herangeführt.
Leider haben sich gerade zum Ende des Krieges Deutsche Briefe von Juden schreiben lassen, dass sie geholfen haben oder ähnliches, damit diese es nach dem Ende des Krieges leichter haben (bei der Entnazifizierung wurden solche Dokumente dann herangezogen). Einen solchen Brief als Beweis für Unterstützung von Juden anzuführen sehe ich deshalb kritisch. Es gefällt mir auch nicht, dass alles andere zum Widerstand eigene Wahrnehmung ist. "Seit 1934 gehörte ich der Widerstandsbewegung an"... dieser Satz steht so im Raum: woran wird das fest gemacht?
Und dann noch die Geschichte mit dem Bild aus dem Familienbesitz, welches am Ende aus einer jüdischen Familie stammt. Es soll keine Raubkunst sein; das wird nicht belegt, nur so geschrieben: das ist mir zu dünn.
Es kann nicht jeder Großvater ein Held sein; muss er auch nicht. Aber wenn man bei einer Biographie jemanden als Helden betitelt oder den Widerstand gegen das dritte Reich auf dem Cover benennt, dann muss dieser Teil Raum im Buch einnehmen und es müssen hieb- und stichfeste Beweise geliefert werden. Das leistet dieses Buch nicht. Das ist enttäuschend. So werden es gerade noch 3 Sterne.

Bewertung vom 05.09.2022
Kupferberg, Shelly

Isidor


sehr gut

Wie kann man in Deutschland leben, wenn die eigene Familie derartiges hat erleben müssen unter der Nazi Herrschaft?
Ab von den Gräueltaten in den Lagern haben sich leider die Schattenseiten vieler Menschen auch an anderen Stellen gezeigt.
Shelly Kupferberg wählt einen distanzierten Tonfall, wenn sie diese Geschichten erzählt. Vielleicht ist es auch anders nicht auszuhalten, wenn es die eigene Familie betrifft.
Ganz anders allerdings hat die Geschichte begonnen: Israel Geller streift das enge und arme Kleid seiner galizischen Herkunft ab und steigt als Isidor in Wien zum Kommerzialrat auf. Er wird sehr reich und zeigt gerne seine Bildung und sein Vermögen. Kupferberg recherchierte in verschiedenen Quellen und kann z.B. beweisen, dass Isidor, der in den Erzählungen der Familie ein ewiger Junggeselle war, tatsächlich 2x geheiratet hatte. Das Buch ist gut zu lesen und die Autorin hat einen schönen Schreibstil.
Neben Isidor erfahren wir auch mehr über seinen Neffen Walter. Dieser wird den Holocaust überleben und für eine Reise nach Wien zurückkehren. Dort muss er Jahre später erneut erfahren, wie abgründig und gierig Menschen sind. Er bricht den Aufenthalt ab. Auch die Lebensgefährtin Isidors ist eine interessante Persönlichkeit und mit weiteren bekannten Menschen verbunden. Mir zeigte es einmal mehr, wie vernetzt die Welt ist. Gerne hätte ich zumindest das Exlibris Isidors abgebildet gesehen; es wird mehrmals erwähnt.
Wer das dritte Reich am Schicksal einzelner Menschen bzw. einer jüdischen Familie kennenlernen will, der hat mit diesem Buch die Gelegenheit dazu. Diese Zeit hat jüdische Menschen körperlich und seelisch gebrochen zurück gelassen. Es ist immer wieder ein unbegreifliches Wunder, wenn jemand überlebt hat. Diese Geschichten gehören erzählt, damit wir das alles niemals vergessen.

Bewertung vom 14.08.2022
Derix, Steven;Shelkunova, Marina

Selenskyj


gut

Steven Derix, Journalist und ehemaliger Korrespondent für Russland, die Ukraine und Weißrussland und Marina Shelkunova, Rechercheurin und Unterstützerin von Organisationen für Menschenrechte in Russland haben eine Biographie über Selenskyj geschrieben.
Diese umfasst im wesentlichen den Zeitraum nach seinem Jurastudium bis heute; Kindheit und Jugend werden auf wenigen Seiten zusammengefasst.
Das Buch ist gut und schnell lesbar.
Neben einer Beschreibung des ukrainischen Präsidenten werden immer wieder politische Entwicklungen der jeweiligen Jahre mit eingeflochten, so dass Selenskyjs Leben in die Geschichte seines Landes eingebettet wird.
Die Informationen für das Buch haben die Autoren den Quellen von Zeitungsartikeln, Originalberichten von Nachrichtenagenturen, Interviews und Literatur in Ukrainisch, Russisch und anderen Sprachen entnommen; auch Videomaterial wurde ausgewertet. Es wurde kein Interview mit Selenskyj oder einer ihm nahestehenden Person geführt. Am Ende des Buches findet sich ein Literaturverzeichnis, welches die ukrainischen und russischen Quellen in kyrillischer Schrift wiedergibt und somit nur für den Kenner slawischer Sprachen zu gebrauchen ist.
Der Mensch Selenskyj bleibt für mich weitgehend im Dunkeln. Erfahren habe ich, was Dritte über ihn denken und wie er auf diese wirkt. Da ich online zwei Tageszeitungen und eine weitere gelegentlich papierhaft lese, war ich über den Lebensweg Selenskyjs informiert; wirklich Neues habe ich nicht erfahren. Seine Jahre als Komiker waren mir im Detail nicht so bekannt.
Ich hatte mir von dem Buch mehr erwartet und kann es eher Leser:Innen empfehlen, die sich mit Selenskyj bisher wenig beschäftigt haben und das ändern möchten.
Für mich sind es 3 Sterne.

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Bewertung vom 10.08.2022
Groff, Lauren

Matrix


sehr gut

Marie, lebenslang in Liebe ihrer Halbschwester, Eleonore von Aquitanien verbunden, wird von dieser quasi vom Hof verbannt und als Priorin eines Klosters eingesetzt. Dieses Kloster ist bettelarm, die Nonnen und Laienschwestern überleben nicht alle die harte Arbeit und den Hunger. Das Kloster ist in der Gegend verrufen; das merkt Marie bei der Anreise.
Im Kloster selbst wird sie nicht begeistert empfangen, nur ihre 'Mitgift' ist von Interesse.
Durch das ganze Buch hindurch wird Marie für ihr Aussehen gegängelt. Ob Königin oder Kaiserin, Nonne oder andere, ständig erfahren wir, dass Marie nicht im Mindesten dem gewünschten Frauenbild entspricht: sie ist zu groß, zu schwer, zu hässlich.
Also besinnt sich Marie auf ihre Kompetenzen und nutzt ihre Gaben wie ihr Händchen fürs Geld, ihre Kreativität, ihre imposante Erscheinung und kräftige Konstitution. Das Kloster wird unter ihrer Führung sehr vermögend, die Zahl der Nonnen verzehnfacht sich und so ist ihre Berufung zur Äbtissin eine logische Konsequenz. In der Folge setzt sie Projekte um, von denen eines futuristisch anmutet.
Überhaupt ist Marie eine 'moderne ' Frau; sie fordert und fördert die ihr anvertrauten Frauen und lässt sie Ergebnisse erzielen, die man in dieser Zeit nur Männern zugetraut hat.
Dabei spielen Männer in diesem Buch fast keine Rolle und wenn treten sie negativ in Erscheinung. So suchen die Frauen, auch für ihre körperlichen Bedürfnisse, bei einander Erfüllung.
Ich habe das Buch sehr gerne gelesen und den Lebensweg von Marie mit Interesse verfolgt. Die Beziehung zu ihrer Halbschwester führt durch das ganze Buch und löste bei mir vielfältige Emotionen aus. Für mich ist es das erste Buch, in welchem die indirekte Rede so durchgehend eingesetzt wurde; fand ich spannend. Groff hat immer mal witzige Formulierungen gefunden, die mich zum Schmunzeln gebracht haben. Ich habe der Autorin die Darstellung des klösterlichen Lebens abgenommen und bin überrascht, dass ich es durchgehend interessant beschrieben fand. Den Bucheinband finde ich nach Abschluss des Buches sehr passend; nur den Bezug zum Titel konnte ich für mich nicht herstellen, obwohl das Wort im Buch fällt.
Ich kann das Buch all denen empfehlen, die sich mit einer starken Frau beschäftigen möchten, die fern ab der tradierten Rolle ihren Weg geht. Für mich klare 4 Sterne.

Bewertung vom 26.07.2022
Peer, Sabine

Dienstmädel in Bella Italia


ausgezeichnet

In diesem hübschen kleinen Buch lässt Sabine Peer die Geschichte von 5 verschiedenen Südtirolerinnen aufleben, die in den 50ern zum Arbeiten nach Italien gegangen sind. Sie waren als Haushälterinnen, Kindermädchen, Köchin oder auch als alles gleichzeitig tätig. Die reichen Familien haben 'ihre Mädchen ' sehr unterschiedlich gut behandelt. Vom eigenen Zimmer über Zimmer mit mehreren anderen Angestellten bis hin zum Bett im Kleinkinderschlafzimmer war alles dabei. Das eine Mädchen gehört quasi zur Familie, die andere wird zur Leibeigenen.
Peer findet eine Sprache, die der oft kurzen schulischen Bildung gerecht wird und den Leser:innen das Gefühl gibt, mit den jungen Frauen am gleichen Tisch gesessen zu haben.
Bis zu diesem Buch waren meine Kenntnisse über die politische Situation Südtirols wirklich schmal. Es ist sehr interessant, wenn auch diese Themen in den Lebensbildern auftauchen.
Mich hat das Buch in verschiedener Hinsicht nachdenklich gemacht: wie traurig, daß manche südtiroler Familie froh war, die Kinder auf diesem Wege 'los' zu sein: eine Esserin weniger. Wie ausbeutend die reichen Familien zum Teil waren. Wie wacker sich die jungen Frauen in der fremden Umgebung geschlagen haben. Die große Bedeutung des sonntäglichen Kirchgangs; ob als vertraute Routine oder vielleicht auch spirituelle Unterstützung. Die Bescheidenheit der Frauen finde ich berührend.
Das Buch ist flüssig geschrieben und ich bin ein bisschen traurig, das es so schnell gelesen ist. Mit den schwarzweiß Photos der Dienstmädchen ist es sehr ansprechend gestaltet.
Es ist ein schönes Geschenk und ich werde es für diesen Zweck jetzt gleich 2x erwerben.
Für mich 5 Sterne.

Bewertung vom 25.07.2022
Fischer, Heide

Mein Kompass durch die Wechseljahre


ausgezeichnet

Die Wechseljahre sind für einige Frauen eine Phase, die mit großen Veränderungen und Einschränkungen einher geht. Ärzte empfinde ich nur bedingt als Hilfe. Am Ende muss Jede ihren eigenen Weg finden. Eine Empfehlung für Literatur könnten Ärzte aussprechen, so sie nicht beraten können;dieses Buch könnte eine solche Empfehlung sein. Heide Fischer ist Frauenärztin und hat diese besonderen Jahre hinter sich. Die Autorin ist also Expertin.
Das Buch kommt mit einem ansprechenden Einband daher; eine Frau ca. Mitte 40, entspannt und fröhlich, lädt zum Lesen ein.
Das Buch ist in 14 Kapitel gegliedert und hat ein Glossar und weiterführende Literatur sowie andere Hinweise. Ich habe die 2022er Ausgabe gelesen.
Nach der Lektüre kann Keine sagen, sie hätte es nicht gewusst. Sehr ausführlich setzt sich Fischer mit den Themen um die Wechseljahre herum auseinander. Beim Kapitel Verhütung bin ich neidisch geworden. Ich bin viel umgezogen in meinm Leben; keiner der Frauenärzt:innen hat mich je so aufgeklärt. Ich hätte sicher die Pille nie genommen. Sehr interessant sind die Schilderungen betroffener Frauen und die von Fischer selbst. Das macht es anschaulich und glaubhaft. Auf der anderen Seite macht es
Heide Fischer der Leserin nicht leicht. Das Buch ist anspruchsvoll und so voll von Informationen, dass ich es erneut lesen muss, obwohl ich (mache ich ungern) alles Wichtige markiert hatte. Eine Frauenärztin versteht das sicher besser.
Zwei Anmerkungen möchte ich noch machen: es gibt zu viele Verweise auf andere Seiten, die zum Teil nicht stimmen oder wo es nicht klar ist, warum dort hin verwiesen wird. Mir hätte am Ende jeden Kapitels eine Zusammenfassung der Empfehlung der Ärztin geholfen. Da sie auch Methoden und Medikamente beschreibt, die sie nicht empfiehlt, habe ich den Überblick verloren.
Ansonsten ist es eine klare 5 Sterne Empfehlung für Frauen, die sich für ihren Körper und die neue Zeit, in die sie in der Mitte ihres Lebens kommen, interessieren.

Bewertung vom 25.07.2022

Der Medicus vom Bodensee


sehr gut

Es ist überraschend zu sehen, wie weit über die deutschen Grenzen hinaus auch der niedere Adel im 15. Jahrhundert schon vernetzt war. Andreas Reichlin von Meldegg geht zum Studieren ua nach Padua und lernt dort Menschen kennen, die ihm in seinem späteren Leben zum Beispiel als Papst oder als Kardinal wieder begegnen. Reichlin ist Medicus und lebt ua in Überlingen am Bodensee. Er ist ein sehr gebildeter Mann und kann als vielleicht sogar als Universalgelehrter bezeichnet werden. Inspiriert durch seine Bekannten und deren Wunsch, mit großen Bauten der Nachwelt ein sichtbares Vermächtnis ihrer Bedeutsamkeit zu hinterlassen, baut er sich in Überlingen einen heute noch zu besichtigenden Palast, der an florentische Bauwerke erinnert.
Trotz seiner Bildung hat Reichlin erhebliche emotionale Defizite. Seine Frauen dienen ihm als Gebährmaschinen, seine Kinder werden mit harter Hand, die gerne auch straft, erzogen. Das macht ihn sehr unsympathisch. Wozu die Bildung, fragt man sich.
Das Buch ist grundsätzlich flüssig zu lesen und wartet mit viel Kenntnissen auf. Diese machen es gelegentlich zäh, wenn es einem Geschichts- oder Architekturbuch ähnelt. Sehr spannend ist die Beschreibung der Pest, ihre Behandlung und Bedeutung für die Gesellschaft jener Zeit.
Für Menschen um den Bodensee und Kenner der italienischen Architektur der Frührenaissance, ist das Buch sicherlich leichter zu lesen; mir haben zum Verständnis Zeichnungen oder QR Codes mit Verweis auf konkrete Bilder im Internet gefehlt.
Genauso fehlt ein Personenverzeichnis. Die handelnden Personen treten mit ihren Geburtsnamen, den Orten ihrer Herkunft und mit ihrem Titel, wenn sie z.B. ein kirchliches Amt übernommen haben, auf. Da ist mir der Überblick schon mal verloren gegangen. Nichtsdestotrotz hat mich die Autorin mit ihrer Begeisterung angesteckt und ich möchte nach Überlingen, Padua und Pienza.
Wer sich für das endende Mittelalter interessiert, eine romanhafte Biographie lesen mag und Architektur Themen spannend findet, der ist mit diesem Buch gut bedient.
Das Buch ist im Selbstverlag erschienen. Dort gibt es noch mehr ihrer Bücher. Ich kann mir schon vorstellen, dass Merkelbach eine feste Leserschaft hat.
Von mir gibt es 4 Sterne.

Bewertung vom 25.07.2022
Hennig von Lange, Alexa

Die karierten Mädchen / Heimkehr-Trilogie Bd.1


gut

Ein Roman über eine 'besondere' Frau, die am Ende nicht besonders ist.

Die mit Lebenserinnerungen besprochenen Kassetten der Oma von Alexa Hennig von Lange führten die Autorin zu der Idee, aus dem Material die Geschichte für dieses Buch zu entwerfen.
Wir begleiten Klara auf ihrem Weg vom finanziell eingeschränkten Elternhaus in ihren Beruf als spätere Leiterin eines Kinderheims.
Sie 'adoptiert' Tolla, ein jüdisches Waisenmädchen, welches sie im weiteren Verlauf als ihr eigenes Kind ausgibt. Die finanziellen Engpässe der Wirtschaftskrise lassen sie die Nähe der Nazis suchen; sie bemüht sich, das Heim unter die Führung des Staates zu stellen.
All das hat Konsequenzen.
Parallel lernt Klara ihren künftigen Mann kennen, über einen sehr langen Zeitraum kommen sich die beiden näher.
Die Geschichte ist flüssig geschrieben und es gibt viele kleine Nebenhandlungen, die einen gerne weiterlesen lassen.
Die Distanz, die Klara auf den ersten Seiten ihren Kindern gegenüber lebt, empfinde ich beim Lesen Klara gegenüber- ich kann sie emotional nicht greifen; sie wirkt als lebe sie in Distanz zu sich selbst. Während des Lesens des Romans ist sie mir trotzdem sympathisch.
Das ändert sich, als sich am Ende des Buches herausstellt, das das kleine jüdische Mädchen Fiktion ist.
Wenn man Klaras Geschichte 'um dieses Kind reduziert', bleibt eine andere Frau zurück. Dazu passt, daß plötzlich im Buch aus der großen Liebe Gustav ihr 'kleiner Lehrer' wird.
Bei mir bleibt das Gefühl, dass die Autorin ihrer Großmutter eine größere Distanz zu den Nazis zuschreiben möchte, als diese in Wirklichkeit war. Kann ich verstehen, finde ich aber nicht gut; zumal der Leser mit der Grossmutter, die ihr Leben auf Kassetten gesprochen hat, gelockt wird. Deshalb werde ich auch sicher nicht die weiteren Bände der Trilogie lesen. In einem Interview für Dumont beschreibt die Autorin ihre Großmutter und deren Tätigkeit im 3. Reich. Das ist definitiv nicht die Käthe, die ein jüdisches Kind aufzieht- der Gegensatz ist krass und gruselig. Mit einem schalen Gefühl werden es gerade noch 3 Sterne.

Bewertung vom 20.07.2022
Schäfer, Andreas

Die Schuhe meines Vaters


ausgezeichnet

Schäfer hat ein berührendes Buch über den Abschied von seinem Vater und die Wege seiner eigenen Trauer geschrieben.
Ich wollte das Buch unbedingt lesen, weil ein bestimmter Auslöser, ca 2 Jahre nach dem Tod seines Vaters, Schäfer zu diesem Buch führte. Da auch ich vor gut 2 Jahren meinen Vater an einen Krebs verloren habe, interessierte es mich zu erfahren, ob Männer und Frauen unterschiedlich trauern und wie mir eine schriftliche Dokumentation als 'Trauerhilfe' gefällt.
Das erste mal weinen musste ich auf der zweiten Seite: ein sehr alter Krebs kehrte zurück und bildete Metastasen in den Knochen und im Kopf. Das ist mir bitter vertraut und ein scharfer Schmerz dringt zu meinen eigenen Erinnerungen durch.
Schäfer will dem Vater Anerkennung verschaffen, auch vor sich selbst. Das ist ihm gelungen.
Dieses Buch lässt nichts aus: weder die intensiven Gedanken vor der Entscheidung, ob er das Recht hat die Maschinen abzustellen, die den Vater am Leben halten noch die analytische Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zum Vater.
Das Buch besteht aus zwei Teilen: der Zeit, die unmittelbar dem Tod des Vaters voraus geht und einen Teil, der dem Leben des Vaters und dem Verhältnis zwischen Vater und Sohn gewidmet ist.
Beide Teile sind Schäfer gelungen. Wenn es beim ersten Teil noch nachvollziehbar ist, Leser:innen bei der Stange zu halten, wenn der Erfahrungshorizont ähnlich ist, so muss man schon schreiben können, wenn eine Lebensgeschichte einer 'unbekannten' Person fesseln soll. Schäfer, der kein unbelastetes Verhältnis zum Vater hatte, bemüht sich, die Faktoren, die Einfluss auf die Entwicklung der Persönlichkeit des Vaters hatten, angemessen zu würdigen. Das dort noch ein Weg zu gehen ist merkt man z.B ab Seite 60: statt mein Vater und ich, plötzlich der Vater und der Sohn... noch scheint Distanz nötig, um die belastenden Emotionen im Griff zu behalten.
Der schöne, schlichte Einband mit einem massiven Berg, alles in Grautönen gehalten, steht in schönem Kontakt zum letzten Leseabschnitt.
Für mich ist das Buch ein Meilenstein in der Verarbeitung meiner eigenen Trauer und eine klare Leseempfehlung für alle, die ihren Vater verloren haben.

Bewertung vom 08.07.2022
Diane Setterfield

Die dreizehnte Geschichte - Roman


sehr gut

Zwei Frauen und eine spannende Geschichte mit einigen Fragezeichen über Zwillinge und das besondereBandzwischen ihnen. Vida Winter, Englands berühmte Schriftstellerin, beauftragt Margaret Lea, ihre Lebensgeschichte aufzuschreiben. Da spielen mehrere Generationen eine Rolle und geht es ein bisschen zu wie bei DuMauriers Rebekka. Der Familiensitz der Angelfields ist Schauplatz der Geschichte und wird in deren Verlauf dem gleichen Verfall unterliegen, wie die Familie. Winter, die bisher immer ihre Geschichte mit blühender Phantasie 'entworfen' hatte, verspricht, die Wahrheit zu erzählen. Aber tut sie das?
Margaret Lea nähert sich beim Zuhören und Notizen machen ihrer eigenen Geschichte an. Wie bei Winter spielt ein zentraler Verlust eine große Rolle. Ist Heilung möglich?
Setterfield hat einen düsteren Roman über zwei dysfunktionale Familien geschrieben. Bei Winter sind die Familienmitglieder noch ein paar Zacken mehr neben der Spur. Trotzdem, ich habe den Protagonisten ihre Rolle abgenommen. Die Kapitel sind nicht alle gleich stark, aber über alles war ich gefesselt und habe es schnell gelesen. Dieses Buch werde ich rgendwann wieder lesen müssen, da ich das Gefühl habe, dass mir zwischen den Zeilen etwas entgangen ist.
Ich fühlte mich gut unterhalten und gebe 4 Sterne.