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Anna625

Bewertungen

Insgesamt 80 Bewertungen
Bewertung vom 17.09.2022
Die Kriegerin
Bukowski, Helene

Die Kriegerin


ausgezeichnet

"Die Kriegerin" hat etwas, dem ich mich beim Lesen kaum mehr entziehen konnte (und das, offen gesagt, auch gar nicht wollte). Vielleicht sind es die Verletztheit und das langsame, vorsichtige Sich-Öffnen der beiden Protagonistinnen, vielleicht die Schönheit der klaren Sprache, vielleicht das Gefühl, dass das alte Leben eigentlich doch nur ein Provisorium ist, ein Übergang, in dem man irgendwie steckengeblieben ist und sich jetzt fragt, warum eigentlich, und ob es da nicht noch mehr gibt, ob es da nicht noch Dinge zu entdecken gibt in den Weiten der Welt, am Ende vielleicht sogar sich selbst tief verborgen unter der alles erstickenden Decke der Vergangenheit, die erst Schicht um Schicht abgetragen werden muss wie die Kruste längst verschorfter Wunden, bevor darunter etwas Neues zum Vorschein kommen kann.

Als Lisbeth klar wird, dass sie die erdrückende Last der Mutterschaft und ihrer Neurodermitis nicht länger ertragen kann, flüchtet sie überstürzt an die Ostsee, den einzigen Ort, der ihr in ihrer Kindheit Linderung verschaffen konnte. Dort begegnet sie der Kriegerin, die sie vor Jahren während der Grundausbildung bei der Bundeswehr kennengelernt hat. Auch die Kriegerin ist auf der Flucht, doch wovor, das bleibt lange im Verborgenen. Klar ist, dass beide Frauen tief traumatisiert sind und schon vor langem einen Schutzpanzer umgelegt haben, und dass dieser inwischen so sehr Teil ihrer selbst geworden ist, dass er kaum mehr durchdrungen, geschweige denn abgestreift werden kann. Und obwohl dieser Panzer ihr Inneres vor der Außenwelt verbirgt, kann er die Frauen selbst nicht dauerhaft vor dem Einsturz des fragilen Konstrukts schützen, zu dem ihr Leben geworden ist.

Bewertung vom 16.09.2022
Schlangen im Garten
vor Schulte, Stefanie

Schlangen im Garten


ausgezeichnet

Nach dem Tod von Johanne gerät die Welt ihres Mannes Adam und ihrer Kinder Steve, Linne und Micha aus den Fugen. Doch Zeit für Trauer gibt es kaum, hält man sich an die Regeln der Gesellschaft. Dass Familie Mohn Johanne so schnell nicht vergessen und den Alltag wiederaufnehmen kann, weckt den Argwohn von Nachbarn und Traueramt - es besteht der Verdacht, dass die Trauer "verschleppt" wurde, wie eine Erkältung oder eine Grippe.

Wie schon Stefanie vor Schultes Debüt "Junge mit schwarzem Hahn" lebt auch ihr zweiter Roman von einer fantastischen, einnehmenden Sprache und ungewöhnlichen Bildern. So etwa ist es für Familie Mohn selbstverständlich, ungelesene und in Schnipsel gerissene Seiten aus Johannes Tagebüchern zum Abendessen zu verzehren, um der Verstorbenen nahe zu sein. Das ist ihr ganz eigener Umgang mit einer Trauer, die sich anfühlt wie ein riesiger Klumpen im Bauch und gegen die nichts anzukommen vermag.

Mit bemerkenwerter Präzision und Feinfühligkeit gelingt es der Autorin, Realität mit einer an Traumbilder erinnernden Phantastik zu verflechten. Eigensinnig und doch von verzaubernder Schönheit sowohl in Sprache als auch in zahlreichen der so entstehenden Szenen schafft sie einen Annäherungsversuch an die Themen Verlust und Trauer, der seinesgleichen sucht. Nicht alles daran ist immer nachvollziehbar und greifbar, aber das ist okay, denn auch die Trauer selbst ist etwas, was oftmals weit über unser Begreifen-Können hinausgeht.
"Schlangen im Garten" ist ungewöhnlich, ist bunt in seinen Bildern, poetisch in seiner Sprache. Es ist absurd und skurril und manchmal schwer zu durchdringen, aber es ist auch erfrischend in seiner Herangehensweise, einfühlsam und wärmend.
Ganz große Leseempfehlung!

Bewertung vom 12.09.2022
Sanfte Einführung ins Chaos
Orriols, Marta

Sanfte Einführung ins Chaos


sehr gut

Dass das Thema "Schwangerschaftsabbruch" nicht immer mit Pauken und Trompeten besprochen werden muss, zeigt Marta Orriols in ihrem neuen Roman ganz wunderbar. Behutsam führt die Autorin an die Fragen und Ungewissheiten heran, die mit einer ungeplanten Schwangerschaft einhergehen können. Im Zentrum stehen dabei Marta und Daniel, beide Anfang 30, beide mehr oder weniger zufrieden und erfolgreich in ihrem Job. Seit etwa 2 Jahren sind sie zusammen, das Thema "Kinder - ja oder nein" kam bisher nie auf den Tisch. Und dann, plötzlich, der positive Schwangerschaftstest.
Marta weiß: Sie will das Kind nicht.
Daniel weiß: Er will das Kind.

Was nun? Während der sechs verbliebenen Tage bis zum geplanten Termin in der Klinik begleitet man als Leser*in das junge Paar. Dabei plädiert der Roman weder klar für die eine, noch für die andere Seite. Und das ist wunderbar erfrischend, weil man sich als Leser*in nicht in die eine oder andere Richtung gedrängt fühlt, sondern Zeit bekommt, sich selbst ein Bild zu machen. Ganz ohne den Zwang, sofort ein Urteil fällen, eine Entscheidung treffen zu müssen.
Beim Lesen hatte ich das Gefühl, dass der Roman weniger ein "So-soll-es-sein" als vielmehr ein "So-ist-es-tatsächlich" skizziert. Denn ja, in der Realität haben wir selten das Privileg, uns nicht klar positionieren zu müssen; und dennoch, ich glaube, dass wir uns gerade deshalb häufig in gewisser Weise dazu verpflichtet fühlen, eine bestimmte Meinung anzunehmen. Weil diese Meinung die ist, die allgemein anerkannt ist. "Sanfte Einführung ins Chaos" verlangt das aber nicht von uns. Der Roman prangert nicht die an, deren Meinung anders aussieht. Statt zu sagen, wie wir die Dinge sehen und uns verhalten sollen, und alles an diesem Maßstab zu messen, zeigt Orriols die Ich-Bezogenheit und den Egoismus, der heimlich in vielen schlummert und aus dem Gefühl einer Pflicht zur Anpassung heraus in der Regel totgeschwiegen wird.

Sicherlich gibt es einige Punkte, die man am Roman kritisieren kann; dennoch finde ich, dass der Autorin hier eine gute und einfühlsame Heranführung an das Thema gelungen ist. Und genau das verspricht der Titel ja auch immerhin.

Bewertung vom 12.09.2022
Auf See
Enzensberger, Theresia

Auf See


sehr gut

Die Welt, in der die 17-jährige Yada lebt, ist im Untergang begriffen. Seit zehn Jahren lebt sie in der von ihrem Vater und einigen anderen gegründeten Seestadt, einer schwimmenden Stadt irgendwo in der Ostsee. Das Festland nahezu unbewohnbar und ohnehin in unerreichbarer Ferne, folgt Yada einem festen Tagesplan mit eigens auf sie zugeschnittenen Ernährungs-, Fitness- und Unterrichtsplänen. Doch nach und nach beginnt die Realität in Yadas kleine Welt hineinzusickern und lässt sie die Grenzen zwischen Wahrheit und Lüge, Utopie und Dystopie hinterfragen.
Auf der anderen Seite haben wir Helena, die in Berlin als Orakel und Künstlerin gefeiert wird. Dank der sozialen Medien bekommt sie viel mehr Aufmerksamkeit als ihr lieb ist, und so flüchtet sie sich in Anonymität und die Arbeit an ihrem Archiv, einer Sammlung an wenig bekannten Texten über mehr oder weniger erfolgreiche Versuche, eine eignene Nation zu gründen.

Gekonnt schreibt Theresia Enzensberger von Vertrauen und Zweifel, vom Erwachsenwerden in der Isolation und dem Hinterfragen vermeintlicher Wahrheiten. Ihr Roman wirft einen Blick tief hinein in die immer weiter aufreißende Kluft zwischen fortschreitender Entwicklung, Technologie & Co einerseits und dem Leben in größter Armut andererseits. "Auf See" skizziert eine Welt gefangen irgendwo zwischen Ideologie und Idealismus, Fanatismus und Neoliberalismus, die unserer Welt gar nicht mal so fern ist. Der Roman überzeugt vo allem durch die klugen Einwürfe und den Einblick in Helenas Archiv. Die Figuren selbst bleiben dabei ein wenig auf der Strecke und die Handlung durchläuft zwar einige Wendungen, lässt sich im Wesentlichen aber in wenigen Sätzen zusammenfassen; der Spannung und Tiefe tut das zwar kaum einen Abbruch, eine etwas stärkere Fokussierung auf Protagonistinnen und Storyline - besonders zum Ende des Buches hin - hätte dem Roman dennoch nicht geschadet.

Alles in allem ein solider, kluger Roman, der sich gut lesen lässt, letztendlich aber nicht vollkommen überzeugen konnte.

Bewertung vom 25.08.2022
Intimitäten
Kitamura, Katie

Intimitäten


sehr gut

"Intimität" - ein Begriff, den wir im ersten Moment am ehesten mit zwischenmenschlichen Beziehungen in Verbindung bringen. Mit Gefühlen, mit "Einander-Nahekommen" und mit einem Zustand, der sehr schön sein kann, der aber unter Umständen auch schnell ein Zuviel mitsichbringt und dazu führt, dass Geborgenheit umschlägt in Zweifel bis hin zu Unwohlsein. "Intimität" ist kein absoluter Begriff, er hat tausend Nuancen, die sich in kürzester Zeit abwechseln können, ohne dass die Veränderung von außen sofort sichtbar wäre.
In ihrem Roman spielt Katie Kitamura mit den Feinheiten und Grenzen dieses Begriffs, mehr noch, sie wendet sie auf unsere Sprache im Allgemeinen an. Denn ebenso schnell, wie sich die Natur einer intimen Beziehung verändern kann, kann es auch unsere Wahrnehmung einer Person oder einer Handlung aufgrund dessen, welche Worte die Person wählt. Bemerkbar macht sich das vor allem immer dann, wenn wir uns mithilfe von Dolmetscher*innen verständigen müssen. Denn für die meisten Worte gibt es nicht "die eine, richtige Übersetzung" - es liegt stets auch im Ermessen desjenigen, der zwischen den Sprachen, zwischen den Menschen vermittelt, welche Wortwahl für angemessen erachtet wird. Und das kann mitunter große Auswirkungen auf das Bild haben, das wir von einer Person oder ihrer Handlung bekommen.

Mit all diesen Schwierigkeiten - den zwischenmenschlichen, den sprachlichen - sieht sich Kitamuras namenlose Protagonistin konfrontiert. Frisch aus New York nach Den Haag gezogen und noch neu in ihrem Job als Dolmetscherin für Kriegsverbrecher am Europäischen Gerichtshof, muss sie bald feststellen, dass es gar nicht so einfach ist, für beides das richtige Maß zu finden. Nicht für die Geschwindigkeit der Annäherung an eine Person und das Aufbauen von Nähe, und auch nicht für das Außenvorlassen subjektiven Empfndens beim In-Worte-Fassen von Taten, die an Grausamkeit ihresgleichen suchen.

In leisen Tönen und feinfühliger Sprache zeichnet Kitamura die Gefühlswelt einer jungen Frau nach und spielt dabei gekonnt mit den schillernden Facetten menschlicher Empfindungen und den zarten Nuancen der Sprache. Ein Roman, der nicht nur problemlos ohne klar festgelegte, greifbare Grenzen auskommt, sondern gerade mit dem Aufzeigen der Schwierigkeiten überzeugt, die mit einer solchen Fragilität und Vagheit einhergehen.

Bewertung vom 15.08.2022
Freundin bleibst du immer
Obaro, Tomi

Freundin bleibst du immer


gut

Funmi, Enitan und Zainab haben sich zu Studienzeiten miteinander angefreundet. Später leben sie sich auseinander, jede beginnt ihr eigenes Leben: Funmi führt ein Dasein in Reichtum und Luxus, der Preis dafür ist es, in ihrem eigenen Leben gefangen zu sein. Enitan verlässtnach dem Studium Nigeria für ihre Liebe, einen weißen Mann, und ist nun alleinerziehende Mutter. Zainab heiratet ihre große Liebe, muss jetzt jedoch ihren nach einem Schlaganfall gelähmten Mann pflegen. Erst 30 Jahre später treffen sie auf einer Hochzeit wieder aufeinander und ziehen Bilanz.

Erzählt wird der Roman wechselnd aus der Sicht der drei Protgonistinnen. Es gibt einen Handlungsstrang in der Gegenwart, in den sich immer wieder Passagen aus der Vergangenheit einflechten. Keiner der Frauen kam ich dabei jedoch wirklich nahe; vermutlich liegt es an der Vielfalt der Themen, dass ich mich nicht so ganz auf den Roman und die einzelnen Protagonistinnen einlassen konnte und insgesamt die Tiefe doch etwas vermisst habe. Denn der Roman will viel - er will nicht nur drei Beispiele dafür liefern, wie das Leben Frauen mitspielen kann, er möchte zudem einen Einblick in die Kultur Nigerias auf diversen Ebenen bieten. Das ist ohne Frage sehr interessant, zu oft kratzte der Roman mir dabei aber nur an der Oberfläche und ließ den tieferen Einblick vermissen, den ich mir erhofft hatte. Auch das groß angepriesene Thema "Freundschaft, die alles überdauert", habe ich beim Lesen kaum mal als solches wahrgenommen.

Mehr Gedanken der Protagonistinnen, mehr Gefühle, mehr davon, wie es den drei Frauen mit ihren gescheitereten Lebensentwürfen geht und was aus ihren einstigen Träumen geworden ist. Davon hätte ich gerne mehr gelesen. Insgesamt ist "Freundin bleibst du immer" ein gutes Buch, denn immerhin lässt es sich schön lesen und bietet einen guten ersten Einblick in die nigerianische Kultur; gerne hätte dieser für meinen Geschmack aber deutlich tiefergehend ausfallen können. Am Ende bleibe ich gut unterhalten, aber auch ein wenig enttäuscht zurück.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.08.2022
Der Geruch von Wut
Clima, Gabriele

Der Geruch von Wut


weniger gut

Nachdem sein Vater bei einem Autounfall gestorben ist, ist für Alex klar, dass der Fahrer des anderen Wagens schuld ist und für seine Tat bezahlen muss. Über einen Freund nimmt er Kontakt zu einer gewaltbereiten, rechtsradikalen Gruppe auf. Schnell schlittert Alex immer tiefer in diese Welt hinein, aus der es kein Entkommen gibt.
Beim Lesen wird schnell deutlich, dass es sich bei "Der Geruch von Wut" um ein Jugendbuch handelt. Mir war es an vielen Stellen aber selbst dafür nicht genug in die Tiefe gehend; vieles fand ich zu vereinfacht dargestellt, und ich glaube, dass gerade heutzutage Jugendliche da sehr viel aufgeweckter sind und und sehr viel mehr verstehen wollen und können, als dieses Buch ihnen an Informationen bietet. Wenn überhaupt wäre es daher in meinen Augen eher für "jüngere" Jugendliche geeignet, wobei dann aber die teilweise gewaltsamen Szenen vermutlich zu heftig sind. Mir stellt sich also die Frage, an wen genau sich der Roman eigentlich richtet.
Vom Schreibstil her ist das Buch eher simpel gehalten, es liest sich gut und man kommt schnell durch. Die Figuren waren mir aber zu flach und da hätte ich mir noch tiefere Einblicke in ihr Leben und ihre Gedanken gewünscht. Auch viele Abläufe waren mir zu ungenau bzw. zu einfach dargestellt (nach dem Motto 'Wir kennen dich nicht, aber du willst Teil unserer rechtsextremen Gruppe werden? Kein Problem, wir treffen uns an diesem und jenem Ort, komm einfach vorbei.' etc.). Die Auflösung am Ende ging dann ziemlich schnell und ohne Probleme vonstatten, in der Realität würde es so vermutlich nicht laufen. Auch hier hätte ich mir wieder mehr Authentizität und mehr Details gewünscht.

Alles in allem bietet der Roman einen nettern, kurzen ersten Einblick darauf, wie schnell man in die falschen Kreise abrutschen kann - viel mehr aber leider nicht.

Bewertung vom 28.07.2022
An den Ufern von Stellata
Raimondi, Daniela

An den Ufern von Stellata


sehr gut

Giacomo und Viollca passen auf den ersten Blick kaum zusammen. Er ist ruhig und schwermütig, sie ist das Feuer selbst. Doch als sie mit einem Wagenzug in den kleinen Ort Stellata kommt und durch starke Regefälle an der Weiterreise gehindert den Winter dort verbringt, finden die beiden zueinander. Von ihnen ausgehend entspringt die Geschichte einer Familie, ähnlich verschlungen wie die Windungen des Flusses Po, an dessen Ufern sie spielt.

Einfühlsam und in bildgewaltigen Worten schafft Daniela Raimondi einen Roman, dem man sich von den ersten Seiten an kaum mehr entziehen kann. Sie erzählt von der Liebe, von Sorgen und Ängsten, vom Über-sich-selbst-Hinauswachsen, lenkt gekonnt den Blick auf Details und verliert dabei doch nicht das große Ganze aus den Augen. Unterstrichen wird das 200 Jahre umfassende Familienepos durch die Lebendigkeit der Atmosphäre Italiens und einige mysthische Elemente.
Bei der Dicke des Romans - immerhin über 500 Seiten - ist es zu verkraften, dass sich gegen Ende ein paar Längen einschleichen. Ein paar Figuren, sprich: ein oder zwei Generationen weniger hätten es sicher auch getan; andererseits ist es nicht zuletzt der große Umfang, der diese Familliengeschichte von anderen unterscheidet, die sich auf 3 oder 4 Generationen beschränken.

Insgesamt ist "An den Ufern von Stellata" ein Roman, mit dem ich viele angenehme, sommerliche Stunden verbracht habe. Wer dazu bereit ist, sich tief in eine eher ruhige Geschichte mit italienischem Flair hineinziehen zu lassen, ist hiermit gut bedient!

Bewertung vom 14.05.2022
Das Leben eines Anderen
Hirano, Keiichir_

Das Leben eines Anderen


weniger gut

Nach dem Tod Daisukes muss Rie feststellen, dass ihr Ehemann nicht der war, für den sie ihn gehalten hat. Stattdessen hat er sie und sein gesamtes Umfeld die ganze Zeit ihrer Bekanntschaft hindurch über seine wahre Identität getäuscht. Akira Kido, Anwalt, Ehemann und Vater, selbst mit dem Alltagstrott seines Lebens unzufrieden, soll nun nachforschen und herausfinden, wer Daisuke wirklich war.

Achja. Die Kultur Japans, persönliche Konflikte, der Tausch zweier Identitäten - es klang so vielversprechend. Der Einstieg hat mir auch noch recht gut gefallen, dann wurde es allerdings schnell zäh und meine Lust zum Weiterlesen war bald verflogen. Die Suche danach, was Daisuke dazu bewogen hat sein altes Leben hinter sich lassen zu wollen, und die Frage, wie ihm dies gelungen ist, hätten wirklich spannend sein können - waren sie aber nicht. Mir hat die Beschäftigung mit der Persönlichkeit der Figuren gefehlt, bzw. hat sie mich dort, wo sie vorhanden war, nicht packen können. Gespräche wirkten zu häufig zu konstruiert, und statt einem tiefen Einblick in die japanische Kultur blieb dieses Thema (ebenso wie andere eigentlich interessante Punkte) sehr oberflächlich und nur am Rande abgehandelt. Ich hatte irgendwann das Gefühl, eine Art (wenig spannenden) Krimi zu lesen - und das ist leider nicht, was ich mir von diesem Roman erhofft hatte. Dass laut Klappentext irgendwann auch Ries Anwalt in Versuchung gerät, sein Leben hinter sich zu lassen und eine andere Identität annimmt, hat mich noch eine Weile hoffen lassen; aber auch dieser Aspekt konnte es für mich letzten Endes nicht mehr retten.

Ich hatte mir viel erhofft von diesem Roman, zumal "Identitätstausch" etwas ist, womit ich mich bisher noch nie auseinandergesetzt habe. Leider ist meine Enttäuschung nach dem Lesen aber mindestens so groß wie meine Vorfreude vor dem Lesen. Mein Hauptgefühl währenddessen war Langeweile.

Bewertung vom 12.05.2022
Nachtschwärmerin
Mottley, Leila

Nachtschwärmerin


sehr gut

Kiara und ihr älterer Bruder Markus wachsen in einer heruntergekommenen Gegend East Oaklands auf. Ohne Eltern müssen sie sich irgendwie durchschlagen - alles andere als einfach, zumal Kiara noch nicht 18 ist und keinen richtigen Job bekommt, während Markus alle Hoffnungen auf den Durchbruch als Musiker setzt. Doch Essen und Miete zahlen sich nicht von alleine, weshalb Kiara erst langsam und dann immer schneller in die Prostitution hineinschlittert, eine Sache, aus der es bald kein Entkommen mehr gibt.

Dass dieser Roman keine locker-leichte Wohlfühllektüre ist, muss wohl nicht extra erwähnt werden. Die Geschichte beginnt verhältnismäßig harmlos mit den Schilderungen von Kiaras und Markus' Lebensumständen und nimmt dann schnell an Fahrt auf - und das wird phasenweise schon recht heftig, auch deshalb, weil Ki eine dieser Protagonistinnen ist, mit denen man mitfühlt und denen man irgendwie helfen möchte, aus diesem Leben zu entkommen. Denn selbst, wenn sie sich und ihre kleine Familie mit dem Verkauf ihres Körpers knapp über Wasser halten kann - ein Weg hinaus tut sich dadurch nicht auf. Als dann auch noch ihr Name in einem Skandalprozess fällt, muss Kiara sich entscheiden - ist Gerechtgkeit es wert, dafür alle, die ihr wichtig sind, zu gefährden?

Intensiv und düster packt Leila Mottley hier eine ganze Menge Gesellschaftskritik in ihren Roman, der aufgrund seiner Thematik wohl noch eine ganze Weile nachhallen wird.