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hamburger.lesemaus
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Bargfeld-Stegen

Bewertungen

Insgesamt 515 Bewertungen
Bewertung vom 17.11.2025
Schmitt, Caroline

Monstergott


ausgezeichnet

MONSTERGOTT
Caroline Schmidt
ET: 28.8.25

Seit ihrer Geburt gehören die Geschwister Esther und Ben einer Freikirche an. Ihre Eltern zählen zu den Gründern dieser Gemeinschaft – Gott steht für sie über allem.
Beide sind fest eingebunden, leiten die Lobpreisgruppe, singen, musizieren und leben ihren Glauben.

Und doch regt sich in ihnen eine Sehnsucht nach etwas anderem. Der Glaube, der sie einst getragen hat, beginnt sich zu verändern – und mit ihm auch ihr Bild von Gott. Aus kindlicher Hingabe wird ein innerer Konflikt, denn plötzlich schleichen sich Gedanken ein, die in ihrer Welt verboten sind: Lust, Begehren, Zweifel.
Der Pastor predigt Woche für Woche von Reinheit und Versuchung, von Liebe als Werk des Satans – eine Manipulation, die tief in die Köpfe der jungen Menschen eindringt.

Caroline Schmidt hat wieder ein eindrucksvolles und wichtiges Buch geschrieben. Schon Liebewesen hatte mich begeistert, und auch diesmal wurde ich nicht enttäuscht.
Ihr besonderer Schreibstil, die abwechselnden Perspektiven von Esther und Ben und die ruhige, eindringliche Sprache verleihen Monstergott eine außergewöhnliche Intensität.
Man wird ganz allmählich in die Geschichte hineingezogen – bis man meint, selbst auf der Kirchenbank zu sitzen und dem Pastor zuzuhören.

Selten hat mich ein Buch so viele Emotionen spüren lassen: Wut, Trauer, aber auch Mitgefühl und Hoffnung. Trotz der schweren Themen ist der Ton zart und feinfühlig.

Fazit:
Ein starkes, berührendes Buch über Glauben, Kontrolle und den Wunsch nach Freiheit. Eine klare Leseempfehlung.
4,5/5

Bewertung vom 16.11.2025
Bhatter, Ina

Drei Tage im Schnee


sehr gut

DREI TAGE IM SCHNEE
Ina Bhatter

Hannah ist 30, ausgebrannt und vom Alltag überfordert. Früher hat sie ihre Arbeit geliebt, doch inzwischen hetzt sie nur noch von Termin zu Meeting und wünscht sich nichts sehnlicher, als einfach im Bett liegen zu bleiben. Um dem Stress zu entkommen, mietet sie sich ein Wochenende eine Hütte am See. Anfangs klingt das nach einer idyllischen Auszeit – doch der Schneefall macht alles ein wenig komplizierter.

Dann taucht die sechsjährige Sophie auf, voller Lebensfreude und Lust auf Schneeengel. Schnell entsteht zwischen den beiden eine besondere Verbindung: Hannah lässt sich treiben, baut Iglus, trinkt Kakao und findet Momente der Leichtigkeit. Dabei denkt sie über ihr eigenes Leben nach und reflektiert, was wirklich wichtig ist. Am Ende bleibt ein bisschen die Frage: War alles wirklich so oder nur ein Traum?

„Uns Erwachsenen wäre deutlich mehr geholfen, wenn wir nicht vergessen würden, wie es war, ein Kind zu sein.“ (S.5)

Eine kleine, warme Wintergeschichte über Neuanfänge, Selbstfindung und die Magie, die Kinder ins Leben bringen können. Das Buch liest sich schnell und leicht, ohne dabei oberflächlich zu sein. Wer sich auf eine ruhige, nachdenkliche Geschichte einlassen möchte, gönnt sich eine Wolldecke, eine Tasse Tee und ein paar Stunden Auszeit.

Fazit:
Ein Buch für entspannte Wintertage, das Ruhe schenkt und gleichzeitig Denkanstöße zum Entschleunigen liefert.
3½/5

Bewertung vom 12.11.2025
Kraus, Chris

Die Sonne und die Mond


gut

DIE SONNE UND DIE MOND
Chris Kraus
ET: 20.8.25

Sonja „Sonne“ und Jana – von allen nur „Mond“ genannt – kennen sich seit Kindertagen. Als Jana nach Deggendorf zog, wurden die Mädchen schnell unzertrennlich. Sie teilten nicht nur viele Erinnerungen, sondern auch die schmerzliche Erfahrung, früh ein Elternteil verloren zu haben: Sonne ihren Vater durch Selbstmord, Jana ihre Eltern bei einem Verkehrsunfall. Doch ein Ereignis führte zu einem Bruch, der sie für viele Jahre trennte.

Zehn Jahre später steht Mond, inzwischen eine erfolgreiche Kabarettistin, plötzlich wieder vor Sonne, die heute ein Bestattungsinstitut führt. Sie bittet sie, die Beerdigung ihres Mannes und seiner schwangeren Geliebten zu übernehmen. Sonne weigert sich zunächst, gibt ihrer ehemaligen Freundin schließlich aber nach. Schon bald nimmt Mond wieder einen immer größeren Platz in Sonnens Leben ein – und überschreitet Grenzen, die schon damals zur Entzweihung geführt haben.

Ein Buch, das weit über die Freundschaft von Sonne und Mond hinausgeht.

Der Schreibstil hat mich sehr angesprochen – ruhig, klar und zugleich poetisch, mit feinem schwarzen Humor gespickt. Chris Kraus zeichnet die beiden Frauen mit großem Gespür für ihre Widersprüche und Verletzlichkeiten. Themen wie Verlust, Freundschaft, Loyalität und die Frage nach dem Sinn des Lebens ziehen sich durch die Geschichte, stets begleitet vom Tod, der hier erstaunlich sachlich und unaufgeregt beschrieben wird.

Trotz einiger Längen ist es insgesamt eine kluge und fein erzählte Geschichte über Nähe, Distanz und das, was bleibt.
3,5/5

Bewertung vom 11.11.2025
Dietz, Shari;Dietz, André

Maris Märchen


ausgezeichnet

MARIs MÄRCHEN
Shari & André Dietz
ET: 30.10.25

„Hi, ich bin Mari und ich erzähle euch jetzt mal ein paar Geschichten. Das Besondere daran ist, ich habe sie bisher noch niemandem erzählt, weil ich gar nicht sprechen kann.“

Mari kann nicht sprechen – und doch schenkt sie uns mit diesem Buch ihre Geschichten. Sie hat das Angelman-Syndrom, einen seltenen Gendefekt, aber ihre Eltern verstehen sie und haben ihre Gedanken und Erlebnisse aufgeschrieben.

Doch das Buch enthält nicht nur Maris eigene Geschichte, sondern auch ein paar Märchen, die ein wenig anders sind, als du sie vielleicht kennst. Die Namen der Märchen sind vertraut – DOWNRÖSCHEN, HÄNDIKÄPPCHEN und HUMPELSTILZCHEN – doch die Helden und Menschen darin haben eine Behinderung. Sie sehen anders aus, sind aber keineswegs weniger liebenswert. So erfahren wir etwa, dass Prinzessin Rosi in Downröschen von ihren Untertanen gehänselt wird, nur weil sie anders spricht und manchmal ein Speicheltropfen beim Reden aus dem Mund fällt. Ob die Feen Rosi bei diesem Problem helfen können und was es mit den anderen Märchen auf sich hat, müsst ihr natürlich selbst lesen – es lohnt sich!

Was für ein liebes, einzigartiges und berührendes Buch. Es ist ideal, um schon den Kleinsten zu zeigen, dass Kinder mit Behinderungen genauso wertvoll sind wie alle anderen. Die Sprache der Märchen ist modern, offen und humorvoll – perfekt, um darüber ins Gespräch zu kommen. Saskia Gaymanns liebevolle und witzige Illustrationen runden das Buch wunderbar ab.

Fazit:
Ein Buch mit einer wichtigen Botschaft zum Vorlesen ab 6 Jahren. Ganz große Leseempfehlung!
5/5

Bewertung vom 10.11.2025
Zevin, Gabrielle

Das erstaunliche Leben des A.J. Fikry


sehr gut

DAS ERSTAUNLICHE LEBEN DES A.J. FIKRY
Gabrielle Zevin
ET: 29.8.25
Originalausgabe ET: 1.4.14

A.J. Fikry führt gemeinsam mit seiner Frau eine kleine Buchhandlung auf Alice Island – ein Lebenstraum, der jedoch jäh zerbricht, als sie viel zu früh an Krebs stirbt. Zurück bleibt ein Mann, der nichts mehr vom Leben erwartet und sich bewusst in den Alkohol flüchtet.

Doch zwei Ereignisse verändern alles.
Zuerst verschwindet mitten in der Nacht seine seltene Erstausgabe von Edgar Allan Poe – einst als Altersvorsorge gedacht, nun Symbol seiner letzten Hoffnung. Und dann geschieht etwas, das sein Leben völlig auf den Kopf stellt.
Mehr will ich an dieser Stelle nicht verraten – nur so viel: Dieses zweite Ereignis zwingt A.J., über den Sinn seines Lebens, über Liebe, Verlust und Neuanfang nachzudenken.

Gabrielle Zevin erzählt eine berührende Geschichte über zweite Chancen, über Bücher, Buchhandlungen und die Menschen, die ohne Geschichten nicht leben können. Das erstaunliche Leben des A.J. Fikry ist eine leise, kluge Hommage an das Lesen und an die Magie, mit der Geschichten unsere Welt verändern können.

Fazit:
Ein ruhiges, atmosphärisches und tiefsinniges Buch, das lange nachklingt. Eine Liebeserklärung an das Lesen selbst.
4/5

Bewertung vom 10.11.2025
Szántó, Henrik

Treppe aus Papier


sehr gut

TREPPE AUS PAPIER
Henrik Szántó
ET: 20.8.25

Was wäre, wenn ein Haus eine Geschichte erzählen könnte – was hätte es wohl alles zu berichten? Henrik Szántó gibt diesem Haus eine Stimme, aber nicht nur ihm, sondern auch den Wasserrohren, der Treppe, den Fenstern und all den Dingen, die in so einem Haus zu finden sind.
Und es gibt viel zu erzählen. Das Haus ist über 100 Jahre alt und hat schon viele Mieter kommen und gehen sehen.

Da war zum Beispiel die Familie Thon. Josef Thon war eigentlich Briefträger, aber als die Braunen an die Macht kamen, blühte er auf – über Nacht wurde er wichtig. Seine Tochter Irma freundete sich, eher aus Mangel an Spielgefährten, mit dem jüdischen Mädchen Ruth aus der vierten Etage an. Ruth hatte auf dem Dachboden ein Geheimversteck, und Irma war die Einzige, die davon wusste. Sie hatte versprochen, es niemals zu verraten.

Auch wenn das Haus gern in Erinnerungen schwelgt, gibt es auch in der Gegenwart einiges zu berichten. Nele wohnt heute in Ruths damaliger Wohnung und hat ihre ganz eigenen Sorgen. Das schlimmste aller Probleme: Sie weiß, dass sie ihr Gymnasium wohl nicht schaffen wird. Zum Glück lebt in der ersten Etage die 90-jährige Irma – und die kann ihr für die nächste Geschichtsklausur so einiges erzählen …

Was für eine tolle Idee, ein Haus eine Geschichte erzählen zu lassen! Schon allein das verdient fünf Sterne. Auch die Geschichten zwischen Nele und Irma oder Irma und Ruth konnten mich unglaublich fesseln. Zwischendurch gab es jedoch Passagen, die etwas langatmig oder überladen wirkten.
Ein ungewöhnliches Buch, das ständig zwischen den Zeiten wechselt – manchmal sperrig, dann wieder genial und berührend ist.

Fazit:
Das Buch konnte mich nicht durchgängig überzeugen, ist aber besonders und wird mir sicher noch lange in Erinnerung bleiben. Eine Leseempfehlung für alle, die Geschichten mögen, die Vergangenheit und Gegenwart miteinander verweben – ungewöhnlich, leise und trotzdem voller Wirkung.
3½/5

Bewertung vom 10.11.2025
Schirach, Ferdinand von

Der stille Freund


sehr gut

DER STILLE FREUND
Ferdinand von Schirach
ET: 27.8.25

In vierzehn Geschichten bleibt sich Ferdinand von Schirach treu. Er schreibt über Moral, Schuld, Rache und Gerechtigkeit – aber auch über menschliche Existenz und Vergänglichkeit.
Wir begegnen Menschen, die einst mitten im Leben standen, Berühmten ebenso wie Stillen, vielleicht auch einem Freund des Autors. Jede Geschichte ist anders: Manche haben mich sofort berührt, andere weniger. Eine erschien mir bizarr, andere wiederum faszinierend und tiefgründig. Doch immer gelingt es von Schirach mit seinem präzisen, minimalistischen Stil, Begegnungen so zu schildern, dass sie nachhallen – ohne zu urteilen. Er verbindet, wie so oft, Realität und Fiktion auf meisterhafte Weise.

Manchmal hatte ich das Gefühl, dass die vielen bedeutenden Persönlichkeiten etwas zu präsent waren, und besonders die zweite Geschichte war mir fast zu intellektuell. Dafür gab es aber viele Dialoge und Szenen, die ich unglaublich schön fand. Und ich liebe es, wenn von Schirach plötzlich die Richtung ändert und ein Ende völlig unerwartet kommt.

Lasst euch entführen – nach Afrika, an die Côte d’Azur oder nach Berlin – und begegnet seinen Freunden.
Bildet euch selbst eine Meinung.

Fazit:
Ein weiterer von Schirach mit großen Themen, klugen Gedanken und feinen Zwischentönen.
Ich habe ihn sehr gerne gelesen.
4/5

Bewertung vom 10.11.2025
Biedermann, Nelio

Lázár


sehr gut

LÁZÁR
Nelio Biedermann
ET: 1.9.2025

In seinem Debütroman verbindet Nelio Biedermann die Geschichte seiner ungarischen Familie väterlicherseits mit einer fiktiven Erzählung und schafft so ein eindrucksvolles Porträt zwischen persönlichem Schicksal und europäischer Geschichte.

Die Handlung beginnt um 1900. Sándor von Lázár lebt auf seinem Waldschloss in Südungarn und wird endlich Vater eines langersehnten Stammhalters. Doch Sohn Lajos sieht mit seinen blonden Haaren, der fast durchscheinenden Haut und den wasserblauen Augen so gar nicht nach ihm aus – und die Distanz zwischen Vater und Sohn wird auch nach dem tragischen Suizid der Mutter nicht kleiner.
Doch dieser Verlust bleibt nicht die einzige Prüfung für die Familie.
„Der Wald hat den Vater verschluckt, die Mutter getötet und den Bruder verrückt gemacht.“

Vor dem Hintergrund der politischen Umbrüche – vom Zerfall der Habsburger Monarchie über die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg bis zur anschließenden sowjetischen Herrschaft – entfaltet sich die Geschichte einer Familie, die mit sich, der Schuld und den Veränderungen ihrer Zeit ringt.

Biedermann schreibt mit einer bildreichen, präzisen Sprache, die immer wieder von einem feinen, trockenen Humor durchzogen ist. Das macht das Lesen kurzweilig und zugleich atmosphärisch dicht. Lediglich das Ende konnte mich nicht ganz überzeugen – es wirkte im Vergleich zum Rest des Romans etwas dünn und unausgewogen.

Fazit: Ein sprachlich starkes, eindrucksvoll erzähltes Debüt eines jungen Autors, das mit Tiefe, Atmosphäre und einem Hauch Melancholie überzeugt – ein Buch, das ich sehr gerne gelesen habe.
4/5

Bewertung vom 30.10.2025
Abel, Susanne

Du musst meine Hand fester halten, Nr. 104


ausgezeichnet

Natürlich musste ich das neue Buch von Susanne Abel lesen! Schon ihre beiden Vorgängerromane "Stay away from Gretchen" und "Was ich nie gesagt habe" konnten mich restlos begeistern. Entsprechend hoch waren meine Erwartungen – und ich kann schon verraten: Sie wurden erfüllt.

1945:
Im Mittelpunkt steht ein kleiner Junge, der nach dem Krieg mit einem Kindertransport aus Zoppot mitten in Deutschland ankommt. Um den Hals trägt er ein Pappschild, doch der Name darauf ist unleserlich. Der Junge kennt weder den Namen seiner Familie noch seinen eigenen. Im katholischen Kinderheim, in das man ihn bringt, erhält er eine neue Identität – Hardy und die Nummer 104.
Weil Hardy nicht spricht und mit drei Jahren noch Bettnässer ist, hält man ihn für „debil“. Nur Margret, ein acht Jahre älteres Mädchen, das ein ähnliches Schicksal teilt, nimmt sich seiner an. Sie wird seine Beschützerin. Doch das Leben im Heim ist von Gewalt, Erniedrigung und Angst geprägt. Als Margret schließlich von einer Tante abgeholt wird, ist Hardy fortan vollkommen schutzlos.

2006:
Viele Jahrzehnte später wächst die junge Emily bei ihren Urgroßeltern Margret und Hardy auf. Ihre Mutter und Großmutter sind mit sich selbst beschäftigt und nicht in der Lage, Verantwortung zu übernehmen. Anfangs empfindet Emily Margrets Fürsorge als wohltuend und sicher – doch je älter sie wird, desto stärker wird Margrets Kontrolle. Was einst Schutz bedeutete, wird nun zur Last, und Emily beginnt, sich dagegen aufzulehnen.

Wie die Geschichte weitergeht, müsst ihr natürlich selbst herausfinden …

Ein zutiefst berührendes Buch über ein dunkles Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte. Rund 300.000 Kinder suchten nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Familien – viele vergeblich. Susanne Abel verknüpft historische Fakten mit fiktiven Schicksalen und schafft so eine Geschichte, die unter die Haut geht.
Es ist erschütternd, was Kindern in manchen Heimen widerfahren ist: Ungelernte Menschen ohne jegliche pädagogische Ausbildung züchtigten und erniedrigten sie. Liebe und Fürsorge gab es keine, Schutz vor sexuellen Misshandlungen ebenso wenig. Medikamente wurden an Kindern in erhöhten Dosierungen getestet.

Fazit:
Abels Schreibstil ist gewohnt klar, eindringlich und wunderbar lesbar.
Ein schweres Thema – aber ein wichtiges und meisterhaft erzähltes Buch, das man nicht aus der Hand legen kann.
Große Leseempfehlung!
5/5

Bewertung vom 28.10.2025
Keweritsch, Katja

Das Flüstern der Marsch


ausgezeichnet

DAS FLÜSTERN DER MARSCH
Katja Keweritsch
ET: 5.9.2025

Mona fährt von Hamburg zu ihren Großeltern in die Marsch – und findet dort nur ihren Großvater Karl vor. Wo ihre Großmutter Annemie geblieben ist, weiß er nicht. Er scheint darüber auch nicht besonders beunruhigt zu sein. Wann er sie zuletzt gesehen hat, kann er ebenfalls nicht genau sagen – nur daran, dass er seit zwei Tagen nichts mehr gegessen hat, weil niemand das Essen zubereitet hat, daran erinnert er sich. Auch die Zwillingssöhne Stefan und Sven wissen nicht, wo ihre Mutter ist, haben aber keine Zeit, sich zu kümmern. Lediglich Janne, Stefans Frau, die mit drei kleinen Kindern und den Vorbereitungen für Schwiegervater Karls 80. Geburtstag ohnehin völlig überlastet ist, hört sich Monas Sorgen wenigstens an.

Als Annemie auch nach einigen Tagen nicht wieder auftaucht, wird schließlich die Polizei informiert. Doch noch immer ist sich die Familie sicher, dass Annemie einfach eine Freundin besucht – völlig außer Acht lassend, dass sie gar keine Freundin hat und so etwas noch nie zuvor getan hat.

Katja Keweritsch erzählt ihren Roman auf mehreren Zeitebenen.
Neben Mona in der Gegenwart kommt auch Annemie selbst zu Wort – ein junges Mädchen, das eigentlich gerade ihr Abitur machen wollte, als sie sich in ihren Lehrer verliebt und eine folgenreiche Affäre beginnt.
Janne erhält einen eigenen Erzählstrang, in dem wir erfahren, was sie alles auf sich nimmt, um ihre Familie glücklich zu machen.
Und schließlich ist da noch Freya, deren Bruder sich das Leben genommen hat und die bald auf Geheimnisse stößt, die alles miteinander verbinden.

Wie diese Erzählstränge am Ende ineinandergreifen, müsst ihr natürlich selbst herausfinden.
Was ich aber verraten kann: Das Flüstern der Marsch fängt die besondere Atmosphäre dieser Landschaft wunderbar ein – das weite, flache Land, die Stille, den Wind, das Licht. Zugleich porträtiert Katja Keweritsch eindrucksvoll das Leben in einem kleinen Dorf bei Hamburg, mit all seinen heimlichen Geschichten, ungesagten Wahrheiten und über Generationen hinweg weitergetragenen Verletzungen.

Ein stiller, atmosphärisch dichter Roman, den man nicht mehr aus der Hand legen möchte, weil man unbedingt hinter das Geheimnis kommen will.
4½/ 5