Benutzer
Benutzername: 
allegra
Buchflüsterer: 

Bewertungen

Insgesamt 295 Bewertungen
Bewertung vom 30.05.2011
Winterberg, Liv

Vom anderen Ende der Welt


ausgezeichnet

Ein historischer Reiseroman in die Südsee

Die Autorin ließ sich in ihrem Erstlingsroman inspirieren vom Leben der französischen Botanikerin Jeanne Baret. Im Anhang befindet sich ein kurzes Portrait über diese, bei uns unbekannte Wissenschafterin. Sie ist 1768 als Mann verkleidet in See gestochen, um als Botanikerin an einer Expedition in die Südsee teilzunehmen.
Liv Wintergerg lässt ihre Protagonistin Mary Linley von Plymouth aus als Marc Middleton auf einem Expeditionsschiff im Team des angesehenen Botanikers Sir Carl Belham als wissenschaftliche Zeichnerin anheuern.

Der größte Teil der Handlung des Romans beschreibt das Leben auf dem Schiff. Einerseits wird veranschaulicht, wie die Besatzung untergebracht und vom Smutje Henry mit möglichst gesundem und nahrhaftem Essen versorgt wird. Man erfährt ebenfalls eine ganze Menge über die medizinische Behandlung von Krankheiten und Verletzungen.
Soweit ich das beurteilen kann, ist das alles realistisch beschrieben und gut recherchiert.

Die Reise an Bord der Sailing Queen führt über verschiedene Stationen und endet für Mary und Sir Carl Belham auf der Insel Tahiti. Die Beschreibung der eingeborenen Bevölkerung mag aus heutiger Sicht etwas klischeehaft erscheinen. Ich finde aber, dass die Autorin die Sichtweise der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gut getroffen hat. Sie bringt dem Leser die „Edlen Wilden“ so näher wie Rousseau diese als Ideal beschrieben hat, die aber bereits konfrontiert worden sind mit diversen Mitbringseln aus der europäischen Welt und dadurch schon etwas von ihrer Unschuld verloren haben. Die Autorin lässt genügend Lücken, die man sich in der eigenen Fantasie ausfüllen kann, ohne dass sie den Menschen auf Tahiti Eigenschaften und Verhaltensweisen andichtet, die diese so womöglich nicht gehabt haben.

Die Schiffspassagen, aber auch die Beschreibungen der Landexkursionen sind sehr anschaulich und stimmungsvoll gelungen. Man hört und riecht den Dschungel und spürt auch die Stille des Betrachters der Natur.

Der gelungene Einsatz der Sprache hat mich ganz besonders beeindruckt. Die Ausdrucksweise hebt sich positiv von vielen Romanen neueren Datums ab. Die Autorin schreibt sehr sicher, souverän und schafft es, die Atmosphäre still und leise einzufangen ohne einen Überschwang an langatmigen Beschreibungen oder aufdringlichen Gefühlswallungen. Die erzählte Geschichte ist schlüssig, geradlinig und nicht überladen an Motiven und Themen.

Im Anhang befindet sich ein Glossar, mit vielen Fachausdrücken aus der Schifffahrt, der Medizin und der Botanik. Das hat das Verständnis sehr erleichtert und ich konnte meinen eigenen Wortschatz sogar etwas ausbauen.

Zuerst habe ich mich gefragt habe, warum die Autorin nicht gleich die Geschichte der Jeanne Baret erzählt, wenn sie sie schon als Inspiration bemüht. Inzwischen finde ich aber die Lösung, den Roman anhand einer fiktiven Figur zu erzählen sehr gut. Auf diese Weise kann die Autorin ihre schriftstellerische Freiheit wahren, ohne Gefahr zu laufen, zuviel in eine historische Persönlichkeit zu interpretieren, über die man noch nicht sehr viel weiß.

Fazit:
Dieses Erstlingswerk von Liv Winterberg hat mich sehr positiv überzeugt. Ich hatte erst meine Bedenken, dass es für meinen Geschmack zu klischeehaft und zu sehr Liebesroman sein könnte. Es lässt sich natürlich nicht von der Hand weisen, dass es sich um einen „Frau-in-Hose“-Roman handelt. Aber ich denke in diesem Fall ist das mehr als verziehen. Da sich die Autorin von einer historisch verbürgten Person inspirieren ließ, war das die einzige Möglichkeit.

Für mich hat dieses Buch das gewisse Etwas, was ein sehr gutes Buch von einem guten Buch unterscheidet. Es hat einen gewissen Zauber, den ich nicht wirklich benennen kann, und ich hoffe sehr, dass die Autorin noch mehr so gute Romane schreiben wird.

5 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 20.05.2011
Neuhaus, Nele

Wer Wind sät / Oliver von Bodenstein Bd.5


sehr gut

Themenüberladen, aber dennoch guter Krimi

Nele Neuhaus behandelt mit diesem Krimi ein sehr aktuelles Thema. Das Unternehmen WindPro möchte im Taunus einen großen Windpark bauen. Da die Windverhältnisse nicht optimal sind, werden Gutachten gefälscht, um das Projekt zu retten.

Die häufigen Perspektivwechsel halten die Spannung hoch, verbreiten aber auch Hektik, weil dadurch auf die sehr zahlreichen Personen nicht so tief eingegangen werden kann, wie man es als Leser an der ein oder anderen Stelle wünschen würde.

Oliver von Bodenstein verliert etwas an Glanz, was mir recht gut gefällt. Allerdings ist er gleich allzu leichtfertig, weil er sich verliebt. Dafür läuft Pia zu Hochform auf. Da sich am Ende auch noch ihr Wohnproblem aufs Angenehmste löst, ist für sie die Welt perfekt. Das einzige Problem könnte ihr Partner Christoph darstellen, der sich sehr große Sorgen macht wegen gefährlichen Einsätzen. Davon wird man bestimmt in der Fortsetzung noch mehr lesen.

Die Person der Annika ist am Ende immer noch schleierhaft. Es ist nicht wirklich klar, ob es sich bei ihr um einen Cliffhanger handelt oder ob der Leser mit dem offenen Ende leben muss. Etwas verwirrend ist die Tatsache, dass sie eine alte Bekannte von Jannis´ Freundin Ricky ist. Dennoch wohnt sie bei den beiden, ohne dass sie ihre Identität offen legt. Jannis ist als schillernde, interessante Persönlichkeit dargestellt, bei mir erscheint er aber nicht wirklich glaubwürdig. Dabei helfen die derben und unnötigen Sexszenen auch nicht wirklich.

In diesem 550 Seiten dicken Schmöker werden eine Vielzahl von Themen in unterschiedlicher Tiefe angeschnitten: Globale Erwärmung, erneuerbare Energie, Umweltaktivisten (Wutbürger), Massenpanik, sexueller Missbrauch an Schulen, Korruption, Liebe, Eifersucht, Rache….und noch viele mehr. Diese Anhäufung an Motiven und Themen hat leider eine gewisse Oberflächlichkeit zur Folge, weil manches nur gestreift werden kann. Der Plot wäre glaubwürdiger, wenn das ein oder andere weggelassen würde. Z.B. wäre Ricky genau so glaubwürdig, wenn sie beruflich und privat nicht so übermenschlich engagiert wäre. Die Massenpanik wurde polizeilich nicht aufgearbeitet und erscheint deshalb als aufgesetzt.

Inhaltlich hat sich Nele Neuhaus vermutlich durch eine Nachrichtenmeldung inspirieren lassen, als 2009 Hacker die East Anglia's Climatic Research Unit (CRU) gehackt haben und eine Vielzahl von kompromittierenden E-Mails und Datenmaterial im Internet gelandet ist.

Darüber darf man sich natürlich Gedanken machen. Dennoch wäre es natürlich fatal, daraus zu schließen, es gäbe keinen menschlichen Beitrag am CO2 Problem und zur globalen Erwärmung oder die globale Erwärmung wäre eine reine Erfindung. In diesem Fall würde sich auf jeden Fall die Autolobby freuen, wenn sie es nicht schon tut durch die laufende Erwähnung von tollen Autos. Ich hoffe jedoch, Nele Neuhaus wollte den Leser lediglich dazu anregen, kritisch und offen zu sein im Bezug auf die Interpretation von Forschungsresultaten und Nachrichtenmeldungen.

Das Cover finde ich sehr passend; der Rabe auf dem Strommast. Der Wiedererkennungswert mit einem Bild bei düsterer Witterung mit Blutspritzern ist auf jeden Fall da und hebt sich positiv vom Durchschnitt ab. Mir gefällt das sehr gut. Was mir weniger gefällt, ist das Format. Auch wenn das Buch diese Klappen hat (wozu sind die eigentlich da?) und ein Lesebändchen, das an die letzte Seite geklebt war (leider hat es sich bei mir sehr schnell gelöst), so handelt es sich dennoch nur um ein Taschenbuch, für das ich keine 15.- € bezahlen würde. Das ist aber eine generelle Entwicklung einiger Verlage und darf der Autorin nicht angelastet werden.

Trotz einiger kleinerer Schwächen hat mir „Wer Wind sät“ sehr gut gefallen, ich habe mich gut unterhalten gefühlt und habe Inhalte gefunden, über die es sich nachzudenken lohnt. Im Vergleich zu „Schneewittchen muss sterben“ empfand ich diesen Krimi weniger oberflächlich. Empfehlenswert!

6 von 9 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.05.2011
Klüpfel, Volker;Kobr, Michael

Rauhnacht / Kommissar Kluftinger Bd.5 (4 Audio-CDs)


gut

„Rauhnacht“ ist der erste Krimi aus den Federn des Autorenduos Klüpfel/Kobr, den ich mir zu Gemüte geführt habe. Da mir die Sticheleien zwischen Kluftinger und seinem „Freund“ Dr. Langhammer auf der Hinreise ins gemeinsame Wochenende als Gäste eines neu eröffneten Wellnesshotels bereits etwas zuviel des Guten waren, habe ich zum Hörbuch gegriffen, das in der Bücherei im Regal lag. Es handelt sich um eine gekürzte Version, bei der natürlich einige Szenen fehlen, die dem Buch die beliebte „Klufti“-Atmosphäre verleihen. Dem Verständnis des Plots tat das aber keinen Abbruch. Das Hörbuch ist von den Autoren selber gelesen, die Stimmen sind abwechslungsreich auf die verschiedenen Personen verteilt, was meiner Meinung nach sehr gut gelungen ist.

Ein Mord geschieht im eingeschneiten, von der Umwelt abgeschnittenen Hotel und Kluftinger bleibt nichts Anderes übrig, als gemeinsam mit Dr. Langhammer als Assistenten, die Ermittlungen in die Hand zu nehmen. Der Täter muss sich unter den Gästen oder den Angestellten des Hotels befinden. Obwohl für mich relativ schnell klar war, wer für die Tat in Frage kommt, hat mich die Detektivarbeit durch unerwartete Wendungen und Kluftis liebenswerte „Granteligkeit“ gut unterhalten. Der Krimi bei mir auch die Lust geweckt, wieder mal nach einem Klassiker von Agatha Christie oder von Conan Doyle zu greifen.

Ein passendes Hörbuch für winterliche Auto- oder Zugfahrten, aber nicht unbedingt ein Spitzenkrimi. Ich vergebe für diesen Krimi 2,5 Sterne und für die gute Hörbucheinspielung noch einen halben extra, ergibt 3 von 5 Sternen.

5 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 02.05.2011
Sten, Viveca

Tod im Schärengarten / Thomas Andreasson Bd.2


gut

Tod im Schärengarten

Inhalt (vom Buchcover übernommen)

Konzentrierte Spannung vor dem Start zur berühmten Segelregatta vor den schwedischen Schäreninseln. Alle erwarten, dass das neue Boot von Oscar Juliander vorne liegen wird – doch fällt es gleich nach dem Startschuss zurück. Juliander, Rechtsanwalt und Vorsitzender der Königlich Schwedischen Seglergesellschaft (Abk. KSSS), ist erschossen worden – zeitgleich mit dem Startschuss und vor den Augen des Regattapublikums.


Persönliche Meinung

Nach Viveca Stens Erstlingswerk “Tödlicher Mittsommer“ ist der vorliegende Krimi der zweite Teil der Reihe um Kommissar Thomas Andreasson. Es gibt auch ein Wiedersehen mit seiner Jugendfreundin Nora Linde, die eine Villa geerbt hat, die ihr Ehemann Henrik unbedingt verkaufen möchte. Darüber entbrennt ein Streit, unter dem ihre Beziehung sehr stark leidet. Die Aufklärung des Mordfalls von Oscar Juliander und die Entwicklung einer ausgewachsenen Ehekrise zwischen Nora und Henrik bilden die beiden Haupterzählstränge des Krimis. Dazwischen wird Martin Nyren, ein Vorstandskollege im KSSS von Juliander, vorgestellt, der alleinstehend ist, aber offensichtlich eine Affäre hat aus den vornehmeren Kreisen Sandhamns. Ein weiterer Strang bilden kurze eingeschobene Kapitel, in denen ein vorerst Unbekannter seinen Werdegang aus seiner ganz persönlichen Sicht schildert.
Während den ersten 250 Seiten plätschert der Krimi vor sich hin, erfüllt mit solider Polizeiarbeit, familiärer Hintergrund von Thomas und Nora und wunderschönen Beschreibungen der sommerlich schwedischen Landschaft im Schärengarten. Erst gegen Ende gewinnt der Krimi noch mal richtig an Fahrt und die scheinbar zusammenhangslosen Enden fügen sich zu einem Ganzen zusammen.

Die Kapitel sind teilweise sehr kurz gehalten, was die Spannung und Leseaufmerksamkeit zwar erhöht, aber mich teilweise auch etwas am Lesefluss gestört hat. In den ersten 50 Seiten wird sehr schnell Spannung aufgebaut und die einzelnen Personen und Schauplätze werden anschaulich eingeführt. Danach hat sich der Krimi für meinen Geschmack etwas zu sehr in die Länge gezogen, um dann aber zu einem sehr angenehmen Ende mit unerwarteten Wendungen zu finden.

Für mich bildet dieser Krimi einen angenehmen Kontrapunkt im Vergleich zu anderen Skandinavienkrimis, die manchmal doch arg trübsinnig und düster sind. Die heitere und sommerliche Ferienstimmung hat mir gut gefallen. Die Sprache ist leicht lesbar aber trotzdem abwechslungsreich.

Insgesamt hat mir „Tod im Schärengarten“ recht gut gefallen, ich ziehe aber einen Stern ab für den etwas langatmigen Zwischenteil und einen weiteren dafür, dass die Hauptpersonen zwar glaubwürdig dargestellt sind, aber in diesem Teil keine Entwicklung durchgemacht haben, obwohl man das immer wieder erwartet hätte.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.04.2011
Busfield, Andrea

Schattenträumer


sehr gut

Mit „Schattenträumer“ ist Andrea Busfield ein eindrucksvoller Roman über ein bedrückendes Kapitel der neueren Geschichte Europas gelungen. Der Roman schildert die Entwicklungen Zyperns zwischen 1955 und 2007 aus der Perspektive der griechischen Familie Economidou, die in einem Dorf nahe der Küstenstadt Keryneia im Norden der Insel beheimatet ist. Hauptprotagonist ist Loukis, der jüngste Sohn der Familie, der sich mit gerade mal 15 Jahren der Widerstandsgruppe EOKA anschließt, die die Befreiung Zyperns von der Kolonialmacht England erkämpft. Loukis tut dies weniger aus politischem Interesse, als um für seine angebetete Praxi „zum Mann“ zu werden. Diese Beliebigkeit zeigt angesichts der Gefahren und schrecklichen Erlebnisse, denen er sich aussetzt, die Sinnlosigkeit des Widerstandskampfes, in den das Volk teilweise ohne wirkliche Überzeugung nur aufgrund ihrer Herkunft hineingezogen wird.

Mit Fortschreiten der Geschichte eskaliert die zunehmend schlechte Beziehung zwischen der zyprischen Bevölkerung griechischer und türkischer Herkunft, sodass auf der Insel Kriegszustände herrschen zwischen der Armee aus Griechenland und aus der Türkei. Ergebnis dieser Kriegshandlungen ist die Teilung Zyperns in einen nördlichen türkischen und einen südlichen griechischen Teil. Die Bevölkerung muss auf beiden Seiten ihre Häuser verlassen und in „ihren“ Teil der Insel ziehen, wo sie mit Hilfe der Regierung angesiedelt werden. Somit spiegeln sich die Erfahrungen der griechischen Familien im Leid der türkischen Bevölkerung, was die Autorin am Ende des Buches ganz elegant durch einen Brief schildert, den ein alter türkischer Nachbar der Familie Economidou zurücklässt.

Das Leben der Familie verläuft vor diesem historischen Hintergrund nicht immer geradlinig. Die Familie wird von traurigen Schicksalen heimgesucht. Dabei werden neben den geschichtlichen Entwicklungen auch gesellschaftspolitische Themen gestreift wie die Unmöglichkeit einer Ehescheidung, das Leben Homosexueller in der Gesellschaft aber auch der bedingungslose Zusammenhalt von Familie und Nachbarn über die Grenzen der Herkunft hinaus.

Auf bewegende Art und Weise zeigt die Autorin die Sinnlosigkeit eines Bürgerkriegs auf, bei dem es nur Verlierer geben kann. Sie spart auch nicht mit Kritik an der internationalen Gemeinschaft und vor allem an der Haltung Englands, das aufgrund eines Garantievertrags und der Tatsache, dass noch immer englisches Militär auf Zypern stationiert war, in die Auseinandersetzung hätte eingreifen können. Stattdessen hat die europäische Gemeinschaft zugeschaut, wie ein Bruderkrieg ein Land entzweit und viele Todesopfer gekostet hat.

Das Schicksal der Familie Economidou nimmt den Leser mit auf eine emotionale Achterbahn. Einerseits fühlt man mit den Familienmitgliedern, andererseits scheinen einzelne Personen relativ befremdlich zu handeln, so dass eine gewisse Distanz aufgebaut wird. Sprachlich ist der Roman relativ einfach gehalten. Er ist leicht lesbar und auf ansprechende Weise flüssig und anschaulich geschrieben. Neben sehr pittoresken Beschreibungen der wundervollen Landschaft Zyperns gelingt es der Autorin durch geschickten Einsatz von Perspektivwechsel, Wiederholungen, Zeitungsartikel bzw. gelesenem Brief die Spannung aufrecht zu erhalten und den Leser auf eine innere Reise zu schicken, die ihn aber ratlos und bedrückt zurücklässt. Anders an in den meisten Familiensagas löst sich in diesem Roman nicht alles in Wohlgefallen auf und die gegen Ende mehrfach wiederholten Worte: „Wir vergessen nicht“ schweben wie ein Trost aber auch wie eine Drohung über dem Roman.

Ich würde das Buch einem geschichtlich interessierten Leser, der sich auch darüber freut, ein neues Land kennen zu lernen, sehr empfehlen. Der Roman fordert dem Leser einiges ab an Vorwissen oder Bereitschaft, die Geschichte Zyperns zu recherchieren, aber er ist auf jeden Fall ein Gewinn.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 10.04.2011
Theurillat, Michael

Sechseläuten / Kommissar Eschenbach Bd.3


sehr gut

Pünktlich zum diesjährigen „Sechseläuten“ habe ich den Krimi von Michael Theurillat fertig gelesen. Der Autor schreibt Regiokrimis, die in und um Zürich spielen. Der Ermittler ist Kommissar Eschenbach, der einen sehr an die Figur des „Wachtmeister Studer“ von Friedrich Glauser erinnert. Mit viel Liebe zum Detail werden die Schauplätze in Zürich und der Region am See beschrieben die Protagonisten im Umfeld der Polizei sind sehr menschlich und lebensecht gezeichnet. Zu einem Regiokrimi gehört eine gewisse Portion Lokalkolorit, allerdings habe ich das in diesem Krimi nicht so aufdringlich empfunden, wie das manchmal der Fall ist. Umgangssprachliche und schweizerdeutsche Ausdrücke sind sehr sparsam verwendet, allenfalls gibt es die ein oder andere Redewendung, die man typischerweise in der Schweiz verwendet und die dem deutschen Leser vielleicht eher ungewohnt oder unverständlich erscheinen mag. Im gesamten ist aber der lokale „touch“ angenehm dosiert.

Aufgebaut ist das Buch aus 6 größeren Teilen, die jeweils als Überschrift die Abschnitte eines Fußballspieles trägt (Erste Halbzeit, zweite Halbzeit, Nachspielzeit….). Inhaltlich taucht Fußball einmal im Hintergrund auf; die EURO 2008 steht kurz bevor und diese Großveranstaltung bindet die Ressourcen den Polizei sehr stark und andererseits sind die Hauptfiguren um die Ermordete im Umfeld der FIFA zu finden. Für das Verständnis sind aber keinerlei Kenntnisse nötig und auch für einen erklärten Nicht-Fußballfan wie mich, sind die wenigen Informationen nicht störend.

Die Ermittlungen gehen zurück in ein sehr dunkles Kapitel der schweizerischen Geschichte. Zwischen 1926 und 1972 wurden Kinder von Fahrenden, in diesem Fall vor allem von „Jenischen“, von einer Stiftung „Kinder der Landstraße“ aus ihren Familien entfernt und in Kinderheime oder zu Pflegefamilien gebracht, die die Kinder, falls sie sich gut angepasst haben, später adoptierten. Man empfand die Lebensform der Fahrenden als Persönlichkeitsmangel wollte durch die bewusste Entfremdung der Kinder von ihren Familien bewirken, dass diese Lebensweise ausstirbt.

Inhaltlich ist der Krimi nicht allzu umfangreich, weshalb ich auch nicht mehr verraten möchte. Stellenweise war mir die eine oder andere Begebenheit nicht sehr glaubwürdig erschienen. So war mir zum Beispiel das allumfassende Wissen eines ehemaligen Polizisten etwas zu dick aufgetragen. Insgesamt aber fand ich den Krimi sehr angenehm zu lesen, er ist spannend, hat mich gut unterhalten und auch nachdenklich gestimmt, da ich die Aufklärung dieses Menschen verachtenden Vorgehens an den „Jenischen“ und die Reaktionen in der Bevölkerung selber als Schulkind aus der Presse, im Fernsehen und durch so manche Diskussion in der Familie miterlebt habe.

Wer Regiokrimis mag, gerne ein bisschen in den Zürcher Alltag eintaucht oder Interesse hat am Schicksal der „Kinder der Landstraße“, dem kann ich den Krimi sehr empfehlen.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.03.2011
Glaesener, Helga

Die Vergolderin


sehr gut

Die Vergolderin – eine Frau gerät zwischen die Fronten

Elisabeth, die ihrer sterbenden Mutter das Versprechen gegeben hat, dass sie sich um ihre Geschwister Marga und Christian kümmern wird, ist eine begabte Goldschmiedin und Vergolderin. Die Kinder finden bei ihrem Großvater Franz Weißvogel Unterschlupf, der sie allerdings nur widerwillig aufnimmt. Er erkennt aber bald, dass er auf sie angewiesen ist. Seine Hände zittern immer stärker, sodass er das Goldschmiedehandwerk nicht mehr ausüben kann. So arbeitet Elisabeth in seiner Werkstätte und Marga versorgt den Haushalt.
Längerfristig stellt der zwölfjährige Christian eine große Hoffnung für die Familie dar. Wenn er das Goldschmiedehandwerk erlernen kann, wird er seine Geschwister später ernähren können. Aber erst muss eine Lehrstelle für ihn gefunden und das Lehrgeld bezahlt werden. Dafür und für Margas Mitgift spart Elisabeth das Geld, das sie durch den Verkauf von kunstvoll vergoldeten Spiegelrahmen verdient.

Der Titel, sowie der Umschlag, den ein Ausschnitt aus Jan Vermeers Gemälde „Frau mit Waage“ ziert, lassen einen historischen Roman erwarten, der das Handwerk des Goldschmieds und des Vergoldens im Mittelpunkt hat. Je weiter die Geschichte voranschreitet rückt aber immer mehr ein Bruderzwist ins Zentrum zwischen dem Kaufmann Martin Clavius und seinem Halbbruder, dem machtgierigen Goldschmied Gregor Rudel. Elisabeth gerät zunehmend zwischen die Fronten und ihr guter Ruf ist zunehmend in Gefahr, weil Gregor Rudel alle Mittel recht sind.

Historisch ist der Roman eingeordnet in die Jahre 1602 bis etwa 1604 in Braunschweig. In den Wäldern rund um die Stadt verbreitet der sagenumwobene Räuber Lippold mit seiner Bande Angst und Schrecken. Im Roman erwähnt ist Henning Brabandt, der mit seinen „Bürgerhauptleuten“ der ärmeren Stadtbevölkerung zu mehr Mitspracherechten verhelfen konnte. Er stand im Verdacht mit dem verfeindeten Herzog Julius Heinrich in Kontakt zu stehen und wurde im Jahre 1604 unter schwerer Folter verurteilt und hingerichtet. An zwei Stellen wird das im Buch kurz erwähnt, aber leider nicht weiter ausgeführt.

Der Roman ist mitreißend geschrieben. Die Autorin erfreut den Leser mit einer guten Mischung aus Gefühl und Spannung. Die Beschreibung der Schauplätze und der Handwerksgerätschaften ist abwechslungsreich, anschaulich und kenntnisreich.
Die Personen sind für meinen Geschmack leider zu sehr in Richtung gut – böse herausgearbeitet. Elisabeth, mit der der Lese mitfiebert, ist eine sehr schöne Frau, durchwegs sympathisch und zuverlässig, während ihre Schwester Marga nicht nur rein äußerlich weniger positiv wegkommt, sie ist vor allem als verbiestert, griesgrämig, egoistisch und oberflächlich dargestellt. Die entsprechende Konstellation kann man zwischen den Brüdern Martin und Gregor erkennen. Leider entbehrt auch die Figur von Elisabeths Geliebtem Berthold jeglicher Tiefe und der zwölfjährige Christian ist so brav, tapfer und zuverlässig, dass es einen fast schmerzt in der Brust.

Die Handlung ist in Bezug auf die Entwicklung der Beziehungen zwischen den Hauptpersonen zwar relativ absehbar, die Verwicklungen auf dem Weg dahin sind aber unerwartet und sie halten die Spannung aufrecht. Das Happy End um Martin Clavius ist für mich persönlich etwas zu dick aufgetragen, aber es war wohl nötig für den Fortgang der Geschichte.

Mit dem vorliegenden Roman ist Helga Glaesener ein solider, spannender historischer Roman nach bewährter Machart gelungen. Ich fühlte mich auf sehr angenehme Weise unterhalten und bin sehr gerne in die Welt des 17. Jahrhunderts in Braunschweig eingetaucht. Für Liebhaber historischer Romane ist Lesevergnügen garantiert.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 22.03.2011
Beckett, Simon

Verwesung / David Hunter Bd.4


sehr gut

David Hunter im Moor

Mit „Verwesung“ hat Simon Beckett den vierten Band in der Reihe um David Hunter vorgelegt. Der Roman ist unterteilt in einen Prolog, einen ersten Teil, der eine Rückblende vor acht Jahren darstellt und einem zweiten, längeren Teil der in der Gegenwart spielt.

Im ersten Teil wird beschrieben wie ein gemischtes Team aus Polizisten, Beratern und einem Archäologen zusammen mit dem Schwerverbrecher, Jerome Monk, in einem Moor in Dartmoor/Devon vergeblich nach Gräbern von jungen Mädchen sucht. Eingeflochten in die Entwicklung des Plots ist David Hunters früheres Familienleben zum Zeitpunkt, als er seine Ehefrau Kara und seine Tochter Alice durch einen tragischen Autounfall verliert.

Der zweite Teil setzt acht Jahre später ein, als es Monk gelungen ist, aus einem Hochsicherheitsgefängnis auszubrechen. Die psychologische Beraterin Sophie Brenner, die beim ersten Vororttermin im Moor schon mit dabei war, ist inzwischen nach Dartmoor gezogen, wo sie sich als Töpferin eine Existenz aufgebaut hat.

Als Schauplatz finde ich das düstere, unheimliche Dartmoor sehr gut gewählt. Die Beschreibungen lassen einen die feuchten Nebelschwaden regelrecht in die Knochen kriechen. Simon Beckett gelingt es, die Aufmerksamkeit des Lesers zu fesseln, obwohl die Geschichte an sich leider recht absehbar ist. Die Person von Jerome Monk ist geheimnisvoll, faszinierend und man will unbedingt wissen, was bei diesem augenscheinlich monströsen Menschen dahinter steckt.

Der Roman ist schnörkellos aufgebaut, es werden kaum Personen eingeführt, die für den Plot unnötig gewesen wären. Für mich machen allerdings die Verwicklungen um Terry Connors und Sophie Brenner einen zu konstruierten Eindruck. Ebenfalls finde ich ihre Charakterisierung als flach und unglaubwürdig. Etwas erstaunt hat mich auch der plumpe Cliffhanger am Ende: Das Handy klingelt dreimal, von der gleichen Nummer. Das kann Simon Beckett besser!
Da ich wissenschaftliche Informationen im Zusammenhang mit gerichtsmedizinischen Ermittlungen liebe und mir beim Titel „Verwesung“ und aufgrund des Prologs mehr davon erhofft hätte, bin ich etwas enttäuscht, fühle mich aber durch die zauberhafte Umgebung von Dartmoor mehr als entschädigt.

Insgesamt habe ich mich durch den Roman gut unterhalten gefühlt, obwohl er für mich die hohen Erwartungen nicht ganz erfüllen konnte. Beckett hat die Person von David Hunter zwar weitergeführt, aber leider nicht wirklich weiter entwickelt. Die Beziehungen zu Conners und Brenner haben sich als Sackgasse entwickelt, so gesehen ist man wieder gleich weit wie zu Ende des dritten Bandes. Für den stolzen Preis von fast 23.00 € für das Hardcover empfinde ich die Geschichte als zu dünn. Ich hoffe, Beckett findet in seinem nächsten Band wieder zu seiner alten Form zurück.

2 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.