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Circlestonesbooks.blog
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Lesebegeisterte Literaturbloggerin, https://www.circlestonesbooks.blog/

Bewertungen

Insgesamt 411 Bewertungen
Bewertung vom 30.01.2021
Naumann, Kati

Wo wir Kinder waren


ausgezeichnet

Ein packender Generationenroman

„Ich frage mich: Wie weit darf man gehen, um eine Tradition aufrechtzuerhalten?“ (Zitat Seite 317)

Inhalt
Eva, gelernte Spielzeuggestalterin, hat schon als Kind begeistert Spielzeug getestet, als sie zwischen fünf und dreizehn Jahre alt war. Dies war in Sonneberg, damals DDR. Heute ist Eva zweiundfünfzig Jahre alt und lebt immer noch in Sonneberg. Gemeinsam mit ihrem Cousin Jan und ihrer Cousine Iris gehört sie zur Erbengemeinschaft der ehemaligen Spielzeugfabrik Langbein, gegründet von ihrem Urgroßvater Albert Langbein. Als Jan das alte Haus der Familie räumen muss, da es vermietet werden soll, wollen Eva und Iris helfen. Sie tauchen tief in ihre gemeinsamen Kindheitserinnerungen an dieses Haus und besonders an ihre Großmutter Flora ein, entdecken die abwechslungsreiche Geschichte der Familie und einige alte Familiengeheimnisse, gleichzeitig wächst das gegenseitige Verständnis und langsam formt sich eine Idee.

Thema und Genre
In diesem Familien- und Generationenroman geht es um die wechselvolle, reale Geschichte der Spielwarenerzeugung in der Spielwarenstadt Sonneberg von 1910 bis nach der Wende, am Beispiel eines fiktiven Familienunternehmens.

Charaktere
In der Buchinnenseite findet sich ein Stammbaum der fiktiven Familie Langbein. Alle Charaktere sind sehr lebensnah, stimmig und authentisch geschildert, ihre Handlungen und Entscheidungen sind nachvollziehbar. Es ist ein bunter Reigen an Figuren, die uns in dieser Geschichte begegnen und alle haben eines gemeinsam: sie sorgen sich um die Familie und das Familienunternehmen.

Handlung und Schreibstil
Die Handlung wird in zwei Zeitebenen erzählt und der Aufbau ist sehr kreativ und originell, auch sprachlich macht es richtig Freude, diese Geschichte zu lesen und die Spannung kommt nicht zu kurz. Die drei Cousins finden im alten Familienhaus einen besonderen Gegenstand, oder sie entdecken Unterlagen, bisher unbekannte Dokumente, und im nachfolgenden Kapitel wir genau jenes Ereignis in der Vergangenheit geschildert, in dem jeweils dieses gerade entdeckte Objekt eine Rolle spielt. Dadurch erfahren wir beim Lesen auch alle Hintergründe, welche die Erben nicht wissen können. So entsteht langsam ein großartiger Familienroman, ergänzt durch sehr lebendige, interessante Schilderungen des Handwerks der Spielzeugherstellung, besonders von Puppen und Plüschtieren, im Wandel der Zeit, von der Handarbeit zur Industrialisierung. Auch der Alltag und die täglichen Probleme der Menschen in jener Zeitspanne, in der Sonneberg zur DDR gehörte, sind sehr eindrücklich geschildert.

Fazit
Ein großartiger Familien- und Generationenroman, ein lebhaftes, vielschichtiges Zeitbild. Reale Vorbilder und eine intensive Recherche ergänzen die packende Geschichte mit interessanten Informationen und ergeben in Summe ein überzeugendes Leseerlebnis.

Bewertung vom 27.01.2021
Schröder, Alena

Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid


sehr gut

Vier Frauen - vier Generationen

„Evelyn fixierte Hannah für einen kurzen Moment, prüfend, abwägend, müde. Sie hätte ihn einfach wegwerfen sollen, diesen Brief, nun war es zu spät.“ (Zitat Seite 13)

Inhalt
1942 fertigt Senta für ihren Schwiegervater Itzig Goldmann eine Inventurliste aller Kunstgegenstände an, die er den Nationalsozialisten übergeben muss. Seither sind die Liste und auch die Kunstwerke verschwunden. In der Jetztzeit erhält Dr. Evelyn Borowski, vierundneunzig Jahre alt, die einzige Tochter von Senta Goldmann, einen Brief von einem israelischen Anwaltsbüro, die auf diesen Tatbestand gestoßen sind und weiter Recherchen anbieten. Hannah, Germanistin, schreibt an ihrer Doktorarbeit und besucht ihre Großmutter Evelyn jede Woche. Da entdeckt sie durch Zufall diesen Brief. Warum hat man ihr nie etwas von diesem Teil ihrer Familiengeschichte erzählt und warum schweigt ihre Großmutter auch weiterhin? Hannah beginnt mit eigenen Nachforschungen.

Thema und Genre
In diesem Familien- und Generationenroman geht es um die Vergangenheit und Raubkunst, vor allem jedoch um Mütter und ihre Töchter, um die Probleme von Frauen, die schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein eigenständiges, beruflich erfolgreiches Leben führen wollten, was nur schwer mit ihrer Mutterrolle vereinbar war.

Charaktere
Evelyn hat mit ihrem langen Leben schon abgeschlossen, vor allem jedoch mit der Vergangenheit. Hannah ist für ihre siebenundzwanzig Jahre erstaunlich orientierungslos, weiß nicht, was sie will. Doch während sie sich nur sehr halbherzig ihrer Dissertation widmet, lässt sie bei ihrer Suche nach der Vergangenheit ihrer Familie nicht locker. Senta, Evelyn, Silvia, Hannah, vier Generationen, vier im Grunde nicht so unterschiedliche Frauen, die versuchen, ihren eigenen Weg zu gehen.

Handlung und Schreibstil
Die aktuelle Handlung spielt in der Gegenwart, im Mittelpunkt steht Hannah, ihr Leben und ihre Suche nach den Bildern und nach ihrer Familiengeschichte. Diese wird parallel in einem zweiten Handlungsstrang erzählt, der 1922 beginnt und 1950 endet und der das Leben von Senta und Evelyn zum Inhalt hat. Eine weitere Rückblende führt in das Jahr 2007, zu Evelyn und Silvia. Die Geschichte, in deren Mittelpunkt weniger die Ereignisse, als die Entscheidungen, Konflikte, Probleme und Beziehungen der vier Frauen stehen, ist dicht und stimmig entwickelt, beginnt intensiv und spannend, flacht jedoch im letzten Viertel etwas ab.

Fazit
Eine interessante, angenehm zu lesende Familien- und Generationengeschichte.

Bewertung vom 27.01.2021
Schiller, B.C.

Dunkeltot, wie deine Seele


ausgezeichnet

Ein intensiver Psychothriller

„Nur das Licht ist wütend. Die Nacht ist ruhig. Ein Fehler wie dieser darf nie wieder geschehen.“ (Zitat Pos. 242)

Inhalt
Eine junge Frau taumelt aus dem dunklen Wald auf die Straße, genau vor einen fahrenden Lkw. Der Fahrer kann bremsen, doch die Frau stirbt trotzdem, an Hunger und Erschöpfung. Schon ein Jahr zuvor war in einem alten DDR Bunker in dieser Gegend eine beinahe verhungerte junge Frau gefunden worden. Auch diese hat nicht überlebt, nennt jedoch zwei Namen, Adam und Zoey. Es handelt sich um Adam und Zoey Yankowski, Waisen, Geschwister, hochbegabt, die das nahe gelegene Privatcollege Blumenthal besuchen. Obwohl die beiden ein Alibi haben, stehen sie unter Verdacht und Volker Lundt, Chef des K2, setzt seine beste Undercover-Ermittlerin, Targa Hendricks, ein. Diese spürt, dass dieser Auftrag eine Reise ins Herz der Finsternis ist.

Thema und Genre
In diesem psychologischen Thriller geht es um verstörende Geheimnisse, extrem traumatisierende Kindheitserfahrungen und Erlebnisse, die das Leben nachhaltig prägen.

Charaktere
Zoey und ihr ein Jahr jüngerer Bruder Adam haben eine enge Bindung. Attraktiv, aber hellhäutig und lichtempfindlich, fühlen sie sich nur in der Dunkelheit sicher. Targa Hendricks ist eine Einzelgängerin, eine sehr spezielle und gerade durch ihre Eigenheiten auch sehr sympathische Ermittlerfigur. Sie mag keine Überraschungen, doch inzwischen kann sie besser damit umgehen und hat auch ihre Ordnungszwänge im Griff, sobald sie im Einsatz ist, diesmal als Coach für Psychologie und Sport am Elitecollege Blumenthal.

Handlung und Schreibstil
Die aktuelle, straffe Handlung wird durch Rückblenden und Erinnerungen ergänzt, wodurch die komplexe Geschichte nachvollziehbar und stimmig bleibt. Die unterschiedlichen Figuren mit ihren eigenen Geschichten sorgen für zusätzliche Spannung und überraschende Wendungen. Die psychologische Komponente ist durchgehend präsent und sorgt für Beklemmung, aber auch Verständnis. Die Sprache ist dem Genre Thriller angepasst, packende Szenen wechseln einander mit stimmungsvollen, eindrücklichen Schilderungen ab. „Es ist die Zeit zwischen Mitternacht und Morgen, in der Mystik und Wirklichkeit aufeinandertreffen.“ (Zitat Pos. 510)

Fazit
Auch dieser dritte Fall der intelligenten, unkonventionellen Ermittlerin Targa Hendricks ist ein sehr dunkler, intensiver, sehr packender Page-Turner und das kongeniale Autorenpaar B. C. Schiller sorgt wieder für spannende, schlaflose Lesenächte.

Bewertung vom 27.01.2021
Dangl, Michael

Orangen für Dostojewskij


ausgezeichnet

Ein funkensprühendes Zeitbild

„Doch am meisten beseelte ihn die Anwesenheit des grandiosen Musikers, der auch ein grandioser Mann war und dabei so schlicht, so natürlich mit ihm sprach, als kennten sie einander schon lang.“ (Zitat Seite 112)

Inhalt
Anfang August 1862 trifft Fjodor Michailowitsch Dostojewskij mit dem Zug in Venedig ein. Es ist seine erste Auslandsreise nach Europa, die am 7. Juni begonnen hatte. Er kommt aus Florenz und Italien hat ihn bisher enttäuscht. Schon vierzig Jahre alt, hat er nach ersten Erfolgen, Straflager und Strafdienst beim Militär, eine Schaffenskrise, auch wenn er durch seine Reise eine Fülle von neuen Ideen gesammelt hat. Schon überlegt er, aus Venedig früher abzureisen, als er den berühmten Komponisten Gioachino Rossini kennenlernt, der auch mit siebzig Jahren das Leben fröhlich feiert und genießt, hilfsbereit, liebenswert und großzügig. Durch ihn erlebt der zurückhaltende, schwermütige russische Schriftsteller die unvergleichliche Stadt Venedig, wie sie wirklich ist.

Thema und Genre
In diesem Roman geht es um eine Begegnung des Schriftstellers Dostojewskij mit dem Komponisten Rossini. Obwohl die beiden Künstler einander tatsächlich nie getroffen haben, ist diese Geschichte eine so lebendige, geniale Verbindung zwischen intensiver Recherche und einfühlsamer Phantasie, dass man beim Lesen vergisst, dass es sich um keine reale historische Begebenheit handelt.

Charaktere
Der lebensfrohe, überschäumend italienische Komponist Rossini ist das genaue Gegenteil des schwermütigen, damals von Selbstzweifeln erfüllten Schriftstellers Dostojewskij. Die gemeinsamen Gespräche sind trotz oder gerade wegen ihrer unterschiedlichen Sichtweisen für beide eine Bereicherung und beeinflussen das weitere künstlerische Schaffen. Auch die Personen im Umfeld sind so typisch italienisch, man hat sie und die teilweise chaotischen Situationen sofort vor Augen, sie werden lebendig, sind liebenswert, ohne je in Klischees abzugleiten.

Handlung und Schreibstil
Es sind nur fünf Tage, die Dostojewskij vor seiner Heimreise nach St. Petersburg in Venedig verbringt, doch die Fülle an Erlebnissen und Eindrücken, die uns jeder Tag in diesem auch sprachlich überzeugenden Roman schildert, lässt diese kurze Zeitspanne wie Wochen scheinen. Großartig ist die Szene, in der Rossini und Dostojewskij einander zum ersten Mal begegnen. Auch der Umgang der venezianischen Bevölkerung mit den österreichischen Besatzern ist ein Thema. Spätestens, als Dostojewskij zu einem Treffen im Caffè eilt und zuerst das Quadri betritt, wo er auf das gegenüberliegende Florian verwiesen wird, erkennt er die Zusammenhänge und Viva Verdi bekommt eine völlig neue Bedeutung. Doch während die Erinnerungen an den Strafmilitärdienst die Gedanken des russischen Dichters oft in tiefes Dunkel tauchen, hat sich Venedig die lebensfrohe, südliche Leichtigkeit auch unter der österreichischen Herrschaft erhalten. Spannung erhält diese Geschichte durch eine Idee Rossinis, er macht Dostojewskij einen Vorschlag und man ist neugierig, wie der Autor dies auflösen wird, da auch diese Idee fiktiv ist.

Fazit
Ein funkensprühendes Zeitbild, eine Begegnung von zwei großen Künstlern, der schwermütige, ernste Russe trifft auf den fröhlichen italienischen Genussmenschen und lernt die einzigartige Stadt Venedig kennen und lieben. Ein Leseerlebnis, das mich begeistert hat, mich zum Träumen brachte und Erinnerungen an Venedigbesuche lebendig werden ließ. „Italien ist Italien, Venedig ist Venedig. Venedig bleibt Venedig. Immer.“ (Zitat Seite 434)

Bewertung vom 20.01.2021
Ditlevsen, Tove

Kindheit / Die Kopenhagen-Trilogie Bd.1


ausgezeichnet

Autobiografische Erinnerungen, eindrücklich erzählt

„Irgendwann möchte ich all die Wörter aufschreiben, die mich durchströmen. Irgendwann werden andere Menschen sie in einem Buch lesen und sich darüber wundern, dass ein Mädchen doch Dichter werden konnte.“ (Zitat Pos. 287)

Inhalt
In diesem ersten Teil der Kopenhagen-Trilogie schildert die Autorin Tove Ditlevsen ihre Kindheit in Vesterbro, einem Vorstadtviertel von Kopenhagen. Tove wächst in einer kleinen Wohnung in einem Hinterhaus in sehr bescheidenen Verhältnissen auf. Der Vater wird arbeitslos und verfällt in Schweigen, doch er vermittelt Tove schon früh die Liebe zu Büchern. Die Mutter zieht den älteren Bruder Edvin vor und hat kein Verständnis für Tove, die unbedingt Schriftstellerin werden will.

Thema und Genre
In ihren autobiografischen Erinnerungen schildert die dänischen Autorin ihre Kindheit, das Aufwachsen in einer Arbeiterfamilie im Kopenhagen der 1920er Jahre, ihr Anders-sein, ihre Ängste, aber auch die unterschiedlichsten Bewohner in dem Umfeld der Istedgade.

Charaktere
Die nachdenkliche Tove ist eine Außenseiterin. Schon vor der Einschulung kann sie lesen, schreibt bald erste Gedichte und auch alltägliche Eindrücke formen sich in ihren Gedanken sofort zu einer Fülle von Wörtern. Ihre Freundin Ruth dagegen ist aufgeweckt, frech und zeigt Tove die Stadt der Erwachsenen.

Handlung und Schreibstil
Ehrlich und offen schreibt die Autorin über das problematische Verhältnis zu ihrer Mutter, die den Bruder Edvin der verträumten, unsicheren Tove vorzieht, die ärmlichen Verhältnisse im Arbeitermilieu der 1920er Jahre. Tove ist eine genaue Beobachterin und versucht, die Welt der Erwachsenen zu verstehen. Daraus ergibt sich eine berührende Mischung zwischen den Ängsten und Konflikten des Heranwachsens und humorvollen Erlebnissen und Eindrücken. Ihre Liebe zu Büchern teilt sie mit ihrem Vater, doch ihre Träume, Schriftstellerin zu werden, behält sie für sich, nachdem auch ihr Vater ihr erklärt hat, dass ein Mädchen kein Dichter werden kann.

Fazit
In ihrer präzisen, klaren Sprache führt uns die Autorin in die Stadt Kopenhagen in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts und schildert beeindruckend das Leben von Frauen und Kindern der Arbeiterklasse.

Bewertung vom 20.01.2021
Osang, Alexander

Fast hell


ausgezeichnet

Eindrücklich erzählte Erinnerungen

„Nach dem Mauerfall bin ich wie eine Feuerwerksrakete in die Welt geschossen. Die ganze Enge entlud sich in einer Art Urknall. Ich glaube, ich hatte das Gefühl, viel nachholen zu müssen.“ (Zitat Pos. 643)

Inhalt
Anfang der 2000er Jahre trifft Alexander Osang den in New York lebenden Kosmopoliten Uwe zum ersten Mal. Wie der Autor stammt auch Uwe ursprünglich aus Ostberlin und in der Folge treffen sie einander immer wieder. Als Alexander Osang 2019 für den SPIEGEL ein Porträt über Ostdeutsche schreiben soll, denkt er sofort an Uwe und dieser ist bereit, seine Geschichte zu veröffentlichen. Zusammen mit Uwes Mutter unternehmen sie eine Schiffsreise von Helsinki nach St. Petersburg. In den langen gemeinsamen Gesprächen verbinden sich Uwes lebhafte Geschichten mit Alexander Osangs eigenen Erinnerungen.

Thema und Genre
Dieses Buch handelt vom Aufwachsen in der DDR und der Situation der Ostdeutschen nach der Wende, Vergangenheit, Umbrüche, Aufbruch, Reisen und Leben zwischen Berlin, New York, Tel Aviv. Vor allem geht es um die Frage, wie sehr sich Dinge, die wir erlebt haben, in unseren Erinnerungen verändern und welche Geschichte wir dann tatsächlich als unsere Lebensgeschichte erzählen.

Charaktere
Uwe ist ein schillernder Weltenbürger und eine schwer zu fassende Figur. Seine Erlebnisse und die Menschen darin sind bunt, vielfältig und manchmal skurril, doch sind sie auch wahr? Der Journalist Alexander Osang, der als Ich-Erzähler von seinen Begegnungen und Gesprächen mit Uwe berichtet, begibt sich auf eine intensive Reise in die eigene Vergangenheit.

Handlung und Schreibstil
Der Hauptteil der Geschichte spielt zwischen Juli und September 2019. Er beginnt der Schiffsreise im Juli, mit der Fähre von Helsinki nach St. Petersburg, drei Tage in St. Petersburg. Darin eingeschlossen die Erinnerungen, zurück in die Familiengeschichte, die Zeit in der DDR, durch die dreißig Jahre zwischen dem Mauerfall und diesem Sommer 2019. Die Sprache erzählt poetisch, lebhaft, mit feinem Humor und viel Einfühlungsvermögen, beschreibt auch sehr gut die eigenen Zweifel, die Suche nach sich selbst.

Fazit
Einfühlsam umgesetzte, interessant zu lesende Einblicke in die Zeit nach dem Mauerfall und die gedankliche Teilung zwischen Ost- und Westdeutschland, die auch nach dreißig Jahren noch nicht abgeschlossen ist. Eine Reise in die Vergangenheit, das Leben, eingeschlossen in Erinnerungen. Großartig erzählt, bewegt sich die Geschichte zwischen poetischer Leichtigkeit und eindrücklicher Nachdenklichkeit. „Eine Erzählung dann eben, dachte ich, eine absurde, aber wahre Novelle.“ (Zitat im Epilog, Pos. 2482)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 15.01.2021
Schiller, B. C.

Stilles Grabeskind - Thriller (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

“Ich schicke dir einen Beweis, dass ich es mit meiner Mission ernst meine. Denn manchmal kann die Wahrheit auch tödlich sein.“ (Zitat Pos. 236)

Inhalt
Ein Anrufer ist in der Leitung der Radiosendung „Wahre Werte“ und spricht mit dem Moderator „Nighthawk“ über seine Mission gegen Leute, die lügen. Dieser Moderator ist Tony Brown, Chefinspektor der Mordkommission Linz und auf dem Video, das er anschließend erhält, ist zu sehen, wie eine junge Frau begraben wird. Noch lebt sie und Tony Brown hat genau zwei Stunden Zeit, sie zu finden. Es beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit und es stehen noch mehr Namen auf der Liste des Täters. Was ist diese Wahrheit, die Tony Brown ans Licht bringen soll?

Thema und Genre
in diesem intensiven Thriller mit starken psychologischen Elementen, dem neunten Fall von Chefinspektor Tony Brown, geht es um traumatische Kindheitserlebnisse, Missbrauch, um Lügen aus Berechnung, die gravierende Auswirkungen auf das Leben anderer haben.

Charaktere
Die einzelnen, sehr unterschiedlichen Figuren dieses Ermittlerteams sind, wie auch Täter und Opfer, einfühlsam und stimmig charakterisiert, ihre Handlungen sind nachvollziehbar und ihre Ecken und Kanten, ihre jeweilige Geschichte, machen sie realistisch.

Handlung
Auch diesmal ist die Geschichte ein geschickt geknüpftes Netz aus mehreren parallelen Handlungssträngen. Die aktuellen Ermittlungen von Tony Brown und seinem erfahrenen Team werden durch die Erinnerungen und die damit verbundenen tiefen Einblicke in die Gedankenwelt und das Schicksal der in Ich-Form erzählenden Täterperson unterbrochen. Gleichzeitig folgen wir den Erlebnissen von rumänischen Flüchtlingen, die illegal in Österreich einreisen. Tony Browns Sohn Jimmy ist mit seinem Streetfood erfolgreich, doch plötzlich wirkt er verändert, geht eigene Wege und hat neue Freunde. Ergänzt wird die rasant erzählte Handlung durch überraschende Wendungen. Gleichzeitig nimmt sich das phantasievolle Autorenduo auch Zeit für vertiefende Beschreibungen, ohne jedoch den Spannungsbogen zu verlassen.

Fazit
Ein sehr spannendes, perfekt durchdachtes Netz aus Action, detaillierten Recherchen und wichtigen sozialen Anliegen mit nachvollziehbaren, realistischen Figuren, kurz gesagt, wieder ein überzeugender Pageturner des phantasiebegabten Autorenpaares.

Bewertung vom 13.01.2021
Metzenthin, Melanie

Die verstummte Liebe


sehr gut

Ein interessanter Familienroman

„Aber welchen Platz gab es für ein Mädchen aus reichem Haus in der Welt, das weder seine Familie noch seine Freiheit verlieren wollte? Sie hoffte so sehr, dass ihr die Reise durch Europa Antworten liefern und sie endlich befreien würde.“ (Zitat Pos. 437)

Inhalt
Am 2. Januar 1879 kommt Helen Mandeville in London als Tochter einer wohlhabenden Bankiersfamilie zur Welt. Das eigenwillige, wissbegierige Mädchen erhält eine umfassende Ausbildung, wie sie damals nur Söhnen vorbehalten war. Dennoch muss sie ihrem Vater gehorchen und im Mai 1899 findet die Verlobung mit dem sehr vermögenden, aufstrebenden Anwalt James Mitchell statt. Vor der Heirat wünscht sie sich eine Bildungsreise durch Europa. In Hamburg trifft sie ihre große Liebe, den Arzt Dr. Ludwig Ellerweg und heiratet ihn, sobald sie volljährig ist. Als ihre Mutter 1914 im Sterben liegt, reist Helen trotz aller Warnungen für einige Wochen zurück nach England. Ihr Mann bleibt mit dem gemeinsamen Sohn Fritz zu Hause in Hamburg. Als England Deutschland den Krieg erklärt, ist sie noch in London und der gefährliche Versuch, nach Hamburg zurückzukehren, scheitert. James Mitchell erweist sich als Freund und Retter und Helen trifft eine folgenschwere Entscheidung.

Thema und Genre
In diesem Familienroman mit geschichtlichem Hintergrund, dem dritten Teil der Serie „Leise Helden“, geht es um die traditionelle Stellung der Frauen, um Familie, Ehe, Gefühle und Entscheidungen, die das Leben für immer verändern.

Charaktere
Helen Mandeville, die Mutter des Arztes Fritz Ellerweg aus „Im Lautlosen“ und „Die Stimmlosen“, steht im Mittelpunkt dieses Romans, denn es ist ihre Geschichte, die erzählt wird. Entscheidungen, die sie 1914 trifft, machen aus der selbstbewussten, glücklichen Frau eine verbitterte, harte Person, die sich selbst längst verloren hat. Voll Selbstmitleid sucht sie die Schuld bei den anderen, nur in einigen ehrlichen Momenten bei sich selbst. Dies macht sie wenig sympathisch.

Handlung und Schreibstil
Die Rahmenhandlung beginnt im November 1945 und umschließt die Geschichte von Helen, beginnend mit ihrer Kindheit, bis zu diesem Tag im November 1945, an dem Helen selbst ihrer Tochter Ellinor die Wahrheit über die Vergangenheit erzählt. Die Autorin wählt jedoch nicht die Ich-form, sondern die personale Erzählform, dadurch wird aus diesem zweiten Erzählstrang eine eigenständige Geschichte, der Hauptteil dieses Romans. Obwohl man die Ereignisse durch den Einstieg in der aktuellen Zeit 1945 schon kennt, ist es spannend, die Entwicklung bis zu diesem Punkt zu verfolgen. Die gesamte Handlung ergibt sich als Konsequenz einiger unwiderruflicher Entscheidungen der Hauptfigur Helen. Das damalige Verhalten von Helen ist für mich nicht stimmig und schwer nachvollziehbar, daher ist für mich die Geschichte nicht immer plausibel.

Fazit
Ein interessanter, angenehm und leicht zu lesender Roman, etwas sehr konstruiert und daher weniger glaubhaft und überzeugend, als die beiden ersten Bücher der Serie „Leise Helden“.