Benutzer
Benutzername: 
Xirxe
Wohnort: 
Hannover
Buchflüsterer: 

Bewertungen

Insgesamt 876 Bewertungen
Bewertung vom 10.06.2018
Alyan, Hala

Häuser aus Sand


sehr gut

Erzählt wird eine Familiengeschichte über vier Generationen hinweg, die wohl typisch ist für diese Gegend aus der sie stammt: Palästina. Es beginnt mit Salma, die mit ihrem Mann Hussam in Jaffa lebt. Doch durch den UN-Teilungsplan 1947, der einen Bürgerkrieg zur Folge hatte, müssen sie fliehen und bauen sich in Nablus ein neues Leben auf. Aber auch dort ist ihrer Familie kein Frieden vergönnt: der Sechs-Tage-Krieg 1967 lässt sie erneut fliehen und sie finden sich in Kuwait wieder, bis sie erneut der Krieg erreicht, als 1990 irakische Truppen einmarschieren.
Für unsereins, die Krieg und Vertreibung (glücklicherweise) nur aus dritter Hand kennen, erscheint dies unvorstellbar: wieder und immer wieder das Zuhause aufgeben und in einer fremden Welt von vorne beginnen. Es ist die Familie, die Schwestern, Brüder, Oma, Opa usw., die sich gegenseitig dabei helfen, das alles gemeinsam durchzustehen.
Die Autorin schildert überzeugend (vermutlich weil ihr Lebenslauf gewisse Ähnlichkeiten mit einer der Figuren aufweist), wie sich für die einzelnen Mitglieder das neue Leben darstellt und entwickelt. Jedes Kapitel ist im Abstand von zwei bis zu zehn Jahren immer einer Person gewidmet, die sich an das Vergangene erinnert und die Gegenwart, in der sie lebt, beschreibt. So begleitet man die Familie durch den Lauf der Zeiten und macht sich vielleicht zum ersten Mal bewusst, was die Menschen dort bisher alles durchleben mussten. Wobei deutlich gemacht werden muss: Diese Familie ist im Vergleich zu vielen anderen sehr privilegiert, da sie über ausreichend Mittel verfügt, sich immer wieder ein neues Heim aufzubauen. Was es für die Armen dieser Länder bedeutet, wird nur ansatzweise dargestellt, was ich bedauerlich finde. Aber vielleicht wäre die Lektüre für einen Sommerschmöker dann zu schwermütig geworden und hätte eher abgeschreckt - wer weiß.
So ist es eine unterhaltsame, melancholische Familiengeschichte aus einem Land, das man bei uns wohl nur aus den Nachrichten kennt.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 10.06.2018
Bourne, Sam

Der Präsident / Maggie Costello Bd.1


sehr gut

Bereits das Titelbild macht mit der darauf abgebildeten Silhouette deutlich klar, welcher Präsident hier als Vorbild diente. Seit er das Amt inne hat, ist nicht mehr die Vernunft Handlungsmaxime, sondern allein das Bauchgefühl - und zwar das des Präsidenten. Als er von Nordkoreas Machthabern verbal angegriffen wird, ist seine Wut so groß, dass er allen Ernstes beabsichtigt, das Land mit Atomwaffen anzugreifen. In buchstäblich letzter Sekunde wird er davon noch abgebracht, doch alle um ihn herum wissen: DAS kann durchaus wieder passieren. Da es keine Möglichkeit gibt, den Präsidenten seines Amtes zu entheben, beschließen zwei altgediente, hochrangige Mitarbeiter: Der Präsident muss sterben.
Angesichts des realen Hintergrundes ist die Erwartung natürlich groß, dass sich die Handlung dieses Thrillers ebenfalls stark an den realen Gegebenheiten orientiert und das Gebaren des ersten Mannes im Staate deutlich dargestellt wird. Doch die eigentliche Hauptfigur ist Maggie Costello, eine Mitarbeiterin im Weißen Haus, die die Hintergründe des Todes des Leibarztes des Präsidenten aufklären soll, wobei sie einer Verschwörung auf die Spur kommt und dabei ihr Leben aufs Spiel setzt. Zwar werden immer wieder Aktionen des Präsidenten und Twittermeldungen von ihm in den Text eingebaut, die durchaus realistisch wirken, doch insgesamt ist die Geschichte derart überzogen, dass in der Realität wohl auch die Regierung des Weißen Hauses damit nicht durchkommen dürfte (aber ganz sicher bin ich mir natürlich auch nicht … ;-)).
Doch diese Mischung aus Realität und Phantasie macht meiner Meinung nach einen großen Teil des Reizes dieses Buches aus. Man weiß ja, dass es schlimm ist. Aber könnte es tatsächlich noch so viel übler sein? Ansonsten ist die eigentliche Handlung ein ordentlicher Krimithriller mit mehr oder weniger gelungenen Überraschungsmomenten, die man irgendwie doch schon geahnt hatte. Stellenweise nervig fand ich die teilweise seitenlangen gedanklichen Selbstbezichtigungen von Maggie und auch die Darstellungen McNamaras (Maggies 'Gegenspieler'), in denen er die Absichten und Hintergründe der Regierung darlegt. Etwas weniger Klischee, auch bei den Figuren, hätte dem Buch sicherlich gut getan.
Alles in allem aber eine solide spannende Lektüre mit (etwas) Bezug zur Realität.

Bewertung vom 21.05.2018
Tudor, C. J.

Der Kreidemann


sehr gut

Wow, für ein Erstlingswerk ist dieses Buch ziemlich gelungen. Kein platter Thriller, bei dem ein Serienmörder ein Opfer nach dem anderen niedermetzelt, sondern eine sich langsam entwickelnde Geschichte, die neben einer Reihe von Spannungsmomenten durchaus auch fast schon horrormäßige Elemente aufzuweisen hat.
Eddie ist ein 42jähriger Englischlehrer, der sein trostloses Dasein viel zu häufig mit Alkohol zu bekämpfen versucht. Einziger Lichtblick ist seine erst seit kurzem bei ihm wohnende, deutlich jüngere Untermieterin Chloe. Als er eines Tages einen Brief mit gezeichneten Kreidemännchen bekommt, muss er sich zwangsläufig mit der Vergangenheit auseinandersetzen, in der es zu grauenhaften Unglücken kam und am Ende gar zu einem Mord. Der Mörder schien gefasst, doch der Brief deutet auf etwas Anderes hin.
Erzählt wird in zwei Handlungssträngen, die sich abwechseln: Die Gegenwart, als Eddie den Brief erhält und 30 Jahre zuvor, als das Unheil begann. Während Ersterer (natürlich) auf die Lösung des Falles zusteuert, schildert der Zweite die Geschichte von Eddie und seinen Freunden, deren unbeschwerte Kindheit in diesem Jahr zu Ende ging. Es ist ein komplexes Geflecht einer Kleinstadt, in der Fanatismus ebenso wie Verrohung Fuß fassten und Gerüchte als Beweise ausreichten. Ich war mir sicher, dass das Alles EINEN Ursprung haben musste, aber wie steht es in diesem Buch: "Nichts als gegeben annehmen. Alles in Zweifel ziehen. Immer hinter das Offensichtliche blicken."
Ich fand das Buch durchweg spannend und durchaus *****würdig, wenn nicht dieses Ende gewesen wäre. Von der subtilen Gruselatmosphäre ist nichts mehr zu spüren, statt dessen wird es zum Splattermovieverschnitt. Schade darum, aber bei einem Erstlingswerk will ich nochmal großzügig darüber hinwegschauen ;-)

Bewertung vom 18.05.2018
Finnegan, William

Barbarentage


sehr gut

William Finnegan ist seit seiner Kindheit ein obsessiver Surfer. Jahre seines Lebens hat er dieser Leidenschaft gewidmet, und obwohl zeitweise Privates und Beruf es in den Hintergrund drängten, eroberte das Surfen sich immer wieder einen Platz in seinem Leben.
Davon handelt dieses Buch, wenn auch nicht ausschließlich. Doch man sollte die Bereitschaft mitbringen, sich auf völlig unbekanntes Terrain zu begeben (für den Fall, man hat vom Surfen nur wenig oder sogar überhaupt keine Ahnung, so wie ich) und wahrhaft exzessive Beschreibungen über Wellen, Wellen und nochmals Wellen zu ertragen mit einer Flut von Fachausdrücken, die man außerhalb dieser Szene vermutlich noch nie gehört hat (zur Beruhigung: es gibt ein Glossar als Anhang). Ein Beispiel (von vielen): "Wenn man sie (Wellen) früh anstartete, einen Top Turn machte, gerade so viel Tempo aufbaute, dass man den Hook nicht verpasste, und die Line dann richtig wählte, war es, als würde die Welle das Tail in die Höhe heben und das Board down the line schleudern, immer weiter und weiter, während die Lippe einem auf den Rücken prasselte ...".
Trotzdem (oder vielleicht gerade deshalb) macht es diese 560 Seiten starke Autobiographie auch für NichtsurferInnen lesenswert. Finnegan gelingt es seine Begeisterung so gut zu vermitteln, dass ich zutiefst bedaure, nie diese Schönheit der Wellen gesehen und erlebt zu haben.
Die Beschreibungen seines 'restlichen' Lebens fallen gefühlsmäßig deutlich kürzer aus, obwohl das nicht unbedingt der Wahrheit entsprechen muss. Vielleicht wirkt es so, weil Finnegan nicht nur von sich, sondern auch von den Ländern und Menschen erzählt, die er bereist und trifft. Seine eigene Familie, Frau und Kind, ebenso wie sein Beruf werden vergleichsweise kurz abgehandelt, gegen Ende hin gibt es zudem immer mehr Abschnitte mit fast schon philosophischem Inhalt.
Alles in allem trotz des deutlichen Surf-Schwerpunktes eine abwechslungsreiche Lektüre mit gelegentlichen kleinen Längen.

Bewertung vom 16.05.2018
Salzmann, Sasha Marianna

Außer sich


gut

Die Zwillinge Alissa und Anton kommen als kleine Kinder gemeinsam mit ihren Eltern aus Russland nach Westdeutschland, wo sie aufwachsen. Irgendwann verschwindet Anton und geraume Zeit später kommt eine Karte aus Istanbul. Alissa macht sich sofort auf die Reise, um ihren Bruder zu suchen. Doch es scheint immer mehr zu einer Reise zu sich selbst und der Vergangenheit ihrer Familie zu werden.
Die Geschichte beginnt in Istanbul, wo Alissa bereits auf der Suche nach Anton ist. Doch statt einer fortlaufenden Erzählung werden mit jedem Kapitel die Vergangenheiten diverser Familienmitglieder geschildert - Vater, Mutter, Oma, Opa, Urgroßoma, Urgroßopa usw. Aber auch hier gibt es keine chronologische Erzählweise: Der Fokus wechselt vom Alter zur Jugend zum Erwachsenensein zur Kindheit undundund. Bleibt man nicht konzentriert bei der Sache, ist man schnell völlig verloren in den verschiedenen Abschnitten. Erschwerend kommt die weit verzweigte Verwandtschaft der Hauptfigur hinzu, die immer wieder an den unterschiedlichsten Stellen auftaucht. Ich muss gestehen, dass ich zusehends den Überblick verlor, wer wer ist. Da die Suche nach Anton eigentlich nur der Aufhänger ist, um die Geschichte der Familie und diverser anderer Personen zu erzählen (zumindest habe ich es so empfunden), fiel es mir schwer, zwischen den Personen der einzelnen Kapitel eine Verbundenheit herzustellen. So waren es für mich eher einzelne Erzählungen, lose verknüpft durch Alissa, die gerade ihren Bruder sucht.
Doch was wirklich grandios ist, ist die Sprache der Autorin. Sie beschreibt die Verhältnisse in der Sowjetunion und in den Familien, die aussiedelten so, dass man diese Situationen buchstäblich vor Augen hat: "Valja war getrieben von der Angst, nicht genug Zeit zu haben, all das Wissen in ihre Kinder hineinzustopfen, das sie brauchten, um es raus zu schaffen, dafür musste man sich schnell bewegen, schnell, schnell raus hier, lest, lernt, sonst seid ihr verloren." oder "Man kann sagen, die Menschen starben wie die Fliegen, aber sie starben nicht wie Fliegen, Menschen sterben langsam, Blut spuckend, die Kinder mit großen, flehenden Augen, in die Etina nicht schaute."
Wenn es ihr jetzt noch gelingt, diese Sprache mit einer ebenso tollen Geschichte zu verbinden, wird es wohl ein Meisterwerk werden ;-)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 16.05.2018
Gallert, Peter;Reiter, Jörg

Tiefer denn die Hölle / Martin Bauer Bd.2


sehr gut

Polizeiseelsorger Martin Bauer steckt wieder mittendrin in Ermittlungen, obwohl er seiner hochschwangeren Frau versprochen hat, seine Arbeit künftig ruhiger angehen zu lassen. Doch als ein mit Honig übergossener Toter in einem stillgelegtem Bergwerk gefunden wird und Monsignore Vals, Bauers katholischer Kollege, bei dessen Anblick einen Herzinfarkt erleidet, macht sich Bauer auf die Suche nach den Hintergründen.
Im Gegensatz zum ersten Band führen die Nachforschungen des Polizeiseelsorgers ihn dieses Mal alleine in eine bestimmte Richtung; die Hauptkommissarin Dohr, fast schon eine Freundin, ist währenddessen mit den Ermittlungen nach dem Mörder des Honigtoten vollauf beschäftigt. Zudem muss sie sich massiv gegen die Intrigen eines Kollegen zur Wehr setzen. Somit gibt es zwei Handlungsstränge, die lange Zeit scheinbar ohne Berührungspunkte nebeneinander herlaufen. Spannend sind Beide und schnell ging das Rätseln los, wie das Alles miteinander zusammenhängen könnte.
Die Geschichte ist klug angelegt und die Auflösung lässt nur wenig offen (Weshalb die vielen Schnitte? Besessenheit? Oder einfach nur das Böse?). Nur war mir leider zu schnell klar, wer hinter dem Ganzen steckte - mir war die Person viel zu eindeutig in dieser Hinsicht. Und wie schon im ersten Band kam mir die Figur des Protagonisten nicht so richtig nahe, ohne dass ich es an etwas Konkretem festmachen kann. Vielleicht, weil er einfach etwas zu perfekt ist. Seine Schwächen sind praktisch keine wie beispielsweise, dass er sich zu wenig um Frau und Tochter kümmert. Denn tatsächlich ist er auf der Suche nach der Wahrheit bzw. einem Mörder, einem eigentlich höheren Ziel.
Sei's drum. Spannend ist das Buch allemal und durchaus eine Lektüre wert.

Bewertung vom 16.05.2018
Paull, Laline

Das Eis


weniger gut

Die Leiche eines seit mehreren Jahren verschollenen Antarktisforscher taucht wieder auf. Es beginnt eine gerichtliche Untersuchung um festzustellen, wie sich das Unglück ereignete, bei dem er verschwand. Für seinen besten Freund Sean, der dabei war, wird es eine unangenehme Reise in die Vergangenheit.
Das rund 450 Seiten starke Buch beginnt mit einem vielversprechenden zehnseitigem Kapitel: satirisch-gesellschaftskritisch wird über eine Antarktis-Kreuzfahrt berichtet, die Zeuge der Kalbung eines Eisgletschers wird und der damit verbundenen Freisetzung der Leiche. Das machte so richtig Lust auf mehr und so waren die Erwartungen auf das Folgende entsprechend hoch. Doch die ersten 200 Seiten schleppt sich die Geschichte nur mühsam dahin: Erinnerungen und Befindlichkeiten der Hauptfigur Sean werden stellenweise ermüdend lange ausgebreitet und immer öfter fragte ich mich, was das eigentlich alles mit dem Toten zu tun hat. Dann, ab ungefähr Seite 200, 220 beginnt die Geschichte wirklich spannend zu werden, bis sie zuguterletzt in einem Spektakel endet, das ich teilweise zumindest recht unglaubwürdig finde.
Ein intelligenter, ungemein erfolgreicher Mann, der sich jahrelang an der Nase herumführen lies? Eine ebenso intelligente wie erfolgreiche Frau, die unfähig ist, ihre Emotionen im Griff zu halten wenn es an ihre Eitelkeit geht?
Nicht so schön fand ich zudem, dass einige der Figuren, die anfangs vergleichsweise wenig klischeehaft dargestellt wurden, gegen Ende ihre 'Maske' fallen ließen und sich dann doch nur als das entpuppten, was ich schon zu Beginn vermutet hatte.
Mit einer deutlichen Kürzung und weniger happyendmäßigem Schwarzweiß-Ende hätte das ein richtig tolles Buch werden können. Schade drum!

Bewertung vom 06.04.2018
Gamillscheg, Marie

Alles was glänzt


weniger gut

Seitdem ein Journalist dem Bergdorf den Untergang vorhersagte, ging es nur noch bergab. Die Touristen blieben aus, Menschen zogen weg, die Häuser begannen zu verfallen. Die die blieben, halten stur am Bestehenden fest, hoffen auf bessere Zeiten oder warten nur darauf, wegzukommen. Da geschieht ein großes Unglück und zeitgleich kommt Merih, ein Regionalmanager, der einen Anfang machen möchte: für das Dorf und für sich.
Im Großen und Ganzen ist dies schon die gesamte Handlung des etwas mehr als 200 Seiten umfassenden Buches. Der Schwerpunkt liegt auf der Darstellung der einzelnen Bewohner, aus deren Sicht abwechselnd ihre eigene Situation geschildert wird. Alle vereint Resignation, was das Dorf betrifft. Was sie unterscheidet, ist der Umgang damit. Da ist Therese, die unbedingt weg möchte; Wenisch, der darauf hofft, dass seine Tochter mit Familie zu ihm zieht; Susa, die alles so lassen möchte wie es ist. Und Merih, der Neuhinzugekommene, der ebenfalls die Trostlosigkeit sieht, aber auch ein Potential - weshalb er ja hier ist. Ihre Wege kreuzen sich, aber außer Oberflächlichkeiten findet kein Gespräch statt.
Marie Gamillscheg erzählt dies in einer sehr speziellen Sprache. Kurze Sätze, mit einem Blick für Kleinigkeiten, sehr detailliert; überdurchschnittlich viele Aufzählungen; Gedanken wechseln sich ab mit Beschreibungen ohne Kennzeichnungen. Anfangs empfand ich diesen Stil als ungewöhnlich und passend für diesen Ort und die Atmosphäre; für dieses Unglück, das sich gleich zu Beginn ereignet. Doch da die Handlung praktisch vor sich hin plätschert, wurde dieser Stil zusehends ermüdend. Die Charaktere waren mir fern, sie kamen mir mit keiner Seite näher und als ich das Buch beendet hatte, verlor ich keinen weiteren Gedanken an die beschriebenen Personen. Wenn es der Autorin gelungen wäre, ihren ProtagonistInnen richtiges Leben einzuhauchen und nicht nur von außen zu betrachten, wäre es wirklich tolles Buch geworden.

Bewertung vom 02.04.2018
Engberg, Katrine

Krokodilwächter / Kørner & Werner Bd.1


weniger gut

Die junge Studentin Julie wird tot und von vielen Schnitten im Gesicht verunstaltet in ihrer Wohnung aufgefunden - vom Täter fehlt erst einmal jede Spur. Doch als ihre Vermieterin, die emeritierte Professorin Esther, ein von ihr verfasstes Manuskript vorlegt, in dem sie den Mord bereits Tage zuvor geschildert hatte, scheinen alle Spuren auf eine Person hinzudeuten. Doch nicht sehr lange ...
Berlinsge, die älteste dänische Tageszeitung, hat dieses Buch einen 'Thriller, der einen packt und nicht mehr loslässt.' genannt. Tja, mir ging es leider nicht so. Keine Frage, es ist gut geschrieben, ohne dass jedoch ein spezieller Engberg-Stil erkennbar wäre. Doch die Geschichte plätschert so dahin - es ist die ausführliche Schilderung der Polizeiarbeit, wie sie KrimiliebhaberInnen wohlbekannt sein dürfte, ohne große Überraschungsmomente oder verblüffende Wendungen. Zudem ist der erste Hinweis auf den Täter derart offensichtlich, dass ich mir fast sicher war, es könne nur eine falsche Fährte sein. Ein Thriller soll 'ein beständiges Spiel zwischen Anspannung und Erleichterung' sein - davon ist bei diesem Buch leider nur kaum etwas zu merken.
Auch die Figuren sind wenig bemerkenswert: ein einsamer Kommissar, gerade verlassen von der Ehefrau und kurz davor, sich Süchten jeglicher Art hinzugeben (Harry Hole lässt grüßen ;-)); die fitte Kollegin, nicht ganz perfekt (die Speckröllchen), aber beinahe :-); und natürlich ein unsympathischer Kollege, der in einem der Folgebände (das Ganze ist als Serie angelegt) sicherlich mit diversen Intrigen zur Höchstform auflaufen wird.
Zuguterletzt die Auflösung des Falles. Die war immerhin durchaus überraschend, was jedoch bei Weitem nicht ausreichte, mich mit der gesamten Geschichte so zu versöhnen, dass es noch für vier Sterne reichen würde. Zudem empfand ich die Erklärung des Mordes derart unglaubwürdig (ja, Manipulation ist eine mächtige Kraft, ich weiß. Aber so???), dass ich das Buch fast schon unzufrieden zuschlug.
Fazit: Ein gut geschriebener, mäßig spannender Krimi, den man nicht unbedingt gelesen haben muss.

Bewertung vom 26.03.2018
Scheerer, Johann

Wir sind dann wohl die Angehörigen


ausgezeichnet

Nachdem Jan Philipp Reemtsma nach seiner Entführung im Jahre 1996 gegen eine Zahlung von 30 Millionen DM wieder freikam, schrieb er das Buch 'Im Keller', in dem er die Ereignisse sachlich chronologisch darstellt, daran anschließend seine eigenen Erlebnisse schildert und zuguterletzt darüber reflektiert, was damals mit ihm geschehen ist. Sein Sohn, der damals 13 Jahre alt war, beschreibt nun in 'Wir sind dann wohl die Angehörigen', wie er diese 33 Tage erlebte.
Es ist erstaunlich, wie detailliert die Erinnerungen von Johann Scheerer an diese Zeit sind. Natürlich könnte Manches aus dem Reiche der Fiktion stammen, was nach 22 Jahren verständlich wäre. Doch ich hatte eher den Eindruck, dass sich diese Geschehnisse mit einer Deutlichkeit in seinem Gedächtnis eingebrannt haben, dass er sie ohne Schwierigkeiten jederzeit vor seinem inneren Auge ablaufen lassen kann.
Sehr überzeugend schildert er, wie er verzweifelt versuchte, Haltung zu bewahren und in irgendeiner Form zu helfen, obwohl er sich sicher war, seinen Vater nie mehr zu sehen. Sein permanent schlechtes Gewissen, ob er überhaupt noch Freude empfinden dürfe; sein Gefühl, in einer Welt zu leben, die nichts, aber auch überhaupt nichts mit seinem bisherigen Leben zu tun hat; all das vermittelt er so glaubwürdig, dass ich glaube, zumindest ansatzweise mitfühlen zu können, was er durchlebte.
Irgendwelche bedeutsamen neuen Erkenntnisse bietet dieses Buch nicht, sieht man davon ab, dass ich erst jetzt erfahren habe, wie amateurmäßig die Polizei damals gearbeitet hatte und damit das Leben des Entführten wiederholt aufs Spiel setzte. Aber es ist eine beeindruckende Erinnerung eines dramatischen Geschehens, das vielleicht dem Autor auch hilft, damit besser klar zu kommen. Denn vergessen kann man so etwas sicherlich nie!