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Readaholic

Bewertungen

Insgesamt 425 Bewertungen
Bewertung vom 20.05.2020
Stephan, Cora

Margos Töchter


sehr gut

Vorwärts immer, rückwärts nimmer
In „Margos Töchter“ nimmt uns die Autorin Cora Stephan auf eine Zeitreise durch die jüngere Geschichte der BRD und der DDR. Wir erleben die Zeit der RAF, der Anti-Atomkraftbewegung, Tschernobyl und schließlich den Mauerfall und die Auswirkungen auf Ost und West. Vieles davon fand ich ausgesprochen interessant, weil ich es selbst miterlebt habe, beispielsweise die Jagd nach vermeintlichen Terroristen unter Studenten, aber auch Demonstrationen, bei denen der Verfassungsschutz von Gebäuden herunter die Demonstranten fotografiert hat. Insofern war es für mich auch teilweise eine Reise in die eigene Vergangenheit.
Anderes dagegen blieb mir völlig fremd. Ich kann nicht nachvollziehen, was eine junge Frau dazu bringt, ihr eigenes Leben und schließlich sogar ihr Kind aufzugeben, um einer politischen Idee zu dienen. Und sogar ins DDR-Gefängnis zu gehen, damit die Möglichkeit besteht, vom Westen freigekauft und somit in die BRD eingeschleust zu werden!
Die geschichtlichen Hintergründe sind eingebettet in eine Familiengeschichte. Jana, Ehefrau und Mutter von Zwillingen, will nach dem Mauerfall mehr über ihre Familiengeschichte erfahren und nimmt Einblick in die Stasiakten. Ihre eigene Mutter Leonore kam bei einem Autounfall ums Leben, bei dem es sich möglicherweise um Selbstmord handelte. Jana erfährt, dass Leonore gar nicht ihre leibliche Mutter war, sondern Jana als Kleinkind adoptiert wurde, nachdem sie von einer jungen Frau bei Leonores Familie „zurückgelassen“ wurde. Doch die Geschichte beschränkt sich nicht auf Janas Perspektive, der Leser lernt in Rückblicken auch Leonore sowie Janas leibliche Mutter kennen. Leider hat mich nur Leonore emotional erreicht, in die anderen Personen konnte ich mich nicht hineinversetzen.
Die erste Hälfte des Buchs fand ich sehr interessant und kurzweilig, in der zweiten Hälfte gab es streckenweise Passagen, die mich gelangweilt und teilweise verwirrt haben. Möglicherweise ist die Lektüre schlüssiger, wenn man den ersten Band „Ab heute heiße ich Margo“ kennt, was bei mir nicht der Fall ist.

Bewertung vom 11.05.2020
Stihlé, Claire

Wie uns die Liebe fand


ausgezeichnet

Warmherziger Rückblick auf ein langes Leben
In „Wie uns die Liebe fand“ erzählt die 92jährige Madame Nan, die ihr ganzes Leben im Dörfchen Bois-de-Val im Elsass verbracht hat, aus ihrem langen Leben. Dabei berichtet sie aus der grausamen Zeit des zweiten Weltkriegs, als Frauen, denen „horizontale Kollaboration“ vorgeworfen wurde, gedemütigt und anschließend aus dem Dorf vertrieben wurden. Ihr Mann Bernard wurde bei dem Versuch, die Grenze zur Schweiz zu überqueren, von deutschen Soldaten erschossen. So musste Madame Nan ihre vier Töchter allein großziehen. Aus allen ist etwas geworden, die beiden Ältesten leben inzwischen mit ihren Partnern bei Madame Nan.
Malou, Partner der ältesten Tochter Marie, rettet eines Tages den Besitzer der Dorfladens, Monsieur Boberschram, das Leben, zumindest sieht es Monsieur Boberschram so, woraufhin dieser beschließt, seinen Laden, der ihm ohnehin ein Klotz am Bein ist, der Familie von Madame Nan zu vermachen. Dies stellt einen Wendepunkt in ihrer aller Leben dar. Madame Nan und ihre Töchter und Schwiegersöhne stürzen sich mit Feuereifer auf die neue Aufgabe und verwandeln den heruntergekommenen, von Kakerlaken infizierten alten Laden in ein wahres Schmuckstück, das Besucher von nah und fern anzieht, nicht zuletzt aufgrund der Koch- und Backkünste Madame Nans . Dies ist erst recht der Fall, als Marie und Malou sogenannte „Liebesbomben“ herstellen, mit deren Hilfe man sich die Zuneigung der geliebten Person sichern kann. Obwohl zunächst Skepsis herrscht, zeigt der Erfolg der Bomben, dass sie wirken. Doch leider kann es dabei auch zu Pannen kommen, wie Madame Nan feststellen muss...
„Wie uns die Liebe fand“ ist ein ganz und gar wundervolles Buch, das mich hervorragend unterhalten hat. Ich habe des Öfteren während der Lektüre laut gelacht, zu komisch sind manche Beschreibungen. Doch geht das Buch, wie bereits erwähnt, auch auf dunklere Kapitel in der Geschichte des Elsass ein und verfügt über eine gehörige Portion an Spannung. Ein nettes Detail ist außerdem die Sammlung von Madame Nans elsässischen Rezepten am Ende des Buchs, das ich mit gutem Gewissen weiterempfehlen kann.

Bewertung vom 18.04.2020
Mas, Victoria

Die Tanzenden


sehr gut

Außerhalb der gesellschaftlichen Norm
Das Leben im Paris des 19. Jahrhunderts ist ein hartes, vor allem für Frauen. Wer sich außerhalb der gesellschaftlichen Norm bewegt, landet schnell im berüchtigten Irrenhaus für Frauen, der Salpêtrière. Hysterikerinnen, Prostituierte, Vergewaltigungsopfer, sie alle werden hinter den Mauern dieser Anstalt verwahrt. Doch nicht nur Frauen und Mädchen aus der Unterschicht landen dort, auch Eugénie, die Tochter des angesehenen Notars Cléry wird von ihrer Familie eingeliefert, weil sie behauptet, mit Toten kommunizieren zu können. Darüber hinaus ist sie viel zu aufmüpfig und denkt gar nicht daran, sich mit einem Leben als Ehefrau zufrieden zu geben.
Es scheint eine Gesellschaft ohne Mitgefühl zu sein, die ihre Frauen solchermaßen entsorgt. Wenn man erst einmal hinter den Mauern der Salpêtrière verschwunden ist, scheint es fast unmöglich, die Anstalt jemals wieder zu verlassen. Und diejenigen, die entlassen werden sollen, leben schon so lange dort, dass sie Panik bei dem Gedanken verspüren, sich „draußen“ durchschlagen zu müssen.
Auch die Oberschwester Geneviève arbeitet schon so lange in der Klinik, dass ihr das Mitgefühl mit den Patientinnen abhanden gekommen ist. Doch die Begegnung mit Eugénie löst etwas in ihr aus und verändert ihr Leben.
Einmal im Jahr findet in der Salpêtrière ein großer Ball statt, vordergründig zur Zerstreuung der Patientinnen, doch eigentlich sind es die Pariser Bürger, die sich an diesem Abend amüsieren wollen und darauf hoffen, einen hysterischen Anfall oder ähnliches hautnah erleben zu dürfen. Ebenso voyeuristisch geht es bei den „Vorführungen“ der Patientinnen zu, bei denen es den Medizinstudenten großen Spaß bereitet, wenn Anfälle bewusst herbeigeführt werden und dann mittels fragwürdiger Methoden behandelt werden. Angeblich soll Druck auf die Eierstöcke einen solchen Anfall beenden.
Ich hätte mir gewünscht, dass diese Methoden nicht nur unkommentiert erwähnt werden, sondern in einem Anhang auf deren Sinn und Unsinn näher eingegangen worden wäre. Aber dies hätte vielleicht zu weit geführt.
„Die Tanzenden“ ist ein durchaus lesenswertes Buch, das einem die Grausamkeit der medizinischen Behandlungen und die Rolle der Frau vor nicht allzu langer Zeit eindrücklich vor Augen führt.

Bewertung vom 13.04.2020
Kara, Lesley

Das Gerücht


gut

Klatsch und Tratsch
Joanna zieht nach 15 Jahren in London in einen kleinen Küstenort. Ein Grund dafür ist, dass ihr sechsjähriger Sohn Alfie in seiner Klasse gemobbt wurde, ein anderer, dass ihre Mutter ebenfalls in Flinstead lebt.
Auch in seiner neuen Schule tut sich Alfie schwer damit, Anschluss zu finden. Um das Interesse der anderen Mütter auf sich zu ziehen, erzählt Joanna ein Gerücht weiter, das sie vor kurzem aufgeschnappt hat: angeblich soll eine Kindermörderin namens Sally McGowan unter falscher Identität im Ort leben. Die Gerüchteküche kocht, bald scheint jede Frau im richtigen Alter eine potentielle Kindsmörderin zu sein. Die Besitzerin eines kleinen Ladens wird schnell als Hauptverdächtige ausgemacht, hat ihr Name doch dieselben Initialen wie Sally McGowan, also ein klares Indiz! Auch die Initiatorin eines Lesekreises scheint verdächtig, immerhin hat sie Joanna nicht auf der Straße gegrüßt, sondern sie ignoriert. Die ganze Geschichte ist total abstrus und an den Haaren herbeigezogen. Würde ein kleiner Ort wirklich mit so großem Interesse auf einen Jahrzehnte zurückliegenden Kriminalfall reagieren? Ich wage es zu bezweifeln. Die Idee für dieses Buch ist gut, nicht aber die Umsetzung. Ich habe schon lange kein so in die Länge gezogenes Buch mehr gelesen. Von den „Schauern, die einem über den Rücken jagen“ (Zitat vom Umschlag) habe ich nichts gemerkt, mich hat das Ganze nur unendlich gelangweilt. Der Schluss ist zugegebenermaßen eine Überraschung, doch keine, für die es sich lohnt, sich durch 400 Seiten Banalitäten und Paranoia zu kämpfen.

Bewertung vom 11.04.2020
Borger, Martina

Wir holen alles nach


sehr gut

Geheimnisse
Die alleinerziehende Sina lebt mit ihrem achtjährigen Sohn Elvis (ja, der Junge heißt wirklich so) in München. Ihr Job in einer Werbeagentur frisst den Großteil ihrer Zeit auf, selbst am Wochenende wird manchmal von ihr erwartet zu arbeiten. Entsprechend wenig Zeit bleibt da für Elvis, einen schüchternen und für sein Alter kleinen Jungen. Da Sina sich bereits Sorgen macht, Elvis könnte keine Gymnasialempfehlung erhalten, sucht sie eine Nachhilfelehrerin für ihn und findet die pensionierte Ellen, ein Glücksgriff, wie sich herausstellt.
Ellen lebt mit ihrem Hund in einer Wohnung, die sie sich mit ihrer kleinen Rente eigentlich gar nicht leisten kann. Von Anfang an versteht sie sich gut mit Elvis, der ebenfalls gern Zeit mit ihr und vor allem dem Hund verbringt. Als Elvis’ Vater wieder einmal einen geplanten Urlaub mit ihm platzen lässt, betreut Ellen den Jungen auch für eine Woche in den Ferien. Eines Tages entdeckt Ellen blaue Flecke an dem Jungen, der sich dazu nur ausweichend äußert. Er behauptet, sich beim Sport verletzt zu haben. Ellen befürchtet, es könnte sich um häusliche Gewalt handeln. Vielleicht ist Sina doch nicht die fürsorgliche Mutter, für die Ellen sie hielt? Oder könnte Sinas neuer Partner Torsten, der vor ein paar Monaten bei ihnen eingezogen ist, etwas damit zu tun haben? Auch einem aufmerksamen Lehrer entgehen die blauen Flecken nicht und eines Tages bekommt Sina einen Anruf vom Jugendamt...
„Wir holen alles nach“ spricht eine Vielzahl aktueller Themen an: die schwierigen Lebensumstände Alleinerziehender, ambitionierte und miteinander konkurrierende Eltern, Altersarmut, Mobbing, Gewalt, sogar Umweltthemen werden gestreift, wobei mir das ein bisschen zu viel des Guten war. Auf die Auswirkungen des Methanausstoßes von Kühen hätte ich in diesem Roman gut verzichten können. Dies aber nur am Rande, alles in allem fand ich „Wir holen alles nach“ wirklich gut und flüssig geschrieben. Vor allem Ellen und Elvis sind mit als Personen ans Herz gewachsen und ich war traurig, als das Buch zu Ende war. Einziger Kritikpunkt an diesem liebevoll gestalteten Diogenes-Band ist, dass sich mir die Bedeutung der hübschen Titelillustration nicht erschlossen hat: ein junges Mädchen im rosa Bikini, das ins Wasser springt. Ich habe keine Ahnung, was diese Szene mit dem Buch zu tun haben soll.

Bewertung vom 07.04.2020
Stuertz, Sebastian

Das eiserne Herz des Charlie Berg


sehr gut

Ein Feuerwerk an Fantasie und Absurditäten
Charlie Berg lebt ein außergewöhnliches Leben. Die Mutter ist als vielbeschäftigte Regisseurin in der Weltgeschichte unterwegs und hat sich noch nie um Charlie und seine kleine Schwester gekümmert. Der Vater ist ein dauerbekiffter Althippie, der im Keller haust und Musik macht. Der Opa, „Nonno“, der ebenfalls im Haus wohnt, ist zwar Deutscher, hat aber als er eine Italienerin heiratete quasi eine italienische Identität angenommen und spricht selbst im Familienkreis mit italienischem Akzent. Charlie selbst hat eine Supernase: er kann Gerüche bis auf ihre kleinsten Bestandteile analysieren. So kann er zum Beispiel ohne weiteres riechen, was eine Person Stunden zuvor gegessen hat und auch nach langer Zeit noch feststellen, wer sich in einem Raum aufgehalten hat. Die siebenjährige Schwester Fritzi ist Autistin mit Inselbegabung. Sie liest ununterbrochen und vergisst kein Wort dessen, was sie einmal gelesen hat.
Wer in diesem Buch nach „normalen“ Personen sucht, wird nicht fündig werden, die Liste könnte endlos fortgeführt werden.
Eine der wichtigsten Personen in Charlies Leben, wenn nicht sogar die wichtigste, ist Mayra, die er im Alter von 12 Jahren kennenlernt. Mayra lebt eigentlich in Mexiko, ist jedoch mit ihrem Vater zu Besuch bei Charlies Familie. Charlie und Mayra sind Seelenverwandte. Als das Mädchen Deutschland nach einem Sommer voller Abenteuer wieder verlässt, tauschen sie und Charlie jahrelang Videokassetten aus, die sie füreinander aufnehmen. So wissen sie immer, was im Leben des anderen gerade vor sich geht. Erst als Mayra kurz davor ist, den Drogenhändler Ramon zu heiraten, merkt Charlie, wie wichtig sie für ihn ist und welche Katastrophe die bevorstehende Heirat für ihn wäre.

In Charlies Leben passieren die aberwitzigsten Dinge. So hat er ganz zu Beginn des Buches eine schicksalshafte Begegnung mit einem telepathisch begabten Hirsch, in deren Folge Charlies Opa sowie ein Wilderer zu Tode kommen und der Opa auf mysteriöse Weise verschwindet.
Die Sprache in diesem Buch ist schwer zu beschreiben. Die meiste Zeit war ich hin und weg davon, allein die vielen fantasievollen Namen für Kiffen würden Seiten füllen. Das Buch ist ein wahres Feuerwerk an Wortneuschöpfungen und absurden, äußerst komischen Begebenheiten. Allerdings sind auch ein paar Situationen beschrieben, die dermaßen ekelhaft sind, dass ich inständig hoffe, die Bilder wieder aus meinem Kopf löschen zu können. Für 90 Prozent des Buchs würde ich bedenkenlos 5 Sterne vergeben, denn es hat mich hervorragend unterhalten und fällt komplett aus dem Rahmen des Üblichen. Doch die besagten Szenen haben mir den Genuss teilweise doch sehr verdorben, da sie unnötig eklig waren.

Bewertung vom 01.04.2020
Zantingh, Peter

Nach Mattias


ausgezeichnet

Kaleidoskop verschiedener Eindrücke
Mattias lebt nicht mehr, das ist von Anfang an klar. Was allerdings mit ihm passiert ist, erfährt der Leser zunächst nicht. Mattias stand mitten im Leben, er hatte viele Träume und Pläne. Starb er bei einem Unfall oder war es womöglich doch Selbstmord, weil ihm alles über den Kopf gewachsen war? Die Antwort auf diese Frage lässt lange auf sich warten.
Im Buch kommen acht Personen zu Wort, die Mattias alle auf die eine oder andere Weise kannten. Da ist zunächst seine Freundin Amber, der es schwer fällt, ohne Mattias weiterzumachen. Sie macht sich Vorwürfe, weil sie Mattias’ Plänen oft mit Skepsis begegnete. Die Mutter empfindet die Worte bei Mattias’ Beerdigung als unpassend, selbst würde sie ihn ganz anders beschreiben. Die Großeltern sind ebenfalls in ihren Grundfesten erschüttert. Ein Glück, dass sie vor nicht allzu langer Zeit noch einmal mit der ganzen Familie einen runden Geburtstag feierten!
Doch es kommen auch Personen zu Wort, die Mattias nur ganz flüchtig kannten. Jede Person steuert ein Stück zu einem Puzzle bei, durch das wir die Person Mattias besser kennenlernen. Die Kapitel sind kurz, doch sie drücken das Wesentliche aus.
In einem Interview im Anhang des Buchs erfährt man, dass es dem Autor ein Anliegen war, „mit wenigen Worten möglichst effektiv zu sein“. Das ist ihm hervorragend gelungen. Es wäre schön, wenn es mehr Autoren gäbe, die dieses Credo beherzigen.
Mir hat „Nach Mattias“ sehr gut gefallen und ich denke auch Tage nachdem ich das Buch zu Ende gelesen habe, noch darüber nach.

Bewertung vom 31.03.2020
Khider, Abbas

Palast der Miserablen


sehr gut

Leben im Irak Saddam Husseins
Der junge Shams Hussein lebt mit seiner Familie im Süden Iraks. Da sie hoffen, in der Hauptstadt ein besseres Leben führen zu können, zieht die Familie um. In Bagdad angekommen, schlagen sie sich mehr schlecht als recht durch. Zunächst können sie noch bei einem entfernten Verwandten wohnen, doch dann bleibt ihnen nichts anderes übrig, als in die sogenannte Blechstadt, ein Slum neben einem riesigen Müllberg, umzuziehen. Wie fast alle Bewohner der Blechstadt suchen Shams und sein Vater Gegenstände aus dem Müll, die sie verkaufen können.
Trotz der ärmlichen Verhältnisse entdeckt Shams bald die Liebe zum Lesen. Durch einen Cousin wird er in den „Palast der Miserablen“, einen Zirkel von literaturbegeisterten Gleichgesinnten, eingeführt. Allerdings werden dort auch systemkritische Schriften diskutiert, was im Irak des Saddam Hussein ein gefährliches Unterfangen ist.
Shams schlägt sich als Wasserverkäufer und Busfahrergehilfe durch und lernt gleichzeitig für seinen Schulabschluss. Nur wenn er den schafft, bleibt ihm ein Leben als Soldat erspart. Als er die Möglichkeit bekommt, Lesebegeisterte wie ihn selbst mit verbotenen Büchern aus dem Ausland zu beliefern, greift er zu. Ein folgenschwerer Fehler, wie sich herausstellt...
„Palast der Miserablen“ gibt Einblicke in ein von einem Diktator beherrschtes Land, in dem es aufgrund des von den USA verhängten Handelsembargos an allem fehlt. Wer kann, flieht außer Landes.
Ich habe „Palast der Miserablen“ als Hörbuch gehört, hervorragend gelesen von Torsten Flassig. Man erfährt viel über das Leben in einem totalitären Staat, in dem es Tag für Tag ums nackte Überleben geht. Der Autor Abbas Khider weiß, wovon er spricht: er war selbst als junger Mann im Irak inhaftiert und es ist ihm gelungen zu fliehen. Ein bewegendes und empfehlenswertes (Hör-)Buch.

Bewertung vom 28.03.2020
Kim, Angie

Miracle Creek


sehr gut

Fatale Verkettung von Kausalitäten
Familie Yoo ist von Südkorea in die Vereinigten Staaten ausgewandert. Ihre Tochter Mary soll eine bessere Zukunft haben, als ihr dies in Südkorea möglich wäre. Vater Pak hat bereits in seiner Heimat Erfahrungen mit der Sauerstofftherapie für autistische Kinder gesammelt und investiert in einen entsprechenden Sauerstofftank. Als der Tank explodiert, kommen zwei der Patienten in den Flammen ums Leben, weitere Personen werden schwer verletzt. War es ein tragisches Unglück oder Brandstiftung? Haben womöglich die Demonstrantinnen ihre Hände im Spiel, die just an diesem Tag auf dem Gelände gegen diese Art der Behandlung demonstrierten?
In dem Buch erleben wir die einzelnen Verhandlungstage und die Vernehmung der Angeklagten und Zeugen. Hauptangeklagte ist die alleinerziehende Elizabeth, deren kleiner Sohn eines der Todesopfer ist. Kann es wirklich sein, dass sie den psychischen Belastungen nicht mehr standgehalten hat und sie ihren Sohn loswerden wollte? Oder ging es doch um Versicherungsbetrug?
Nach und nach kommen immer weitere Details ans Licht und es stellt sich heraus, dass jeder etwas zu verbergen hat. Kleine Unwahrheiten bringen ganze Lawinen ins Rollen und lösen eine fatale Verkettung von Kausalitäten aus. Nichts ist, wie es zunächst scheint.
Mir hat Miracle Creek gut gefallen, allerdings empfand ich es streckenweise als ermüdend, dass immer wieder die gleichen Situationen, wenn auch aus anderen Perspektiven, erzählt wurden und die Wahrheit in winzigen Häppchen ans Licht kam. Es ist aber auf jeden Fall ein lesenswertes Buch, in dem es nicht nur darum geht, den Schuldigen zu finden, sondern unter anderem auch die Themen Autismus und Fremdenfeindlichkeit zur Sprache kommen.