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Hennie
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Chemnitz

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Insgesamt 274 Bewertungen
Bewertung vom 01.09.2016
Graham, Winston

Von Anbeginn des Tages / Poldark Bd.2


ausgezeichnet

Die beiden Bände der Poldarksaga sind keine Schmachtfetzen (das sei angemerkt für diejenigen, die eine romantische Liebesgeschichte erwarten!), sondern der Versuch der Abbildung der Lebensumstände in Cornwall Ende des 18. Jahrhunderts!

Zum Inhalt:

Demelza, aufgrund ihrer Herkunft erst unsicher, wächst schnell in ihre Rolle als Frau eines Landadligen, als Herrin hinein. Sie wird selbstbewußter. Julia, die gemeinsame Tochter von Ross und Demelza, kommt unter besonderen Umständen auf die Welt. Es ist sehr stürmisch, der dünkelhafte, blasierte Arzt kommt zu spät zur Entbindung. Die einfachen Leute stehen Demelza bei ihrer Niederkunft erfolgreich bei.

Die junge, schöne Demelza hat nach der Einführung in die „bessere Gesellschaft“ viele Verehrer und selbstverständlich Neider unter den Damen.

Ihr Gatte Ross verfügt übereinen beträchtlichen Gerechtigkeitssinn und über eine hohe Toleranzschwelle. Er ist mutig und gerecht. Der junge Edelmann wollte, dass es seinen Leuten gut geht, beansprucht weniger an finanziellen Werten für sich als die meisten seines Standes. Viele seiner Gesellschaftsschicht sind verkommen, haben kein Gewissen. Ross greift immer wieder ins Geschehen ein, hilft seinen Arbeitern, seinen Untergebenen, wo er kann und kommt damit selbst mit den Gesetzen und ihren Vertretern in Konflikt. Fleiß, Faulheit, positive wie negative Eigenschaften sind nicht abhängig von einer Gesellschaftsschicht!
Ross und Demelza nähern sich an und schießen auch gelegentlich beide über´s Ziel hinaus. Sie lernen voneinander. Beide sehen Mißstände, Unzulänglichkeiten, Ungerechtigkeiten bis hin zur Verletzung der Menschenwürde. Da sind z. B. die Zustände im Gefängnis, die selbst für Tiere nicht zumutbar sind.
Winston Graham versteht es sehr eindringlich diese Dinge zu schildern und plastisch werden zu lassen. Die Beschreibung ist so genau, dass man sich das Dilemma vorstellen kann (die Enge, der Geruch, der unvorstellbare Schmutz, die Éxkremente, die gequälten Körper der Menschen...)...
Die Arbeit in den Gruben, in den Schmelzhütten ist schwer, unvorstellbar mühselig und gefährlich für Leib und Leben. Krankheiten greifen um sich. Die giftigen Dämpfe machen Mensch und Umwelt (Vegetation) kaputt. Ross setzt sich ein für die Rechte der Arbeiter.

Zum Ende hin wird es noch einmal sehr spannend. Alles spitzt sich zu. Trotz eines sehr tragischen Ereignisses endet Band 2 optimistisch.
Mit großer Erwartung voller Ungeduld sehe ich den nächsten Bänden entgegen.

Fazit - siehe auch Rezension Band 1 - :
Da ich historische Romane sehr liebe, war das Interesse von Anfang an da. Ich bin nicht enttäuscht worden. „Von Anbeginn des Tages“ war spannend zu lesen. Die Sprache war nicht so umständlich und schwierig zu verstehen wie in Band 1 (vielleicht liegt es an den unterschiedlichen Übersetzern?).
Das Cover zeigt die britische Schauspielerin Eleanor Tomlinson. Sie ist die Darstellerin der Demelza. „Poldark“ ist eine achtteilige britische Fernsehserie und soll bald auch im deutschen Fernsehen gezeigt werden.

Ich gebe sehr gern meine uneingeschränkte Leseempfehlung!

Bewertung vom 01.09.2016
Tremain, Rose

Und damit fing es an


ausgezeichnet

Ich habe mit „Und damit fing es an“ einen wunderbaren, emotionalen, zu Herzen gehenden Roman um eine lebenslange Freundschaft gelesen!

Gustav Perle und der jüdische Anton Zwiebel lernen sich als Siebenjährige in der Schule im kleinen, schweizerischen Matzlingen Ende der vierziger Jahre kennen. Sie bleiben bis ins reife Alter verbunden. Das ist wiederum mehr Gustavs Verdienst, der Anton nie aus den Augen verliert. Ich habe die Person Gustav als sehr angenehmen, sensiblen, sich nie in den Vordergrund drängenden Menschen verstanden. Ein warmherziger, liebevoller Charakter! Er nimmt sein Leben, sein Schicksal an. Dabei ist er sehr geprägt von den ärmlichen Verhältnissen, in denen er aufwuchs. Seine alleinerziehende, lieblose Mutter hatte ihm eingebläut, zu sein wie die Schweiz. Er solle „sich beherrschen“, was er auch tut.

Rose Tremain erzählt eindrucksvoll im Rückblick von den Ereignissen, Hintergründen vor Gustavs Geburt. Der Leser erfährt vom Leben Emilie und Erich Perles, den Eltern von Gustav. Wie sie sich kennenlernen, wie sich ihr Zusammenleben gestaltet. Berührend sind die Umstände, die unheilvolle Verstrickung der Menschen, die zur Katastrophe führen.

Welche unrühmliche Rolle die Schweiz in der Judenfrage spielte, war für mich neu.

Im dritten und letzten Teil sind Anton und Gustav erwachsen. Während Gustav seine berufliche Zufriedenheit im Führen seines gutgehenden Hotels Perle gefunden hat, ist Anton immer noch ein Suchender. Viele Jahre arbeitete er als Klavierlehrer in Matzlingen. Dann glaubt er doch noch an eine Zukunft als erfolgreicher Pianist auf den Bühnen der Welt. Er verläßt seinen Heimatort und seinen Freund...

Am Ende des Buches resümiert Gustav, ob sein Leben glücklicher verlaufen wäre, wenn er Anton Zwiebel niemals kennengelernt hätte. Er war „geschult“ durch seine Mutter zu lieben, ohne geliebt zu werden. Dieser Mangel an Liebe hatte jedoch dazu geführt, dass er „besessen auf äußerliche Ordnung und Kontrolle“ achtete. Er wollte immer alles bestimmten Kategorien zuordnen. Die Dinge konnte Gustav nie so sein lassen, wie sie sein wollten.

Auch Anton hat, so scheint es, zum Ende hin seine Lebenslektion gelernt. Auf S.327 sagt er: „Wir müssen die Menschen werden, die wir schon immer hätten sein sollen“.

Fazit:
Ein Buch, dass mich einige Male zum Innehalten zwang. In meinem Falle regte mich die einfühlsame, feinnervige Geschichte zum Nachdenken an.
Das Buch war für mich ein außergewöhnliches Leseerlebnis. Dabei kommt die Autorin mit wenigen handelnden Personen aus. Das ist sehr übersichtlich.
„Und damit fing es an“ war meine erste Begegnung mit der Autorin Rose Tremain. Jetzt habe ich sie auf „dem Schirm“.
So viel sei verraten: Die Geschichte um Gustav Perle und Anton Zwiebel endet versöhnlich, aber anders, als ich es mir im Vorfeld vorgestellt hatte.

Sehr zu empfehlen! Von mir gibt es die volle Sternenanzahl!

Bewertung vom 01.09.2016
Glaser, Brigitte

Bühlerhöhe


ausgezeichnet

Die Autorin Brigitte Glaser läßt mit ihrem Werk „Bühlerhöhe“ deutsche Nachkriegsgeschichte lebendig werden.

In landschaftlich schöner Umgebung spielt der Roman Anfang der 50er Jahre, vorwiegend, jedoch nicht ausschließlich, im renommierten Hotel Bühlerhöhe und im nicht ganz so mondänen Hotel Hundseck.
Die spannende, teilweise dramatische Handlung wird über große Strecken im wesentlichen von drei Frauen getragen.

Da wäre als erstes die junge Israelin Rosa Silbermann, die direkt von der Orangenernte im Kibbuz Omarim weggeholt wird. In Haifa erhält sie von Oz (vom Geheimdienst Mossad) den Auftrag nach Deutschland zu reisen. Sie basteln an einer Legende für sie. Gemeinsam mit „ihrem Mann“ soll sie an den vertrauten Stätten ihrer Kindheit (Ferien auf der Bühlerhöhe im Schwarzwald) den Kanzler Adenauer vor einem geplanten Attentat schützen...

Dann wäre als zweite die argwöhnische, penetrant neugierige Hausdame des Hotels Bühlerhöhe, Sophie Reisacher, die auch eine interessante, komplizierte Vita hat, zu nennen. Sie bemerkt mit ihrem sicheren Instinkt, dass mit der aus Tanger allein angereisten Rosa Goldberg etwas nicht stimmt...

Die dritte im Bunde ist die junge schlichte Agnes, angestellt im unweit gelegenen Hotel Hundseck. Sie hat noch immer alptraumhafte, schreckliche Erinnerungen aus der französischen Besatzungszeit, die sie schließlich in der realen Gestalt ihres damaligen Peinigers einholen...

Brigitte Glaser erzählt eine fiktive Geschichte mit wahrem Hintergrund.
Im Jahre 1952 wurde durch Kanzler Konrad Adenauer ein Abkommen mit Israel unterzeichnet. Damit verpflichtete sich die junge BRD Wiedergutmachungszahlungen an den ebenfalls noch jungen jüdischen Staat zu zahlen. Bestimmte radikale Kreise in Israel wollten wiederum nicht, dass das „Blutgeld“ angenommen wird. Sie versuchten das zu verhindern, auch durch Anschläge.

Das Attentat hat aber so nicht stattgefunden, wie es in „Bühlerhöhe“ geschildert wird.

Die Autorin hat durch hervorragende Recherche ein historisches Thema aufgegriffen und mit ihren Mitteln umgesetzt. Durch die literarische Freiheit, die sie sich genommen hat, wurde die Geschichte für mich nachvollziehbar, gewann an Authenzität. Die Charaktere sind wunderbar gezeichnet. Sie wirken sowohl durch ihre positiven, als auch den negativen Eigenschaften sehr lebendig, plastisch.
Die Lesbarkeit des Buches gewinnt zusätzlich durch die kurzen Kapitel. Mir gefiel der Schreibstil sehr. Schnell hatte ich den spannenden Roman mit seinen thrillerhaften Momenten ausgelesen.

Ich kann dieses Buch nur empfehlen, vor allem der jüngeren Generation.

Bewertung vom 01.09.2016
Wood, Monica

Bevor die Welt erwacht


ausgezeichnet

Eine großartige Geschichte, so unglaublich beeindruckend wie überwältigend einfach.
Da trennen zwei Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, erstaunlich viele Lebensjahre, sage und schreibe 93 Jahre! Und trotzdem: Sie verstehen sich außerordentlich gut, der kleine 11jährige Junge, der ohne Namen bleibt und die uralte 104jährige Ona Vitkus.
Trotz ihres hohen Alters möchte Ona keine Hilfe annehmen. Der Junge bildet die Ausnahme. Er ist Mitglied in einer Pfadfindergruppe, zu deren Aufgaben es gehört, älteren Menschen zu helfen. Ona lernt den Jungen kennen und willigt ein, ihn zu beschäftigen. Sie akzepiert den Jungen, obwohl er einige Marotten hat. Sie bemerkt bald, dass ihr das Kind seltsam vertraut ist, wie aus ihrer eigenen Kindheit kommend. Aber: „Irgendetwas an ihm war verstörend“...S.38

Ganz plötzlich, vollkommen unerwartet verstirbt der Junge...

Sein Vater Quinn wird von seiner Mutter Belle, Quinns zweifache Exfrau, aufgefordert, die Aufgaben des Kindes zu übernehmen. Durch Ona lernt Quinn seinen Jungen kennen, mit dem er nie etwas anfangen konnte. Sie zeigt ihm, wie sein Sohn wirklich war.

Die alte Dame erzählt dem 11jährigen Jungen ihre tiefsten Geheimnisse, die er auf Tonband aufnimmt. ONAS LEBENSGESCHICHTE, die sie vordem niemanden erzählte.
Sie sagt: „seine reglose Aufmerksamkeit wirkte wie ein Serum“...(S. 87)
Der kleine Junge vermag ihr erstaunliche Erkenntnisse und unglaubliche Begebenheiten zu entlocken.
Beispiele: Ona heiratete einen viel älteren Mann, der „im Schlafzimmer so brav und phantasielos“ ihre Narbe niemals bemerkte. (S. 85) ODER: Sie „verwechselte ...Freude fälschlicherweise mit Liebe“ (S. 161) und „heiratete ... Howard Stanhope aus unverzeihlicher Phantasielosigkeit“...(S. 162)...

Ona blickt selbstkritisch, vor allem in ihrer Lebensbeichte auf ihr langes Leben zurück.
Quinn indes bemerkt quälend und schmerzlich seine nicht mehr rückgängig zu machenden Fehler. Ist zutiefst verzweifelt und möchte wenigstens, dass zu Ende bringen, was sein Sohn begonnen hat.

Der Junge ist gestorben, aber er ist im gesamten Buch präsent. Er ist ständig gegenwärtig, durch seine Handlungen, die nachwirken, seine 10 Punkte Listen, seine Interviews mit Ona...

Für mich waren die Interviews teilweise nicht leicht zu erfassen. Man weiß zwar, dass die drei Punkte im Text für den Jungen stehen, seine handgeschriebenen Fragen. Es wäre besser gewesen, seine lautlosen Fragen wären nochmals formuliert worden. (evtl. in Klammern gesetzt)

Fazit:
Das Buch verlangt aufmerksames Lesen. Barbara Wood fordert ihre Leser, Konzentration ist gefragt.
Sie schrieb einen emotionalen, gefühlvollen, leisen, nachdenklichen Roman.
Sehr empfehlenswert! Fünf Sterne!

Bewertung vom 01.09.2016
Thilo

König Laurin


sehr gut

Genre: Märchen – empfohlenes Lesealter ab 8 Jahre
Ort der Handlung: Irgendwo in den Alpen
Zeit: Hochmittelalter (ca. 1050 bis 1250)

„König Laurin“ ist ein schönes Buch zum Film und dann auch noch in zeitnaher Abfolge, erst das Buch, dann der Film.
Das Cover weckte bei mir neugieriges Interesse, zeigt es doch eine filmplakatmäßige Aufmachung mit den Darstellern, der Ritterburg und der bergigen Kulisse im Hintergrund.

Theodor, der Sohn von König Dietrich ist eine liebenswürdige Romanfigur mit positiven Charaktereigenschaften. Seit dem Tod seiner Mutter war er nicht mehr gewachsen. Das machte dem König Dietrich große Sorgen und ergriff drastische Maßnahmen.
Aber auch das Strecken des Sohnes in der Folterkammer brachte keinen Erfolg.

„Nur was groß ist, ist gut!“ Kann dieser Aussage von König Dietrich zugestimmt werden?

Theodor ist zwar klein von Wuchs, aber er hat andere Vorzüge. Er hat ein gutes, mitfühlendes großes Herz. Theodor besitzt zwar kaum Muskeln, dafür aber umso mehr Grips. Das beweist sein erfindungsreiches Verhalten, als es dem mageren Esel Grauchen an den Kragen gehen sollte.
Nach einem Beinahe-Unglück schließt der kleine Theo mit dem Zwergenkönig Laurin Freundschaft. Die Zwerge und König Laurin wurden von den Menschen vertrieben und leben versteckt.
Aus dem Königssohn wird am Ende der Geschichte ein großer Held. Die Moral von der Geschichte: Es kommt nicht allein auf die Körpergröße an...

Wie das alles zusammenhängt, war für mich als Erwachsene, als Großmutter von Enkelmädchen vergnüglich zu lesen.

Die Charaktere sind hervorragend gezeichnet. Die handelnden Personen sind gut, böse, intrigant, dumm... Die Eigenschaften wurden exzellent, kindgerecht ausgearbeitet. Das wird besonders deutlich beim Vetter Wittich und den Armeliten.
Die Sätze sind kurz und nicht verschachtelt. Die Schrift ist schön groß. Das empfohlene Lesealter für 8 Jahre finde ich in Ordnung.
Aber:
Hätte man für die modernen Begriffe deutsche Wörter genommen, da bin ich mir sicher, wäre die Geschichte um König Laurin und dem Königssohn Theodor genauso schön geworden. Ich finde solche Worte wie: Container, Flyer, Backstagebereich, Trainingsanzug, Allergie, chillen und viele mehr gehören nicht in ein Märchen, das in der Zeit der Ritter spielt.

Deshalb gibt es von mir auch nur vier Sterne!

Bewertung vom 01.09.2016
Vigan, Delphine

Nach einer wahren Geschichte


ausgezeichnet

Delphine, die Hauptprotagonistin ist eine Schriftstellerin. Die Vornamensgleichheit zur Autorin fällt auf. Autorin und Romanfigur sollen verschmelzen, zumal Delphine als Icherzählerin auftritt.
Delphine erleidet eine „Schreibblockade“ in der reinsten, schlimmsten Form. Sie schreibt wirklich rein gar nichts mehr (keine E-Mails, keinen Einkaufszettel...)
All das passiert, nachdem sie die Bekanntschaft mit L. machte, einer Ghostwriterin.
War es Zufall, dass sie sich begegneten?

Delphine scheint von dieser Frau so fasziniert zu sein, dass sie nicht merkt, wie diese in ihr Leben eindringt. L. übernimmt ihre Erledigungen und Pflichten...
Ihr „affektiver Schutz“ (durch heftige Gefühlsäußerungen gekennzeichnet, überschnell und reflexartig) funktionierte bis sie L. begegnete. D. fühlte sich sofort von L. verstanden bis ins Innerste. L. scheint eine Seelenverwandte zu sein, sie stellen sich dieselben Fragen.

Ich zitiere: S. 41 „Menschen, die die echten, die wichtigen Fragen stellen, sind selten“.

Die spielerisch wirkende Intensität mit der L. auf D. einwirkt, nimmt zu, während D.´s Unsicherheit sich literarisch ausdrücken zu können, immer mehr abnimmt. Man erwartet eine Eskalation. Statt dessen entwickelt D. für alles, was nur irgendwie mit Schreiben zu tun hat, eine Phobie. Diese Schreibblockade äußert sich bald auch durch körperliche Abwehrreaktionen. L. sorgt indes weiter mit ihren Einwänden für Unsicherheit.

S. 100 „Deine Figuren müssen einen Bezug zum Leben haben“.
S. 101 Delphine aber glaubte:“Der Leser war immer bereit, der Illusion nachzugeben und die Fiktion für Wirklichkeit zu halten“.

Mit klarer, sachlicher Sprache versteht es die Autorin den Leser lange Zeit im unklaren zu lassen, welche Ziele L. verfolgt. Ich werde es nicht verraten!

Diese Fragen bewegen mich: Wo beginnt die Wahrheit? Wo endet die Fiktion?
Das ganze Geschehen um L. und D. stellt für mich ein gewieftes, listiges Verwirrspiel auf literarischem Gebiet mit Vermutung, Tatsache, Identität und Übereinstimmung dar.

Delphine de Vigan beschreibt großartig Gefühle und Empfindungen in atmosphärischen Dichte. Unterschwellig ist eine ständige Gefahr/Bedrohung im Verlauf der Geschichte zu spüren. Ein starkes Buch!

Martina Gedeck spricht das Hörbuch und leiht Delphine de Vigans Roman ihre schöne Stimme. Sie sagt über das Werk:
„Kluges und geheimnisvolles Spiel um Literatur und Wahrheit, Identität und Künstlertum. Ein wunderbarer Text.“
Dem kann ich nichts hinzufügen. Ich stimme ihr voll zu.
Das Buch verlangt Aufmerksamkeit beim Lesen. Es ist keine leichte Lektüre.

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Bewertung vom 01.09.2016
Raabe, Melanie

Die Wahrheit


ausgezeichnet

Schon die Leseprobe nahm mich gefangen. Der Spannungsbogen wurde bereits sehr weit aufgezogen. Es entstanden sofort Bilder in meinem Kopf und ich stellte mir einige Fragen. Beide Protagonisten, sowohl Sarah, als auch ihr verschwundener Ehemann Philipp haben, hatten Geheimnisse. Führen diese am Ende ins Chaos?
Nach dem Lesen des gesamten Buches kamen noch viele Fragen hinzu, die ich mir aber alle beantworten konnte.

Melanie Raabe versteht es, von Anfang an mit ihrem angenehmen Schreibstil zu fesseln. Wunderbar formuliert, dieser Schmerz, diese Einsamkeit, die Ungewißheit, die die junge Frau verspürt über den langen Zeitraum und dann kommt ein Mann zurück, der der ihre sein soll?

Der Ausgangspunkt:
Sarah Petersen, eine 37jährige Lehrerin, bewohnt mit ihrem 8jährigen Sohn Leo eine schöne Villa in Hamburg. Seit 7 Jahren ist ihr Mann Philipp, der wichtigste Teilhaber eines milliardenschweren Konzerns, von einer Geschäftsreise nicht zurückgekehrt. Seit 7 Jahren lebt sie allein mit ihrem kleinen Jungen. Gerade hatte sie begonnen, sich auf ein neues Leben einzurichten. Sarah läßt sich die langen Haare abschneiden, lädt sich Gäste nach Hause ein, bereitet ein Essen für sie zu...
Da plötzlich kommt der Anruf vom Auswärtigen Amt – PHILIPP LEBT - !
Doch der Mann, der aus dem Flugzeug steigt, ist nicht ihr Mann. Sie möchte das sofort an Ort und Stelle klären, jedoch keiner schenkt ihr Gehör. Das Geschehen nimmt seinen Lauf. Für die Öffentlichkeit ist Philipp wieder da...

Meine Meinung:
„Die Wahrheit“ - Dieses Buch ist ein ganz besonderer Thriller, ein Thriller der Extraklasse, einer von der Sorte, wie ich sie liebe. Ich habe die Geschichte in einem Rutsch durchgelesen, weil ich unbedingt wissen wollte, wie es weitergeht und wie es endet. Atemlos spannend, und das vollkommen ohne Leichen oder aufgesetzten Gruselfaktor.
Nur eins, verstand ich nicht, liebe Melanie Raabe, warum mußten die Wiederholungen sein?

Erzählt wird auf der Ich-Ebene, einmal von Sarah, einmal vom Fremden.
Der Fremde verfolgt einen Plan, von dem er sich nicht abbringen lassen will. Er behauptet Philipp zu sein, ist eiskalt und unerschütterlich. Sarah hat es mit einem vollkommen unberechenbaren Mann zu tun. Auf S. 134 sagt er z. B. „Du kapierst es tatsächlich nicht, ... Du hast keine Ahnung, was los ist...“ Der Fremde und Sarah haben beide ein Geheimnis. Sind es zwei Geheimnisse oder haben sie ein gemeinsames?
Der Fremde: S. 139: „Die Schuld steht der Frau ins Gesicht geschrieben.“ Oder auf S. 203 ...manche Menschen denken eben, sie kommen mit allem davon...“ Was meint er nur damit? Er spricht in Rätseln. Nichts ist so, wie es scheint. Nichts scheint so, wie es ist!
Als Leser habe ich mich gefühlt wie Sarah: „Ein Alptraum in einem Alptraum.“ Die Handlung trägt streckenweise surreale, verstörende Züge, aber am Ende der Geschichte löst sich alles auf und der Leser blickt durch...
Man darf sich selbst ein optimistisches Finale „stricken“.

Fazit:
Das schlichte Cover paßt gut, hat einen gewissen Symbolcharakter. Eine neue Frisur, für viele Frauen ist das tatsächlich ein radikaler Schritt.
„Sie kennt ihn nicht. Doch er weiß alles über sie“ - Mich hat „Die Wahrheit“ sehr zum Nachdenken angeregt!

Ich vergebe meine Leseempfehlung mit fünf Sternen!

Bewertung vom 30.05.2016
Nichols, Peter

Die Sommer mit Lulu


gut

dem furiosen Beginn des Buches, der versehentliche gemeinsame Sturz von Gerald und Lulu von den Klippen in den Tod, hatte ich wirklich mehr erwartet. Wo sind die gewaltigen Gefühle? Wo das ganze romantische Drum und Dran, was eine große Liebe ausmacht? Nichts dergleichen! Ich bin sehr enttäuscht!
Der Autor Peter Nichols lässt sich fast das ganze Buch über Zeit, aufzuklären, was so Gravierendes zwischen Gerald und Lulu vorgefallen ist.
Der Anlaß für den Haß, für die Trennung und für die unversöhnliche, sture Haltung Lulus gegenüber Gerald hat mich befremdet.

Meine anfängliche, große Sympathie für die Figur der Lulu schlug recht bald um. Sie ist eine eigenwillige, egozentrische, selbstverliebte Person, vermutlich auch „einfach gestrickt“ und oberflächlich. Obwohl des öfteren im Buch betont wird, wie gut sie aussieht, steht das Äußere im krassen Gegensatz zu ihrem sonstigen Verhalten. Lulu scheint an einem Zusammenleben mit einem Mann nie interessiert gewesen zu sein. Ihre Ehemänner wurden ihr jeweils recht bald überdrüssig. Der arme Gerald, der bedauernswerte Bernard! Zwei liebenswerte Männer, aber wahrscheinlich zu zahm für Lulu. Die Frau weiß um ihre große sexuelle Anziehungskraft und nutzt sie dementsprechend, wie es ihr in den Kram paßt. Männer sind für sie nur Lustobjekte. Dafür gibt es viele Beispiele, besonders schockierte mich der liebestolle Übergriff auf Geralds minderjährigen Enkelsohn Charlie.

Der Umschlagtext des Romans setzte in mir Erwartungen, die ich in den mehr als 500 Seiten so nicht wiederfinden konnte (Familiensaga? Definitiv:NEIN; tragische Liebesgeschichte(n)? auch NEIN). Einen wesentlichen Grund, dass das Buch beides nicht ist, sehe ich darin, dass die Hauptfiguren Lulu und Gerald nur am Anfang und am Ende des Romans sehr präsent sind. Ansonsten gehen sie in der rückwärts erzählten Handlung in der Vielzahl der auftretenden Personen unter.
Eine Liebesgeschichte ist „Die Sommer mit Lulu“ also nicht. Es ist allenfalls die Geschichte zweier Engländer, die auf der Insel Mallorca heimisch geworden sind, sich eingerichtet haben. Gut erzählt, mit spannenden Momenten!

Glaubhaft nachvollziehbar ist am ehesten die Liebesgeschichte zwischen Luc (Lulus Sohn) und Aegina (die Tochter Geralds). Am Ende sieht es für die Beiden hoffnungsvoll aus. Vielleicht gelingt es ihnen mit Mitte Fünfzig nun doch noch ein glückliches, gemeinsames Leben zu führen. Das bleibt der Fantasie der Leser überlassen.

Zusammengefaßt:
Bei über 500 Seiten hätte ich gern mehr über Lulu und Gerald erfahren. Die Nebenfiguren nehmen zu viel Raum ein. Das Cover passt nicht. Wann waren sie dieses traute Pärchen? Wurde der Titel verfehlt in deutscher Sprache? In englischer Sprache ist er passender „The Rocks“ (Felsen).
DIE Sommer mit Lulu? Es war doch nur EIN Sommer!
Hat man den Roman von Peter Nichols richtig interpretiert? (siehe Einbandtext)

Ein großes Plus:
Wer erfahren möchte, wie rasant die Entwicklung der Insel Mallorca vom unbekannten, unentdeckten Flecken Erde zur absoluten Touristenhochburg vonstatten ging, dem kann ich dieses Buch empfehlen.
Der Autor beschreibt die traumhaft schöne Insel sehr detailreich. Die Ostküste Mallorcas mit ihrer einzigartigen Landschaft, den felsigen Küsten und den wunderbaren Höhlen sind ein Erlebnis für sich.

Bewertung vom 30.05.2016
Bergstrand, Mikael

Der Fünfzigjährige, der den Hintern nicht hochbekam, bis ihm ein Tiger auf die Sprünge half / Der Fünfzigjährige-Trilogie Bd.2


ausgezeichnet

Mikael Bergstrand legt hier einen weiteren Roman mit schrägem Titel vor, den er aber nur im Deutschen trägt. „Der 50jährige, der den Hintern nicht hochbekam, bis ihm ein Tiger auf die Sprünge half“ ist nicht der Originaltitel! Darauf komme ich noch zurück.
Die Hauptperson Göran Borg, ein Mittfünfziger, ist Schwede, lebt in Malmö, wo er Arbeit, Familie und Freunde hat. Zu Beginn des Buches lauscht Göran der beruhigenden Stimme einer Frau, der Therapeutin Karin Vallberg Torstensson. Seine 21-jährige Tochter hatte ihn dazu gebracht, diese Therapie zu beginnen. Er solle endlich anfangen sein Leben in die Hand zu nehmen. Sie schimpft ihn “alten Sauertopf“.
Sein langer Aufenthalt in Indien hinterließ bei ihm tiefe, bedeutungsvolle Eindrücke, die ihn zunächst mit Kraft erfüllt und neue Lebenseinsichten vermittelt hatten. Nun, wieder in der Heimat, war er nach kurzer Zeit wieder in alte Strukturen verfallen, die ihn nicht weiterbrachten. Er gibt sich weitgehend selbstzerstörerischen Gedanken hin. Ihn erfüllt eine innere, eisige Leere, die wehtut und ihn quält. Veränderungen in seinem Leben bereiten ihm große Mühe. Göran fühlt sich zudem von Perfektion bedroht. Bei ihm darf jeder einen kleinen „Schaden“ haben!
Nach einer weiteren Therapiesitzung hatte er ein AHA-Erlebnis: Plötzlich verstand er, was es bedeutete, in eingefahrenen Bahnen zu denken. Er beschließt zunächst nach langer Zeit seine sehr unterschiedlichen Freunde in der Stammkneipe zu besuchen. Dort trifft er auf Sven Grip. Das ist der Neue in der Herrenrunde. Sie verstehen sich auf Anhieb. Sven scheint auf seiner Wellenlänge zu liegen. Es gibt viele Übereinstimmungen, er ist belesen, Bierexperte, Weinkenner. Kurz gesagt: die Chemie stimmt zwischen den Beiden. Und doch „ Der Fall Sven Grip“ ist die Ursache zum abrupten, erneuten Aufbruch nach Indien. Er flieht regelrecht vor dem neuen Freund, spricht nicht Klartext mit ihm, sondern täuscht sich und ihn. Es kommt, wie mehrere Male im Roman zu skurillen, komischen Situationen, die Göran durch seinen verklemmten, gehemmten Charakter, durch seine Feigheit und Ignoranz der eigenen Gefühle verursacht. Er ist nicht der mutigste Mensch, drückt sich vor Entscheidungen, Aussprachen und ist kein Mann der klaren Worte. Seine Gedanken kreisen nur noch um die „magischen Monate in Indien“.

Göran reist also wieder in das „Land der Kontraste“ zu seinem besten Freund Yogenda, genannt Yogi, der jedoch selbst ganz gehörig in der Klemme steckt. Seine Hochzeit mit Lakshmi musste er verschieben. Die Gründe dafür werden sehr bald klar...
Wie sich der Schwede mit den „Yogischen Weisheiten als Leitlinie“ und der „KVT-Skala“ (Karin Vallberg Torstensson oder Kognitive Verhaltenstherapie zum Einteilen des Unbehagens auf der Skala von 1 bis 100) den Problemen und Aufgaben stellt, möchte ich nicht vorwegnehmen...
Fazit:
In 63 Kapiteln und auf 445 Seiten war dieses Buch für mich eine hervorragende Lektüre und ich vergebe meine uneingeschränkte Leseempfehlung!
Es war unterhaltsam zu lesen, wie Göran begann sich aus seiner inneren Isolation zu befreien und seine Sinnkrise überwand. Er befindet sich hier im Band 2 auf einer guten Spur des Lebens. Es fügt sich eins ins andere. Was er daraus macht, wird man ganz sicher in Band 3 erleben dürfen.
Der Tiger kommt erst sehr spät ins „Bild“, hat aber meiner Meinung nach im Titel nichts zu suchen (verkaufsfördernde Strategie?). Das Cover gefällt mir gut, das dicke Hinterteil des Elefanten und der Blick in die Weite der Landschaft bringt sehr gut die Eigenschaften und das äußere Erscheinungsbild Göran Borgs zum Ausdruck.
Mir gefällt der wortgewandte, witzige, humorvolle, sehr intelligente Schreibstil von Mikael Bergstrand.

Ich warte mit Spannung auf die Fortsetzung der Göran-Borg-Trilogie.

Bewertung vom 30.05.2016
Eyssen, Remy

Schwarzer Lavendel / Leon Ritter Bd.2


ausgezeichnet

Nach „Tödlicher Lavendel“ stellt Remy Eyssen mit „Schwarzer Lavendel“ den zweiten Fall für den deutschen Rechtsmediziner Dr. Leon Ritter vor.

Die Geschichte beginnt schon im Prolog spannend. Susan, eine junge Biologiestudentin aus Deutschland befindet sich geknebelt, gefesselt an Händen und Füßen auf einem harten, kalten Resopaltisch liegend, in einem fensterlosen, schmutzigen Verlies. Das Atmen fällt ihr schwer und sie hat rasende Kopfschmerzen. Jemand hat ihr einen Zugang in die Vene ihres linken Armes gelegt. Wofür? Infusion? Warum? Sie gerät in Panik und denkt an ihre Schwester, die ihr in einer gefährlichen, vergangenen Situation zur Besonnenheit riet. Sie überlegt angestrengt, wie sie in diese Lage geraten konnte. Dann entdeckt sie den Mann, der sie aus kalten, empfindungslosen Augen beobachtet...

Im Weiteren lernt man Dr. Leon Ritter, einen Rechtsmediziner aus Frankfurt kennen, der mit Lilou, Tochter der stellvertretenden Polizeichefin von Le Lavandou durch die schöne französische Gegend fährt. Leon will zu seiner Tante Odette nach Nizza, um etwas Wichtiges mit der alten Dame zu besprechen...

Anna Winter, die eineiige Zwillingsschwester von Susan, meldet inzwischen ihre Schwester bei Capitaine Isabelle Morell (Mutter von Lilou) als vermisst. Sie wollten beide zur Weinlese in die Provence, berichtet sie ihr. Anna ist später angereist und es gibt nun keine Spur von Susan. Was ist mit ihr passiert?

Dr. Leon hat seinen Arbeitsplatz im kleinen, idyllischen Städtchen Le Lavandou gefunden und auch ein angenehmes Plätzchen zum Wohnen bei Capitaine Isabelle Morell und deren Tochter Lilou. Leon beginnt sich langsam in der Provence einzugewöhnen.

Dank seiner französischen Tante Odette wird er vollkommen überraschend Besitzer eines Weinbergs unweit des kleinen Küstenortes. Doch die Freude darüber währt nicht lange. Ausgerechnet in der Nähe seines Grundstücks wird in einem Schuppen eine mumifizierte, weibliche Leiche gefunden. Der perfekte, scheinbar unversehrte Zustand des toten Körpers fasziniert den Arzt. Seine wissenschaftliche Neugier ist geweckt.

Die Geschichte nimmt schnell Fahrt auf und ich bin mit Begeisterung drangeblieben.

Nachdem man weiß, dass Remy Eyssen für viele Fernsehproduktionen Drehbücher geschrieben hat, wird einem der dramaturgische Aufbau der Geschichte deutlich. Ich kann mir lebhaft eine Verfilmung vorstellen, mit den interessant und recht unterschiedlich gezeichneten Charakteren und der schönen Landschaft.

Der Autor schildert nicht nur die Handlung, sondern für mich ist es auch ein bisschen wie ein Reise(ver)führer. Er beschreibt die Flora der Provence anschaulich und wie beiläufig.
Beispielsweise spricht er vom Efeu, der wie „flüssiges Grün“ hervorquillt oder von den Geckos, „die kleinen Drachen der Provence“ sowie von Landschaften, die sind wie die „Gemälde von Cezanne“.

Für mich war das Buch ein herrlicher Krimigenuss mit einem unerwarteten Ende. Remy Eyssen ist ein Schöngeist, da er selbst die „Bösen“ nicht verteufelt, sondern ihnen ihre Menschlichkeit lässt.

Mein Fazit: Ein sehr unterhaltsamer Kriminalroman, der von mir fünf Sterne erhält und eine uneingeschränkte Leseempfehlung.

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