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YukBook
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München

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Insgesamt 313 Bewertungen
Bewertung vom 25.03.2019
Guggisberg, Brigitte

Frankreich, wir kommen!


ausgezeichnet

Wie kommt eine bodenständige Köchin im Markgräflerland dazu, an einem Street-Food-Wettbewerb in Monaco teilzunehmen? Genau davon erzählt der Roman „Frankreich, wir kommen!“ von Brigitte Guggisberg.

Den Traum, ein kleines Bistro in Südfrankreich zu eröffnen, hegt die Ich-Erzählerin Betty Bauer schon lange und hat sich immerhin ihre Küche in provençalischem Stil eingerichtet. Als sie nicht nur beruflich, sondern auch privat eine herbe Enttäuschung erlebt, hält sie nichts mehr in dem Dorfgasthaus 'Sonne' in Efringen-Kirchen. Gemeinsam mit der gescheiterten Studentin Iva Leonida macht sie sich in einem klapprigen Food Truck auf den Weg Richtung Süden.

In Baume-les-Dames, der ersten Station, bekommt sie einen Crash-Kurs in jurassischer Küche und lernt allerlei Käsespezialitäten kennen. Weiter geht’s in die Gourmethauptstadt Lyon und in die Provence. Mit jeder Etappe und jeder bewältigten Aufgabe wächst Betty aus sich heraus, gewinnt Selbstbewusstsein und ist entschlossen, sich zu beweisen. Mir lief das Wasser im Mund zusammen, wenn die Köchin die frischen Zutaten von den Märkten oder ihre ausgefallenen Kreationen beschrieb und die quirlige Atmosphäre auf den Street-Food-Märkten einfing.

Für zusätzliche Spannung sorgt ihr Erzrivale Jan, der in einem Airstream Food Truck ebenfalls Richtung Monaco unterwegs und entschlossen ist, Betty und ihr Team zu besiegen. Ganz ohne Klischees kommt der Roman nicht aus, wenn die "Demoiselles en route" an duftenden Lavendelfelder vorbeibrettern, exzentrischen Franzosen begegnen oder sich auf Romanzen einlassen, doch das stört kein bisschen, zumal ich die Begeisterung für die Provence und den französischen Charme mit der Autorin teile. Sie schreibt so mitreißend, sprachgewandt und spritzig, dass ich das Gefühl hatte, die Sinnesfreuden auf dem kulinarischen Road Trip mitzuerleben. Da sich Food Trucks zunehmender Beliebtheit erfreuen und sich zu kleinen Gourmetküchen entwickeln, liegt Brigitte Guggisberg mit ihrem Thema zudem voll im Trend.

Bewertung vom 21.03.2019
Strohmaier, Brenda

Nur über seine Leiche


ausgezeichnet

Der Titel lässt einen komödiantischen Krimi vermuten, doch der Untertitel verrät, worum es tatsächlich geht. Brenda Strohmaier schildert, wie sie nach dem Verlust ihres Mannes ihre Trauer verarbeitete und ein neues Leben als Witwe begann.

Auch wenn sich die 44-Jährige während der langwierigen Krebserkrankung ihres Mannes mental auf einen möglichen Tod vorbereiten konnte, fühlt sie sich völlig überfordert. Was ist alles zu organisieren? Wie hat sie sich als Witwe zu verhalten? Wie geht das Leben weiter? Eine ganze Reihe von Fragen drängen sich ihr auf. Wie sie sich einer Aufgabe nach der anderen stellte und dabei ihren Humor nicht verlor, hat sie in 31 Lektionen zusammengefasst.

Sehr schön fand ich, wie in ihrem Erfahrungsbericht das gemeinsame Leben mit ihrem Mann im Rückblick und die gegenwärtige Situation als Witwe miteinander verwoben werden. Manchmal lässt sie Erinnerungen aufleben und nimmt Abschied von gemeinsamen Tätigkeiten wie das feiertägliche Backen von Pfannkuchen. Mit der Trauerarbeit und dem Loslassen geht die Suche nach einer neuen Identität als Witwe und Single einher. Sie verschreibt sich eine Trauer-Reha Deluxe und unternimmt eine knapp sechsmonatige Weltreise von Kalifornien über Japan, Hongkong, Bali, Indonesien bis nach Australien.

Die inhaltliche Vielfalt und gelungene Balance zwischen praktischen Tipps und persönlicher Geschichte machen das Buch zu einer sehr lesenswerten Lektüre. In manchen Passagen konnte ich mich gut mit ihr identifizieren, zum Beispiel wenn sie einen Exkurs zu spirituellen Weisheiten macht oder ihre Erfahrungen mit der Aufräummethode von Marie Kondo wiedergibt. Man merkt sofort, dass Schreiben ihr Metier und Gesellschaftstrends ihr Spezialgebiet ist. Ihr lockerer, schnoddriger Ton ist wunderbar zu lesen. Nie rutscht sie ins Sentimentale oder Sarkastische ab.

Das Buch dürfte nicht nur für Witwen, sondern für alle, die nach einer Lebenskrise einen Neuanfang wagen wollen und bereit sind für „posttraumatisches Wachstum“, interessant sein. Über ihre Weltreise hätte ich gern noch viel mehr gelesen. Liebe Frau Strohmeier, wie wäre es mit einem zweiten Buch?

Bewertung vom 10.03.2019
Young, Damon

Warum Jane Austen ohne Flieder nicht leben konnte


ausgezeichnet

Dass für so manchen Schriftsteller der Garten als Ruheoase oder Inspirationsquelle diente, ist nicht weiter erstaunlich. Verblüffend ist jedoch, was Damon Young zu diesem Thema zu erzählen hat. Erwartet hatte ich unterhaltsame Anekdoten aus dem Leben von mehreren berühmten Schriftsteller/innen, die eine besondere Beziehung zur Natur haben und darüber philosophieren. Doch es ist weitaus mehr. Anhand dieser Beispiele zeigt der Autor, welche unterschiedlichen Bedeutungen der Garten für einen Menschen haben kann und welche philosophischen Anschauungen sie daraus ableiten. Die Bandbreite reicht vom Sinnieren bei einem gemütlichen Spaziergang durch den Park bis hin zur körperlichen Schwerstarbeit im selbst angelegten Garten.

Für Jane Austen zum Beispiel war der Garten im Chawton Cottage in East Hampshire ein unentbehrlicher Rückzugsort, um ohne Ablenkung ihre zahlreichen Romane zu verfassen. Virginia Woolf fand in der Natur nicht nur das Rohmaterial für ihre Werke, sondern begeisterte sich auch für Blumenbepflanzung im eigenen Garten. Andere erlebten die Natur eher in der Fantasie, so wie Proust, dem drei Bonsai-Bäumchen an seinem Krankenbett dazu verhalfen, sich eine grenzenlose Botanik in seinem Zimmer vorzustellen. Auch Colette erschuf imaginär ihren idealen Garten, der auf ihre Prosa abfärbte.

Dass die Erfahrungen in und mit der Natur keineswegs immer rosig waren, schildert Damon Young am Beispiel von Sartre, Leonard Woolf oder George Orwell. So stellt er bildhaft und facettenreich die gegensätzlichen Emotionen heraus, die die Natur bei den Menschen auslösten – von Entzückung bis zum Ekel.

Obwohl es nur Bruchstücke aus dem Leben von Schriftstellern und Philosophen sind, so schafft es der Autor, ganz prägnante Miniporträts zu erschaffen. Ihre Erfahrungen in der Natur erreichen ganz unterschiedliche Dimensionen: von der Anbetung einer Rose über den Ekel vor einem Kastanienbaum bis hin zur Trauer über den Fall des „edlen Wilden“. Ich habe die Reise zu den verschiedenen botanischen Schauplätzen von England bis Sri Lanka ebenso genossen wie die lehrreichen Exkurse in die Philosophie. Das verständlich vermittelte Wissen, die gut recherchierten Details, die zahlreichen Zitate und Youngs elegante Prosa sorgen für ein wahrhaftes Lesevergnügen.

Bewertung vom 04.03.2019
Olsson, Linda

Eine Schwester in meinem Haus


ausgezeichnet

Treffender könnte der Titel dieses Romans nicht sein. Er beschreibt nicht nur die Situation, in die die Ich-Erzählerin Maria wider Willen hineingerät, sondern auch wie fremd ihr ihre Schwester Emma ist. Hätte sie doch auf der Beerdigung ihrer Mutter bloß nicht Emma spontan nach Cadaqués eingeladen, einem kleinen Ort an der katalanischen Küste, wo sie zurückgezogen lebt.

Entsprechend qualvoll läuft das Wiedersehen ab. Es ist, als ob sich zwei Unbekannte gegenseitig vorsichtig abtasten und ja nicht zu viel von sich preisgeben. Andererseits spürt man durch ihre Andeutungen, dass viel Unausgesprochenes zwischen ihnen vorgefallen sein muss. So entsteht während ganz einfacher gemeinsamer Tätigkeiten wie beim Frühstück auf der Terrasse oder auf Spaziergängen durch den Ort immer wieder ein Spannungsfeld zwischen den beiden.

Warum Maria der Besuch so unangenehm ist, wurde für mich immer nachvollziehbarer. Zum einen beansprucht sie ihr Terrain ganz für sich allein und will sich auch nicht rechtfertigen müssen, warum sie seit einiger Zeit so plan- und ziellos lebt. Zum anderen sträubt sie sich dagegen, mit der Vergangenheit konfrontiert zu werden. In den Gesprächen mit ihrer Schwester ist sie jedoch über ihre zunehmende Offenheit selbst überrascht.

So haben die zwei Frauen nicht nur die Gelegenheit, verdrängte Erinnerungen ans Licht zu holen und ihre traumatischen Erlebnisse aufzuarbeiten, sondern auch zu erkennen, dass sie sich teilweise über all die Jahre ein falsches Bild des anderen gemacht hatten. Bald ist das Haus nicht nur von den zwei Schwestern, sondern von vielen verstorbenen Seelen bevölkert, die in den Gesprächen zum Leben erweckt werden.

Eine Familiengeschichte auf dieses Art und Weise zu erzählen und sie in das malerische Setting einzubetten, fand ich sehr originell. Die wirklich spannenden Dinge spielen sich allerdings auf psychologischer Ebene ab und stehen zwischen den Zeilen.

Bewertung vom 23.02.2019
Klein, Stefan

Träume


ausgezeichnet

„Letzte Nacht habe ich ja wieder was total Verrücktes geträumt!“ Nicht selten wundere ich mich morgens über meine überbordende Fantasie und versuche, die wirren nächtlichen Erlebnisse zu rekonstruieren. Oft frage ich mich, warum ausgerechnet Figur x oder y plötzlich in meinem Traum auftaucht, obwohl ich tagsüber keinen Gedanken an sie verschwendet habe. Oder ich versuche, wiederkehrende Motive zu deuten.

Aufschlussreiche Erklärungen fand ich nun in diesem Buch von Stefan Klein. Er erläutert zunächst, welchen großen Stellenwert Träume in der Antike hatten und wie es neugierigen und hartnäckigen Forschern gelungen ist, sie greifbar zu machen. Er weist auf erstaunliche Phänomene hin, zum Beispiel dass Blinde genauso in Bildern träumen wie Menschen mit Augenlicht; oder dass wir in Träumen die absurdesten Dinge kritiklos hinnehmen und Dinge mit uns geschehen lassen statt uns dagegen aufzulehnen.

Der Autor schreibt sehr anschaulich und unterhaltsam, ganz gleich ob er die verschiedenen Schlafphasen und Gehirnaktivitäten erklärt oder typische Traumarten beschreibt. In seinem Text schwingt eine Faszination mit, die ansteckend ist. Ich war zum Beispiel überrascht, wozu Schlafwandler fähig sind – dieser Abschnitt las sich fast wie ein Krimi. Der Wissenschaftsjournalist serviert nicht alle Erkenntnisse gleich auf dem Präsentierteller, sondern baut einen Spannungsbogen auf, vermittelt uns nach und nach die Fortschritte der Traumforschung und lockert den Text mit geschichtlichen Anekdoten oder eigenen Erlebnissen auf.

Anscheinend muss ich mir keine Gedanken machen, dass ich oft von bevorstehenden Abiturprüfungen oder wichtigen Terminen träume, die ich verpasse. Damit stehe ich nicht allein. Laut Klein gleichen wir aktuelle Eindrücke mit gespeicherten Erfahrungen ab, häufig auch aus der Kindheit, wo die Erlebnisse besonders intensiv waren. Wenn ich das nächste Mal wieder etwas Verrücktes träume, koste ich einfach diese „Triumphe der menschlichen Vorstellungskraft“ aus.

Bewertung vom 16.02.2019
Ironside, Virginia

Nein! Ich geh nicht zum Seniorenyoga! / Marie Sharp Bd.4


ausgezeichnet

Der Roman beginnt mit einer Silvesterfeier im Haus der Hauptfigur Marie Sharp. Freunde und Familie sind versammelt, so dass man als Leser gleich einen guten Überblick über das bunte Ensemble bekommt. Das ist vor allem hilfreich, wenn man so wie ich die vorangegangenen Tagebücher von Marie noch nicht kennt.

Die 69-jährige lebt in London und ist geschieden, hat jedoch die Beziehung zu ihrem Ex wieder aufgewärmt. Die harmonische Eintracht wird jäh gestört, als der spirituell angehauchte Untermieter Robin bei ihr einzieht. Dieser räuchert die ganze Wohnung, um sie vor Einbrechern zu schützen, vergisst jedoch die Gartentür, was schwerwiegende Folgen hat.

Die Erlebnisse und Gedanken, die Marie in ihrem Tagebuch notiert, decken die ganze Bandbreite ab – von brüllend komisch über turbulent und verrückt bis hin zu schmerzvoll und tragisch. Ich war positiv überrascht, dass sich die Geschichten nicht nur um das Älterwerden und typische Generationskonflikte drehen. Wenn Marie dem Drängen ihres Enkels nachgibt und einen Apple Store aufsucht, um sich ein iPhone zuzulegen, wird der Kauf amüsant und zugleich realistisch geschildert. Sie lebt nach ihren Prinzipien, ist aber auch in der Lage, aus Rücksicht oder Empathie für ihre Mitmenschen nachzugeben.

Ein besonderes Highlight ist Maries zehntägige Reise mit ihren Freundinnen nach Indien. Es fällt ihr sichtlich schwer, sich vom Diener ihrer Gastgeber von vorne bis hinten bedienen zu lassen. Auch hier wird ihre Figur nuancenreich gezeichnet. Mal lässt sie ihren bissigen Humor aufblitzen, dann wieder überrascht sie durch eine empfindsame und warmherzige Seite. Im Laufe der Geschichte muss sie noch so manche Rückschläge erleiden und zeigt, wie verletzlich, aber auch stark sie ist. Ihre Lebensfreude ist ansteckend. Zum Schluss ist mir die Figur richtig ans Herz gewachsen.

Bewertung vom 13.02.2019
Röhrig, Dorothee

Die fünf magischen Momente des Lebens


ausgezeichnet

Jeder hat sie sicher schon erlebt – die Schlüsselmomente, die das Leben in wenigen Sekunden in eine neue Richtung lenken, ausgelöst durch einen Satz, einen Gedanken oder Hinweis. Dorothee Röhrig nennt sie magische Momente und stellt ihre persönlichen fünf in diesem autobiografischen Sachbuch vor.

Zuvor erläutert sie, warum es sich lohnt, sich diese prägenden Augenblicke in Erinnerung zu rufen. Für sie sind es „Aussichtspunkte auf der Lebensstrecke“, die uns dabei unterstützen, unsere Lebensgeschichte zu verstehen. Mediziner, Hirnforscher, Psychologen und Philosophen kommen ebenfalls zu Wort, so dass wir das Thema in einem größeren Zusammenhang betrachten können.

Die Autorin spannt uns ganz schön auf die Folter, bis sie ihren eigenen ersten magischen Moment enthüllt. Auch mit den übrigen lässt sie sich Zeit und baut so einen Spannungsbogen auf. Sympathisch ist, wie behutsam und offen sie den Leser anspricht und – mal staunend, mal zweifelnd – aus ihrem Leben erzählt. Sie schafft eine so lebendige Atmosphäre, dass man ihre Gefühle und Stimmungen gut nachempfinden kann – zum Beispiel ihre Aufregung bei einem Interview mit Karl Lagerfeld. Sie lässt auch Freunde, Bekannte und Prominente ihre Wendepunkte schildern. Diese sehr persönlichen Erfahrungsberichte waren für mich eine besondere Bereicherung und ein schöner Ausgleich zu den Expertenmeinungen.

Da ich mich viel mit dem Thema Selbsterkenntnis beschäftige, waren mir die meisten Gedanken nicht ganz neu. Manchmal schien mir die Linie zwischen Schlüsselmomenten und ganz allgemeinen Glücksmomenten auch nicht ganz eindeutig. Trotzdem konnte ich wertvolle Anregungen mitnehmen, zum Beispiel im Alltag noch achtsamer und offener für diese magischen Momente zu sein, um die Fülle der Möglichkeiten im Leben voll auszuschöpfen.

Bewertung vom 04.02.2019
Oksanen, Sofi

Die Sache mit Norma


gut

Der Titel lässt vermuten, dass sich der Roman um eine Frau namens Norma dreht. Eine tragende Rolle spielt aber vor allem ihre Haarpracht, die sie unter einem Turban versteckt. Die Autorin hat Normas Locken regelrecht Leben eingehaucht: Sie wachsen nicht nur extrem schnell, sondern können auch den Gemüts- und Gesundheitszustand anderer Menschen erkennen. Zugleich sind sie Objekt der Begierde und stacheln die Sensations- und Profitgier weltweit agierender Clans an.

Inwiefern das alles mit dem angeblichen Selbstmord ihrer Mutter Anita zusammenhängt, erfährt Norma erst, nachdem sie in deren Wohnung auf enthüllende Videoaufzeichnungen stößt. Allmählich kann sie den zwielichtigen Max Lambert, der sie während der Beerdigung ansprach und sich als guter Freund der Mutter ausgab, einordnen und begreift, in welche Machenschaften und Intrigen diese verwickelt war.

Der Roman ist eine Mischung aus Thriller, Familiendrama und Märchen und lässt sich in keine Schublade stecken. Und genau darin liegt für mich das Problem. Obwohl das Thema rund um den Haarkult, Haarverlängerungen, Schönheitsidealen und mafiösen Geschäften höchst spannend und brisant ist, konnte mich die Geschichte nicht richtig packen. Sie enthält zu viele Figuren, die nur oberflächlich charakterisiert werden, und zu viele Handlungsstränge, denen man nur schwer folgen kann. Auch der Erzählstil war mir zu distanziert und emotionslos. Die auf dem Klappentext angekündigte Dramatik und Magie hat sich für mich trotz vieler interessanter Ansätze leider nicht entfaltet.

Bewertung vom 07.01.2019

Die Fußspur Buddhas


gut

Wollen, aber nicht können – dieser tragische Kontrast fällt mir ein, wenn ich mir den 77-jährigen Utsugi Tokusuke, Hauptfigur dieses Romans, vorstelle. Dabei ist 'wollen' nicht nur abstrakt, sondern durchaus körperlich zu verstehen. Objekt seiner Wolllust und seines Begehrens sind schöne Frauen im Allgemeinen und seine Schwiegertochter Satsuko im Speziellen, wie wir seinen Tagebucheinträgen entnehmen können. Ganz schön pervers, könnte man meinen, doch Satsuko zeigt sich keineswegs abgeneigt gegenüber seinen Annäherungsversuchen, ja stachelt ihn geradezu an. Sie scheint die Spielchen auszukosten und noch mehr die teuren Geschenke, die sie im Gegenzug erhält. Immer wieder wird der Gegensatz zwischen der Schönheit, Jugend und Weiblichkeit der ehemaligen Revue-Tänzerin und der Hässlichkeit des alten Mannes herausgestellt.

Während mich Utsugis detaillierte Krankengeschichte und Behandlungen ein wenig ermüdete, amüsierte mich seine Selbstironie. Seine erotischen Fantasien vermischen sich mit Minderwertigkeitsgefühlen angesichts seines körperlichen Verfalls und Zweifeln an seiner geistigen Verfassung. Das führt sogar soweit, dass er seine eigenen Atemgeräusche mit dem Zirpen einer Grille verwechselt – ein ganz typisches Beispiel für Tanizakis Humor.

Mit subtilen Andeutungen, Sinn für Ästhetik und viel Empathie für den Protagonisten taucht Jun’ichiro Tanizaki tief in die Psyche eines alternden Mannes ein, der schon ein Grabmal für sich in Kyoto aussucht, sich aber nur schwer von den schönen Dingen im Leben trennen kann.

Bewertung vom 18.12.2018
Elkin, Lauren

Flâneuse


sehr gut

Flanieren und Schreiben gehen Hand in Hand. Das zeigt erneut ein aktuelles Buch aus der Feder von Lauren Elkin. Jedes Kapitel ist einer Stadt gewidmet, durch die die Autorin entweder selbst spaziert oder in der sie sich auf die Spuren von berühmten Schriftstellerinnen, Romanfiguren oder historischen Ereignissen begibt.

Für Virginia Woolf zum Beispiel waren die Straßen von London und die Gespräche von Passanten eine wahre Fundgrube für Geschichten. Nicht nur sie selbst, auch ihre Protagonistinnen lieben es, durch die Stadt zu schlendern, auch wenn dies damals gesellschaftlich verpönt war. George Sand stellte es ganz clever an: Sie schlüpfte einfach in Männerkleidung, um ungehindert Paris erkunden zu können. Flanieren ist in ihrer Autobiografie ein konstantes Thema.

So lesen sich viele Kapitel wie literarische Abhandlungen. Persönlicher wird Lauren Elkin, als sie von ihrem einmonatigen Aufenthalt in Venedig erzählt und eine Kunsthistorikerin als Romanfigur ins Leben ruft. Dass Flanieren nicht nur Freude bereitet, erlebt sie in Tokio, wo sie gezwungenermaßen ihrem Freund folgt. Die Großstadt ist so zerklüftet, dass sie sich nur schwer zu Fuß erkunden lässt.

Lauren Elkin schweift in ihrem Buch sehr weit aus, mäandert durch literarische, historische und politische Themen und beschreibt Schauplätze von Rebellionen und Demonstrationen. Mit Flanieren hat das für mich wenig zu tun. Ist man bereit, auch mal vom Weg abzukommen und sich in unbekannte Seitenstraßen treiben zu lassen, wird man bei der Lektüre auf manch interessante Entdeckungen stoßen.

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