Benutzer
Benutzername: 
Georg Bruder

Bewertungen

Insgesamt 261 Bewertungen
Bewertung vom 11.01.2023
McGinn, Bernard; Meyendorff, John; Leclercq, Jean

Von den Anfängen bis zum 12. Jahrhundert / Geschichte der christlichen Spiritualität, in 3 Bdn. 1


ausgezeichnet

Vorzügliche Darstellung der Geschichte der christlichen Spiritualität in 3 Bänden

Dieses Werk umfasst drei Bände über die Geschichte der christlichen Spiritualität von den Anfängen bis zur Gegenwart. Mit „Spiritualität“ wird dabei das weite Feld umschrieben, das Mystik, Meditation, Kontemplation, geistliches Leben, Streben nach Gottunmittelbarkeit und überhaupt christliche Erfahrung umfasst, und zwar theoretische Erfassung wie auch gelebte Praxis. Das Einführungskapitel für die deutsche Ausgabe schrieb der renommierte Theologe und Mystikkenner Josef Sudbrack.
Die einzelnen Bände sind in zwei Hauptteile gegliedert. Im ersten, mehr historisch ausgerichteten Teil werden die wichtigsten Entwicklungsphasen des jeweiligen Zeitabschnitts dargestellt. Der zweite, mehr thematisch orientierte Teil untersucht die „Themen und Werte“, die für das geistliche Leben der jeweiligen Jahrhunderte christlichen Glaubens bedeutsam waren, darüber hinaus aber zum bleibenden geistlichen Grundbestand aller Christen gehören. Es wird gezeigt, wie diese Themen entstanden und sich entwickelten, aber auch inwiefern sich diese Entwicklungen in der östlichen und westlichen Christenheit auf je eigenständige Weise vollzogen haben.
Die Beiträge sind – ein Novum in der Forschungsgeschichte der Spiritualität – von Vertretern der unterschiedlichen Glaubenstraditionen als Grundsatzartikel verfasst, in einer klaren und gut lesbaren Sprache, die sich an Experten wie auch alle Interessierten wendet. Eine vorzügliche, im deutschen Sprachraum fast einzigartige Darstellung der Geschichte der christlichen Spiritualität, die immer wieder zur Reflexion einlädt und als geistlicher Ansporn auf dem Glaubensweg dient.

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.01.2023
Beyreuther, Erich

Die grosse Zinzendorf-Trilogie


ausgezeichnet

3 Bände in 1 Band, über 850 Seiten stark: Die große Zinzendorf-Trilogie

Der Verfasser, Erich Beyreuther (1904-2003), war lutherischer Pfarrer und Professor für Kirchengeschichte mit dem Schwerpunkt Pietismus. Im Rahmen seiner Studien zur Pietismusgeschichte forschte und publizierte er über viele herausragende Persönlichkeiten, z.B. Philipp Jakob Spener, Ludwig Hofacker, August Hermann Francke und Johann Albrecht Bengel.
Über Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf (1700-1760) schrieb er eine Biographie in drei Teilen. In die hier vorliegende „Große Zinzendorf-Trilogie“ Beyreuthers frühere Zinzendorf-Biographie, die zwischen 1957 und 1971 erschienen ist, unverändert eingebracht worden.
Das über 850 Seiten starke Werk zeigt: Die Zinzendorf-Forschung ruht nicht. Es bleibt daher unverzichtbar, sich immer wieder das Gesamtbild Zinzendorfs vor Augen zu stellen, eingebettet in seine Umwelt, in die politischen, sozialen, ideengeschichtlichen und geistigen Wirklichkeiten seines Jahrhunderts, eines Jahrhunderts gewaltiger Umbrüche. Erst dann gelingt es, Zinzendorfs Einmaligkeit in seiner großen und unverwechselbaren Persönlichkeit – wie seine bis heute unverbrauchte Sendung – zu ermessen und immer wieder neu auszuleuchten.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.01.2023
Underhill, Evelyn

Mystik - Entwicklung des religiösen Bewußtseins im Menschen


ausgezeichnet

Bahnbrechender Klassiker zur christlichen Mystik aus dem Jahre 1928

„Mystik – Eine Studie über die Natur und Entwicklung des religiösen Bewußtseins im Menschen“ lautet der Titel des vorliegenden Werkes der anglokatholischen Laientheologin Evelyn Underhill (1875-1941), erstmals 1911 in englischer Sprache erschienen. Im Jahre 1928 folgte eine deutsche Übersetzung, besorgt von Helene Meyer-Franck und Heinrich Meyer-Benfey. Dieser Reprint bringt die Ausgabe von 1928 ungekürzt, die schon damals typografisch gut lesbar war. Ein Geleitwort des renommierten Religionswissenschaftlers Friedrich Heiler führt in das 679 Seiten starke Werk ein.
Schwerpunkt des gesamten Werkes sind die psychologischen Dimensionen der christlichen Mystik. Als Anglokatholikin besitzt Underhill ein gutes Verständnis der christlichen Mystik innerhalb kirchengeschichtlicher Traditionen, weiß aber auch die außerkirchliche Mystik kritisch zu würdigen. Einerseits schätzt sie die hohe Bedeutung des kirchlichen, dogmatischen und sakramentalen Elements für die christliche Mystik, gerade auch durch den Einfluss ihres Förderers Friedrich von Hügel. Andererseits würdigt sie immer wieder weitherzig das nicht-kirchliche, individualistische und spirituelle Streben nach Gottunmittelbarkeit und Gottvereinigung, teilweise deutlich abseits kirchlicher Wege und Denktraditionen.
Das Buch zerfällt in zwei Teile, von denen jeder ein in sich abgeschlossenes Ganzes bildet, obgleich sie sich ergänzen: Während der zweite und längere Teil („Der mystische Weg“) eine eingehende Untersuchung der Natur und Entwicklung des religiösen oder mystischen Bewusstseins des Menschen enthält, gibt der erste Teil („Das Wesen der Mystik“) eine allgemeine Einführung, indem er die Mystik nacheinander aus dem Blickwinkel von Metaphysik, Psychologie und Symbolik darstellt. Ein Buch zur Mystik, das inzwischen zum kongenialen spirituellen Klassiker avanciert ist.

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.01.2023
Dahme, Klaus

Das Erbe der Mönchsväter / Byzantinische Mystik 1


ausgezeichnet

Auswahlband spiritueller Texte aus der Tradition des östlichen Christentums (Band 1)

Klaus Dahme, Übersetzer und Herausgeber, legt in zwei Bänden eine umfassende Auswahl spiritueller Texte aus der Tradition des östlichen Christentums vor. Schwerpunkt von Band 1 ist das Erbe der Mönchsväter, Band 2 behandelt die Lehre von der geistlichen Stille. Die Grundlage beider Auswahlbände, die „Philokalie“, bietet eine vielseitige Sammlung geistlicher Schriften, die sowohl den aszetischen als auch den mystischen Aspekt christlicher Gottsuche und Lebensheiligung berücksichtigen. Die geistliche Individualität und persönliche Note der Schriftsteller unterstreichen die Vielfalt der Lebenszeugnisse des „verborgenen Lebens mit Christus in Gott“, die zur wiederholten Lektüre und Reflexion einladen.
Die vielseitige Auswahl bietet erstmals eine deutsche Übersetzung nach den griechischen Vorlagen. Diese Auswahl byzantinischer Mystik ist breiter angelegt als jene früheren Werke, die allzu ausschließlich die Entwicklung der Tradition des Herzensgebets darstellten. Nach jener frühen Faszination durch meditative Techniken wurde eine geistliche Zusammenschau notwendig, die insgesamt eine mystische Theologie im Christentum byzantinischer Prägung sichtbar machen will.
Beide Bände sind sorgfältig ediert: Vorwort, Einleitung, Nachwort und mehrere Quellenverzeichnisse unterstreichen die Herausgeberleistung und den wissenschaftlichen Anspruch.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.01.2023
Tennhardt, Johannes

Vom inneren Wort


sehr gut

Von Gott angeredet: Zeugnisse des lebendigen Christseins im Angesicht Gottes

Unter dem „inneren Wort“ ist jener mystische Vorgang im Menschen zu verstehen, der in einer Einsprache Gottes im Menschen geschieht. Der Dialog, den der lebendige Gott mit dem Menschen führt, gibt diesem die Würde, gnadenhaft Anteil am Logos Gottes zu empfangen: jenem ewigen Wort, das in Jesus Christus von Nazareth Mensch geworden ist. „Meine Schafe hören Meine Stimme, und Ich kenne sie und sie folgen Mir“ (Johannes 10,27). Oder an anderer Stelle: „Es steht geschrieben in den Propheten: Sie werden alle von Gott gelehrt sein“ (Johannes 6,45; vgl. auch Jesaja 54,13 und Jeremia 31,34). Der Mensch erfährt sich so als geliebtes Geschöpf Gottes, als beschenktes Gegenüber im „Du“ Gottes.
Von diesem personalen Anredeerlebnis zeugen nicht nur die alttestamentlichen Propheten oder die Schriften des Neuen Testaments, die eine Frucht sind des pfingstlichen Ereignisses der Ausgießung des Heiligen Geistes über die Jünger Jesu Christi, da sie anfingen, „in anderen Sprachen zu reden, wie ihnen der Geist eingab auszusprechen“ (Apostelgeschichte 2, Vers 4). Diese lebendige Erfahrung der unmittelbaren Gottesanrede ist vielmehr eine christliche Grunderfahrung aller großen Mystiker und der ungezählten Schar jener „Stillen im Lande“ (Psalm 35, Vers 20), deren Namen zwar in keinem irdischen Buch genannt werden, die am Thron Gottes aber wohlbekannt sind.
Johann Tennhardt (1661-1720) ist einer jener Mystiker, die dieses lebendige Wirken und Reden des Heiligen Geistes erfahren haben. Schon früh erkannte er den Wert des inneren Gebets, das er wie alle christlichen Mystiker als ein Reden des Herzens mit Gott empfand und das er gewissenhaft pflegte. Die geheimnisvolle Berührung, die im Gebet zwischen Gott und Mensch stattfindet, durfte er schließlich gnadenhaft an sich erfahren: Ab seinem 43. Lebensjahr sprach der Herr fast täglich durch die innere Stimme zu ihm. Aus dieser lebendigen Gotteserfahrung heraus schrieb Tennhardt seine „Kurze Unterweisung vom inneren Wort Gottes“. Er wählte dazu, wie dies früher öfter geschah, die lehrhafte Form des Gesprächs zwischen Jünger und Meister. Ein Beispiel: „Was ist denn eigentlich das innere Wort?“ „Es ist nichts anderes, als eine unmittelbare freundliche Rede Gottes in Jesus Christus durch den Heiligen Geist mit Seinen Kindern und allen wahrhaft Gläubigen im inwendigsten Grunde ihrer Seele, zu ihrer täglichen Unterweisung und zu ihrem ewigen Heil. Davon haben (Johannes) Tauler und viele andere sehr viel erfahren und geschrieben.“
Die anschließenden Auszüge aus dem Neuoffenbarungswerk von Jakob Lorber hingegen sprechen mich nicht an, weshalb ich sie in dieser Rezension übergehe. Im Abgleich mit der bibelgemäßen Gottesoffenbarung in der Heiligen Schrift ergeben sich für mich zu viele Abweichungen und Fragwürdigkeiten; außerdem fehlt mir die Einordnung, dass es in der Geisteswelt nicht nur die Stimme Gottes gibt, sondern auch irreführende, dämonische Stimmphänomene, und dass solche eingesprochenen Worte Gottes einem geistlichen Reifungsprozess unterliegen und sich am Gesamtmaßstab der Heiligen Schrift prüfen lassen müssen.
Wertvoll wiederum sind ab Seite 95 die zahlreichen Zeugnisse begnadeter Menschen über das innere Wort. Hier finden sich schöne Zitate von: Augustinus, Athanasius, Hieronymus, Bernhard von Clairvaux, Hildegard von Bingen, Mechthild von Magdeburg, Meister Eckehart, Jan van Ruysbroeck, Johannes Tauler, Thomas von Kempen, Martin Luther, Philipp Melanchthon, Dr. Smithens, Hans Denck, Sebastian Franck, Valentin Weigel, Johannes vom Kreuz, Theresia von Avila, Jakob Böhme, Johann Arndt, Johann Wilhelm Petersen, George Fox, Gottfried Arnold, Jeanne-Marie Guyon, Gerhard Tersteegen, Walt Whitman, Sadhu Sundar Singh, Sri Aurobindo, Georg Riehle und Otto Hillig. -- Insgesamt vergebe ich 4 Sterne, weil mir, wie gesagt, in diesem Werk wichtige geistliche Unterscheidungskriterien für das Hören der Stimme Gottes fehlen, die aufgrund der Thematik unverzichtbar sind.
Meine Favoriten bleiben jedoch die beiden Andachtsbücher „Gott spricht mit mir“, Band 1 und 2, herausgegeben von dem evangelischen Pfarrer Reiner-Friedemann Edel, außerdem die Schriften von Sadhu Sundar Singh, Paul Riedinger, Joseph Hahn, Johannes Gommel, Eduard Weitzel und Markus Hauser.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.01.2023
Wehr, Gerhard

Friedrich Christoph Oetinger. Theosoph, Alchymist, Kabbalist


ausgezeichnet

„Geistleiblichkeit ist das Ende der Werke Gottes.“ (Oetinger)

Friedrich Christoph Oetinger (1702-1782) gilt mit gutem Recht als der „Magus des Südens“ (dies in Anlehnung an den „Magus im Norden“, Johann Georg Hamann (1730-1788)). Ein schmales Bändchen wie dieses von Gerhard Wehr reicht kaum aus, um Oetinger gebührend darzustellen: als großer württembergischer Theologe des 18. Jahrhunderts, als geistvoller christlicher Theosoph aus dem Ideenerbe Jakob Böhmes, als gelehrter Kenner der kabbalistischen Mystik, schließlich als praktisch und theoretisch versierter Alchymist. Vieles spricht dafür, daß Oetinger und sein umfangreiches und gedankentiefes Werk heute wiederentdeckt werden.
Der vorliegende Band will in zusammenfassender Form den heutigen Leser mit Oetingers Leben und Werk vertraut machen. Aus der Fülle des Stoffes hat Gerhard Wehr das Wesentliche ausgewählt und gleichzeitig die wichtigsten Entwicklungslinien klar hervortreten lassen. Es zeigt sich, dass Oetinger – als Repräsentant einer universell ausgerichteten christlichen Theosophie – nicht nur das Werk Jakob Böhmes erschließen half, nicht nur das Gedankengut Emanuel Swedenborgs in Deutschland entscheidend förderte, sondern auch auf Geistesgrößen wie Hegel, Schelling, Baader, Goethe und Hölderlin nachhaltigen Einfluss ausübte. Kaum abzuschätzen ist seine Wirkung in wichtigen Seitenströmungen des kirchlichen wie außerkirchlichen Christentums, die er bis heute befruchtet.
In einer Zeit, in der das Leben und alle Geschöpflichkeit, ja die Erde als Gesamtorganismus ernstlich bedroht sind, hat Oetingers ‚Theologia ex idea vitae deducta‘ – seine aus der Idee des Lebens gewonnene Theologie und Gottesweisheit – in überraschender Weise an Aktualität gewonnen. Jedem materiefeindlichen Spiritualismus, aber auch jedem geistlosen Materialismus hält der schwäbische Geisteslehrer seine Devise entgegen: „Leiblichkeit ist das Ende der Werke Gottes.“

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.01.2023
Schwinge, Gerhard

Jung-Stilling als Erbauungsschriftsteller der Erweckung


ausgezeichnet

Jung-Stillings Briefe: Beeindruckende Einblicke in ein unvergleichliches Lebenswerk

Der berühmte Augenarzt, Wirtschaftswissenschaftler und christliche Erbauungsschriftsteller Johann Heinrich Jung-Stilling (1740-1817) hat während seines Lebens – so der heutige Forschungsstand – etwa 20.000 bis 25.000 Briefe geschrieben. Von den rund 1.200 Briefen, die für den Herausgeber Gerhard Schwinge erreichbar waren, sind in diesem Band 372 Briefe wiedergegeben. Auswahl und Wiedergabe erfolgten nach klar nachvollziehbaren Kriterien.
Jung-Stillings Briefe zeigen den Autor – noch mehr als dies in seinen sonstigen Publikationen wahrgenommen werden kann – als überaus wachen Beobachter seiner Zeit, als unermüdlichen Briefseelsorger für viele Menschen, als geheiligen Christuszeugen und als ernsten Mahner der damaligen Christenheit.
Zieht man in Betracht, dass diese 640-seitige Auswahl höchstens ein Sechzigstel seiner Korrespondenz abbildet, nötigt die thematische Weite und Breite seines Horizonts allen Menschen des 21. Jahrhunderts Respekt ab. Quellenverzeichnisse und Register dokumentieren den wissenschaftlichen Charakter dieses Werkes und erschließen weiterführende Studien.

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.01.2023
Krieg, Gustav A.

Der mystische Kreis


ausgezeichnet

Gelungene Darstellung der weitverzweigten Gedankenwelt Pierre Poirets

In dieser Dissertation setzt sich Gustav A. Krieg das ambitionierte Ziel, das Denken des französisch-niederländischen Theologen Pierre Poiret (1646-1719) umfassend und kohärent darzustellen. Wie also wurde Poiret zu dem originellen Denker, Übersetzer und Editor, dessen vielfältige Einflüsse auf die Nachwelt kaum erschöpfend dargestellt werden können?
Herausfordernd ist dabei nicht nur, dass Poiret mit seinen Editionen nicht auf Nachruhm abzielte, sondern oft gezielt als Vermittler hinter den Namen anderer Autoren zurücktrat. Auch die geradezu universale Weite seines spirituellen und philosophischen Denkens macht Gustav Kriegs Aufgabe nicht einfacher: Poirets Denken reichte von den Spekulationen der Antoinette Bourignon bis in die Höhe cartesianischer Reflexion; die reformierte Theologie war ihm ebenso geläufig wie die christliche Mystik; die christlichen Kirchenväter waren ihm ebenso bekannt wie die Scholastik.
Krieg gebührt hier m.E. das Verdienst, die zahlreichen Einflüsse und Quellen, die auf Poirets Denken einwirkten und sich in ihm und seinen Editionen verdichteten, quellenmäßig erschlossen und nachgezeichnet zu haben. Insbesondere das Literaturverzeichnis ist eine Fundgrube für Interessierte, denn es unterscheidet 1. Poirets philosophisch orientierte Werke, 2. seine mystisch-theologisch orientierten Werke und 3. seine pädagogischen Werke. Darüber hinaus listet Krieg sämtliche Editionen anderer Autoren auf, die von Poiret entweder durchgeführt, initiiert oder als Projekte begleitet hatte. Neben den Editionen der Werke von Antoinette Bourignon, Jeanne-Marie Guyon und Francois de Fénelon finden sich darunter Einzelschriften und Übersetzungen zahlreicher christlicher Mystiker, beispielsweise Thomas von Kempen und Angela von Foligno. Der Einfluss auf spätere Schriftsteller wie z.B. Gerhard Tersteegen ist damit unverkennbar.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.01.2023
Wirz, Johann Jakob

Lehren der himmlischen Weisheit


ausgezeichnet

Johann Jakob Wirz: Lehren der himmlischen Weisheit (Sophia)

Eine der eigenartigsten Gestalten der Basler Geistesgeschichte war der Seidenweber Johann Jakob Wirz (1778-1858). Durch seine Briefe und seine „Zeugnisse und Eröffnungen des Geistes“ reichte sein Einfluss einst bis nach Bessarabien, die von ihm gegründeten christlichen „Nazarenergemeinden“ umfassten einst mehrere Tausend Mitglieder. Der schweizer Kirchenhistoriker Ernst Staehelin, Herausgeber der 7-bändigen Textsammlung „Die Verkündigung des Reiches Gottes in der Kirche Jesu Christi“, würdigte Wirz im Jahre 1966 im Basler Stadtbuch.
Große Bedeutung in seinem inneren Erweckungs- und Entwicklungsgang hatte Gerhard Tersteegens Büchlein „Geistliches Blumengärtlein inniger Seelen“, außerdem das Schrifttum von Johannes Tauler, Johann Georg Gichtel, Johann Michael Hahn, Friedrich Christoph Oetinger und Johann Heinrich Jung-Stilling. Noch größeren Einfluss auf seinen Werdegang aber hatten seine visionären Christuserlebnisse und inneren geistlichen Einsprachen und Prophetien, die in seinen Briefen und in seiner Autobiographie breiten Raum einnehmen. Prägend für ihn war die himmlische Realitätserfahrung der „Wolke der Zeugen“, der „oberen Mutterkirche“ und der „himmlischen Weisheit“. Trotz seines schlechten Gesundheitszustandes reiste er, oft zu Fuß, bis ins hohe Alter weite und beschwerliche Strecken, um Glaubensgeschwister zu besuchen und auf dem Weg der Nachfolge Jesu Christi zu begleiten.
Der heutige Leser möge mehrere Dinge bedenken: Alle Geistesgaben unterliegen einem geistlichen Reifeprozess vom „Kindlein“ zum „Mannesalter in Christus“. Außerdem schwingen bei geistlich begabten Kindern Gottes leider immer auch Einseitigkeiten, Vorurteile und falsche Theologien mit, Wirz bildet da keine Ausnahme. Geistliche Kundgaben sind seelsorgerliche „Jetztworte“ Gottes, d.h. eine Art von Impulsen zur Ermutigung, Korrektur und Leitung für den einzelnen Menschen oder eine Glaubensgemeinschaft. Der heutige Leser muss zudem bedenken, dass er immer „Sekundärleser“ ist und die ursprünglichen Worte – vor vielen Jahrzehnten und in anderen Lebensumständen – von einem anderen Christen als „Segen von Gott“ empfangen wurden. Daher sagen sie nicht jedem Menschen und zu jeder Zeit etwas, denn sie wurden in einer bestimmten Lage oder Anfechtung empfangen, die kein heutiger Zweitleser je exakt so miterleben kann. Geistliches muss geistlich beurteilt werden und sich am einzelnen Gewissen bezeugen, und ganz selten findet man in der Kirchengeschichte einigermaßen von Menschengeist und von seelisch-irdischen Einfällen gereinigte Texte. Das gilt auch für das visionär-prophetische Schrifttum von Johann Jakob Wirz, das sich am Gesamtmaßstab der Gottesoffenbarung der Heiligen Schrift messen und prüfen lassen muss.
Die vorliegende Anthologie versammelt unter vier Kapitelüberschriften (1. Ordnung des Geistes, 2. Behebung von Irrtümern, 3. Stufen des Weges und 4. Zeit der Ernte) ausgewählte Texte aus dem Schrifttum von Wirz. Eine 20-seitige Einführung von Konrad Dietzfelbinger führt in die Textauswahl ein.

4 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.