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Raumzeitreisender
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Buchwurm, der sich durch den multidimensionalen Wissenschafts- und Literaturkosmos frisst

Bewertungen

Insgesamt 759 Bewertungen
Bewertung vom 14.07.2019
Yalom, Irvin D.

Und Nietzsche weinte


ausgezeichnet

In diesem Roman beschreibt Irvin D. Yalom die fiktive Begegnung zweier realer Personen der Zeitgeschichte und zwar des Wiener Arztes Josef Breuer und des Philosophen Friedrich Nietzsche im Jahre 1882. Die Begegnung wird durch die junge Russin Lou Salomé eingeleitet, die sich Sorgen um den Gesundheitszustand ihres guten Bekannten Nietzsche macht. Nietzsche sei körperlich und seelisch krank und verzweifelt.

Nietzsche erweist sich als skeptischer Patient, dem es an Vertrauen mangelt und bricht die Behandlung daher nach kurzer Zeit ab. Erst nach einem Anfall und durch einen Trick kann Breuer ihn davon überzeugen, in Wien zu bleiben und zwar nicht als sein Patient, sondern als Therapeut von Breuer, der selbst Probleme mit seiner Patientin Bertha Pappenheim hat, der er verfallen ist.

Nietzsche geht auf das Angebot ein. Breuer hofft durch die folgende Gesprächstherapie Zugang zu Nietzsche zu bekommen und ihm so doch noch helfen zu können. Es folgen zahlreiche Gespräche zwischen Breuer und Nietzsche über Philosophie und Psychotherapie auf hohem Niveau. Diese Gespräche machen den Kern des Buches aus. Die Psychotherapie wird in diesem Buch quasi vorweggenommen.

Breuers junger Diskussionspartner und Freund Sigmund Freud trägt maßgeblich zu einer Wende in Breuers Gesundheitszustand bei. Die intensiven Gespräche und die Zuwendung erweisen sich auch für Nietzsche als äußerst nützlich. Autor Yalom ist selbst Professor für Psychiatrie und damit in der Lage, einen realistischen Gesprächsverlauf zu skizzieren. Zu guter Letzt geben die Protagonisten Einblick in ihre Psyche.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.03.2019
McCann, Colum

Der Tänzer


sehr gut

Rudolf Chametowitsch Nurejew (1938 - 1993) gilt als einer der größten Ballett-Tänzer des 20. Jahrhunderts. Aufgewachsen in der Nähe von Irkutsk, UDSSR, emigrierte er 1961 in den Westen nach Paris, wo seine internationale Karriere begann. Colum McCann zeichnet in seinem ausdrucksstarken Roman „Der Tänzer“ den Lebensweg dieses charismatischen, aber auch exzentrischen Ausnahmetalents nach.

Autor McCann lässt Zeitgenossen von Nurejew erzählen. So entstehen unterschiedliche Perspektiven, die wie Mosaiksteine zu einem Gesamtbild zusammengesetzt werden können. Deutlich werden Nurejews früh ausgeprägte Leidenschaft fürs Tanzen und sein unsteter Lebenswandel. Er versteht es, die Freiheit des Westens für seine Zwecke zu nutzen. Sein Lebenswandel ist exzessiv.

McCann ist ein begnadeter Erzähler, der die Lebensumstände schonungslos und eindringlich darstellt und intensiv in die Gefühlswelt der Protagonisten einsteigt. Nurejew führt ein außergewöhnliches Künstlerleben ohne Tabus. Unklar ist manchmal die Perspektive, aus der berichtet wird. Insofern ist ein konzentriertes Lesen erforderlich. Besonders beeindruckt hat mich die Darstellung seiner Kindheit in der Sowjetunion.

Bewertung vom 09.02.2019
Mankell, Henning

Die Brandmauer / Kurt Wallander Bd.9


gut

In Schonen gibt es in kurzer Zeit mehrere brutale Morde. Handelt es sich um Einzelfälle, die nichts miteinander zu tun haben oder steckt organisierte Kriminalität dahinter? Wallander und seine Kollegen sind ratlos. Nach und nach lüften sich einige Geheimnisse und es werden Querverbindungen aufgedeckt. Es geht um die Finanzwelt und um Computerkriminalität. Das ist Stoff für einen Thriller.

Leider hält der Krimi nicht das, was er verspricht. Die Story ist zwar spannend, bewegt sich thematisch aber an der Oberfläche. Es reicht nicht aus, Begriffe wie „Weltbank“ und „Hacker“ in den Raum zu werfen, sondern das Thema erfordert tiefgehende Recherchen über die globale Finanzwelt einerseits sowie über Computertechnik und Vernetzung von Systemen andererseits.

Wallander hat zwar einen glänzenden kriminalistischen Instinkt, aber keine Ahnung von Computern. Das wäre nicht weiter schlimm, wenn Autor Mankell in seinem Krimi Protagonisten kreiert hätte, die diese Zusammenhänge eingehend erläutern. So muss man Mankell vorwerfen, sich nicht genügend mit der Materie beschäftigt zu haben. Im Fokus stehen eher die Marotten von Kommissar Wallander.

Mit diesem Roman, so mein Eindruck, wird das Ende von Wallander eingeläutet. Er wird leichtsinnig, unzufrieden und aggressiv. Sein Nachfolger scharrt mit den Hufen. Wallanders Privatleben, seine Beziehungen zu seinen Kollegen und Erinnerungen an frühere Fälle nehmen sehr viel Raum ein. Auf der anderen Seite werden nicht alle seltsamen Ereignisse zufriedenstellend aufgeklärt.

Bewertung vom 26.01.2019
Barbery, Muriel

Die Eleganz des Igels


ausgezeichnet

In einem Mehrfamilienhaus in der Rue de Grenelle, einer vornehmen Wohngegend in Paris, wohnen auf 6 Etagen verteilt 8 Familien der sozialen Oberschicht. Die 54-jährige Reneé Michel ist dort seit 27 Jahren als Concierge, eine Art Hausmeisterin, beschäftigt. Sie lebt allein. ihr Mann Lucien ist vor Jahren gestorben.

Reneé verbirgt aufgrund persönlicher bzw. familiärer Erfahrungen, die im Laufe der Geschichte erläutert werden, ihre wahre Persönlichkeit. Eine Concierge gehört einer unteren gesellschaftlichen Schicht an und entsprechend verhält sie sich gegenüber den wohlhabenden Bewohnern des Hauses. In Wirklichkeit ist sie belesen und sehr gebildet.

In der 5. Etage wohnt die Familie Josse. Vater Paul ist Abgeordneter, Mutter Solange ist Sprachwissenschaftlerin, Tochter Colombe ist Studentin und dann gibt es noch die 12-jährige Tochter Paloma, die sich dümmer gibt als sie ist. Paloma ist hypersensibel (289), hochintelligent, lernt Japanisch und will mit 13 Jahren Selbstmord begehen.

"Wenn schon nichts einen Sinn hat, soll der Geist sich wenigstens damit auseinandersetzen, oder?" (20) Paloma macht sich tiefgründige Gedanken über die Welt und schreibt diese in einem Heft nieder. Das Buch besteht aus kurzen Kapiteln, in denen abwechselnd die Perspektiven von Reneé und Paloma dargestellt werden.

In einem Mehrfamilienhaus kommt es zu zahlreichen Begegnungen. Autorin Muriel Barbery schreibt über das Tagesgeschehen, über Konflikte, über einzelne Bewohner sowie über Gedanken und Reflexionen. Es dominiert nicht die Handlungsebene, sondern es sind die Gedanken und Reflexionen, die den Wert des Buches ausmachen.

Kapitel für Kapitel versinken die Leser in sprachgewaltige intellektuelle Betrachtungen. Es handelt sich um eine lebenskluge Geschichte, die auch beim zweiten Lesen noch Freude bereiten kann. Es kommt wie es kommen muss, Paloma und Reneé blicken tiefer als andere und erkennen ihre Seelenverwandtschaft.

Diesen Befreiungsschlag haben sie nicht selbst verursacht, sondern er geht wesentlich auf die unvoreingenommene Art des neuen Hausbewohners Ozu Kakuro, einem Japaner, zurück. Ozu erkennt die Menschen hinter ihren Masken und fühlt sich von gebildeten Menschen angezogen. Paloma und Reneé verändern sich, sie leben auf.

Kritisch würde ich anmerken, dass Paloma nicht nur intelligent, sondern auch weise und lebenserfahren wirkt. Dass eine 12-jährige wirklich über Psychoanalyse, Marcel Proust und Spiegelneuronen reflektieren kann, erscheint mir wirklichkeitsfremd. Dennoch handelt es sich um ein Buch, in dem es viel zu entdecken gibt.

Bewertung vom 28.12.2018
Kazim, Hasnain

Post von Karlheinz


sehr gut

Der Journalist Hasnain Kazim wurde durch seine Tätigkeit als Korrespondent der Türkei, die er aufgrund seiner kritischen Berichterstattung verlassen musste, bekannt. Zu seinen hauptsächlichen Themen gehören Islamismus, Nationalismus und Patriotismus. Dabei macht er die Erfahrung, dass die islamische Welt ihn für einen Kritiker hält und westliche Neonazis in ihm einen extremen Muslime sehen.

Kazim erlebt, was viele (auch unpolitische) Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, erleben, er wird mit Hasskommentaren konfrontiert. Wie geht er mit der daraus resultierenden Belastung um? Da Ignorieren nicht sein Ding ist, führt er Dialoge mit den Absendern mit mehr oder weniger Erfolg und hat nunmehr einen Teil seiner Mail-Korrespondenz für das vorliegende Buch aufgearbeitet.

Manch ein Schreiber ist überrascht, dass er eine Antwort erhält und einige merken dann, dass sie mit ihrem Kommentar über das Ziel hinausgeschossen sind. Einige erweisen sich als unbelehrbar und da hilft nur der Abbruch des Dialogs. Die Erfahrungen, die der Autor mit seiner Mail-Korrespondenz macht, sind vergleichbar den Erfahrungen, die viele Menschen in den sozialen Medien machen. Der Umgangston ist vielfach unterirdisch.

Der Autor, rhetorisch geschult, antwortet nicht immer sachlich, sondern in einigen Fällen überheblich, provokant oder ironisch. Das dient dann mehr der eigenen Befriedigung, als der Aufklärung der Gegenseite. Jedoch ist bei manchen Schreibern auch Hopfen und Malz verloren. Alles in allem handelt es sich um ein wichtiges Aufklärungsbuch, welches Teilen der Gesellschaft einen Spiegel vorhält.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.12.2018
Schmidt-Salomon, Michael;Salomon, Lea

Leibniz war kein Butterkeks


sehr gut

Das Buch besteht aus einem verständlichen Dialog zwischen dem als Religionskritiker bekannten freischaffenden Philosophen Michael Schmidt-Salomon und seiner Tochter Lea über philosophische Fragen der Gegenwart. Es handelt sich um ein von gegenseitigem Respekt getragenen Gespräch zwischen Vater und Tochter. Es ist aber auch ein Gespräch zwischen Fachmann und Laie.

Schmidt-Salomon präsentiert in seinen Beiträgen seine eigene humanistisch-naturalistische Weltanschauung. Tochter Lea stellt Fragen zu verschiedenen weltanschaulichen und gesellschaftlichen Themen, kann aber aufgrund ihrer Vorbildung inhaltlich nicht viel entgegensetzen bzw. liegen Vater und Tochter in grundsätzlichen Fragen nicht weit auseinander.

Auffallend ist, dass Schmidt-Salomon schwierigen Fragen nicht aus dem Weg geht. Dazu gehören Gottesglaube und Religionskritik, Evolution, freier Wille, Schuld und Sühne, Moral und Ethik, Suizid, Abtreibung, Rechte der Tiere sowie Toleranz und Akzeptanz. Seine kenntnisreichen Ausführungen wirken wie ein frischer Wind, der durch das verstaubte Gebäude der Philosophie weht.

Da Schmidt-Salomon mit seiner Meinung nicht immer richtig liegen muss, wäre eine Fortsetzung der Diskussion mit einem Fachphilosophen oder einem Vertreter aus einem anderen Fachbereich hilfreich, der konträre Positionen zu Schmidt-Salomon vertritt. Die Dialogform eignet sich hervorragend, um unterschiedliche Standpunkte und auch Gemeinsamkeiten deutlich zu machen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 16.12.2018
Dahl, Roald

Ich sehe was, was du nicht siehst


sehr gut

Wer Roald Dahls unglaubliche Geschichten mag und mehr über ihn selbst erfahren möchte, kommt an diesem Buch nicht vorbei. Abgedruckt sind seine erste Geschichte "Ein Kinderspiel" und seine Autobiographie "Wie ich Schriftsteller wurde". Die Leser werden mit der Erkenntnis konfrontiert, dass bei Dahl selbst die realen Geschichten fantastisch klingen. Das gilt auch für "Der Schatz von Mildenhall". Alle anderen Geschichten in diesem Buch sind frei erfunden.

Bewertung vom 09.12.2018
Shaw, Julia

Das trügerische Gedächtnis


sehr gut

Gleich im ersten Kapitel räumt Rechtspsychologin Julia Shaw mit verbreiteten Vorstellungen über Gedächtnisleistungen auf, die aus neurobiologischer Sicht unmöglich sind. Dazu zählen frühkindliche Erinnerungen sowie Erinnerungen an die eigene Geburt oder an die Zeit davor. Die strukturelle Entwicklung des Babygehirns, der Mangel an Organisation und die fehlende Sprache verhindern, dass bewusste Erinnerungen entstehen können. (34)

Die Autorin erläutert bildhaft die Physiologie des Gehirns, dessen Formbarkeit und Anpassungsfähigkeit für eine Welt der Unsicherheit und Entscheidungsfähigkeit geschaffen wurde. Dafür werden Erinnerungsfehler als Nebenprodukt in Kauf genommen. Der Fokus liegt auf diesen Schwächen des Gehirns, die einem selbst nicht bewusst sind, sondern erst durch empirische Untersuchungen zutage treten. Betroffen von diesem Phänomen sind auch sog. Gedächtnisgenies. (105)

Erinnerungen bilden wir nicht im Schlaf, sondern nur wenn wir aufmerksam sind. Schlaf dient im Gegenteil dazu, einer Reizüberflutung entgegen zu wirken, die zu einer Schädigung der Nervenzellen führen kann. (140) Da für die Erzeugung von Erinnerungen Aufmerksamkeit erforderlich ist, hält die Autorin auch intelligenzfördernde Babyvideos, Hypnose oder sublime Botschaften im Hinblick auf Beeinflussungen für Fiktionen. (156) Dabei beruft sie sich auf zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen.

Die Autorin muss als Kriminalpsychologin Expertengutachten erstellen. Sie bedauert, dass Polizei und Justiz zu wenig über Erinnerungsprobleme und Wahrnehmungsverzerrungen wissen. Aufgrund mangelhafter Selbsteinschätzung gab es und gibt es zahlreiche Justizirrtümer. Zum Thema hat sich bereits Thomas Fischer in "Im Recht" ausführlich geäußert, der Zeugenaussagen kritisch sieht und eine Lanze bricht für Indizienprozesse. Aus psychologischer Sicht sind seine Bedenken gerechtfertigt.

Menschen können suggestiv falsche Erinnerungen eingepflanzt werden. Hierzu gibt es zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen. Erinnerungen an emotionsgeladene Ereignisse können fehlerhaft sein, mit manchmal schrecklichen Folgen für Betroffene. "Das trügerische Gedächtnis" richtet sich gegen die Selbstüberschätzung des Menschen. Julia Shaw beweist mit ihrer kritischen Haltung Bodenhaftung. Die Begründungen könnten mehr in die Tiefe gehen, dennoch handelt es sich um ein wichtiges Aufklärungsbuch.

Bewertung vom 28.11.2018
Hornfeck, Susanne

Torte mit Stäbchen


sehr gut

Der Roman behandelt die Jugendzeit der gebürtigen Brandenburgerin Inge Finkelstein in Schanghai. Inges Vater, Inhaber einer Konditorei, befindet sich im nationalsozialistischen Deutschland aufgrund seiner jüdischen Wurzeln in Lebensgefahr. Nach der Reichsprogromnacht 1938 erwerben sie Fahrkarten für eine Schiffspassage nach Schanghai, dem einzigen Hafen, der zu dieser Zeit noch bereit ist, jüdische Flüchtlinge ohne Visum aufzunehmen.

Auch China befindet sich im Kriegszustand. Schanghai ist von den Japanern besetzt, die mit den Deutschen verbündet sind. Familie Finkelstein wird ein Platz im Ghetto zugewiesen, den sie nach kurzer Zeit verlassen, da sie bei Familie Fiedler, in dessen Backstube Inges Vater arbeiten kann, wohnen dürfen. Inge, gerade mal neun Jahre alt, verbringt die nächsten neun Jahre in Schanghai. Als aufgewecktes Mädchen macht sie sich, weitaus besser als ihre Eltern, mit der chinesischen Sprache und Kultur vertraut.

Der Roman ist einfühlsam und verständlich geschrieben. Hinsichtlich der Beziehungen der Protagonisten untereinander wäre noch mehr Tiefe möglich gewesen. Die Autorin verzichtet weitgehend auf Gewaltszenen, dennoch ist der Alltag vom Kriegsgeschehen gezeichnet. Sie leben in einer von den Japanern besetzten Stadt und erleben auch die Befreiung durch die Amerikaner. Beeindruckt haben mich die Beschreibungen der einfachen Dinge des Alltags in einer chinesischen Metropole.

Autorin Susanne Hornfeck kennt sich bestens mit der chinesischen Kultur aus und kann diese auch anschaulich vermitteln. Die Leser erfahren einiges über den Aufbau der chinesischen Schrift und die Besonderheiten der chinesischen Sprache, über das Marktgeschehen und über Essgewohnheiten. So wie Inge von ihrem Freund Sanmao nach und nach in chinesische Geflogenheiten eingeweiht wird, lernen die Leser gleich mit. Hinsichtlich Aufbau und Inhalt handelt es sich um ein Jugendbuch.