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YukBook
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Insgesamt 325 Bewertungen
Bewertung vom 12.10.2019
Sendker, Jan-Philipp

Das Gedächtnis des Herzens / Die Burma-Serie Bd.3


sehr gut

Wer die letzten Bücher von Jan-Philipp Sendker gelesen hat, weiß, dass Burma und die Magie des Geschichtenerzählens bei ihm eine zentrale Rolle spielen. So ist auch dieser Roman eine Erzählung in einer Erzählung, die in Burma spielt. Der zwölfjährige Ko Bo Bo, der bei seinem Onkel U Ba in dem Dorf Kalaw lebt, lässt sich von ihm eine Geschichte erzählen, die nicht nur von der Macht der Liebe handelt, sondern auch ein Familiengeheimnis lüftet.

Nicht nur der Junge, auch als Leser brennt man darauf, mehr über seine Mutter Julia zu erfahren – eine Halbburmesin, die dem stressigen Leben als Anwältin in New York entfloh und, ihren familiären Wurzeln folgend, ein Kloster in Hsipaw aufsuchte. Dort lernt sie den Mönch Thar Thar kennen und lieben. Beide kommen in die Lage, sich auf eine völlig andere Welt einzulassen: zunächst Julia im Kloster, wo Thar Thar zahlreiche hilfsbedürftige Kinder in seine Obhut genommen hat; später Thar Thar, der ihr nach New York folgt und einen Kulturschock erlebt.

Ihre gegenseitige Liebe scheint stark genug zu sein, um die massiven Unterschiede in ihren Sichtweisen und Gewohnheiten zu überwinden. Was ihrer Liebe vielmehr im Weg steht, sind ihre Ängste. Während Thar Thar in ständiger Angst lebt, er könne Julia verlieren, fürchtet sie sich vor der Unwägbarkeiten im burmesischen Alltag.

Die Geschichte wird abwechselnd aus der Perspektive des Jungen und des Onkels erzählt und bringt damit einen interessanten Kontrast hinein zwischen der kindlichen Neugier und dem Unverständnis gegenüber dem Verhalten der Erwachsenen einerseits und den Weisheiten des Onkels andererseits. Jan-Philipp Sendker beschäftigt sich vor allem mit der Frage, inwieweit die Liebe zwischen zwei Menschen Grenzen überwinden kann und gibt gleichzeitig einen interessanten Einblick in die burmesische Kultur und politischen Konflikte.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.10.2019
Chopin, Kate

Das Erwachen


ausgezeichnet

"Was für ein Typ Frau bin ich?" Diese Frage stellte man sich im 19. Jahrhundert nicht. Edna Pontellier, Heldin dieses Romans tut es dennoch. Auf Grand Isle, einem Badeort in Louisiana, wo sie mit ihrem Mann, ihren zwei Kindern und wohlhabenden Familien aus New Orleans die Ferien verbringt, spürt sie mehr denn je, dass sie anders ist als die übrigen Frauen, die sich nur über die Rolle der Mutter, Ehefrau und Gastgeberin definieren. Verstärkt werden ihre Selbstzweifel durch den Sohn der Pensionswirtin Robert Lebrun, der in ihr zum ersten Mal das Gefühl des Begehrens weckt.

Edna erkennt immer deutlicher ihre Beziehung als Individuum zur Welt und wird empfänglicher für Impulse außerhalb ihres Heims. Sie legt ihre stillschweigende Unterwürfigkeit gegenüber ihrem Mann ab, sagt offen, was sie denkt, verstößt gegen gesellschaftliche Regeln und gibt sich immer mehr dem Rausch des Lebens hin. Die Art und Weise, wie ihre Selbstfindung geschildert wird, ist ein literarisches und dramaturgisches Kunstwerk. Kate Chopin verwendet viele doppeldeutigen Symbole, die Ednas Innenleben nach außen spiegeln. Auf Grand Isle lernt sie schwimmen, ein Bild für ihr Freiheitsgefühl und ihre Unabhängigkeit; später wird sie gewarnt, dass sie starke Flügel braucht, um dem goldenen Käfig zu entfliehen.

Interessant fand ich den Kontrast zwischen ihrer eigenen Wahrnehmung und die der anderen: Sie spürt, wie sie immer mehr sie selbst wird, während ihr Mann klagt, dass sie nicht mehr sie selbst ist. Edna scheint das zu tun, was manch andere Frau sich insgeheim wünscht, aber nicht einmal traut, es auszusprechen, geschweige denn, es in die Tat umzusetzen. Ganz typisch reagiert der Arzt der Familie, der Ednas anstößiges Verhalten als vorübergehende Laune abtut.

So vieles an dieser Geschichte hat mich im Innersten berührt: die Figur der mutigen Edna und ihre Versuche, sich von gesellschaftlichen Verpflichtungen zu befreien und sich ein eigenes Leben als Malerin aufzubauen, Kate Chopins zauberhafte Sprache und die authentische Schilderung der Gepflogenheiten in der feinen kreolischen Gesellschaft. Ich wünsche diesem Klassiker, der in überarbeiteter Übersetzung und edler Neuausgabe erschienen ist, viele Leserinnen und Leser.

Bewertung vom 04.10.2019
Fröhlich, Alexandra

Dreck am Stecken


sehr gut

"Die Vergangenheit soll man ruhen lassen." Diesen Spruch bekommen Johannes, Philipp, Jakob und Simon oft von ihrem Großvater zu hören. Klar, dass die vier Brüder und Helden dieses Romans nun erst recht wissen wollen, was ihr Opa zu verbergen hat. Als dieser stirbt und ihnen eine Kiste mit Dokumenten, Fotos und einem Tagebuch hinterlässt, bringt er die Geschichte erst richtig ins Rollen.

Die Autorin erzählt abwechselnd auf zwei Zeitebenen, die sich aufeinander zubewegen. Auf einer Ebene erfahren wir, wie die vier Jungs in Hamburg aufwachsen und allerlei Unfug anstellen, auf der anderen, wie sie gemeinsam ihrer Familiengeschichte auf den Grund gehen. Die Spur führt nach San Miguel de Tucumán in Mexiko, wo sich ihre Großmutter abgesetzt hat und mit ihren Enkelkindern nichts zu tun haben will.

Alexander Fröhlich erzählt die Geschichte aus der Sicht des ältesten Bruders Johannes und in einer herrlich schnodderigen Sprache. Wie die vier Brüder trotz ihrer völlig unterschiedlichen Charaktere und ständigen Auseinandersetzungen zusammenhalten und auf diesem Roadtrip enger zusammenwachsen, ist fast berührend. Der Roman ist ein Mix aus Familiengeschichte und Tragikomödie, hinter dem sich ernste Themen wie schwierige Kindheit, Demenz, ein dunkles Kapitel der Geschichte, Schuld und Verantwortung verbergen. Trotz einiger Klischees und Stereotypen eine insgesamt unterhaltsame Lektüre.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.09.2019
Christensen, Lars Saabye

Die Spuren der Stadt


sehr gut

Ich war noch nie in Oslo, doch nach der Lektüre dieses Romans kommt es mir so vor, als hätte ich einige Wochen dort verbracht – und das obwohl die Geschichte in der Nachkriegszeit spielt. Dabei lernte ich die Stadt auf eine besondere Weise kennen, und zwar aus der Sicht verschiedener Charaktere. Dazu zählt beispielsweise der siebenjährige Jesper Kristoffersen, der sich mit dem schwerhörigen Sohn eines Schlachters anfreundet und Klavierstunden nimmt. Seine Mutter engagiert sich beim Roten Kreuz, während sein Vater an einer Ausstellung zum 900-jährigen Stadtjubiläum arbeitet.

Wir lernen die Sehnsüchte und Sorgen weiterer Bewohner kennen wie die eines Pianisten, eines Arztes oder einer Witwe, deren Wege sich in dem Roman kreuzen. Dabei gelingt es Lars Saabye Christensen, fließend von der Perspektive einer Figur zur nächsten zu wechseln und uns durch ihre Schicksale zu navigieren, wobei der Fokus auf den hochsensiblen Jesper liegt. Er ist buchstäblich so nah an den Figuren, dass man das Gefühl hat, man begleite sie auf dem Weg zur Schule, zur Kirche oder in den Park. Dabei nutzt der Autor jede Gelegenheit, um Straßen, Plätze, Geschäfte oder Lokale genauestens wiederzugeben, selbst die wechselnden Stimmungen in der jeweiligen Jahreszeit. Nicht nur Bilder, sondern auch Geräusche und Töne spielen eine wichtige Rolle.

Nach leichten Anlaufschwierigkeiten tauchte ich immer mehr in diesen Kosmos ein, den Christensen mal melancholisch, mal poetisch, mal äußerst humorvoll beschreibt. Sehr amüsant fand ich die Szene, in der die Familie Kristoffersen ganz aus dem Häuschen ist, weil sie ihr langersehntes Telefon bekommen und angestrengt überlegen, wen sie als erstes anrufen könnten. Jedes Kapitel endet mit dem Protokoll einer Sitzung des Roten Kreuzes, was einen guten Einblick in die Nöte der Stadt gibt, mit der Zeit aber auch etwas ermüdend ist.

Man sollte sich Zeit nehmen für die knapp fünfhundert Seiten, auf denen sich zwar nicht viel ereignet, die uns jedoch dank Christensens besonderer Ausdruckskraft und scharfer Beobachtungsgabe eine interessante Milieustudie und eine lohnenswerte Lektüre beschert.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.09.2019
Reggiani, Marco

Japan. Der illustrierte Guide


sehr gut

Ein Japan-Guide aus der Feder eines italienischen Duos ist ungewöhnlich. Noch ungewöhnlicher ist die Art und Weise, wie uns Marco Reggiani, der in Tokio Architektur studierte und sich dort mit urbanen Räumen beschäftigt, das Land näher bringt. In diesem Band hat er hundert Schlüsselthemen, gegliedert in sieben Kapiteln, zusammengestellt und von Sabrina Ferrero illustrieren lassen.

Die Lektüre erlebt man wie eine abenteuerliche Reise, die in Tokio beginnt, quer durch Japan führt und uns nicht nur verschiedene Sehenswürdigkeiten, sondern auch japanische Gepflogenheiten, Kultur, Küche, Produkte und Feste vorstellt. Ich bin in Deutschland aufgewachsen, kenne aber das Land durch meine Eltern, Verwandten und regelmäßigen Reisen sehr gut. In den Illustrationen erkannte ich so viele Stadtviertel und Details wieder, hatte das Gefühl erneut durch die Straßen zu streifen und die Menschenmengen, Geräusche und Gerüche zu spüren. Nicht nur Menschen, Städte und typisch japanische Gerichte, auch Naturlandschaften wie die Bambushaine von Kyoto, der von Kirschbäumen gesäumte Philosophenweg oder der Biwa-See sind so lebendig gezeichnet, dass sie Lust machen, dorthin zu reisen.

Die Themensammlung und die Kommentare zeigen tiefe Kenntnisse, da Marco Reggiani auch auf Aspekte wie die Rolle von Berufskleidung, Schutzmaßnahmen vor Erdbeben oder das Verhalten in U-Bahnen eingeht. Er gibt damit nicht nur Einblick in die traditionellen Sitten und Alltagsbräuche, sondern auch ein sehr treffendes Bild, wie die Japaner ticken und was ihnen wichtig ist. Die Kombination von Kurztexten und doppelseitigen Illustrationen sowie die grafische Umsetzung sind so gelungen, dass es ein wahres Vergnügen ist, in dem Band zu schmökern. Dass die Texte sprachlich sehr einfach gehalten sind, hat mich kaum gestört. Leider haben sich mehrere grammatikalische Fehler eingeschlichen, daher ein Punktabzug.

Tokio wird nächstes Jahr als Austragungsort der Olympischen Spiele viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Wer sich im Vorfeld mit dem Land vertraut machen möchte, dem ich kann ich dieses Buch wärmstens empfehlen.

Bewertung vom 10.09.2019
Fontane, Theodor

Wundersame Frauen


sehr gut

Anlässlich seines 200. Geburtstages rückt der Schriftsteller Theodor Fontane dieses Jahr stärker ins Blickfeld. Während in seinen Romanen Frauen eine zentrale Rolle spielen, sind sie in seiner Chronik „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ eher Randfiguren. Die Fontane-Forscher Gabriele Radecke und Robert Rauh wollten der Sache auf den Grund gehen und haben in diesem Auswahlband elf Frauenporträts aus diesem Werk zusammengestellt und sie durch einführende Kommentare und Hintergrundinformationen ergänzt.

Sie stellen fest, dass wir manche Porträts in erster Linie Fontanes Interesse für die männlichen Zeitgenossen zu verdanken haben, zum Beispiel das der Gutsherrin Karoline La Roche-Aymon, deren karitatives Engagement und Katholizismus der Dichter besonders hervorhebt. Bei Helene Charlotte von Friedland, die als Vorreiterin einer modernen und nachhaltigen rationellen Land- und Betriebswirtschaft galt, vermissen sie eine angemessene Würdigung ihrer Erfolge und Verdienste. Die Einführungstexte der Herausgeber gaben mir nicht nur Einblick in die Entstehungsgeschichte, sondern regten auch dazu an, mich mit kritischem Blick Fontanes Texten anzunähern.

Ich fragte mich, warum der Chronist Königin Luise von Preußen nicht porträtierte, ihrem Denkmal jedoch ein Unterkapitel widmete, und las schmunzelnd, wie es Julie von Voss, die Mätresse Friedrich Wilhelms II., von einer Fußnote in den Haupttext schaffte. In diesem Band lernte ich nicht nur einen illustren Reigen von Schauspielerinnen, Mätressen und Kaffeehausbetreiberinnen, sondern auch ihre Wirkungsstätten und zentralem Schauplätze wie die Pfaueninsel, die Ruppiner Schweiz oder Köpernitz kennen, so dass ich Fontanes Reisestationen und dortigen Begebenheiten bildlich vor Augen hatte.

Das Buch stellt sehr unterschiedliche Frauenschicksale vor und macht Lust, über einige Persönlichkeiten wie die exzentrische Schauspielerin Élisa Rachel Félix oder die Inselwirtin Elisabeth Friedrich mehr zu erfahren.

Bewertung vom 18.08.2019
Hofmeister, Susanne

Mein Lebenshaus hat viele Räume


ausgezeichnet

Je älter man wird, desto mehr interessiert einen doch die Frage, ob es tiefere Zusammenhänge in seinem Leben gibt. Mit diesem Thema beschäftigt sich auch Susanne Hofmeister, Ärztin mit Schwerpunkt Anthroposophische Medizin und Biographischer Coach. In ihrem Buch stellt sie ihre eigene Methode der Biografiearbeit vor, die die einzelnen Lebensabschnitte als Jahrsiebte betrachtet und sie in ihrer Aufgabe für das Leben beschreibt.

Anschaulich wird das Ganze durch das Bild des Lebenshauses, in dem jedes Jahrsiebt einen Raum einnimmt – vom Erdgeschoss über die Beletage bis zum Dachatelier und schließlich zur Dachgaube. Kapitel für Kapitel nimmt uns Susanne Hofmeister mit auf eine Reise durch die einzelnen Räume, fordert uns auf, Erinnerungen aus dem jeweiligen Lebensabschnitt wachzurufen, mögliche Ressourcen, die uns heute nützen können, zu erkennen und Selbstannahmesätze zu formulieren. Zum besseren Verständnis schildert sie viele persönliche Erfahrungen sowie die ihrer Klienten.

Ich staunte immer wieder, wie treffend und authentisch sie typische Phasen im Leben beschreibt und wie ähnlich wir Menschen uns doch in unserer Entwicklung sind. Ich erlebte auch so manche Aha-Momente, zum Beispiel als mir klar wurde, dass die natürliche Entwicklung ohne eigenes Zutun in den 30ern endet oder bei der Gegenüberstellung vom vergangenheitsorienterten Ego und dem offenen Zukunfts-Ich. Die Autorin vermittelt ihr Wissen mit viel Feingefühl, einer Prise Humor und sprachlich sehr gewandt in eindrucksvollen Bildern.

Ihr Buch weckt nicht nur die Neugier und Lust, seine einst bewohnten Räume erneut aufzusuchen und eine geheime Choreografie aufzuspüren, sondern ermutigt uns auch dazu, das volle Potenzial des Älterwerdens zu erkennen und die Gestaltung unseres verbleibenden Lebens aktiv und mit viel Lebensfreude in die Hand zu nehmen.

Bewertung vom 14.08.2019
Salentin-Träger, Marianne

Moodboards


ausgezeichnet

Mich hat es schon länger gereizt, ein Moodboard zu entwerfen, doch bisher ist es bei digitalen Collagen geblieben. Nun wollte ich doch genauer wissen, was es mit dieser Kreativtechnik auf sich hat, die so häufig in der Innenarchitektur, Mode, Filmbranche oder im Coaching eingesetzt wird, und wurde auf dieses Buch aufmerksam. Marianne Salentin-Träger und Anja Jahn beschreiben darin, wie man mithilfe dieses Tools seine Projekte, Ziele oder Wünsche bildlich umsetzen und durch die Kraft des Visualisierens verwirklichen kann.

Das Buch ist sehr gut aufgebaut. Nach einer kurzen Erklärung des Begriffs, erläutern die Autorinnen, welche drei Elemente dem Moodboard sein besonderes Potenzial verleihen: die Kraft der Bilder, die Macht der Gedanken und die Relevanz der Gefühle. Die Gestaltung des Buches spiegeln diese drei Aspekte sehr gut wider: Großgedruckte Zitate wechseln sich ab mit farbig hervorgehobenen Textstellen, Grafiken und Abbildungen von verschiedenen Moodboards. Besonders angesprochen haben mich die gelungenen Porträtfotos der vorgestellten Personen, die darüber berichten, wie sie mit Hilfe von Moodboards berufliche oder private Ziele verwirklicht haben.

Mit der Visualisierung von Zielen habe ich selbst schon viele positive Erfahrungen gemacht. Statt digitale Collagen zu layouten, hat das Buch jedoch bei mir große Lust geweckt, zu Pappe, Schere und Klebstoff zu greifen und drauflos zu schnipseln, ganz nach dem Motto der Autorinnen ‚Erst spinnen, dann sinnen und pinnen“. Ich könnte mir vorstellen, dass die haptische Beschäftigung die Fantasie noch stärker anregt. Marianne Salentin-Träger und Anja Jahn vermitteln auf sehr ermutigende und inspirierende Weise wie ein Moodboard helfen kann, in der heutigen Welt, die so viele Optionen und Ablenkung bietet, seine Träume visuell zu konkretisieren, sich täglich darauf zu fokussieren und sich Schritt für Schritt seinem Ziel zu nähern.

Bewertung vom 07.08.2019
Rooney, Sally

Gespräche mit Freunden


ausgezeichnet

Der Buchtitel klingt so harmlos, dass man kaum erahnen kann, auf welch komplexe Beziehungsgeschichte man sich einlässt. Tatsächlich wird in dem Roman von Sally Rooney sehr viel gesprochen und geschrieben, doch es geht nicht nur darum, was gesagt wird, sondern welche Auswirkungen die Worte haben, sowohl die gesprochenen als auch unausgesprochenen.

Die Sprache ist ein Metier, in dem sich die Hauptfiguren auskennen. Ich-Erzählerin Frances studiert Literatur in Dublin und führt mit ihrer besten Freundin und Ex-Liebhaberin Bobbi Spoken-Word-Gedichte auf. Auf einer Poetry Night lernen sie die Fotojournalistin Melissa, einige Tage später ihren Ehemann und Schauspieler Nick kennen und fühlen sich stark zu dem Paar hingezogen; Bobbi zu Melissa und Frances zu dem gutaussehenden Nick.

Als Frances eine Affäre mit Nick beginnt, gerät man immer stärker in den Sog der Geschichte. Wie lange wird das noch gutgehen? Nutzen sie sich gegenseitig aus oder sind wahre Gefühle im Spiel? Nach außen hin gibt sich Frances cool, unnahbar, gefällt sich in der Rolle der intellektuell Überlegenen, doch innerlich wird sie von Selbstzweifel und Emotionen förmlich zerrissen und sehnt sich in Wirklichkeit nach Aufmerksamkeit und Intimität. Sie reflektiert nicht nur ständig über sich selbst und andere, sondern studiert auch ihr Aussehen im Spiegel, auf Fotos und betrachtet sich durch die Augen der anderen.

Spannend ist, wie die unterschiedlichen Charaktere erst langsam an Schärfe gewinnen. In ihren Gesprächen, E-Mails und Briefen entlarven sie sich selbst oder gegenseitig. Auch durch ihre jeweilige Vorgeschichte, die Stück für Stück enthüllt wird, vervollständigt sich das Bild zunehmend.

Scharfsinnig, provokant und ironisch analysiert Sally Rooney Machtverhältnisse in Beziehungen, Geschlechterrollen, Klassenunterschiede und Ängste vor Kontrollverlust. Sie überrascht durch unerwartete Wendungen und ungewöhnliche Metaphern. Ich bin immer noch leicht benommen von der Geschichte und kann es kaum erwarten, ihren zweiten Roman zu lesen.

Bewertung vom 04.08.2019
Hejlskov, Andrea

Wir hier draußen


ausgezeichnet

Viele Menschen, die von der Konsumgesellschaft und vom hektischen Großstadtleben die Nase voll haben, zieht es in die Natur, doch nur wenige wagen einen so radikalen Schritt wie Andrea Hejlskov. In diesem Buch erzählt sie, wie sie mit ihrem Mann Jeppe und ihren fünf Kindern der Zivilisation den Rücken kehrte und lernte, in der Natur zu leben.

Sie ziehen zunächst in eine 16 Quadratmeter große Hütte in einem Waldstück in Schweden und verbringen mit Hilfe eines walderfahrenen Einheimischen Tag für Tag damit, ein Blockhaus zu bauen. „So habe ich mir das nicht vorgestellt." Diesen Satz wiederholt die Autorin und Bloggerin sehr häufig. Sie war auf ein hartes Leben gefasst, doch die Realität übertrifft all ihre Befürchtungen. An Romantik, Idylle und Freiheitsgefühl ist nicht zu denken.

Interessant ist, wie unterschiedlich die Familienmitglieder auf die Lebensumstellung reagieren. Während das Selbstbewusstsein und die Tatkraft ihres Mannes stetig wachsen, fühlt sie sich immer unsicherer und schwächer. Sie leidet nicht nur unter der körperlichen Erschöpfung, sondern auch unter den 'niederen' Arbeiten wie Kochen, Waschen und Putzen. Zudem plagen sie unentwegt Zweifel, Zukunfts- und Existenzängste, die ihre Ehe auf eine harte Probe stellen.

Doch es gibt sie auch: die kurzen Glücksmomente, die ihr deutlich machen, dass sie nicht mehr in ihr altes Leben zurückkehren will. Noch nie hatte die Familie die Gelegenheit, so viel Zeit miteinander zu verbringen und wahre Nähe zu spüren. Andrea Heijskov findet dabei eine ausgewogene Balance zwischen den Schilderungen der inneren und äußeren Welt. Während sie schonungslos ihre Gefühle offenbart und sehr hart mit sich selbst ins Gericht geht, beschreibt sie im nächsten Moment nahezu poetisch jedes einzelne Geräusch im Wald und lässt uns so an der Schönheit der Natur teilhaben.

Wer jemals mit dem Gedanken spielte, ein Leben im Wald zu führen, wird es sich nach der Lektüre zweimal überlegen. Für alle anderen ist dieser Erfahrungsbericht in jeder Hinsicht eine Bereicherung und ein ganz besonderes Leseerlebnis.