Benutzer
Benutzername: 
yellowdog

Bewertungen

Insgesamt 2106 Bewertungen
Bewertung vom 28.06.2024
Whitaker, Chris

In den Farben des Dunkels


ausgezeichnet

Die Suche nach Grace

In den Farben des Dunkels ist ein emotional berührender Roman.
Das liegt zum großen Teil in der Figurengestaltung und -entwicklung.
Die Hauptfiguren Patch und Saint werden beim Lesen für den Leser lebendig.
Die Handlung beginnt in den Siebzigern. Patch und Saint sind Kinder, und Außenseiter. Dann wird Patch verletzt und entführt, weil er ein Mädchen von den Entführer rettete.
In seiner Gefangenschaft befindet sich auch ein Mädchen, Grace, das ihm Trost gibt.
Patch lässt das Erlebnis auch nach seiner Befreiung nicht los. Von Saint hat er sich entfernt. Als er älter wird, sucht er nach Grace, mit allen Mitteln.
Saint leidet darunter. Chris Whitaker wird beiden Figuren gerecht. Und er kann auch Nebenfiguren gut gestalten, zum Beispiel Misty, das Mädchen das Patch damals gerettet hatte. Sie kommt auch nicht los davon.

Die Jahre vergehen. Patch gerät auf schiefe Wege und Saint wird Polizistin.

Als Leser weiß man auch nicht so recht. Gab es Grace wirklich, oder hat Patch sie sich in seiner Not eingebildet?
Ich denke, dass der Autor recht weit geht mit dem psychologischen Aspekt, der seine Figuren so sehr beeinflusst. Aber es ist glaubhaft. Ein so gewaltiges Ereignis, prägt die betroffenen.
Es passiert noch viel in dem Buch, das trotz seines Umfangs vielleicht etwas überfrachtet ist.
Das Buch hat eine Intensität, die man erst einmal aushalten muss, aber es ist ein Leseerlebnis!

Bewertung vom 28.06.2024
Shriver, Lionel

Lass uns doch noch etwas bleiben (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

gehen oder bleiben?

Lionel Shriver hat ein originelles Buch geschrieben über das Thema selbstbestimmtes Sterben. Das geht sie in diversen Variationen durch.

Mir gefällt der Originaltitel „Should We Stay Or Should We Go“ besser als der deutsche.

Das englische Ehepaar Kay und Cyril Wilkinson beschließen, sich nach ihrem 80 Lebensjahr zu töten, um Krankheit oder Demenz zu entgehen. Ein Pakt, der in mittleren Jahren geschlossen, noch unverbindlich klingt, wird schließlich konkret.
Aber bei Kay schleichen sich Zweifel ein.
Lionel Shriver weicht dann von einem konventionellen Erzählen ab. Es wird ein Buch mit vielen Verästelungen. In den folgenden Kapiteln spielt sie mögliche Situationen durch. Kay zieht es nicht durch, während Cyril stirbt, dann auch andersrum und die Autorin spinnt aus, wie es mit ihnen weitergeht. Schließlich wird es mit diesen Alternativwelten immer abgedrehter, weicht vom realistischen ab, aber überwiegend ist es stimmig und überzeugend. Es bleibt gut lesbar.
Und vielleicht der stärkste Aspekt: bei all dem zeigt Lionel Shriver auch die Nähe des Paars. Und die Zeit spielt eine Rolle. Es ist die Zeit des Brexit und die der Pandemie. Dadurch entsteht nebenbei auch eine gesellschaftliche Analyse.

Lionel Shriver hat wieder bewiesen, was für eine geschickte Autorin sie ist.

Bewertung vom 27.06.2024
Fofana, Sidik

Dünne Wände


sehr gut

Dünne Wände ist episodenhaft aufgebaut und vermittelt durch die verschiedenen Anschnitte einen Gesamtblick auf das Leben in Harlem der heutigen Zeit.
Besonders den Abschnitt um Ms. Dallas, der in einer Schule handelt, finde ich stark. Der Autor ist selber Lehrer und weiß Bescheid, wie es im Unterricht ablaufen kann.
Die Episoden sind locker durch die Figuren miteinander verbunden.
An der deutschen Übersetzung habe ich leise Zweifel, wobei das auch schwere Aufgabe war. Die Umgangssprache wird schon getroffen, doch etwas geht in der Übersetzung verloren.
Was aber dennoch gut transportiert wird, sind die Gedanken, Hoffnungen, Zweifel und Sehnsüchte der jungen Protagonisten.
Die letzten Worte hat dann aber ein alter Mann, der Tag für Tag mit seinem Schachspiel an der Straße sitzt und das ist sehr originell.

Bewertung vom 26.06.2024
Heger, Moritz

Die Zeit der Zikaden


sehr gut

Die Frau im Tinyhouse

Moritz Hegers letzter Roman war sehr gelungen und in seinem neuen Buch Die Zeit der Zikaden sind ähnliche Qualitäten zu finden, z.B. die Ruhe und innere Kraft des Textes, die auch durch die Protagonistin Alex transportiert werden.
Alex war Lehrerin und gerade in den Ruhestand gegangen.
Zweite wichtige Figur im Roman ist Johann. Er ist in einer Phase in seinem Leben, indem er Bilanz zieht. In der zweiten Hälfte des Romans treffen Alex und Johann sich und es gibt ausführliche und intensive Dialoge.

Moritz Hegers Stil besitzt Eleganz
Das spürt man besonders bei den beschreibenden Passagen.

Bewertung vom 26.06.2024
Weiß, Margit

Maddalena geht


ausgezeichnet

Maddalena Decassian

Ein Roman um eine Frau in Tirol um 1900; die selbstbewusst den Weg zu einem selbstständigen Leben sucht.
Maddalena ging mit 19 Jahren von zu Hause weg, nachdem ihr liebevoller Großvater starb, und der fiese Vater über sie bestimmen wollte. Sie wurde Hebamme. Damit nimmt sie als berufstätige eine Ausnahmerolle unter den Frauen ein.
Der Roman setzt aber viel später ein, als sie abermals weggeht um ihren Weg zu suchen. Dabei spielen die Erinnerungen ihre erste Flucht eine große Rolle.
Die Autorin Margit Weiß nutzt eine genaue, poetische Sprache, die sofort überzeugt und den Leser an den Text bindet.
Es ist ein realistischer Roman, historisch ohne Kitsch, dafür mit einer inneren Kraft.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.06.2024
Brooks, Sarah

Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland


ausgezeichnet

Der Forscher und das Zugkind

Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland. Bei einem Buch mit so einem Titel verwundert es nicht, dass ständig bemerkenswerte Bilderfluten auf den Leser warten. Es gibt zwar den weiten Blick auf die Umgebung, die der Zug 1899 durchquert, aber durch die räumliche Begrenzung des Zuges hat es auch etwas kammerspielartiges.
Es gibt verschiedenen wichtige Protagonisten, die aber teilweise auch zusammengeführt werden.
Da ist die geheimnisvolle Maria Petrowna, das Zugkind Zhang Weiwei, die im Zug geboren ist und dort dauerhaft lebt und es gibt den Forscher John Grey.
Weiwei ist der Zugführung eigentlich loyal, aber diese ist distanziert und daher ist sie bereit einer jungen Frau, Elena, zu helfen, die als blinder Passagier an Bord ist. Doch Elena ist anders als man denkt.
Es gibt den phantastischen Ansatz im Buch, der es mitbestimmt, zum Beispiel durch die Wesen des Ödlands und einige Phänomene.
Die verschiedenen Figuren geben dem Text unterschiedliche Stimmungen.
Dann eint sie aber auch gemeinsames.
Das halte ich von der Autorin Sarah Brooks für außerordentlich wirkungsvoll gemacht. Sie hat den gesamten Roman geschickt gestaltet.
Es ist auch ein Buch, in das ich wahrscheinlich mehrfach wieder hineinlesen werde.

Bewertung vom 19.06.2024
Rekulak, Jason

Schlafenszeit - Albträume erwachen, wenn diese Tür sich schließt


ausgezeichnet

Die Geschichte der Zeichnungen

Schlafenszeit ist ein fast klassischer Mysterythriller und nicht gerade der schlechteste.
Die junge Mallory hatte ein Drogenproblem, aber jetzt ist sie schon 18 Monate clean und wird bei den Maxwells Kindermädchen für den 5jährigen Teddy.
Der verblüfft durch seine bedrohlich wirkenden Zeichnungen, die schließlich immer detaillierter werden. Da sie im Buch abgebildet sind, zeigen sie allmählich eine eigene Geschichte. Das habe ich so auch noch nicht gesehen.
Schließlich wird eine Nachbarin tot aufgefunden.
Der Plot bleibt geheimnisvoll und lässt mehrere Schlussfolgerungen zu.
Jason Rekulak hält die Spannung kontinuierlich hoch.

Bewertung vom 19.06.2024
Helmig, Alexandra

Beat vor der Eins


sehr gut

Inas Weg zu sich selbst

Beat vor der Eins ist ein Roman über eine Jugendliche, konsequent aus ihrer Perspektive geschildert. Ina steht vielem im Leben noch unentschlossen entgegen. Problematisch sind ihre Eltern, die sich viel streiten. In der Schule läuft es auch nicht immer.

Zwar kann ich mich (männlich und zu alt) nicht identifizieren, aber es gelingt der Autorin Alexandra Helmig, dass man die Figur gut versteht.
Man folgt Ina gefesselt durch das Buch.

Die Form des Buches ist überzeugend. Viele Kapitel nehmen nur eine Seite ein, manchmal auch nur einen Teil davon, selten mal 2 Seiten.
Dadurch ist der Roman stark verdichtet und ragt aus der Masse heraus.

Bewertung vom 18.06.2024
Bortoluci, José Henrique

Was von meinem Vater bleibt (eBook, ePUB)


sehr gut

Was von meinem Vater bleibt ist kein Roman sondern ein Bericht.
José Henrique Bortoluci setzt damit seinem Vater ein Denkmal. Der Vater war 50 Jahre lang LKW-Faher in Brasilien und oft fern von der Familie.
Dann schildert der Autor von der schweren Erkrankung und Leiden des Vaters. Das ist teilweise drastisch und für Leser, die vielleicht auch die Leiden der eigenen Eltern erfahren haben, nicht leicht zu ertragen.
Es ist dennoch ein beeindruckendes Porträt eines oft zu fernen Vaters, das angemessen wirkt.

Bewertung vom 18.06.2024
O'neill, Joseph

Godwin


ausgezeichnet

Jagd auf ein Phantom

In dem großen, unvergessenen Roman Niederland von Joseph O´Neill ging es um Kricket.
In Godwin geht es auch um Sport, insbesondere um die Suche nach einem Fußballtalent aus Afrika.

Der Roman führt ein zu Beginn in die Arbeitswelt ein und man erfährt eine Beurteilung des Protagonisten Ark Wolfe von außen. Von Lakesha, einer Kollegin.

Mark Wolf wird von seinem Halbbruder Geoff auf das Fußballtalent Godwin angesetzt. Und es geht auch um viel Geld.

Doch Godwin ist wie ein Phantom. Zum Ende hin gibt es eine Überraschung.

Der Roman hat ein verhaltenes Tempo, das wird durch eine hohe Intensität ausgeglichen. Sprachlich ist es routiniert im Besten Sinne gemacht.