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Aischa

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Insgesamt 572 Bewertungen
Bewertung vom 29.10.2021
Metzenthin, Melanie

Als wir an die Zukunft glaubten / Die Hafenschwester Bd.3


ausgezeichnet

Auch im dritten - und leider letzten - Teil der Hafenschwester-Saga lässt Melanie Metzenthin die Leser*innen tief in die deutsche Geschichte eintauchen. Diesmal begleiten wir die Familie Studt von der Weimarer Republik bis zum Ende des zweiten Weltkriegs. Es waren schwere Zeiten, und so ist die Lektüre thematisch nicht immer leicht zu verdauen. Hunger und Bombenangriffe sind für die meisten von uns abstrakte Begriffe, aber Metzenthin beschreibt dies so eindringlich, dass ich sehr bewegt war. Auch detaillierte Schilderungen der Foltermethoden durch die Gestapo oder Brutalität im Konzentrationslager spart die Autorin nicht aus. Und das ist gut so, hier wird nichts verklärt oder geschönt.

Aber auch das Gute kommt nicht zu kurz. "Die Hafenschwester" ist ebenso eine Erzählung über Freundschaft und starke Familienbande, über willensstarke Frauen und die Kraft der Hoffnung. Dabei gelingt es der Autorin, emotional und empfindsam zu schreiben, ohne ins Kitschige abzugleiten. Sie legt viel Wert auf stimmige, vielschichtige Figurenzeichnungen. Besonders hervorheben möchte ich außerdem zahlreiche (akribisch recherchierte) historische Details, die die Geschichte lebendig werden lassen, etwa wenn eine Hausfrau die Stapel an Geldscheinen während der Hyperinflation bügelt. Im Mikrokosmos der Familie präsentiert Metzenthin ihren Leser*innen wichtige Ereignisse und Entwicklungen der Zeitgeschichte so aufs Anschaulichste.

Fazit: Bitte nicht von den über 700 Seiten abschrecken lassen, der Roman ist nicht nur außerordentlich gute Unterhaltungsliteratur auf höchstem Niveau, sondern bietet tiefe, wichtige Einblicke in die unrühmliche deutsche Vergangenheit. Dieser gut konstruierte Roman ist ein literarisches Zeichen wider das Vergessen. Unbedingt lesen und weiterempfehlen!

Bewertung vom 28.10.2021
Kaiser, Maria Regina

Annette von Droste-Hülshoff. Dichterin zwischen den Feuern


sehr gut

Erst mal gebührt Maria Regina Kaiser in meinen Augen Respekt dafür, eine Romanbiografie über Annette von Droste-Hülshoff verfasst zu haben.

Zum einen, weil die deutsche Ausnahmedichterin einen immens umfangreichen schriftlichen Nachlass hinterlassen hat, ihre Arbeitsmanuskripte, Reinschriften, Tagebücher und vor allem ihre zahlreichen Briefwechsel mit Familienmitgliedern, Freunden und Bekannten sind wohl - zumindest für Laien - kaum zu überblicken. Chapeau also für diese riesige Recherchearbeit. Gleichwohl war und ist dieser reiche Fundus an Zeitdokumenten über Annette Quelle für unzählige literaturwissenschaftliche Studien, und es wurden bereits mehrere Biografien und biografische Romane über von Droste-Hülshoff.

Wieso also nun noch ein weiteres Buch über "Nette"? Autorin Kaiser wollte laut eigener Aussage Annette von Droste-Hülshoff "etwas mehr ins Scheinwerferlicht" rücken. Nun, was mich angeht ist dies definitiv gelungen. Vor Jahrzehnten hatte ich "Die Judenbuche" als Pflichtlektüre innerhalb des Deutschunterrichts gelesen, darüber hinaus kannte ich herzlich wenig von Annettes Œuvre und über sie selbst wusste ich praktisch nichts.

Insofern hat die neue Biografie also ihr Ziel erreicht, ich habe mich für die Protagonistin interessiert und das Buch durchaus mit Gewinn gelesen. Man wird Annette nach der Lektüre nicht unbedingt mögen, aber man lernt sie kennen. Gerne hätte ich die "Dichterin zwischen den Feuern" auch noch besser verstanden, hier bleibe ich leider mit einigen Schilderungen recht ratlos zurück.

Dies liegt meines Erachtens vor allem an der episodenhaften, teils fragmentarisch anmutenden Erzählweise, die im Verlauf des Romans zunimmt. Geburt und Kindheit Annettes werden in liebevollen Details und atmospärisch dicht geschildert, so dass ich von den ersten Kapiteln restlos begeistert das Buch kaum aus der Hand legen wollte. Die Szenerien entwickelten eine starke Anziehung, ich sah quasi ein Biopic vor meinem inneren Auge. Doch leider verliert sich das zunehmend, manche Passagen werden nicht vorbereitet, sondern überraschen den Leser. Nichts gegen gute Twists, aber wenn sie nicht in einem Thriller vorkommen, dann hätte ich doch gerne eine Auflösung. Und so bleibe ich leider ratlos zurück, wenn ein junger Mann, kaum dass er die Romanbühne betritt, auch schon zu Annettes Liebstem erklärt wird oder langjährige Freundschaften gekappt werden, und man als Leser über die Gründe nur spekulieren kann. Hier hätte ich mir - falls das Recherchematerial keine eindeutige Sachlage hergibt - mehr Interpretation durch die Autorin gewünscht.

Auch blieben mir viele Figuren leider recht fremd, weil Reaktionen auf einschneidende Ereignisse (z.B. der Tod eines geliebten Menschen) nicht oder nur knapp geschildert werden.

Dennoch ist der Roman ein interessantes Sittengemälde der deutschen Adelsgesellschaft in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Standesdünkel, Liebesintrigen, als ledige erwachsene Frau nicht geschäftsfähig zu sein - Annette hatte es wahrlich nicht leicht. Gelungen ist auch die Einflechtung einiger Gedichte und Zitate aus Briefen.

Die Ausstattung des wunderschönen Hardcovers lässt keinen Wunsch offen, vor allem der Anhang bietet reichlich Zusatznutzen und Orientierung: Orts- und Namensverzeichnis, Glossar, Zeittafel, weiterführende Literatur und nicht zuletzt zahlreiche Bilder konnten mich sehr begeistern.

Daher, trotz der lückenhaften Erzählung, meine Leseempfehlung für alle "Von-Droste-Hülshoff"-Fans und diejenigen, die es noch werden wollen.

Bewertung vom 27.10.2021
Crane, Stephen

Die tristen Tage von Coney Island


gut

Der Pendragon Verlag hat - rechtzeitig zu Cranes 150. Geburtstag - eine Sammlung von zwölf Short Stories dieses bemerkenswerten Autors veröffentlicht.

Der US-Amerikaner Stephen Crane war Journalist und Kriegsberichterstatter, aber auch Abenteurer und Bohemien, bevor er mit nur 28 Jahren als Tuberkulose-Patient im deutschen Badenweiler verstarb. Crane wurde bereits zu Lebzeiten von der Kritik gefeiert, geriet nach seinem Tod jedoch zunächst überwiegend in Vergessenheit, auch wenn Ernest Hemingway von seinem Werk sehr angetan war. Crane wird erst in den 1950er Jahren in größerem Stil literarisch wiederentdeckt, inzwischen hat ihm das Literarische Museum Badenweiler einen Salon gewidmet.

Die in der vorliegenden Sammlung vereinten Geschichten wirken auf mich überraschend modern und aktuell. Es gibt humorvoll-ironische, teils slapstick-artige Szenen, und Cranes Stil zeichnet sich immer wieder durch sehr stimmungsvolle Farbbeschreibungen aus, die stark durch den Impressionismus beeinflusst sind. Es gibt einige Perlen unter den vorgestellten Geschichten, aber auch solche, die ich eher als literarische Fingerübung einordnen möchte. Dann wiederum legt der Autor enormes psychologisches Gespür und feine Beobachtungsgabe an den Tag, auch Sozialkritik findet sich zwischen den Zeilen. Crane stellt große Moralfragen, aber ohne erhobenen Zeigefinger.

Etwas schwierig finde ich seine Positionierung zum Krieg, hier finde ich keine eindeutige Haltung des Autors. Einerseits beschreibt er die Sinnlosigkeit von Kampfhandlungen, andererseits ist er auch immer wieder fasziniert vom Krieg, Crane bleibt hier ambivalent. Schade finde ich die weitgehende Abwesenheit von Frauenfiguren, das weibliche Geschlecht kommt (fast) nur in Nebenrollen oder gar nicht vor.

Eine weitere Kritik gilt der Übersetzung, hier nur ein Beispiel: "Holy Cheese" mit der wörtlichen Translation zu "Heiliger Käse" wiederzugeben zeugt von wenig Sprachgefühl, passender wären im Deutschen "Heiliger Bimbam" oder "Heiliger Strohsack".

Sehr hilfreich war für mich das Nachwort des Herausgebers, das neben Cranes Vita auch wichtige historische Einordnungen der Geschichten vornimmt. Letztere hätte ich mir noch ein wenig ausführlicher und vor allem bereits als Fußnoten zu den jeweiligen Textstellen gewünscht, nicht jedem dürften Details des kubanischen Unabhängigkeitskrieges präsent sein.

Fazit: Ich bereue es keinesfalls, mit diesem Band einen der "Wegbereiter der amerikanischen Moderne" kennengelernt zu haben, aber insgesamt sind mir die Sujets zu männer- und kriegslastig.

Bewertung vom 19.10.2021
Gruber, Tanja

Meine glutenfreien Kuchen und Torten


gut

Was zeichnet ein gutes Backbuch aus? In meinen Augen sind es vor allem zwei Faktoren: Zum einen möchte ich aus vielen, möglichst unterschiedlichen Rezepten auswählen können, und die Backwaren müssen mir schmecken. Zum anderen muss das Buch praxistauglich sein, d.h. ich lege Wert auf eine ansprechende Optik, ich möchte schnell erkennen können, welche Zutaten und Küchengeräte ich brauche und wie lange die Zubereitung dauert.

Glutenfrei-Foodbloggerin und Autorin Tanja Gruber konnte mich mit ihrem neuesten Backbuch leider nur in Sachen Geschmack und Vielfalt sowie den ansprechenden Fotos überzeugen. Die vorgestellten 28 Torten und 23 Kuchen sind wirklich sehr unterschiedlich. Man kann sich mit Torten durch die vier Jahreszeiten backen, findet aber ebenso Torten für besondere Anlässe wie zu Ostern oder zum Muttertag. Schnelle (und dennoch schmackhafte) Kuchen sind mit nur vier Rezepten dagegen etwas unterrepräsentiert, dafür sind einige wirklich kreative Kuchen enthalten, die der Blickfang auf jeder Kaffeetafel sein dürften, z.B. die dekorativen Himbeer-Butterkeks-Schnitten oder der Mohn-Rosenkuchen. Eigentlich bin ich kein großer Tortenfan, aber die Feigen-Walnuss-Torte bringt mich zum Schwärmen, sie ist gleichermaßen eine unvergessliche Augenweide wie eine wahre Geschmacksexplosion verschiedener Aromen.

Wieso nun trotzdem nur eine mittlere Bewertung? Nun, die Rezepte sind leider sehr unübersichtlich geraten. In den Zutatenlisten sind diverse Ersatzprodukte (bei Unverträglichkeiten) aufgeführt. Dagegen ist an sich ja nichts einzuwenden, im Gegenteil. Doch ist die Autorin hier übers Ziel hinausgeschossen. Statt einfach im Anhang eine Tabelle mit veganen Sahnealternativen, lactosefreier Milch etc. anzugeben, sind in fast jedem Rezept diverse Alternativen aufgeführt. Dies hat zur Folge, dass die Zutatenliste ausufernd lang und unübersichtlich wird. Zudem stört es mich , dass Zubereitungs- und Backzeiten im Text versteckt sind und nicht noch eigens gut ersichtlich angegeben sind. Schade.

Sehr gut gelungen sind hingegen die Grundrezepte, vom Mürbeteig bis hin zum Quark-Öl-Teig. Auch mit hilfreichen Praxistipps punktet das Buch, etwa zum Belegen eines Tortenrands anhand einer aufgeschnittenen Zitrone, die man abwechselnd in Schokostreusel und an den Rand drückt, das klappt super!

Ich hatte gehofft, mehr zu eigenen glutenfreien Mehl-Mischungen zu finden. Diese werden erst im Anhang und auch nur sehr knapp erklärt. Um helles Weizenmehl durch eine "helle glutenfreie Mehlmischung" zu ersetzen bräuchte ich jedoch ehrlich gesagt kein eigenes Backbuch. Aber da die Autorin ja auch eigene Backmischungen vertreibt, wollte sie diese vielleicht auch etwas promoten ... Gut ist hingegen der Theorieteil, indem Zöliakie knapp und dennoch gut verständlich erklärt wird. Auch für die Hinweise, wie ein glutenfreier Arbeitsplatz in der Küche gestaltet werden muss, bin ich sehr dankbar.

Fazit: Tolle Rezepte, die geschmacklich hervorragend sind, aber vor dem Einkauf und bei der Zubereitung muss man schon sehr genau lesen.

Bewertung vom 18.10.2021
Schwab, Axel

Labyrinth München


ausgezeichnet

Autor und Wahlmünchner Axel Schwab kennt die bayerische Landeshauptstadt seit 25 Jahren - lang genug, um einen profunden Reiseführer über die Isarmetropole zu schreiben.

Auf ausführliche Hintergrundinfos zur Historie Münchens verzichtet er, die kann sich der interessierte Leser jedoch online besorgen, einschlägige Websites sind an entsprechender Stelle im Buch genannt. Dafür bietet die optisch sehr angsprechende Klappenbroschur 30 geografisch sortierte Spaziergänge in und um München, vom Zentrum bis ins nähere Umland.

Noch vor den Touren finden sich die persönlichen "Best-of"-Listen Schwabs: Cafés, Restaurants, besondere Läden, Museen und - Instagrammer aufgemerkt - attraktive Fotospots. Bei den Tipps ist eine gewisse Vorliebe für Japanisches erkennbar, was zunächst überraschen mag, nicht jedoch, wenn man weiß, dass der Autor regelmäßig in Nippon weilt.

Die Spaziergänge selbst sind sehr gelungen, auf einen Blick erfährt man alles Nötige: Anfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Öffnungszeiten, Preise etc. Die wirklich zahlreichen Fotos machen Lust, sich gleich "auf die Socken zu machen", und Stadtplan-Ausschnitte bieten dafür hilfreiche Orientierung.

Überhaupt ist das die große Stärke dieses Reiseführers. Er nimmt dem Leser weitgehend zeitaufwendige Planungen ab. Man kann einfach im Buch blättern, überlegen worauf man am meisten Lust hat - und los geht´s! Wer nicht in München lebt und somit nur begrenzte Zeit für seine Entdeckungen hat, schaut am besten in den Anhang. Hier sind praktische Tabellen, die je zwei Touren pro Tag vorschlagen, und zwar so, dass die jeweiligen Sehenswürdigkeiten an diesem Wochentag auch geöffnet sind. Ebenso gibt eine Aufstellung nach Themen und Wochentagen Orientierung.

Ich selbst kenne München seit Jahrzehnten, habe lange dort gelebt, und dennoch hat mich dieses bunte Potpourri an Spaziergängen auf neue Pfade und an etliche mir bis dato unbekannte, wundervolle Orte geführt.

Fazit: Ein topaktueller Münchenführer, eine 1-A-Planungshilfe mit großartigem Preis-Leistungs-Verhältnis! Außerdem vergebe ich ein persönliches Gütesiegel, denn ich habe mich nicht verlaufen (und das will durchaus etwas heißen ...).

Bewertung vom 12.10.2021
Paul, Stevan

Simple & Clever Cooking


ausgezeichnet

Das Cover kommt extrem schlicht und für ein Kochbuch eher untypisch daher: kein Hochglanzfoto eines stundenlang von Foodstylisten geschönten Gerichts, sondern lediglich zwei Hintergrundfarben und der schwarze, senkrechte Titel. Doch die Farben sind in der Kombination ungewöhnlich und werden dadurch zum Eye-Catcher, simple und clever eben, wie es der Untertitel ankündigt. Und der Inhalt hält, was das Cover verspricht:

Gleich zu Beginn überrascht Autor Stevan Paul mit gleichermaßen einfachen wie geschmacklich überzeugenden "Mini-Rezepten" zu zehn verschiedenen Gemüsen. Und auch im umfangreichen Hauptteil sind die "richtigen" Rezepte nie kompliziert oder aufwändig zuzubereiten. Paul hält den Ball flach, kommt mit einer Handvoll Zutaten und Aromen aus, und auch die Zubereitung verlangt den Hobbyköchen kein sonderliches Geschick ab.

Dabei könnte der Koch und Foodjournalist auch anders. Anfang der 1990er Jahre stand Stevan Paul in mehreren Sternerestaurants am Herd. Nun aber bringt er die Einfachheit in die deutschen Küchen, und dies mit Erfolg. Paul versteht Kochen mehr als Handwerk denn als verschwurbelte Kunst. Die Rezepte sollen keine Anleitung sein, an die man sich penibel zu halten hat, sondern der Autor möchte sie vielmehr als Vorschläge verstanden wissen. Jeder und jede ist dazu aufgerufen, die Gerichte nach eigenen Vorlieben abzuwandeln. Das Buch liefert dazu das nötige Grundgerüst, sozusagen einen Baukasten, aus dem man sich bedienen kann, weil klar ist, was gut zusammen passt.

Die Rezepte, die ich bislang versucht habe, konnten mich allesamt begeistern. Da wird ein Tortilla-Fladen kurzerhand zum Blitz-Flammkuchen umfunktioniert, Belag nach Wahl, ab in den Ofen - fertig! Oder Rührei: Mein erster Gedanke war "Kann man so etwas Banales noch großartig verbessern?" Meine Antwort ist ein klares JA. Geriebener Käse, das Ei nur leicht in Schlieren ziehen, beim Braten vorsichtig schieben und zum Schluss mit Tomatenwürfeln toppen - ein Traum! Aber auch Ausgefalleneres findet sich, zum Beispiel gekochte Eier, die in Soja-Soße mariniert und in Kresse und Sesam gewälzt werden. Eine Vorspeise, die eine wahre Augenweide ist.

Die modernen Fotos von Vivi D`Angelo sind herrlich unaufgeregt, etwa wenn der Veggie-Mushroom-Cheesburger schlicht auf weißem Teller auf der Couch steht, eben ganz so, wie es auch auf dem heimischen Sitzmöbel sein könnte. Das vermittelt ein beruhigendes Gefühl von "so bekomme ich das auch hin".

Außerdem punktet das Kochbuch auch mit Tipps für die nötige Grundausstattung in der Küche sowie zu sinnvoller Vorratshaltung. Zusammen mit Rezeptideen für Resteverwertung (neudeutsch: Leftoverküche) ist dies ein zeitgemäßer Beitrag zur Nachhaltigkeit.

Übrigens: Dass die Gerichte komplett ohne Fleisch auskommen, habe ich erst nach ein paar Wochen gemerkt, man vermisst es gar nicht! Ein rundum gelungenes Werk, für Anfänger wie fortgeschrittene Hobbyköche sehr zu empfehlen!

Bewertung vom 11.10.2021
McCann, Jennifer;Reisedepeschen

Afrika ist kein Land


sehr gut

Dies ist - nach "Reisedepeschen aus Bolivien und Peru" das zweite Buch der Hannoveraner Biologie-Lehrerin Jennifer MacCann.

Hier erzählt sie von ihren Reisen durch elf zentral- und ostafrikanische Länder, inklusive der beiden Inseln Magadaskar und Sansibar. McCann schreibt kurzweilig und unterhaltsam und räumt mit vielen Klischees auf. Sie entlarvt schonungslos ehrlich, wie ihr Wissen über den zweitgrößten Kontinent durch postkoloniale Sichtweisen geprägt wurde. Die Autorin hinterfragt ihr egoistisches Verhalten als Afrikatouristin, etwa wenn sie sich beim Aufstieg auf den Kilimandscharo erst im Nachhinein um die äußerst mangelhafte Ausrüstung ihrer Träger Gedanken macht. Diese ungeschönten Reflexionen sind einerseits eine Stärke dieses Buchs. Andererseits geht mir McCann hier nicht weit genug, sie bleibt quasi auf halber Strecke stehen: Zwar hält sie sich (und letztlich auch vielen Leser*innen) den Spiegel vor und benennt klar einige Probleme, die Tourismus verursachen kann, etwa wenn es um Naturschutz versus Armutsbekämpfung geht. Doch leider bleibt es beim Benennen des Status quo, Lösungsvorschläge sucht man vergeblich, hier bleibt die Autorin vage oder Antworten fehlen völlig.

Hingegen gelingt es ihr hervorragend, historische und kulturelle Hintergrundinfos kurz und prägnant zusammenzufassen.

Auch optisch punktet das liebevoll gestaltete Hardcover. Zuvorderst mit dem ungewöhnlich gestalteten Cover; die Ländergrenzen sind eingeprägt, so dass der Buchdeckel an ein Puzzle erinnert. Innen geben eine geografische Übersichtskarte mit den bereisten Ländern und ein Lesebändchen Orientierung, und die modernen Farbillustrationen von Johannes Klaus sind eine Augenweide. Auf Fotos hat McCann diesmal leider verzichtet.

Dennoch eine empfehlenswerte Lektüre für alle Afrika-Touristen und solche, die es noch werden wollen. Oder auch einfach für diejenigen, die ihr Bild von Afrika auf den Prüfstand stellen wollen.

Bewertung vom 07.10.2021
Bauer, Christina

Weihnachten mit Christina


ausgezeichnet

Die bekannte Bäuerin und Bloggerin Christina Bauer hat wieder ein neues Backbuch veröffentlicht, und diesmal widmet sie sich ganz der Vorweihnachtszeit.

Das Hardcover macht einen rundum hochwertigen Eindruck, mit edlem Leinenrücken, Goldprägung auf dem Titel und Lesebändchen ist es ein richtiges Schmuckstück. Doch auch der Inhalt weiß zu überzeugen: Über 70 Rezepte gilt es zu entdecken, von traditionellen Klassikern wie Zimtsternen, Spekulatius oder Vanillekipferl bis hin zu kreativen Innovationen wie Tiramisu-Sternen oder putzigen Weihnachtsmännerköpfen. Letztere entstehen kurzerhand aus auf den Kopf gestellten Herzformen. Die Plätzchen werden entsprechend dekoriert, so dass die Rundungen der Herzen zu dicken Pausbacken werden, wirklich originell! Und auch geschmacklich überzeugen die Rezepte: ein Freund attestierte den Kürbiskern-Kipferln Suchtpotenzial ...

Zusätzlich zu den Rezepten für Plätzchen, Stollen, Weihnachtsbrote und Co. erklärt die Autorin auch die Herstellung einiger Grundteige und verschiedener Füllungen. So kann man nach Herzenslust selbst kombinieren und neue Lieblingsrezepte entwickeln. Praktische Tipps zu richtiger Lagerung und Haltbarkeit wie auch Kapitel zur Grundausstattung der Vorratskammer und zu benötigten Küchenutensilien runden das Ganze ab und sind vor allem für Backneulinge wertvoll, ebenso wie die ausführlich mit Fotos bebilderten Schritt-für-Schritt-Anleitungen, wenn es mal etwas anspruchsvoller wird. Nützlich sind auch die beiden Register, einmal herkömmlich alphabetisch sortiert, ein zweites nach thematischen Begriffen unterteilt.

"Weihnachten mit Christina" ist kein ausschließliches Backbuch. Zwischen den Hauptkapiteln finden sich auch Ideen für kreative Basteleien in der Vorweihnachtszeit: das Binden eines Adventskranzes, das Schnitzen von Kartoffelstempeln mit Plätzchenausstechern und einiges mehr. Eine persönliche Note erhält das Buch durch Familienfotos der Autorin und kurze Einblicke, wie sie den Advent mit Mann und Kindern auf ihrem Bauernhof gestaltet.

Für den Löwenzahnverlag schon eine Selbstverständlichkeit, für mich aber dennoch äußerst lobenswert sind die klimapositive Produktion und der cradle-to-cradle Druck, ich schätze Umweltbewusstsein und ressourcenschonende Herstellung sehr. Dazu passen auch Christinas Tipps für die Verwendung übrig gebliebener Lebensmittelreste - so geht Nachhaltigkeit in der Backstube!

Meine klitzekleinen Kritikpunkte fallen nicht sehr ins Gewicht, ich möchte sie dennoch aufführen: Für Anfänger dürfte manche Angabe etwas zu ungenau sein, etwa wenn ein Teig "dünn" ausgerollt werden soll, hier wäre eine mm-Angabe gut. Die Backzeiten und Zutaten sind sehr übersichtlich aufgeführt, die Angabe von Ruhezeiten "versteckt" sich leider oft im Text der Zubereitung.

Dennoch ist es ein rundum gelungenes Backbuch für die Adventszeit, bestens geeignet als Geschenk, ob für Freunde oder für sich selbst!

Bewertung vom 06.10.2021
Minor, Caroline Albertine

Der Panzer des Hummers


weniger gut

Wenn der großartige deutsche Humorist Heinz Erhardt bei seinen Auftritten "noch´n Gedicht" ankündigte, hing das Publikum erwartungsfroh an seinen Lippen und konnte gar nicht genug bekommen. Daran erinnerte mich der vorliegende Roman, allerdings leider mit eher gegenteiligem Erfolg: Autorin Minor versammelt in Ihrem Erstling eine derartige Fülle an Personen, dass ich mir schon nach wenigen Kapiteln dachte: "Oh nein, nicht noch ´ne Figur ...!"

Zwar hilft das vorangestellte Personenverzeichnis bei der Orientierung, doch gelingt es Minor leider nicht, ihre Armada an Protagonisten und Nebendarstellern eine erkennbare Entwicklung durchlaufen zu lassen. Die Autorin verzettelt sich in zu vielen Schauplätzen und Einzelschicksalen, es ist kaum Struktur erkennbar. Gemeinsam ist fast allen Personen, dass sie - jede auf ihre eigene Art - unglücklich oder gescheitert sind. Minor zeichnet eine amerikanische und eine dänische Familie, deren Mitglieder nur noch lose zusammen hängen, sich irgendwie verloren zu haben scheinen. Im Verlauf des Romans entstehen Kontakte zwischen den beiden Familien, aber ein tieferer Sinn erschließt sich mir nicht. Es geht um Elternschaft, wobei die Väter meist durch Abwesenheit glänzen. Es wird viel erzählt und noch mehr verschwiegen.

Auf der literarischen Guthabenseite kann Minor genaue Beobachtungen verbuchen. Leider gelingt es ihr nur manchmal, dies auch adäquat sprachlich umzusetzen. Zu oft finden sich banale Gedanken oder schräge Bilder, etwa wenn bildende Künstler beschrieben werden als Leute, aus deren "Händen und Hirnen Dinge wuchsen". Oder jemand fühlt sich "wie eine geöffnete Tomatendose". Sorry, aber das ist mir dann doch etwas zu surreal, in meiner Welt haben Dosen keine Gefühle. Seltsam muten auch diejenigen Kapitel an, in denen ein verstorbenes Ehepaar in einer Art Zwischenreich gefangen ist, abgetrennt durch eine "zarte Membran", die auch schon mal eine "ungesunde Farbe" aufweist. Wieso? Keine Ahnung.

Caroline Albertine Minor hat für ihre Kurzgeschichten bereits viel Anerkennung erfahren. Nun hat sie sich auf den Weg zur Romanautorin gemacht, angekommen ist sie dort noch lange nicht. "Der Panzer des Hummers" wirkt eher wie eine literarische Fingerübung, höchstens ein Romanfragment.

Bewertung vom 21.09.2021
Kruse, Marcel;Pulsinger, Geru

Magic Fermentation


ausgezeichnet

Ja, ich habe schon mal ein Sauerteigbrot gebacken und ich bestelle beim Koreaner gerne Kimchi. Aber was genau Fermentation ist, und vor allem wie vielseitig man sie in der eigenen Küche einsetzen kann, davon hatte ich keine Ahnung.

Dies hat sich durch "Magic Fermentation" grundlegend geändert. Marcel Kruse und Geru Pulsingers Leidenschaft für die Herstellung bzw. Veredelung von Lebensmittelns durch mikrobiologische Prozesse ist extrem ansteckend. Die Begeisterung des Autorenduos hat dazu geführt, dass nun auch ich seit Monaten eine eifrige "Fermentista" bin. In meinem Vorratsregal blubbern die verschiedensten Gemüse- und Obstkombinationen bunt vor sich hin, ich trinke fast täglich selbst gemachten Kefir und stelle originelle, prickelnde kulinarische Geburtstagsgeschenke her, die sehr gut ankommen.

Das Buch deckt wirklich alles rund ums Thema Fermentieren ab: Es gibt eine gut verständliche theoretische Einführung, einen sehr großen Rezeptteil, eine Pannenhilfe, falls mal etwas schief geht sowie ein Fachglossar und Bezugsquellen. Wobei ich es sehr praktisch finde, dass man nicht gleich einen Küchenschrank voller Spezialutensilien benötigt; mit einigen unterschiedlich großen Einmachgläsern und den Zutaten kann man eigentlich gleich loslegen. (Dann allerdings ist Geduld angesagt: Die Fermente brauchen mehrere Wochen, teils sogar Monate, bis sie verzehrreif sind.)

Die Optik des stabilen Hardcovers ist top: großformatige Farbfotos, übersichtliche Gestaltung der Rezepte samt hilfreichen Tipps, auch ein Lesebändchen fehlt nicht. Symbole zeigen auf einen Blick, wie lange fermentiert werden muss und wie lange der Inhalt dann haltbar ist.

Die Sprache ist jung und modern, ein besonderer Pluspunkt ist, dass konsequent auf Nachhaltigkeit hingewiesen wird. (Da ist es mehr als stimmig, dass das Buch - wie das gesamte Verlagssortiment bei Löwenzahn - cradle-to-cradle gedruckt wird.)

Ein klitzekleiner Kritikpunkt: Im Rezepte-Register sind fast ausschließlich die exakten Namen der Rezepte aufgeführt, es fehlt eine umfangreiche Verschlagwortung der Hauptzutaten. Dadurch muss man lange suchen, wenn man etwa nicht mehr weiß, dass das leckere Karotten-Kraut mit Kaki eben nicht unter "K" wie "Karotte", sondern unter "G" wie "gelbes Karotten-Kaki-Kraut" zu finden ist. Daher: Spickt das Buch mit Post-its! Und entdeckt ungeahnte kulinarische Genüsse, von "A" wie Apfelstrudel-Drink bis "Z" wie Zucchini-Gurken-Relish.