Benutzer
Benutzername: 
Hennie
Wohnort: 
Chemnitz

Bewertungen

Insgesamt 274 Bewertungen
Bewertung vom 23.03.2017
Smith, Dominic

Das letzte Bild der Sara de Vos


ausgezeichnet

Dominic Smith erreichte mit seinem Buch „Das letzte Bild der Sara de Vos“ weltweite Beachtung. Das war seinen drei Vorgänger-Romanen nicht vergönnt.

Als allererstes fiel mir das tolle Cover ins Auge. Noch mehr gefiel es mir, als ich das Buch in den Händen hielt. Es fühlt sich fast an wie Leinwand.
Ausgangspunkt für den Roman ist das Gemälde von Sara de Vos, einer niederländischen Malerin des 17. Jahrhunderts, des sogenannten Goldenen Zeitalters. Man sieht nur einen kleinen Ausschnitt des Bildes, das eine zugefrorene Wasserfläche mit vielen Eisläufern zeigt. Es stellt eine Winterlandschaft im Abendlicht dar und wird recht ausdrucksstark am Anfang des Buches beschrieben. Sara de Vos ist eine fiktive Malerin, die 1631 als erste Frau in die Malergilde aufgenommen wurde. Nachempfunden wurde sie vom Autor einer Sarah van Baalbergen. Sie lebte von 1607 bis vermutlich nach 1638. Ein Sterbedatum kann nicht nachgewiesen werden. Sie war das erste weibliche Mitglied der Haarlem-Gilde von St. Luke und verheiratet mit dem Landschaftsmaler Barent van Eysen. Beide schufen keine bleibenden Werke bzw. können nicht sicher zugewiesen werden.

Zur Handlung:
Etwas mehr als 300 Jahre nach seiner Entstehung wird das einzige erhaltene Werk der Künstlerin Sara de Vos „Am Saum eines Waldes“ aus dem Haus des reichen Patentanwalts Marty de Groot gestohlen. Zwei Gangster tauschten es gegen eine „meisterlich gefertigte Kopie“ (O-ton Marty) aus. Gehörten diese zu den „Beatniks“, die Martys Ehefrau Rachel zur geselligen Umrahmung der Benefizveranstaltung für Waisen eingeladen hatte?
Marty verständigt nicht die Polizei, sondern beauftragt einen Privatdetektiv. Dieser wird bald fündig. Eleanor Shipley, genannt Ellie, eine introvertierte, junge, etwas verwahrloste Kunstgeschichtsabsolventin fertigte nach Auftrag eine exakte Kopie. Sie setzt ihr ganzes Wissen, ihre ganze Meisterschaft bei der Kunstrestaurierung in diese Arbeit. Wie sich der 15 Jahre ältere, verheiratete Marty der Fälscherin nähert ist erstaunlich, bezaubernd und gleichzeitig befremdlich. Was bezweckt der Mann? Warum übergibt er sie nicht einfach der Polizei?

Meine Meinung:
Dominic Smith erzählt die Geschichte in drei Zeitebenen (1636-49/1957-58/2000) und auf drei Kontinenten (Europa/Amerika/Australien).
Sara de Vos mit ihrer malerischen Kunstfertigkeit als Frau ist der Dreh- und Angelpunkt der unterhaltsamen und faszinierenden Geschichte. Wie der Autor die historische Fiktion aus der Vergangenheit mit zeitgenössischen Details lebendig in die Gegenwart überträgt, hat mich überzeugt. Geschickt verbindet er die Schicksale und zeigt die menschlichen Schwächen und Stärken auf. Grenzenlose Trauer, Verzweiflung und Hoffnung, Betrug, Täuschung und Selbsttäuschung, die Suche nach der Liebe, nach dem Sinn des Lebens machen einen Großteil des Buches aus.
Die Sache mit den Bildern entwickelt ein Eigenleben, die in einer Katastrophe für Ellie zu enden droht. Ein „Kuddelmuddel“ um die beiden Gemälde entsteht. Was ist das echte? Was ist die Kopie? Doch viel Zeit vergeht. Erstaunliches bringt die Expertise im Jahre 2000 zu Tage...

Das Buch endet versöhnlich. Es hat ein optimistisches Ende.

Eine Leseempfehlung und fünf Sterne von mir!

Bewertung vom 16.03.2017
Fougerousse, Nicolas

Die Verseflüsterin


gut

FEHLENDER ZUSAMMENHANG
Marcus, ein junger gutsituierter IT-Spezialist in einer renommierten Firma hat mit Isabelle, seiner Ehefrau, scheinbar den passenden Lebensstil gefunden. Sie leben in Paris, in einem schönen Haus. Doch es macht sich Bequemlichkeit, Alltagstrott und –routine breit. Auch sexuell passiert nichts Aufregendes mehr. Sie führen eine Beziehung, die vom tagtäglichen Einerlei geprägt ist. Keine Höhepunkte. Kaum Abweichungen vom gewohnten Rhythmus. Marcus fühlt sich sicher wie in einem Kokon, „seinem Kokon.“ Dabei bleibt vieles auf der Strecke, vor allem kaum Zeit für- und miteinander, wenig Raum für Emotionen, Gefühle. Alles im Gleichmaß. Keine Ausbrüche. Da passiert plötzlich etwas Außergewöhnliches.
„Hör auf Deine Gefühle!“ So lautete die erste von insgesamt drei Botschaften an die Adresse von Marcus. Wer hat ihm den Zettel mit diesen Worten hinter die Scheibenwischer seines Autos geklemmt? War es seine Frau? Marcus kommt ins Grübeln...

Ein starker Beginn des Buches. Die Leseprobe zum Buch des jungen Franzosen gefiel mir ausnehmend gut. Sie begann hoffnungsvoll. Es wäre für mich interessant gewesen die männliche Sicht auf persönliche Dinge zu lesen. Die meisten Bücher mit der Beziehungsthematik werden ja von Frauen geschrieben. Deshalb war mein Interesse sofort geweckt.
Ich bin also mit großen Erwartungen an das Buch herangegangen. Wenn man das luftig-leicht erscheinende Cover sieht mit dem wehenden Blatt Papier im zarten Windhauch – ja dann- denkt man einen Beziehungs-/Liebesroman. Dazu noch dieser poetische, romantische Titel!
Stattdessen habe ich auf 230 Seiten keinen roten Faden im Handlungsverlauf entdecken können. Lose Enden, die irgendwo/irgendwie zerfasern. Es wird postuliert, philosophiert, behauptet, erklärt, was das Zeug hält. Die Erzählung bleibt seltsam blutleer, ohne Leben. Sie berührt mich nicht. Mir erscheint es so, als hätte der Autor nicht gewußt, wie er alles unter einen Hut bekommen soll. Ja, vielleicht hat er zuviel gewollt. Schade.
Durch den väterlichen Freund Angelo, den er durch Zufall kennenlernt, erhält er lebenskluge Ratschläge, führt philosophische Gespräche. Im Teil II des Buches tritt plötzlich Sarah auf, die Mutter von Marcus, die vorher nur unwesentlich und unerkannt in Erscheinung trat. Wie dann am Ende alles miteinander verknüpft wird, hat mich in der Tat sehr verblüfft. Aber anders als es im Klappentext des Romanes ausgedrückt wird. Bedingungslose Liebe? Vergebung? Berührung bis in die Tiefen der menschlichen Seele? Davon las ich leider nichts. Mich läßt „Die Verseflüsterin“ rat- und hilflos zurück.
Von mir nur 3 Sterne!

Bewertung vom 12.03.2017
Töpfer, Anne

Das Brombeerzimmer


sehr gut

In den süßesten Früchten steckt ein Geheimnis

Die junge Nora wohnt mit ihrem treuen Labrador Watson im Ruhrpott, aber mitten im Grünen, in ihrem Paradies. Doch der Schein trügt, denn seit einem Jahr ist ihr geliebter Julian, ihre große Liebe, nicht mehr an ihrer Seite. Ihn ereilte beim täglichen Joggen unerwartet der Herztod. Ausgerechnet an einem Sonntag, ihrem „JuNo“-Tag. Die Erinnerungen an ihren Mann sind die ständigen, quälenden Begleiter der jungen Frau. Jeden Sonntag kocht sie sieben Gläser Marmelade ein. Marmelade, die er so liebte. Ein ganzes Jahr lang. Nun sind sie pyramidenartig gestapelt auf seinem Schreibtisch im Arbeitszimmer. Sie merkt, so kann sie nicht weitermachen. Durch Zufall findet sie einen Umschlag und bald auch den dazugehörenden Brief. Julian hatte seine Großtante Klara um ein besonderes Brombeermarmeladenrezept für Nora gebeten, als Überraschung zum Hochzeitstag. Daraus wurde ja leider nichts. Ihre Neugier ist geweckt und bald beschließt die junge Frau nach Kinnbackenhagen, gelegen in der traumhaften vorpommerschen Boddenlandschaft in unmittelbarer Nähe der Ostsee, zu fahren. Sie möchte Klara gern kennenlernen.

Ich habe das Buch sehr schnell gelesen. Julians Familiengeschichte und die Geheimnisse darum wurden interessant aufgeschrieben. Sie waren aber am Ende nicht so spektakulär wie man aus dem Klappentext erhoffen konnte. Dieser Satz ließ auch mehr erwarten:
“In den süßesten Früchten steckt ein Geheimnis,...“ Das pflegte Klaras Oma zu sagen und wurde oft von Klara zitiert.
Wunderschön empfand ich die Beschreibung der Landschaft (das ist direkte Werbung, um dort zu urlauben) und der Rezepte. Mir ist ein um das andere Mal das Wasser im Mund zusammengelaufen. Man bekommt direkt Appetit, wenn man die leckeren Rezepte und immer wieder vom Essen, von den tollen Torten- und Kuchenvarianten liest.
Ein Zitat möchte ich noch anbringen, das mir sehr gut gefiel und auf viele Lebenslagen zutrifft. Auf Seite 329:
„Was gut werden soll, benötigt Zeit. Manchmal muss man einfach nur Geduld haben.“

Mein Fazit:
Die Autorin verfügt über einen angenehmen Schreibstil. In einer liebevollen, emotionalen Art läßt sie ihre Personen agieren. Glaubhaft und herzergreifend schildert sie die Trauerbewältigung und in kursiven Sätzen bringt sie uns Lesern den verstorbenen Julian nahe. "Brombeerzimmer" endet offen. Vielleicht setzt Anne Töpfer in einer Fortsetzung die beruflichen Pläne von Nora, Katharina, Mandy, Klara in die Tat um? Es wäre schön mehr zu erfahren, auch zu den noch offenen Liebesbeziehungen. Anregendes Potential ist noch genug vorhanden.
Das Cover sieht verlockend, verführerisch aus. Es ist gut gelungen.
Die Rezepte sind es wert, dass man sich mit ihnen befaßt. Die Zeit ist günstig, das Frühjahr und der Frühsommer nahen (z. B. für Holunder, Walnuss und Erdbeerlimes) Geeignet für Partys und lauschige Abende im Garten oder auf dem Balkon.

Anne Töpfer ist das Pseudonym der Autorin Andrea Russo, die selbst gern leidenschaftlich nach traditionellen Rezepten kocht und bäckt. Sie lebt in Oberhausen wie auch die Romanfigur Nora Kluge.

Meine Leseempfehlung: 4 Sterne!

Bewertung vom 01.03.2017
MacMillan, Gilly

Perfect Girl - Nur du kennst die Wahrheit


sehr gut

Eine Familientragödie - Kein Thriller
Ich möchte meine Rezension damit beginnen, dass „Perfect Girl“ auf keinen Fall ein Thriller ist. Nach der Definition wird bei einem Thriller eine spannende Handlung erzeugt, die nicht nur in kurzen Passagen präsent ist, sondern während des gesamten Geschehens, über den gesamten Roman. Man erwartet als Leser dabei einen kontinuierlichen Wechsel zwischen Anspannung und Erlösung. Das vermisste ich völlig.
Die Geschichte, die sich in der Hauptsache um den Unfall dreht, den Zoe als 15jährige verschuldete, bezeichne ich als Familientragödie mit unabsehbaren Folgen.

So beginnt die Geschichte:
Zoe Masey und Lucas Kennedy, zwei hochbegabte Teenager geben ein Klavierkonzert zugunsten des Vereins für familiäre Trauerbegleitung. Es ist das erste Konzert nach der Haftentlassung des jungen Mädchens. Urplötzlich endet der Vortrag in der Kirche durch das wutentbrannte, laute Auftreten des Vaters einer tödlich Verunfallten. Das Unheil nimmt seinen Lauf. Nur wenig später ist Maria tot.

Wie konnte es dazu kommen?
Der Auslöser war unzweifelhaft Zoes Unfall unter Alkoholeinfluss, bei dem drei Teenager starben. Sie bekennt sich schuldig, kommt ins Gefängnis und wird in ihrem „ersten Leben“ als Mörderin gebrandmarkt. Maria trennt sich von Philip und beginnt mit Chris und dessen Sohn Lucas das „zweite Leben“. Dabei verschweigt sie die Vergangenheit.
Im Haus des Stiefvaters herrscht eine beklemmende, künstliche Atmosphäre, nur seine Meinung zählt und er will perfekte Menschen um sich haben. Maria hat sich immer unter Kontrolle, ist unterwürfig, verstellt sich, ist nicht mehr die Mum, die Zoe kennt. Sie tut alles für das neue, zweite perfekte Leben, zu dem noch Baby Grace gehört.
Zoe hatte aus dem Gerichtsprozess und der Zeit im Jugendgefängnis gelernt, dass sie mit der Wahrheit nicht weiterkam.
Der Titel des Romans wurde paßgenau auf Zoe zugeschnitten. Sie kennt die Wahrheit, aber die nutzte ihr nichts. Sie bekam nie die Gelegenheit das Drama außerhalb des Gerichtssaals aus ihrer Sicht zu erzählen. „Ich verzeihe dir“ – diese Worte hätte sie gern gehört. Wie wird sie sich verhalten? Hat sie ihre Lehren gezogen? Bekommt sie eine Chance auf ein „drittes Leben“?

Fazit:
Gilly Macmillan erzählt in kurzen Kapiteln aus verschiedenen Perspektiven. Im wesentlichen aus der Sicht von Zoe, ihrer Tante Tessa und deren Liebhaber Sam. Wenig Erzählerpotential erhalten Tessas Ehemann Richard und der Stiefbruder von Zoe, Lucas. Überhaupt nicht zu Wort kommen Chris, der Stiefvater und Maria, die Mutter sowie Philip, der Vater Zoes.
Es sind nur zwei Tage, in denen alles passiert, ein Sonntag und ein Montag.
Die Autorin schreibt einfühlsam, anteilnehmend, aber durch die verschiedenen Sichtweisen gerät das Buch deutlich zu lang.
„Perfect Girl“ ist eine solide geschriebene Geschichte über zwischenmenschliche Beziehungen mit vielen unterschiedlichen Facetten. Nichts für ausgesprochene Thrillerfans! Von mir 4 Sterne!

Bewertung vom 01.03.2017
Dorian, Ada

Betrunkene Bäume


ausgezeichnet

Ein Gleichnis zwischen Bäumen und Menschen

Im Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit erzählt Ada Dorian in einfachen, schönen Worten die Lebensgeschichte von Erich Warendorf. Er, der als junger Mann im fernen Sibirien in Einsamkeit mit dem jungen einheimischen Wolodja unterwegs war, hatte nur zwei große Lieben in seinem 80jährigen Leben, die Bäume und seine Frau Dascha.

Erich lebt immer häufiger in seinen Gedanken, in seinen Träumen in der Vergangenheit. Das Alter macht ihm zu schaffen, aber die Pflanzen interessieren ihn immer noch. Die Bäume sind seine Obsession. Der alte Mann hat einen skurillen, absonderlichen, unglaublichen Spleen, seinen Wald im Schlafzimmer! Hier fühlt er sich wohl und geborgen, einfach befreit von der Last des Alters. Doch Erich muss einsehen, dass er wegen seiner Gebrechen der Wissenschaft keinen großen Nutzen mehr bringen kann. Er fühlt sich wie ein „altes Messgerät“, das gegen ein modernes ausgetauscht werden muss.
In der 17jährigen, eigenwilligen, sich unverstanden und verlassen fühlenden Katharina, die von zu Hause abgehauen ist und die Schule schwänzt, findet er so etwas wie eine Verbündete. Erich lügt und laviert, um seine Selbständigkeit zu behalten, auch um der Bevormundung durch seine Tochter Irina und der Pflegerin zu entgehen. Er will nicht ins Heim. Als alles auffliegt, will er zu seiner geliebten Dascha nach Sibirien. Katharina soll mitkommen, da der Vater dort an einer Pipeline arbeitet.

„Betrunkene Bäume“, es war dieser Titel, der mich auf das Buch aufmerksam gemacht hat. Die Geschichte besitzt eine besondere philosophische Tiefe. Die betrunkenen Bäume spielen im Roman eher eine untergeordnete Rolle, aber die Metapher bleibt bei mir im Kopf hängen. Sowohl Erich als auch Katharina sind haltlos, haben ihre Wurzeln verloren. Sie versuchen sich gegenseitig zu stützen. Erichs Erkenntnisse über sein eigenes Leben kommen viel zu spät.
„Im Kopf ist endlich mal Ordnung.“ (S.235)
Der Schluss des Buches kommt überraschend, ist traurig, aber läßt auch hoffen...

Ada Dorian ist ein sehr menschliches, wertvolles, absolut lesenswertes Buch gelungen. Es erzählt von der Einsamkeit im Alter, von Isolation trotz sozialen Kontakten, von verpaßten Gelegenheiten, von dem Verlust der Selbstkontrolle, von mangelnder Kommunikation, von fehlendem Vertrauen,...
Die Geschichte läßt viel Raum für eigene Gedanken, Vergleiche. Erstaunlich, wie die Autorin die Befindlichkeiten des alten Mannes auf den Punkt bringt. Ihr sind natürliche, lebensechte Charaktere gelungen. Ohne Pathos! Nüchtern! Geradlinig!
Die Autorin hat ein großes, angenehmes Erzähltalent mit präziser Wortwahl. Ich möchte mehr von ihr lesen. Möglicherweise in einer Fortsetzung mit Katharina, Wolodja und Dascha? Und den „Betrunkenen Bäumen“?
Ich vergebe meine uneingeschränkte Leseempfehlung und fünf Sterne!

Bewertung vom 13.11.2016
Felenda, Angelika

Wintergewitter / Kommissär Reitmeyer Bd.2


ausgezeichnet

ZEITREISE INS MÜNCHEN DER 20er JAHRE

Angelika Felenda studierte Geschichte und Germanistik. Das merkt man ihrem Roman durchaus an. Ich empfand den zweiten Kriminalfall für Kommissär Reitmeyer als hervorragend beschriebene und recherchierte Zeitreise in die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts. Den ersten Teil habe ich noch nicht gelesen.
Die Autorin läßt uns teilhaben an den Zuständen, wie sie nach dem ersten Weltkrieg in München waren. Sie beschreibt sie beeindruckend in klaren, gut gewählten Worten.
Die Zeiten sind nicht leicht. Es herrschen chaotische, anarchistische Zustände. Der Mangel ist überall. Es fehlt an allem: Lebensmittel, Bekleidung, Heizmaterial,menschenwürdige Wohnungen, Geld. Die Eigentumsdelikte nehmen zu. Die Menschen hungern und frieren, aber es gibt auch andere Orte, an denen davon nichts zu spüren ist.

Die junge Gerti Blumenfeld befindet sich in einem zwielichtigen Lokal und wartet auf ihre Freundin Cilly. Sie benötigt dringend ihre Hilfe, da sie auf der bisher ergebnislosen Suche nach ihrer verschwundenen Schwester, ihre Unterkunft nicht mehr bezahlen kann. Aber Cilly kommt nicht. Stattdessen wird sie von einer Unbekannten angesprochen, die der jungen Frau eine Mappe mit Unterlagen wiedergeben möchte. Plötzlich ist die fremde junge Frau verschwunden. Was sind das für Papiere, die nun Gerti in den Händen hält? Bergen sie brisantes Material? Und wo bleibt Cilly?...
Kommissar Reitmeyer mit seinen kriegsversehrten Mitarbeitern wird unterdessen an einen Tatort gerufen. Eine junge Frau stürzte im Gasthof zum Roten Adler eine steile Kellertreppe hinunter. Was hatte sie dort zu suchen? War es ein tragischer Unfall? Oder war es sogar Mord?...

Konzentriert blieb ich dran, wie der sympathische Kommissär Sebastian Reitmeyer gemeinsam mit seinem ebenfalls angenehmen Kollegen Steiger und dem übereifrigen, ungestümen Polizeischüler Rattler die Spuren des mittlerweile zweifachen Frauenmörders verfolgte. Ich habe Seite um Seite verschlungen. Es kamen im Verlauf immer mehr zweifelhafte, kriminelle, undurchsichtige Personen und Fakten dazu.
Berührend war für mich zu lesen, wie der Kommissär versucht mit seinem erlittenen Kriegstrauma fertig zu werden. Die Panikattacken erfassen ihn immer wieder in unpassenden Momenten. Schön das Ende des Buches, wo er sich gegenüber der von ihm sehr verehrten Caroline von Dohmberg offenbart: „Ich bin ein Kriegszitterer.“ Vielleicht werden sie in einer Fortsetzung endlich ein Liebespaar?

Fazit:
Angelika Felenda versteht es in atmosphärischer Dichte die Kriminalgeschichte mit dem tatsächlichen Verlauf der historischen Ereignisse zu verflechten. Sie beschreibt eindrucksvoll die politische Stimmung im München der Anfang 20er Jahre. Wie ein gewisser Adolf Hitler als Redner mit Angriffen gegen die Juden, gegen die feige korrupte Regierung, gegen die Presse, die nichts als Lügen verbreitet, starke Emotionen bei seinen Zuhörern wecken konnte.
Da drängen sich zur gegenwärtigen Lage Parallelen auf. Wehret den Anfängen!

Das Cover vermittelt die allgemeine Stimmung sehr gut und unterstützt den Titel des Buches.

Von mir fünf Sterne, da Zeitgeschichte interessant verpackt beschrieben wird!

Bewertung vom 13.11.2016
Shepherd, Catherine

Mooresschwärze: Thriller


ausgezeichnet

MYSTERIÖSE TATOOS

Der Beginn des Thrillers hat etwas Ungewöhnliches zu bieten: die Ich-Perspektive des todgeweihten, jungen Mädchens. Sie erzählt von ihrem nahenden Ende und nimmt die Umgebung und ihren Peiniger mit allen Sinnen wahr. Die geschilderten Szenen und das grausame Geschehen im Zusammenspiel erscheinen absurd, nahezu grotesk. Die Zeilen versetzen in Hochspannung und verursachen Gänsehaut. Ein ganz starker, emotional bewegender Prolog!
Die Hauptpersonen Florian Kessler, Kriminalbeamter mit psychologischem Schwerpunkt und Dr. Julia Schwarz, Pathologin werden zu einer Moorleiche gerufen. Die Tote hat auf ihrem Bauch ein buntes Tatoo mit altertümlichen Buchstaben, was zunächst rätselhaft erscheint. Die Leiche im Moor ist allerdings erst der Auftakt zu weiteren mysteriösen Tötungen an jungen Mädchen.
Kessler und Schwarz sind ein ungewöhnliches, aber sehr natürliches, sympathisches Ermittlerpaar. Jeder hat so seine Macken, die dem Roman die nötige Würze geben. Sie gehen beide auf Distanz, wenn es persönlich etwas enger, intimer wird. Doch jeder für sich ist am jeweils anderen interessiert, es knistert zwischen den beiden. Da läßt sich die Autorin noch viel Raum für eine weitere Entwicklung der persönlichen Beziehung zwischen Julia und Florian. Beide Charaktere sind mit ihren besonderen Vorgeschichten so angelegt, dass es für eine Fortsetzung reicht. Es ist unglaublich spannend zu lesen, wie sich eins ins andere fügt und was die beiden für ein „Dream-Team“ sind. Ob die sehr enge Zusammenarbeit von Julia und Florian realistisch ist, hat mich nicht interessiert. Der Geschichte bekommt diese Konstellation jedenfalls sehr gut.
Julia ist für ihre Mitarbeiter im Institut die taffe „Eislady“, kühl und reserviert, was sie ärgert. Ihre Ausstrahlung hat nichts mit ihrer Gefühlswelt zu tun. Sie glaubt eine tiefe Schuld am gewaltsamen Tod ihres geliebten Bruders zu haben. Das läßt ihr seit der grausamen Tat keine Ruhe. Sein Mörder wurde nie gefunden und auch am Ende des Buches bleibt der Fall weiterhin ungeklärt. Das ungelöste Verbrechen läßt sie unermüdlich an der Aufklärung der unheimlichen, rituellen Tötung der jungen Mädchen arbeiten. Darüber vergißt sie oft das Essen, ignoriert den Hunger.
Die Jugendlichen (vor allem Hannah) sind in ihrem Verhalten typisch, lebensecht dargestellt. Das macht es dem psychopathischen Killer leicht für seine Taten die geeignetsten Mädchen im Internet zu finden. Hier entdeckt er seine Opfer, die er nach seinen ästhetischen Gesichtspunkten wie körperliche Unversehrtheit und Makellosigkeit auswählt.
Eindringlich macht die Autorin die Gefahren bewußt, die auf gewissen Portalen des Internets lauern.

Catherine Shepherd gewährt in „Mooresschwärze“ tiefgründige Einblicke in die Seele eines psychisch kranken Menschen, der erst auf den letzten Seiten des Krimis entlarvt wird. Vorher spielte er namentlich keine Rolle. Wie ein Phantom und ohne verwertbare Spuren zu hinterlassen mordet er, um den Göttern zu gefallen. Der Autorin gelingt es falsche Spuren zu legen, die nie zum Täter führen. Das Ende war dann etwas abrupt.

Fazit:
Ein eher ruhig und gekonnt erzählter, nicht reißerischer Thriller mit grausamen, brutalen, mysteriösen Details zu Opferritualen der Mayakultur.
Ich fühlte mich gut unterhalten und freue mich auf eine Fortsetzung.
Zum Cover möchte ich nur sagen, dass es in seiner düsteren Aussage zum Genre paßt.

Bewertung vom 13.11.2016
Funke, Cornelia

Die Feder eines Greifs / Drachenreiter Bd.2


ausgezeichnet

EIN WIRKLICH MAGISCHER LESEGENUSS!

Das ist das erste Buch, welches ich von Cornelia Funke gelesen habe. Allerdings gehöre ich nicht zu ihrer Zielgruppe-ich zähle zur Generation der Autorin.
Nach den ersten Zeilen von „Die Feder eines Greifs“ fühlte ich mich in meine Kindheit zurückversetzt. Ich komme ins Schwärmen!
Die Figuren in der Fortsetzung des Drachenreiters sind so liebevoll beschrieben wie gezeichnet. Eine wunderbar poetische Sprache! Und die vielen Fabelwesen! Ich glaube Cornelia Funke hat nichts vergessen. Da gibt es Feen, Kobolde, Wichtel, Heinzelmännchen, Trolle, Drachen, Zwerge, Ungeheuer, künstlich erschaffene Geschöpfe...Und ein Land namens MIMAMEIDR in Norwegens einsamen Wäldern, wo diese ungestört existieren dürfen. Diese Fabulierkunst, diese Harmonie! „Die Feder eines Greifs“ zählt nun für mich zu den Meisterwerken der Kinderliteratur, ein Märchen der besonderen Art.

Nachdem im ersten Teil Nesselbrand besiegt wurde, gilt es in Teil 2 wiederum neue Abenteuer zu bestehen. Eine Riesenaufgabe mit großen Gefahren wartet. Es geht ums Überleben der letzten geflügelten Pferde.
Barnabas und Vita Wiesengrund hatten ihr Dasein der Bestimmung gewidmet, die seltensten Geschöpfe dieser Welt vor menschlicher Gier und Neugier zu beschützen. In einem Bergtal Griechenlands entdeckten sie ein Pegasuspaar. Die Stute starb plötzlich am Biss einer Giftschlange. Die drei frisch gelegten Pegasuseier waren dem Untergang geweiht, wenn es nicht gelang, die kleinen Eier zum Wachsen zu bringen. Die Rettung konnte nur durch die Sonnenfeder eines Greifs gelingen.
Also machen sie sich auf die Reise nach Indonesien. Sie, das sind Ben und Barnabas Wiesengrund, der Riesentroll Hothbrodd, die Ratte Lola Grauschwanz und Fliegenbein, der winzige Homunkulus. Unterwegs stößt zur Rettungstruppe noch die nervöse Papageiendame Meh-Rah dazu, die sich im Land der Greife auszukennen scheint. Ben und seine Mitstreiter haben die Ausweglosigkeit, die Möglichkeit des Scheiterns ständig vor Augen, aber trotzdem kommt für niemanden eine Aufgabe des Vorhabens in Frage. Sie müssen sich mit den gefährlichsten aller Fabelwesen einlassen. Wie sie die Abenteuer durchstehen ist atemlos spannend, voller dramatischer Ereignisse.

Das Buch birgt sowahnsinnig viel an Phantasie, bezaubernden Einfällen, Begebenheiten, die miteinander verflochten sind und hervorragend harmonieren. Ein wirklich magischer Lesegenuß!
Vor jedem Kapitel befindet sich ein Spruch, eine Lebensweisheit von bekannten Menschen (Oskar Wilde, John Lennon, Konfuzius, Erich Kästner, Rudyard Kipling...), was Kinder im Moment sicher weniger beachten, aber später sicher nachholen werden.
Cornelia Funke ist eine exzellente Geschichten- und Märchenerzählerin, die ich in eine Reihe mit bspw. Autoren wie Joanne K. Rowling, J. R. R. Tolkien, Astrid Lindgren stellen möchte. Sie ist eine Schriftstellerin, deren Werke man mitnimmt beim Erwachsenwerden, an die man sich gern erinnert und den eigenen Kindern empfehlen wird.

Meine älteste Enkeltochter (11 Jahre) erhält zum Weihnachtsfest beide Bände des „Drachenreiter“. Zuvor lese ich, die Oma, noch den ersten Band.
Zu hoffen ist, dass ein eventueller 3. Band nicht so lange auf sich warten läßt.
Zum Cover möchte ich sagen, dass ich es als sehr schön und kindgerecht gezeichnet empfinde. Der Greif wird in satten Farben als Fabelwesen, nicht als Ungeheuer dargestellt.

Ich vergebe mit vollster Begeisterung fünf Sterne (mehr ist ja nicht drin!) für diese fabelwesenhaft gute Geschichte!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.10.2016
Russwurm, Vera

Der Ameisenhaufen


sehr gut

HAUPTSACHE QUOTE

Die bekannte österreichische Fernsehmoderatorin Vera Russwurm gewährt in ihrem Roman „Ameisenhaufen“ Einblicke hinter die Kulissen des Showbusiness.

Die klassische Fernsehshow ist out. Ein neues Konzept steht beim Privatsender MasterTV-Österreich kurz vor der Realisierung. Die fünf Erwachsenen, die gegen jeweils fünfzig Kindergartenkinder antreten sollen, stehen fest. „Ameisenhaufen“ könnte beginnen!
Da verschwindet das bereitgestellte Geld über Nacht aus dem Büro des Chefs. Was soll nun werden? Der Sender kann sich wegen der gestohlenen Million die gecasteten Kandidaten nicht mehr leisten. Deshalb beschließt der Chef Hans Erschler, genannt Herrschler, sie aus den eigenen Reihen zu rekrutieren. Jeder darf sich Hoffnung machen beim Kampf um den Millionengewinn dabei zu sein. In einem Auswahlverfahren bestimmt er, wer die Show bestreiten darf. Zusätzlich ermittelt die Polizei wegen dem gestohlenen Geldkoffer. Die Anspannung steigt. Die Angestellten werden immer nervöser. Die Stimmung wird gereizter. Jeder einzelne hat so seine Leichen im Keller.
„Das Hauen und Stechen“ untereinander nimmt immer extremere Formen an...

Vera Russwurm zeigt dem Leser die Seiten der verrückten Fernsehwelt, die dem Zuschauer verborgen bleiben. Ihre Charaktere (z. B. der skrupellose Erschler, die exzessive, infame, würdelose Maria, der selbstlose Sami, der bildschöne, junge Fabo, der alternde, selbstverliebte Gockel Will Wilson, der intelligente, aber etwas verpeilte Jonas...) umfassen eine große Bandbreite.
Es war interessant zu lesen, aber berührt, verwundert oder entsetzt hat mich der Roman nicht. Nicht ganz so ausgeprägt, aber mittlerweile ähnlich geht es in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens zu, in scheinbar ganz normalen Unternehmen, in den verschiedensten Branchen. Die Menschlichkeit, Kollegialität, das freundliche Miteinander bleibt immer mehr auf der Strecke. Das ist die wesentliche Quintessenz, die ich aus diesem Buch mitnehme.

Fazit:
Ich finde das Buch lesenswert. Vera Rußwurm kann auch schreiben. Es ist eine Geschichte von einem fiktiven, privaten Sender mit seinen Angestellten. Eine Geschichte über die Oberflächlichkeit im Fernsehgeschäft, die Jagd nach Einschaltquoten, die gnadenlose Verfolgung von rein kommerziellen Interessen, die mediale Aufmerksamkeit um jeden Preis. Dabei flicht die Autorin geschickt die privaten Befindlichkeiten der Personen ein.

Cover:
Meine Interpretation zur Dame mit dem Zeigefinger auf den Lippen:
Pssst! Ruhe! Hier wird gemauschelt, intrigiert, denunziert, gestohlen, bespitzelt.