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clematis

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Insgesamt 291 Bewertungen
Bewertung vom 20.08.2024
Poznanski, Ursula

Scandor


ausgezeichnet

99 Gegner

Bei einem Wettbewerb müssen 99 Gegner geschlagen werden, dann winken fünf Millionen Euro Preisgeld. Ansonsten muss ein selbst gewählter Einsatz eingelöst werden, der allerdings für jeden einzelnen Kandidaten viel Überwindung kostet. Die Herausforderung ist ein neuartiger Lügendetektor, der einen keinesfalls bei einer Unwahrheit erwischen darf.

Ursula Poznanski lässt zwei Kandidaten, Tessa und Philipp, das Geschehen aus ihrer Sicht schildern und erzählt dadurch manche Szene doppelt, aber eben aus unterschiedlichen Blickwinkeln und mit anderen Empfindungen. Schnell merken die Romanfiguren, ebenso wie der Leser, wie oft man eigentlich am Tag lügt, sei es auch nur eine kleine Notlüge oder Höflichkeit. Und genau das darf während des Wettstreits nicht passieren, denn das speziell erfundene Gerät Scandor deckt jede Unwahrheit gnadenlos auf und wirft den Kandidaten noch im selben Moment aus dem Rennen. Rund um die Uhr wird von Hundert heruntergezählt, erfährt man, wie viele Konkurrenten noch unterwegs sind. Scheiden zu wenige in einem gewissen Zeitraum aus, gibt es zusätzliche Aufgaben. Auch wenn sich manches zu wiederholen scheint, bleibt die Sache stets spannend und unterhaltsam, denn es geht um noch viel mehr, als vordergründig zu erkennen ist.

Mir hat Scandor sehr gut gefallen mit Poznanskis unverwechselbarem, eher kühlem Schreibstil und den Themen rund um Wahrheit und Moral. Ein überaus gelungenes Jugendbuch, das aber auch Erwachsene anspricht und zum Nachdenken bringt.

Bewertung vom 18.08.2024
Taschler, Judith W.

Nur nachts ist es hell


gut

Ein Leben

Elisabeth Brugger, die jüngste von vier Geschwistern, erlebt zwei Weltkriege, arbeitet als Lazarettschwester und Ärztin, übernimmt Verantwortung für ihre Familie ebenso wie für ihre Patienten.

Konzipiert ist das Buch in Form eines Briefes an die Großnichte, liest sich daher wie ein Monolog, bei dem das „Du“ regungslos und kommentarlos lauscht und sich den Bericht eines Lebens anhört. Dies ist einerseits durchaus interessant, andererseits leidet aber die Lebendigkeit des Geschehens darunter. Viel ist passiert, viel hat Elisabeth zu erzählen, allerdings geht sie dabei nicht chronologisch vor, sondern springt - einem Rössel am Schachbrett gleich - wild hin und her zwischen den Zeiten und Ereignissen. Die durchaus komplizierte Familienchronik wird dabei eingebettet in sehr gut recherchierte historische Fakten. In einzelnen Bereichen (beispielsweise bei der Darstellung der 1920er-Jahre) sind diese aber nur katalogartig aufgelistet und wirken somit wie eine erzwungene Fleißaufgabe. Überwiegend sind die einzelnen Szenen gut zu lesen, die abrupten Wechsel zu anderen Stationen, anderen Zeitebenen oder anderen Figuren sind jedoch zuweilen verwirrend und störend im Lesefluss. Dies liegt möglicherweise auch daran, dass ich den Vorgängerband „Über Carl reden wir morgen“ nicht kenne, vielleicht wären dadurch die Vorgänge und Zusammenhänge einfacher zu erschließen gewesen. Nichtsdestotrotz werden überaus interessante Themen aufgegriffen, die Schwierigkeiten der beschriebenen Jahrzehnte gut dargestellt.

Ein lesenswerter Roman, unter Umständen besser mit dem Vorwissen des vorangegangenen Buches.

Bewertung vom 17.08.2024
Bronsky, Alina

Pi mal Daumen


sehr gut

Im Hörsaal

Im Hörsaal während einer Mathematikvorlesung treffen Oscar und Moni erstmals aufeinander: zwei Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten – der hochbegabte Sechzehnjährige mit Adelstitel, der überbehütet aufgewachsen ist und die 53jährige Oma, die neben drei Jobs und Enkelbetreuung noch in der Uni Gleichungen aufstellt und Beweise herleitet, obwohl man sie zuerst für die schrill angezogene Kantinenkraft gehalten hat.

Voller Humor steckt dieser Roman, der durchaus realistische Hochschulszenen beinhaltet. Immer wieder beschreibt Alina Bronsky Momente, die einen zum Schmunzeln bringen und sorgt mit ihrem flotten Schreibstil für gute Unterhaltung. Ihren Figuren, allen voran natürlich Oscar und Moni, haucht sie glaubwürdig Leben ein, sodass man sie rasch bildhaft vor Augen hat. Einerseits fließt die Erzählung aus Oscars Sicht leicht dahin, andererseits verbergen sich aber auch ernste Hintergründe im Geschehen.

Bei Pi mal Daumen handelt es sich um eine ungewöhnliche Geschichte mit noch ungewöhnlicheren Protagonisten, welche den Leser überzeugen können, sofern man hinter ihre Äußerlichkeiten blickt und ihnen selbst Gelegenheit bietet, sich auf den jeweils anderen einzulassen. Schön!

Bewertung vom 17.08.2024
Spierer, Céline

Bevor es geschah


sehr gut

Abgründe

Wie jedes Jahr veranstaltet die Familie Haynes ein Barbecue auf dem Anwesen der verwitweten Mutter. Alle vier Kinder samt Ehe- bzw. Lebenspartnern und eigenen Kindern sind geladen. Wer allerdings meint, hier von einem idyllischen Zusammentreffen zu lesen, der ist auf dem Holzweg.

Die Geschichte beginnt mit einer wesentlichen Szene und schwenkt dann zurück zu den Vorbereitungen des Familienfests, dazwischen noch weiter zurück, um relevante Ereignisse zu erzählen. Im Laufe der Zeit stellt sich heraus, dass jede Person sonderbare Charakterzüge hat und wohlgehütete Geheimnisse, über die man mit niemandem spricht. Abgründe tun sich auf hinter einer perfekten Fassade, welche seit Jahrzehnten erfolgreich aufrechterhalten wird. Die krankhafte Dynamik im Familiengeschehen wird immer augenscheinlicher. Die Figuren sind vielfältig und bleiben doch ein Schatten ihrer selbst, austauschbar inmitten einer Familie, welcher es um Geld, Macht und Einfluss geht.

Spierers Schreibstil ist eingängig und von Eloquenz geprägt. Die Atmosphäre beim Barbecue und rund um die Haynes ist perfekt eingefangen, düster, geheimnisvoll, rätselhaft. Eine unterschwellige Anspannung ist beim Lesen spürbar, das Ende bleibt orakelhaft.

Ein Roman, bei dem Oberflächen abgeschliffen werden, Verstecktes zutage tritt, Vergangenes haften bleibt, Künftiges übersehen wird. Interessant und lesenswert.

Bewertung vom 15.08.2024
Menger, Ivar Leon

Finster


ausgezeichnet

Stahl

Kriminalkommissar Hans J. Stahl ist mittlerweile im Ruhestand. Allerdings lässt ihn sein letzter Fall nicht ruhen: da ist es um eine Kindesentführung gegangen, die nicht schlüssig gelöst werden konnte. Als beim Jahrmarkt in Katzenbrunn ein 13jähriger Bub spurlos verschwindet, begibt sich Stahl auf eigene Faust in das kleine Dorf mit seinen unwirschen Bewohnern.

Kurze Kapitel, wechselnde Blickwinkel, teils aus neutraler Erzählersicht, teils in der Ich-Form, da im klassischen Präteritum, dort im aktuellen Präsens: extrem abwechslungsreich präsentiert Menger diesen Thriller, bei dem man nur gefesselt von einer Szene zur nächsten springen kann und am besten ohne Pause vom Anfang bis zum Ende der hervorragend aufgebauten Handlung folgt. Ein verschrobenes Dorf mit sonderbaren Charakteren – steckt hier der Entführer oder muss man auswärts suchen? Eine unheimliche Atmosphäre durch die Psychoklinik, hat einer der verrückten Insassen etwas zu tun mit den verschwundenen Kindern? Genauso gut könnte es aber auch eine der scheinheiligen Nachbarinnen sein? Die Möglichkeiten sind umfassend, Stahls Nachforschungen nicht so einfach, schließlich ist er bereits zweiundsiebzig und benötigt mitunter einen Stock. Aufgrund der vielfältigen Richtungen der Ermittlungen und der unterschiedlichen Informationen zieht sich die Spannung durch alle Kapitel und lässt einen kaum mehr los, zuweilen wird man so vom Sog mitgerissen, dass man meinen könnte, eine Seite überblättert zu haben.

Ein hervorragendes Buch, das mich vom flotten Schreibstil und von der Vielfalt der verdächtigen Figuren her exzellent unterhalten hat. Ich kann es nur wärmstens empfehlen!

Bewertung vom 12.08.2024
Erle, Thomas

Der geheime Wert der Zeit


sehr gut

Vorwärts

Friedrich Karmann ist ein begnadeter Uhrensammler und Lebemann. Auf der Jagd nach der ältesten Schwarzwälder Uhr, muss er feststellen, dass er für Geld nicht alles kaufen kann. Der Besitzer des begehrten Guts stellt Karmann drei Aufgaben, welche zu erfüllen sind.

Ähnlich einem Märchen der Gebrüder Grimm nimmt sich dieser nachdenklich stimmende Roman aus. Es geht um Gleichnisse und Prioritäten. In ruhigem Stil beschreibt Autor Thomas Erle die Einsamkeit Karmanns, die dessen Leben ebenso prägt wie seine extreme Sammelleidenschaft. Wem begegnen wir in unserem Leben, wofür bemessen wir unsere Zeit? Setzen wir diese bestmöglich ein? Viele Fragen tauchen auf, schmerzlich wird Karmann bewusst, dass um Geld nicht alles zu kaufen ist und die Zeit nur vorwärts läuft.

Ein sehr schönes Buch um die Vergänglichkeit und den Wert des Augenblicks. Ich empfehle es gerne weiter.

Bewertung vom 12.08.2024
Phillips, Julia

Cascadia


gut

Elena, Sam und Bär

Die Schwestern Elena und Sam leben mit ihrer lungenkranken Mutter in ärmlichen Verhältnissen. Mit Elenas Arbeit als Kellnerin im Golfclub bzw. Sams Job in der Cafeteria auf einem Fährschiff kommen die drei Frauen mehr schlecht als recht über die Runden. Als ein Bär im Kanal zwischen den nordamerikanischen Inseln schwimmt und in der Nähe ihres Wohnhauses landet, wird sich das Leben der Geschwister dramatisch verändern.

Mit einem sehr ruhigen Schreibstil entwirft Julia Phillips ihre Erzählung über die beiden Schwestern, welche angelehnt ist an das Märchen „Schneeweißchen und Rosenrot“. Obwohl insbesondere Sam sehr präzise beschrieben wird, bleibt sie mir – wie auch die wenigen anderen Charaktere – eher fremd und distanziert. Ihre Lebenslage ist schwierig, der Wunsch, anderswo hinzuziehen und neu zu beginnen, gut nachvollziehbar. Das Leiden der Mutter, die selbst praktisch nicht zu Wort kommt, verhindert allerdings jegliche Veränderung. Diese beginnt erst mit dem Auftauchen des Bären, der ungewohnt zutraulich ist und sich Elenas und Sams Zuhause immer wieder nähert. Der weitere Handlungsverlauf wird von Kapitel zu Kapitel bizarrer, die Schwestern, welche sich lebenslangen Zusammenhalt geschworen haben, sind nicht so, wie es anfangs scheint. Verdrängte, versteckte Charaktereigenschaften kommen ans Licht und können vom außenstehenden Leser analysiert und interpretiert werden.

Das Leben in Armut, das Streben nach einem besseren Dasein, die nordamerikanische Fauna und Flora sind atmosphärisch eingefangen, dennoch kann ich etliche Gedankengänge und Handlungen der zwei Schwestern nicht wirklich nachvollziehen, geschweige denn, mich in eine der beiden einfühlen. Ein ausgefallener Roman, der aber gewiss seine Anhänger findet.

Bewertung vom 12.08.2024
Parker, Martina

Eintunkt


ausgezeichnet

Bildein

Im südburgenländischen Bildein findet das alljährliche Musikfestival „picture on“ statt, diesmal blühen dort aber nicht nur bunte Musikstile, Stars und Schmankerl, sondern auch Stalker und Leichen.

Nach dem kurzen Prolog befindet sich der geneigte Leser in Bettys Bestattungsinstitut „Gut gebettet mit Betty“. Man sieht schon, Schriftstellerin Martina Parker geizt nicht mit Humor und Wortwitz. Obwohl es sich hier um einen Kriminalroman, streng genommen um einen Gartenkrimi handelt, darf man auch schallend lachen beim Lesen und sich königlich amüsieren mit den originellen Damen aus dem Gartenklub der Grünen Daumen. Von der Leiche liest man erst spät, was aber keineswegs bedeutet, dass es bis dahin nicht spannend uns urig zugeht. Das Burgenland als Schauplatz eignet sich hervorragend, um Wein und Musik zu präsentieren, wer kann da schon etwas dafür, wenn plötzlich ein Hiniger [Toter] im Bild liegt? Die eingestreuten Sätze in perfektem Dialekt sind per Fußnote übersetzt für all jene, die nicht aus der Gegend stammen.

Zum Inhalt kann man nicht allzuviel schreiben, ohne die Handlung vorwegzunehmen oder mehr zu verraten als der Klappentext. Nur eins sei gesagt: es geht turbulent zu, die Szenen sind lebendig – ich habe mich auf meiner Terrasse fast so gefühlt, als wäre ich selbst mittendrin gewesen beim hitzigen Musikfest.

Skurriles, Interessantes, Hintergründiges und noch viel mehr … auch dieser Gartenkrimi überzeugt durch charakterstarke Figuren, gewitzte Handlungsweisen und einen bestens inszenierten Tathergang. Die (selbst)ironische Schreibweise hat sowieso unnnachahmlichen Wiedererkennungswert. Coming soon (?) … „Anbandelt“ … (erst) 2026 (!) … Martina Parker … willst du uns papierln [österr., umgangssprachl.: pflanzen, zum Narren halten]? Na gut, dann werde ich eben „Aufdeckt“ vorbestellen als Überbrückung …

Bewertung vom 09.08.2024
Janz, Tanja

Was die Gezeiten versprechen / Die St.-Peter-Ording-Saga Bd.3


gut

Dritte Generation

Bereits die dritte Generation trifft der Leser in St. Peter-Ording im Jahre 1997 an. Diesmal steht Caro im Mittelpunkt mit ihrem Wunsch, Schauspielerin zu werden. Aber schon bald gerät sie in einen Zwiespalt zwischen dem Traum, die weite Welt zu erobern und ihrer aufflammenden Liebe zu Jonas.

Schnell findet man sich wieder zurecht im Hotel und im Strandcafe im bekannten Urlaubsparadies. Die Zeit steht nicht still, schon steht Carolina vor dem Schulabschluss und plant – aufgrund ihrer Theatererfahrung im Gymnasium – eine Karriere als Schauspielerin. Ein Filmdreh am Strand beflügelt ihre Ideen und so bewirbt sich das junge Mädchen für aufregende Castings. Zwischendurch geht es selbstverständlich wieder in den Ruhrpott, wo Uropa Alfred an einer schweren Lungenentzündung leidet. Schön zu lesen, wie es den Figuren aus den vorangegangenen Bänden der St. Peter-Ording-Saga geht, allerdings gibt es fast zu viele Schauplätze und angerissene Themen, sodass kaum eines tiefgreifend erörtert werden kann. Auch das Flair der 1990er-Jahre ist mir persönlich zu schwach ausgeprägt, neben Techno-Beat und Baby-G-Uhr hätte es bestimmt noch andere interessante Details gegeben. Das Hin und Her einer ersten Liebe hingegen ist gut getroffen und stellt Caros und Jonas‘ Gefühle recht realistisch dar.

Alles in allem ein netter Band 3, aber durch die gewachsene Zahl an Familienmitgliedern kommen zu viele Blickwinkel auf, ein buntes Kaleidoskop an Szenen, welche eher oberflächlich bleiben. Auch wenn ich mir hier „weniger ist mehr“ gewünscht hätte, so hat auch dieser Teil seinen Wert an Unterhaltung und bietet einen gut zu lesenden Abschluss der Familiensaga.

Bewertung vom 08.08.2024
Kuhl, Nikolas;Sandrock, Stefan

Das Dickicht / LKA Hamburg Bd.1


ausgezeichnet

LKA Hamburg

Juha Korhonen, ein Urgestein im LKA Hamburg, hat seit Kurzem einen neuen Partner, Lucas „Lux“ Adisa. Dass die zwei trotz ihrer Gegensätze perfekt zusammen arbeiten, zeigt dieser Fall einer Kindesentführung, welche Parallelen zu einem fast zwanzig Jahre zurückliegenden Verbrechen aufweist.

Spannend beginnt der Krimi und holt den Leser mit einem flotten Schreibstil ab. Wer meint, es gibt schon alle Facetten an Ermittlern und neue Serien von Kriminalromanen wären ein Abklatsch dessen, der irrt. Juha und Lux sind ein phantastisches Ermittlerduo, ihre Art und Weise, an eine neue Aufgabe heranzugehen, ist authentisch und nachvollziehbar, lediglich Juhas Auftritt am Ende der Handlung ist fragwürdig. Dafür lässt er sich aber auch gleich beurlauben und setzt damit schon einen Schritt in Richtung Fortsetzung.

Abwechselnde Kapitel aus den Sichtweisen von Juha und Lux werden ergänzt durch vereinzelte andere Blickwinkel und Schwenks in die Vergangenheit, logische, aber falsche Fährten lenken geschickt vom wahren Vergehen ab, sodass die Handlung durchwegs spannend verläuft. Ein paar private Details zum neuen Gespann werden passend, aber nicht aufdringlich eingestreut.

Kurzum: ein gelungener Serienstart mit einem interessanten Ermittlungsfall und zwei hellen Kriminalisten, von denen ich gerne mehr lesen möchte. Leseempfehlung.