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clematis

Bewertungen

Insgesamt 267 Bewertungen
Bewertung vom 12.07.2025
Dahinden, Claudia

Sein Wort auf den Lippen (eBook, ePUB)


sehr gut

Sich finden

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Schweiz, 1897: Charlotte wächst behütet auf, dennoch fühlt sie sich stets weniger geliebt als ihre Schwester Agathe, insbesondere von ihrer Mutter. Zuflucht sucht sie in der Musik, ein Geheimnis um ihre Familie erfährt sie zufällig. Entsetzt flüchtet Charlotte sich zu ihrem Patenonkel in Bern, den sie überhaupt noch nie gesehen hat, der ihr aber helfen soll, sich selbst zu finden. Dabei trifft sie auf zwei recht unterschiedliche Glaubensgemeinschaften und nicht zuletzt auf die Stimme ihres Herzens.

Liebevoll im Detail erzählt Claudia Dahinden Charlottes Geschichte, welche anfangs geprägt ist von Selbstzweifeln und Mutlosigkeit. Das ändert sich sehr schnell, als die Zwanzigjährige in Bern auf Aimée trifft und in die örtliche Kirchengemeinde eingeführt wird. Gemeinsames Klavierspiel und Gesang, vermischt mit Bibelrunden und regen Diskussionen ziehen Charlotte in ihren Bann und lassen sie den Weg zu Gott finden. Gleichzeitig lernt sie die Heilsarmee kennen, wo auch Frauen das Wort des Herrn verkünden dürfen, im Gegensatz zur Gemeinde rund um Pater Elias Weber. Es geht also einerseits um Charlottes ganz persönliches Schicksal, andererseits um allgemeine Themen wie Gleichwertigkeit und Würde aller Menschen, unabhängig, ob Mann oder Frau. Geschickt verknüpft die Autorin diese Ebenen zu einem stimmigen Roman, der überdies reale historische Personen zu Wort kommen lässt. Eher ruhig fließt die Handlung dahin, größere emotionale Wogen bleiben aus, dennoch werden vielerlei Denkanstöße geliefert, die zum Innehalten motivieren. Vielleicht meldet sich dann auch wieder eine leise Stimme, die ermutigt, dem Herzen zu folgen statt den Erwartungen anderer Menschen [kindle, Pos. 3902].

Im Mittelpunkt dieses Romans steht eine mutige Frau, die man gerne dabei begleitet, sich selbst und ihren ganz persönlichen Lebensweg zu finden. 4 Sterne.

Bewertung vom 10.07.2025
Preis, Robert

Waldestod


sehr gut

Das Ende der Welt

Emmi Beinhart fühlt sich nicht mehr wohl in der Wiener Zeitungsredaktion und hat schon ihre Kündigung vorbereitet, als Chefin Sani Kovacic ihr eine Reportage in der Steiermark vorschlägt, die sie nicht ablehnen kann. Eine schreckliche Hochwasserkatastrophe hat sich im abgelegenen Dorf Rabenwald - beinahe am Ende der Welt - ereignet, nachdem ein kleiner Bach weit über seine Ufer getreten ist, die persönlichen Berichte der Betroffenen sollen Emmi die Karriereleiter hinaufklettern lassen.

Völlig unpassend gekleidet landet die junge Journalistin naiv im waldreichsten Bundesland Österreichs und wird, wie schon vom Kollegen Sandberg vorgewarnt, nicht besonders freundlich von den Einheimischen empfangen. Zum Glück kann sie sich im Ferienhäuschen Sandbergs für ein paar Tage wohnlich einrichten und sogleich mit der Recherche beginnen, aber schon bald wird sie von unheimlichen Ereignissen eingeholt: da schleichen Männer in weißen Overalls durch den Wald, hängt eine Leiche am Baum, scheint jemand Emmi durchs Fenster zu beobachten. Alpträume suchen Emmi heim, bald weiß sie nicht mehr, ob sie phantasiert oder all das wirklich erlebt. Die düstere Stimmung mit den wortkargen Steirern, dem dunklen Wald und der unmittelbar vorangegangenen Naturkatastrophe fängt Robert Preis blendend ein, die fesselnde Geschichte nimmt zügig ihren Lauf. Sowohl für die Journalistin als auch für den Leser bleibt lange im Verborgenen, was hier genau passiert und wer welche Ziele vor Augen hat. Kann Emmi dem „Hausmeister für alles“ Severin Moser vertrauen oder will er sie nur unter Kontrolle halten? Warum reagiert der Bürgermeister so ablehnend und wieso richtet die Frau im Rollstuhl eine Flinte auf sie? Eine gespenstische Atmosphäre und entsetzte Gesichter prägen die seltsamen Vorgänge in einer Welt, die gerade aus den Fugen gerät, ja dem Untergang geweiht sein soll. Geheimnisvoll und mystisch mutet so manche Szene an, wie nebenbei und ohne oberlehrerhaft erhobenen Zeigefinger flicht Preis die Dynamik der Klimaveränderung in diesen Krimi ein und endet mit einer Hommage an den Wald als wertvollen Lebens- und Erholungsraum.

Ein bizarrer Krimi mit gruseligen Elementen und einer Erinnerung daran, wie wir unserer Umwelt begegnen sollten – unterhaltsam umgesetzt und daher eine Empfehlung wert.

Bewertung vom 09.07.2025
Stolzenburg, Silvia

Das Pestmädchen und der Medicus (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Die Herkunft

Lina ist nach Gernots Tod Henkerswitwe und nach wie vor eine Unehrliche. Ihre Liebe zum Wundarzt Ulrich muss sie sich verbieten, ist er doch mit der Ratsherrentochter Angela verheiratet und somit unerreichbar. Nach dem Überfall in der Badestube und dem Brandanschlag auf ihr Wohnhaus ist Lina sicher, dass ihr irgendjemand nach dem Leben trachtet. Spannend geht es weiter.

Nahtlos schließt Band 2 an die bisherigen Ereignisse an und lässt Augsburg im Jahre 1462 lebendig werden. Abgerissene Bettler, Beutelschneider und Huren kämpfen täglich ums Überleben, im Spital ringt man wieder einmal mit dem Schwarzen Tod und die Reichen sind der Meinung, sich alles kaufen und richten zu können. Mitten drinnen in diesem Ort der Gegensätze nimmt die junge Witwe Lina ganz alleine ihr Schicksal in die Hand und erwirtschaftet Geld mit der Herstellung von Salben und Pflastern, verkauft Armsünderfett und Fingerknöchelchen am Markt, bis ein Einbrecher ihr an die Gurgel will. Voll Angst flüchtet sie sich zum Bettlerkönig der Stadt, nicht wissend, in welch missliche Lage sie sich damit selbst begibt.

Mit vielen historisch belegten Einzelheiten besticht Silvia Stolzenburg einmal mehr und fesselt ihre Leser mit spannenden Szenen aus dem Spätmittelalter. Lina als überaus tapfere Frau hat einige Hürden zu überwinden, nicht zuletzt will sie endlich wissen, wer ihre Mutter ist und warum sie im Findelhaus aufwachsen musste. Besonders realistisch wird ihr steiniger Weg geschildert, von der Abhängigkeit und Unfreiheit einer Frau erzählt Stolzenburg ebenso wie von den typischen Behandlungsmöglichkeiten der Beulenpest und von der Annahme, dass es sich um eine Strafe Gottes für die fehlbaren Sünder handelt. Eingebettet in diesen überaus atmosphärischen Rahmen erleben wir hautnah Linas bange Wochen nach dem Tod von Gernot und fiebern mit ihr mit, wie sie fortan leben wird, in steter Angst vor einem weiteren Überfall, der mit ihrer Herkunft zusammenhängen dürfte. Böse ist das Ende von Band 2, denn es ist noch nicht das Ende!

Ein aufregender Teil der Reihe „Das Pestmädchen“, der einen beim Lesen in Atem hält und hoffen lässt, dass Teil 3 alsbald erscheint. Ich spreche eine Empfehlung aus, am besten im Anschluss an den ersten Band.

Bewertung vom 07.07.2025
Taylor, Mary Ellen

Das Versprechen eines neuen Morgens


sehr gut

Unterwegs

Seit einem Jahr ist Olympia quer durch Nordamerika unterwegs und wird von den Lesern ihres Blogs @ThePizzaTraveler begleitet. Hier schreibt sie nieder, was sie bewegt und was sie erlebt, bis ihre Schwester Eve sie zur Verlobung einlädt. Zurück in Blacksburg in Virgina trifft Olympia auf Spencer, ihren Mann, der wie besprochen die Scheidung plant. Alte Wunden rund um einen schweren Schicksalsschlag reißen wieder auf, ist der eingeschlagene Weg der richtige?

Zwischen Blogbeiträgen und Kapiteln aus Olympias sowie aus Spencers Sicht muss man sich erst einmal orientieren, wer hier eine Rolle spielt und worum es eigentlich geht. Der Schreibstil Mary Ellen Taylors ist angenehm ruhig, mitunter fast nüchtern berichtend, sodass zu Beginn der Geschichte noch keine Emotionen aufkommen. Dies entwickelt sich erst allmählich im Laufe der Zeit, wenn klar wird, was vor Olympias Reise geschehen ist. Zwei Eheleute aus extrem unterschiedlichen Verhältnissen entfremden sich und suchen gleichzeitig die Nähe des anderen. Ob ein Schlussstrich oder ein Neuanfang die passende Entscheidung ist, scheint auf den ersten Blick nicht einfach. Schritt für Schritt kommt die Autorin dem Kern der Sache näher, schreibt über Verantwortung und Pflichtbewusstsein ebenso wie über Verbindendes und Liebe – wer weiß, was in etlichen Jahren ist, das Leben findet jetzt statt, vielleicht auf einem Roadtrip?

Ein schöner Roman mit ernsthaften Themenkomplexen, der sich über die Kapitel weg stetig steigert.

Bewertung vom 07.07.2025
Hermanson, Marie

Im Finsterwald


sehr gut

Die neunjährige Alice besucht gerne mit ihren vier jüngeren Geschwistern und dem Kindermädchen Maj das Naturhistorische Museum in Göteborg. Eines kalten Jännertages verschwindet das Mädchen spurlos, die anderen kehren ohne die lebhafte Alice nach Hause. Sowohl die Museumswärter als auch die Polizei können sich nicht erklären, wo das Kind geblieben sein könnte.

Sehr atmosphärisch beginnt die Geschichte im Museum und versetzt uns zurück ins Jahr 1926. Interessante Ausstellungsstücke von Weichtieren über Säuger bis hin zum Walsaal und zum Diorama mit weitläufigem Wald, wo Elche hausen, lassen einen rasch selbst zwischen den faszinierenden Exponaten ankommen. Dann verschwindet auch schon die Neunjährige und mit einer unglücklichen Zeitverzögerung geht die Suche los. Hauptwachmeister Nils Gunnarsson versucht zu ermitteln, stößt aber allerorts auf Unwissen, Schweigen oder Misstrauen. Da kommt Journalistin Ellen Forsell gerade recht und kann alsbald wichtige Informationen liefern. Dennoch tappt man lange im Dunklen, vergehen unheimliche Stunden der Untersuchung im Museum, das irgendetwas Unheimliches ausstrahlt und bisweilen den Eindruck erweckt, als lebten die ausgestopften Tiere noch. Unterschiedlichste Figuren, eine ungewöhnliche Familie und ein schauriger Ort des Geschehens lassen die eher ruhige Handlung doch kurzweilig daherkommen, vielerlei Erklärungen für das Verschwinden der Neunjährigen sind denkbar, die Lösung so einfach wie nie vermutet.

Nicht auffallend spektakulär und doch fesselnd, so könnte man „Im Finsterwald“ kurz beschreiben, die Ermittlungen stehen weniger im Vordergrund als viele persönliche Details zu den einzelnen Figuren, was insgesamt den Reiz der Geschichte ausmacht. Durchaus lesenswert, wenn man Gemächliches und Kriminalistisches aus den 1920er-Jahren sucht.

Bewertung vom 03.07.2025
Denzau, Heike

Nordseerätsel


sehr gut

Zum 90. Geburtstag

Zum 90. Geburtstag lädt Hermann Suhrkamp seine gesamte Verwandtschaft ein, eine Woche lang soll sie in seinem Haus verweilen und ein Rätsel lösen. Wer den Code knackt, erhält einhundert Euro als Belohnung. Damit alles mit rechten Dingen zugeht, soll Privatdetektiv Raphael Freersen das Zusammensein beobachten. Egoismus und Gier hat Suhrkamp erwartet, Egoismus und Gier bekommt er zu sehen, und schließlich auch einen Todesfall in unmittelbarer Nähe.

Eigentlich beginnt der Krimi ja mit mysteriösen Postkarten an Hermann Suhrkamp, um erst später auf die Geburtstagsfeier und das verbissene Rätselraten überzuleiten. So entspinnen sich zwei Grundideen, die die Handlung prägen und es dem Detektiv ermöglichen, die richtigen Schlüsse zu ziehen. Dieser ist mit Witz und Humor ausgestattet und wickelt so manchen Mitmenschen auf Föhr um den kleinen Finger, aber auch Zwillingsbruder Johannes kann den manchmal recht ungewöhnlichen Bitten kaum entfliehen. Im Haus Suhrkamp hingegen geht es steif zu, man hat einander wenig zu sagen, der Hausherr selbst wirft allen vor, nur auf sein Vermögen aus zu sein. Die Geschichte entwickelt sich in unterschiedliche Richtungen, die einzelnen Familienmitglieder rund um Hermann Suhrkamp hätte ich gerne etwas näher kennengelernt, bevor der Tresor geöffnet wird, dafür hätte Raphaels Nymphensittich auch einmal weniger auftreten können. Unterhaltsam ist das Rätselraten auf Föhr aber allemal.

Fazit: ein Krimi mit Humor und einer ungewöhnlichen Familienfeier, die so manches Geheimnis ans Licht zaubert. Kurzweilige Lesestunden für ein entspanntes Wochenende.

Bewertung vom 30.06.2025
Lindberg, Karin

Kein Herzensbrecher ist auch keine Lösung


ausgezeichnet

Für immer Single

Roxy hat sich gut eingelebt in Dubai, wohnt mit ihrem Freund in einer netten, kleinen Wohnung mit Blick auf den Burj Khalifa und klettert erfolgreich und zielstrebig die Karriereleiter hoch. Dazu versteht sie sich auch noch sehr gut mit ihren Vorgesetzen und Kollegen, insbesondere Luke, „Single für immer“ und notorischer Herzensbrecher hat stets gute Laune und ein offenes Ohr für alle Fälle.

Die wunderbare Kulisse Dubais mit den Gegensätzen zwischen moderner Stadt und wilder Natur findet auch hier wieder Platz in einer lesenswerten Geschichte. Mit viel Liebe zum Detail und persönlichen Eindrücken bringt Karin Lindberg ihren Lesern diesen Flecken Erde nahe und weckt Neugierde, sofern man selbst noch nicht da gewesen ist. Flüssig beschreibt die engagierte Autorin ihre Figuren und bringt dabei viele Emotionen ins Spiel, auch tiefgreifendere Themen wie Adoption und Selbstzweifel werden mit beachtlicher Leichtigkeit in die süße Liebesgeschichte eingeflochten. Insbesondere Roxy und Luke sind überaus authentisch in ihrem Auftreten, sodass man sich sehr gut in sie hineinversetzen kann. Wer den Vorgängerband gelesen hat, wird sich gerne auch an alle anderen Personen erinnern.

Ein wunderbarer Roman, der Tiefgründiges und Humorvolles auf bewährte Weise von Karin Lindberg verknüpft und dabei großes Lesevergnügen bietet. Empfehlung!

Bewertung vom 30.06.2025
Hellberg, Amanda

Rosenlund - Ein Sommer der Geheimnisse (eBook, ePUB)


sehr gut

Sommerfest

Helena veranstaltet in ihrem Hotel Rosenlund das alljährliche Sommerfest und lädt neben zahlreichen anderen Gästen auch ihre besten Freundinnen Anna, Kim und Nadja ein. Als wenige Tage später einer der Besucher vermisst wird, hütet jede der vier Frauen ein Geheimnis, das bei den Befragungen durch die Polizei keinesfalls ans Licht kommen darf.

Ruhig und idyllisch geht es zu im Wohnviertel Rönnbacken. So unterschiedlich die vier Freundinnen auch sind, so eng halten sie zusammen und treffen einander regelmäßig. Unaufgeregt schildert Amanda Hellberg den Alltag der Mütter und die Vorbereitungen für das legendäre Sommerfest. Auch der Abend selbst wird auf besonnene Art und Weise dargestellt, obwohl hier einiges passiert, das weitreichende Folgen nach sich zieht. Von Mord ist alsbald die Rede und weder Helena noch Anna, Kim oder Nadja berichten auf der Polizeidienststelle alles, was sie wissen. Allerdings sickert das ein oder andere Detail dennoch durch und der Grat, auf dem jede der Frauen wandert, wird von Tag zu Tag schmäler. Gekonnt baut die Autorin ein gewisses Maß an Spannung auf, die Trägheit des Sommers schlägt jedoch immer wieder durch. Zu keiner der vier Hauptpersonen kann man ein besonderes Naheverhältnis aufbauen, trotzdem wächst die Neugierde, was hinter all der Geheimniskrämerei steckt. Vieles wird im Laufe der Kapitel klar, ein großes Rätsel bleibt allerdings noch ungelöst, sodass man auf jeden Fall auch die Fortsetzung von Rosenlund lesen muss.

Ein flüssiger, aber eher ruhig gehaltener Schreibstil führt durch die Geschichte, der Zusammenhalt der Frauen in Rönnbacken bildet das Grundgerüst für einen Roman mit einzelnen kriminalistischen Elementen. Ein Sommer in Schweden und abwechslungsreiche Lebensentwürfe laden ein zum Verweilen. Ich komme gerne wieder.

Bewertung vom 28.06.2025
Wöß, Lotte R.

Sommerschneeflocke


ausgezeichnet

Auf Zeit

Nach einer einzigen gemeinsamen Nacht ist Marlen schwanger, ausgerechnet vom Frauenhelden Theo, der stets mit einer anderen Schönheit gesehen wird. Nun steht Marlen vor der Entscheidung, wie sie mit der Situation umgehen soll und wird bald mit einer erschütternden Tatsache konfrontiert, welche ihr Leben vollends auf den Kopf stellt.

Mit einem tagebuchähnlichen Brief beginnt dieser Roman, der geprägt ist von emotionalen Momenten und mit überaus berührenden Szenen endet. Dazwischen spielt sich eine schicksalhafte Geschichte ab, die nicht nur den handelnden Figuren, sondern auch dem Leser einiges abverlangt, denn es geht um eine ungewöhnliche Schwangerschaft, die wir hier erleben und um Entscheidungen, die wohl kaum jemand leichtfertig treffen wird. Marlen befindet sich in einer scheinbar ausweglosen Situation, wird aber bald von einigen Personen in ihrem ganz persönlichen Umfeld überrascht und auf ihrem Weg begleitet, allerdings spricht Theo immer wieder von einer Beziehung auf Zeit, während der er für Marlen da sein kann, zu mehr ist er nicht bereit. Seine Beweggründe jedoch hält er geheim, will Marlen nicht mit seiner Vergangenheit belasten.

Besonders gut gelungen ist die Verquickung der Erzählung mit früheren Ereignissen, wobei erst im Laufe der Zeit klar wird, um wen es hier geht und in welchem Zusammenhang die unterschiedlichen Handlungsstränge stehen. Der Einfluss der (Nach)Kriegsgeneration auf deren Kinder und Kindeskinder wird hervorragend herausgearbeitet und lässt so manches Tun - für einige Personen erst spät - verständlich erscheinen. Lotte R. Wöss wählt einfühlsame Worte ohne dabei kitschig oder sentimental zu werden, schafft stets die passende Atmosphäre und zeigt ihre Charaktere überaus realistisch in dieser herausfordernden Lebensphase, in welcher widerstreitende Gefühle und ein Hadern zwischen Richtig und Falsch den Alltag bestimmen. Unterschiedliche Meinungen werden in die Runde geworfen und diskutiert, breit gefächerte Themen rund um Leben und Tod, Freude und Trauer, Liebe und Zweifel, Ethik und Glauben fließen mit ein in die abwechslungsreiche Handlung, die einen rasch in ihren Bann zieht. Besonders gegen Ende hin verschwimmen mitunter auch einmal die Zeilen vor den tränenden Augen, obwohl doch eigentlich das Positive in all der Tragik hervorgehoben wird. Und genau das ist das Schöne an diesem Roman: er zeigt besondere Wege der Hoffnung und die vielfältigen Möglichkeiten, seinen ganz individuellen Umgang mit schwierigen Situationen zu finden.

Der Titel Sommerschneeflocke weckt Neugierde und ist besonders treffend gewählt, die höchst aufwühlende Geschichte hinter dem hübschen Titelbild lässt wohl kaum jemanden kalt und spricht Dinge an, welche gern verschwiegen und im Verborgenen bleiben. Tief berührt und durch neue Sichtweisen sensibilisiert werde ich mich noch länger an die Zeit mit Marlen, Theo und Niva erinnern und spreche daher eine Leseempfehlung aus für all jene, die sich mit Themen wie schweren Krankheiten und Fehlbildungen bei Ungeborenen bis hin zum Kindstod auseinandersetzen möchten.

Bewertung vom 27.06.2025
Pötzsch, Oliver

Der Totengräber und die Pratermorde / Inspektor Leopold von Herzfeldt Bd.4 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Beim Calafati

Der Wiener Prater ist schon im Jahre 1896 ein anziehender Vergnügungspark im zweiten Wiener Gemeindebezirk, Ringelspiel, Panoptikum und andere Attraktionen locken die Besucher an, begrüßt werden sie am Eingang von einer neun Meter hohen Chinesenfigur, dem Calafati. Im benachbarten ersten Bezirk wird ein neuer Zaubertrick präsentiert – Die zersägte Jungfrau – da ereignet sich auch schon die Tragödie, die Bühnendarstellerin wird tatsächlich massakriert in ihrem Sarg. Während das Publikum aufgeregt schreiend aus dem Saal stürzt, schlängelt sich Reporterin Julia Wolf aus den Zuschauerraum hinter die Bühne und beginnt, die Anwesenden zu interviewen. Ausgerechnet sie ist die momentan unerreichbare Liebe von Polizeiinspektor Leopold von Herzfeldt, der alsbald in diesem Fall ermittelt, denn es handelt sich mit großer Wahrscheinlichkeit um einen Mordanschlag. Kurz darauf erfährt das Wiener Sicherheitsbüro von vermissten Frauen rund um den Prater, sodass Leo schließlich seinen Freund, den Totengräber Augustin Rothmayer um Rat und Mithilfe ersucht.

Eine Squaw auf der Flucht eröffnet diesen vierten Fall für Herzfeldt und weckt sofort die Neugierde des Lesers. Anschließend an diesen flotten Prolog geht es am nächsten Abend gemächlich in den ersten Wiener Gemeindebezirk, wo Julia und Fritz sich im Ronacher verzaubern lassen wollen. Bildhafte Beschreibungen und realistische Darstellungen der Stadt Wien um die Jahrhundertwende versetzen einen rasch in die damalige Zeit mit Männern in Frack und Zylinder, Damen mit bauschigen Kleidern und kunstvollen Blumenhüten, die in Fiakern unter Kohlenbogenlampen am Theater eintreffen. Ebenso großartig in Szene gesetzt wird später der Prater, der diesmal den Mittelpunkt der Ermittlungen darstellt. Voller Atmosphäre, ab und zu von Dialogen in bestem Wiener Dialekt durchsetzt, fließt die hochinteressante Handlung dahin. Wie gewohnt, geht es nicht nur um schlichte Kriminalistik, die damals übrigens mit etlichen Neuerungen wie der Daktyloskopie oder der Ermittlung des Todeszeitpunkts anhand von Larven und Maden aufwarten konnte, sondern auch um viel Persönliches zwischen Leopold und Julia mit ihrer Tochter Sisi. Die Entwicklung dieser privaten Szenen kann man natürlich umso besser mitverfolgen, wenn man bereits die vorangegangenen Bände der Reihe gelesen hat, allerdings gelingt es Oliver Pötzsch sehr gut, die wesentlichen Fakten kompakt zusammenzufassen, sodass auch Neueinsteiger bestimmt die wesentlichen Zusammenhänge herstellen können.

Der Schreibstil ist wie immer flüssig, der Sprachgebrauch der Zeit angepasst, viele historische Details finden Eingang ins Geschehen und werden im Nachwort noch durch wertvolle Wien-Tipps ergänzt. Echte Wiener werden es vielleicht nicht brauchen, aber alle anderen sind bestimmt froh über das Glossar, welches die Wienerischen Ausdrücke, besonders die damals gebräuchlichen Schimpfwörter, verständlich übersetzt. Die Handlung selbst ist bestens durchdacht und führt über etliche Hürden schlussendlich zu einem logischen Abschluss.

Auch Band Numero vier überzeugt mit einer großartigen Idee, charakterstarken Figuren und schönen historischen Schauplätzen, sodass die Zeit beim Calafati wie im Flug vergeht. Nach großartigen Lesestunden samt aufregenden und humorvollen Episoden kann ich auch die „Pratermorde“ im Rahmen der gesamten Totengräber-Reihe nur wärmstens empfehlen!