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sleepwalker

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Insgesamt 522 Bewertungen
Bewertung vom 12.08.2021
Austen, Annie

Bücherliebe - Was Bücherregale über uns verraten


ausgezeichnet

Wer schon immer mal wissen wollte, was in den Bibliotheken von Marilyn Monroe oder Osama bin Laden zu finden war, der sollte unbedingt „Bücherliebe – Was Bücher über uns verraten“ von Annie Austen lesen. Lesen sollte man es auch, wenn man unzählige Zitate, Aphorismen, Anekdoten oder Wissenswertes über Bücher, Bücherregale oder Büchermenschen lesen möchte. Denn das Buch ist nicht nur eine Anleitung zum Sortieren von gedruckten Büchern auf Holzbrettern, sondern sehr viel mehr: eine Liebeserklärung an die Blätter, die die Welt bedeuten (können). Also sollte man es auf jeden Fall lesen, wenn man Bücher mag.
So schreibt die Autorin über das „Bücherregal des Volkes“ in Lettland, zu dem jeder Bürger einen Beitrag leisten konnte, listet unter anderem Informatives wie „Ein Dutzend fiktive Bücher in der Literatur“, „Fünf Romane, deren Handlung an einem einzigen Tag spielt“ auf, daneben „Zehn verworfene Titel für berühmte Bücher“, „Fünf von Büchern inspirierte Songs“, „Zehn fiktive Orte in der Literatur“ und fiktive Buchhandlungen und Bibliotheken in Filmen. Neben den informativen Anteilen schreibt sie in Essayform launige Anekdoten über „Bemerkenswerte Buchliebhaber“, „Shelfies“ (den Begriff kannte ich bislang noch gar nicht) und Marotten und Spleens von „Büchermenschen“.
Sprachlich fand ich das Buch sehr gelungen, die Sätze sind manchmal ein wenig lang und kompliziert, aber als Leseratte und Bücherwurm hatte ich in einem Buch über Bücher und das Lesen nichts anderes erwartet und fand es daher trotzdem sehr flüssig zu lesen. Die Kapitel sind sehr kurz und knackig, das ganze Buch ist auch nur rund 200 Seiten schlank. Die Texte sind mal informativ, mal lustig oder nachdenklich (sehr gelungen fand ich dabei vor allem das Kapitel über die „reitenden Bibliothekarinnen von Kentucky). In sehr vielem fand ich mich wieder und kam aus dem Nicken kaum noch heraus. Sicher schreibt die Autorin ausschließlich über gedruckte Bücher, wenn es um Bücherregale geht. Für meinen Reader brauche ich kein Regal, da reicht der Platz neben der Lampe auf meinem Nachttisch und auch die Möglichkeiten der Sortierung sind da sehr begrenzt.
Das Buch hat für mich wenig tiefere „Message“, aber eine Menge Unterhaltungs- und Informationswert. Es ist eine Hommage ans Lesen, ein Denkmal für das Buch und eine Hymne auf den Leser als unbesungenen Helden. Ich habe das Buch sehr gerne gelesen und kann es als kurze Zwischenlektüre für alle Bücherwürmer, Leseratten, Bibliophilen, Bibliomanen und Bouquinisten wärmstens empfehlen. Was mein Bücherregal über mich selbst verraten würde, weiß ich zwar immer noch nicht, vielleicht will ich es auch gar nicht so genau wissen. Von mir klare fünf Sterne.

Bewertung vom 12.08.2021
Suchanek, Andreas

Flüsterwald - Durch das Portal der Zeit: Ausgezeichnet mit dem LovelyBooks-Leserpreis 2021: Kategorie Kinderbuch (Flüsterwald, Staffel I, Bd. 3)


ausgezeichnet

„Durch das Portal der Zeit“ ist der Name des dritten Teils von Andreas Suchaneks „Flüsterwald“-Serie. Ich habe die beiden ersten Teile auch gelesen und ungeduldig auf den dritten Band gewartet, gespannt darauf, was sich der Autor dieses Mal einfallen lässt. Und ich wurde nicht enttäuscht, Band 3 ist tatsächlich noch phantasievoller, actiongeladener und spannender als die ersten beiden.
Wieder erleben Lukas, Ella, Rani und Punchy ein wildes Abenteuer im Flüsterwald, aber dieses Mal reisen sie in die Vergangenheit und treffen dort auf neue Verbündete und neue Widersacher. Das Ziel ist, den Schlüssel für einen magischen Fluch, der auf dem Flüsterwald liegt, zu finden. Keine leichte Aufgabe für die Helden, aber eine tolle Geschichte für ihr Publikum. Mehr möchte ich gar nicht zur Geschichte sagen, denn die ist spannend, voller Überraschungen und einfach nur wild und der Schluss hat mich ziemlich überrascht. Nur so viel: es gibt Flug- und Flüsterpulver, Fahrten mit der Blinzelbahn, Schlingpflanzen-Angriffe, dunkle Magier und noch eine Menge mehr. Und da die Gruppe rund um Lukas in die Vergangenheit gereist ist, ist es natürlich eine große Herausforderung, nicht in den Lauf der Geschichte einzugreifen. Denn spätestens seit „Zurück in die Zukunft“ wissen wir ja, dass dadurch ihre eigene Zukunft verändert würde.
Nachdem die Handlung im zweiten Teil schon so rasant war, hätte ich nicht gedacht, dass der Autor das Tempo noch weiter steigern könnte. Weit gefehlt! Die Geschichte ist locker und flott geschrieben, die Sprache ist ideal für jüngere Leser und unglaublich bildreich. Die Kapitel sind kurz, dadurch ist das Buch sicher auch zum Vorlesen gut geeignet. Die Charaktere sind wie immer gut ausgearbeitet und, ja, der schokoladensüchtige, tagebuchschreibende Menok Rani ist nach wie vor mein Liebling. Er ist schließlich (zumindest in seinen Aufzeichnungen „Ranis heldenhafte Abenteuer“) der mutigste Menok der Welt. Aber auch die anderen Personen sind toll und anschaulich beschrieben, die Reise durch die Zeit ist packend und ich kam als Leser kaum zum Luftholen.
Mit viel Humor, Action und Fantasie konstruiert der Autor eine wundervoll spannende Geschichte über Magie, Freundschaft, Mut und kreative Problemlösungen, die nicht nur die Zielgruppe (das Buch ist für Kinder ab neun Jahre) geeignet ist, sondern schlicht für Leser:innen jeden Alters, die für Geschichten dieser Art etwas übrig haben. Gruselige Elemente dürfen natürlich in der Geschichte auch nicht fehlen, aber manche Passagen sind einfach nur unglaublich kreativ und witzig. Manche Stellen brachten mich zum Lachen, einige aber auch zum Nachdenken, denn neben wirklich lustigen Passagen sorgen Themen wie Pubertät, Beziehungen zwischen Eltern und Kindern, Toleranz und Vertrauen für die nötige Balance im Buch.
Nur eine einzige winzige Sache fiel mir negativ auf. In ein paar Überschriften sind Fehler in der Groß- und Kleinschreibung korrekt („Der plan des professors“, „Der preis der Macht“). Aber das sind wirklich Luxusprobleme und taten meiner Lese-Freude keinen Abbruch, daher natürlich auch nicht der Punktzahl. Das Buch endet wie gewohnt mit einem Cliffhanger, der für den nächsten Teil alles, aber wirklich alles möglich macht. In gespannter Erwartung auf den nächsten Band vergebe ich daher 5 Sterne und empfehle das Buch gerne weiter.

Bewertung vom 10.08.2021
Pearson, Mary E.

Zweiunddieselbe


gut

Trotz meines fortgeschrittenen Alters bin ich ein großer Freund von Jugendbüchern. Ich mag dystopische Geschichten, vor allem solche, bei denen man am Anfang noch nicht weiß, wohin sie führen. Aber „Zweiunddieselbe. Das vergessene Leben der Jenna Fox“ von Mary E. Pearson war für mich enttäuschend. Die Autorin hat das enorme Potential, das die Idee hinter dem Buch geboten hätte, viel zu wenig ausgeschöpft. Schwierige Themen wie Ethik im Allgemeinen und in der Wissenschaft, Gott-Spielen bei Entscheidungen über Leben und Tod und die Frage, was einen Menschen zu dem macht, was er ist, wurden zu oberflächlich beleuchtet.
Aber von vorn: Die 17jährige Jenna Fox wacht nach über einem Jahr aus dem Koma auf. Ihre Eltern und ihre Großmutter versuchen, ihre Erinnerungen unter anderem mit DVDs aus ihrem Leben, wiederzuerwecken und ihr Vergangenheits- Ich mit dem Jetzt-Ich in Einklang zu bringen. Aber für Jenna ist das sehr unbefriedigend und sie beginnt, sich auf eigene Faust auf die Suche nach sich selbst zu machen. („Aber ich bin mehr als ein Name. Mehr, als sie mir erzählen. Mehr als die Zahlen und Fakten, mit denen sie mich vollstopfen. Mehr als die Videos, die sie mich anschauen lassen.
Mehr. Aber ich weiß nicht genau was.“) Und sie entdeckt Unfassbares, denn das Buch spielt in einer Zukunft, in der sehr vieles möglich ist, ja sogar, dass eigentlich tote Menschen wieder zum Leben erweckt werden.
Das Setting ist erschreckend realistisch. Zwar erschien das Buch schon 2010, also lange vor Corona, aber die Autorin schreibt über Umweltkatastrophen, ein großes Beben und eine „Aureus-Epidemie“, die „zwanzig Millionen Menschen dahingerafft“ hat. Die surreal-dystopische Stimmung flammt innerhalb der Geschichte immer mal wieder auf. Spannung ist auch eher sporadisch vorhanden, das Buch lebt mehr von inneren und äußeren Konflikten und es wechseln sich bedrückende, nachdenkliche, spannende, romantische und völlig belanglose Sequenzen immer wieder ab.
Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht der sehr reflektierten Ich-Erzählerin Jenna. Die Sprache ist eher locker, aber bildhaft, passend sowohl zur jugendlichen Erzählerin, als auch zur Zielgruppe. Die Leserschaft lernt die Charaktere fast zeitgleich mit Jenna kennen, da sie diese ja auch neu entdecken muss. Daher sind zumindest die „tragenden Rollen“ ziemlich gut beschrieben, die Nebenrollen fallen stark ab. Zwischen den Kapiteln sind kurze Abschnitte mit Gedanken oder Gefühlen von Jenna, die einen tieferen, manchmal philosophisch angehauchten Einblick in ihre Gedankenwelt geben. Jennas Probleme (fehlende Erinnerung, Konflikte mit Eltern und Großmutter) waren gut und realistisch beschrieben. Vor allem die Großmutter ist ein dominanter Charakter, denn schon früh wird klar, dass sie der „alten“ Jenna nachtrauert. Sie spricht im Dialog mit ihrer Enkelin von deren früherem Ich in der dritten Person (also von „sie“ statt von „du“), als wäre es nicht ein und dieselbe Person, sondern tatsächlich „zweiunddieselbe“.
Es ist ein Buch über die Suche nach sich selbst, festgemacht an einer Protagonistin, die ihre Erinnerungen und damit einen großen Teil ihrer (alten) Identität verloren hat. Damit verbindet die Autorin die Frage, was einen Menschen überhaupt ausmacht: Erinnerungen, Wissen, Intelligenz, Aussehen? Was sind denn überhaupt „Persönlichkeit“ und „Identität“ und existieren sie noch, wenn man keine Erinnerungen hat? (Frei nach Prentice Mulford: „Wir sind die Summe unserer Erfahrungen.“) Und wie lassen sich Wissenschaft und Ethik in Einklang bringen, wann ist es legitim, alles Mögliche zu versuchen und wann ist es verwerflich. Das Buch hätte wirklich gut sein können, ist es für mich aber nicht. Der Epilog hat der Geschichte meiner Meinung nach den Rest gegeben und die Geschichte wird auf den letzten paar Seiten noch unrund und unbefriedigend. Es ist aber trotz allem ein Buch, das nachdenklich macht. Daher von mir drei Sterne für die wirklich hervorragende Idee.

Bewertung vom 06.08.2021
Hoem, Edvard

Die Hebamme


ausgezeichnet

Edvard Hoem ist in Norwegen ist er ein vielfach preisgekrönter Bestseller-Autor, in Deutschland ist er nicht wirklich bekannt. Ich habe mich auf seinen Roman „Die Hebamme“ sehr gefreut, denn er schreibt über zwei Themen, die ich sehr gerne mag: Norwegen und Geschichte. Die Hauptperson ist Marta Kristine Andersdatter Nesje, die Ururgroßmutter des Autors. Zum ersten Mal befasste er sich mit ihrer Geschichte schon 2008 zum 100jährigen Bestehen der norwegischen Hebammenvereinigung, denn Marta Kristine, genannt Stina, war über 50 Jahre lang Hebamme und half über 1000 Kindern auf die Welt, sie selbst bekam elf Kinder. Es ist ein Buch über eine starke, unangepasste Frau, aber keineswegs ein „Frauenbuch“.
„Ich weiß nicht, was aus ihr werden soll“, erwiderte der Vater, „sie sagt, sie wäre lieber ein Kerl geworden als ein Frauenzimmer.“ – dieser Satz charakterisiert Stina sehr gut, gegen Ende des Buchs trägt sie unter ihrem Rock tatsächlich Hosen! Sie konnte zupacken und hart arbeiten, war fleißig, ausdauernd und hatte immer ihren eigenen Kopf. Und das war in den harten Zeiten, in denen sie lebte, überlebenswichtig. Die napoleonischen Kriege gingen auch an Norwegen nicht spurlos vorbei, vor allem die britischen Marineblockaden waren der Grund für große Not in der Bevölkerung. Als Tochter eines Schuhmachers und Schlachters hatte Stina wenige Chancen, etwas aus sich zu machen. Heiraten, ein paar Felder bewirtschaften und Kinder bekommen – so hätte ihr Leben am ehesten aussehen können. In gewisser Weise sah es auch so aus, aber der zupackenden Stina war das nicht genug. Der Pfarrer erwähnte einmal die Hebammenausbildung und diese Idee ließ sie nicht mehr los. Schon zu Schulzeiten verliebte sie sich in Hans, einen drei Jahre älteren Mitschüler. Und auch er war ihr zugetan, über Umwege kamen sie zusammen, obwohl sie ein uneheliches Kind mit in die Ehe brachte.
1817 ging sie als 24Jährige nach Molde, um die Geburtshilfe in einem sechswöchigen Kurs zu lernen. Aber Hebammen waren zu der Zeit nicht gut angesehen, viele werdende Mütter sparten sich lieber die Hebammen-Gebühren. Daher beschloss Stina 1821, die fast 600 Kilometer nach Christiania (das war bis 1924 der Name des heutigen Oslo) zu Fuß zu gehen, um sich dort ein Jahr lang „richtig“ zur Hebamme ausbilden zu lassen. Nach dem Ende der Ausbildung ging sie zurück und arbeitete fast 50 Jahre lang weiter. So viel ist Fakt, die wenigen Aufzeichnungen aus der Zeit stammen hauptsächlich aus Kirchenbüchern.
Daher ist das Buch ein fiktiver Roman auf der Grundlage dokumentierter Fakten. Aber eben diese fiktive Ausgestaltung macht den Roman so besonders. Aus den Fakten, die so karg sind wie das Land, in der die Geschichte spielt, strickt der Autor eine packende und lebendige Erzählung über eine Frau, die ihrer Zeit weit voraus war. Allerdings hatte sie wohl immer den Rückhalt ihrer Familie, Eltern und Mann legen ihr (zumindest in der Geschichte) keine Steine in den Weg zum Glück. Schicksalsschläge wie Tod, Not und Schulden werden in der für die Zeit und die Lebensumstände typischen Ruhe hingenommen, trotz des harten und arbeitsreichen Lebens scheint Stina zufrieden. Ob es so war, weiß keiner. Aber es hätte so sein können. Das Bild, das der Autor von Personen und Zeit zeichnet, ist glaubwürdig und realistisch.
Für mich war das Buch ein echtes Highlight, die deutsche Fassung ist der Übersetzerin hervorragend gelungen. Es ist eine dichte und packende Geschichte über Liebe, Familie, Hebammenberuf, Trauma, Not, Überlebenskampf, Mut und eine bemerkenswerte und starke Frau. Edvard Hoem baut seiner Urururgroßmutter ein Denkmal, verfällt aber nicht in Klischees oder Lobhudelei. Ich habe mir jetzt die anderen Teile seiner Familiensaga im Original besorgt, denn ich habe mich in seinen klaren, sachlichen und doch poetischen Stil verliebt. Für dieses Buch gibt es von mir ganz klar fünf Sterne.

Bewertung vom 04.08.2021
Pásztor, Susann

Die Geschichte von Kat und Easy


gut

„Die Geschichte von Kat und Easy“ von Susann Pásztor erzählt in zwei Ebenen die Geschichte einer Teenagerfreundschaft, die das Leben auseinandergerissen hat. 1973 waren die beiden knapp 16 Jahre alt und seit etwa einem Jahr sehr eng befreundet. Aber auch mitten in der (Spät)Pubertät. Kiffen, Rauchen und Jungs waren dominante Themen in ihrem Leben, dazu die Musik der Zeit als Soundtrack. Fertig. Fertig? Nein, nicht ganz. Denn dank des Internets finden sich die beiden fast 50 Jahre später wieder. Um der alten Zeiten willen machen sie gemeinsam auf Kreta Urlaub.
Ohne eine wirkliche Klassentreffen-Atmosphäre aufkommen zu lassen, erzählt die Autorin die Geschichte relativ schnörkellos in zwei Zeit-Ebenen, dem Hier und Jetzt auf Kreta und der Jugendzeit 1973 im beschaulichen Laustedt. Die Kreta-Kapitel sind von Kat in der Ich-Form erzählt, die anderen Kapitel durch einen neutralen Erzähler.
Die beiden Protagonistinnen des Buchs gehören zur Sandwich-Generation zwischen meinen Eltern und mir, aber wirklich viel scheint sich bezüglich Mädchenfreundschaften tatsächlich nicht verändert zu haben. Hauptthema des Buchs ist die Freundschaft zwischen zwei Jugendlichen, die den Sprung zur Erwachsenenfreundschaft nicht schafft. Es scheint auch von Anfang an keine gleichberechtigte Freundschaft zu sein, denn beide sind nicht wirklich ehrlich zueinander, zwischen ihnen stehen Schwindeleien und Neid – und irgendwie geht es immer um Liebe, Jungs und Drogen. An manchen Stellen habe ich mich ehrlich gefragt, wieso die beiden überhaupt befreundet waren. Vielleicht, weil die eine gerne voraus ging und die andere hinterher? Oder weil sich Gegensätze anziehen oder sie sich ähnlicher waren, als sie dachten? Kat war pummelig und trug eine dicke und (wie sie fand) hässliche Brille. Sie beneidete Easy darum, dass sie hübscher war (fand sie), cooler und irgendwie reifer („Was hatte ich mich manchmal vor Easys Unbekümmertheit gefürchtet, während andere sie gerade dafür bewunderten, dass sie Makel ansprach, die sie gar nicht als solche empfand.“). Nähe, Distanz, Neid, Zuneigung, Abgebrühtheit und Verliebtsein sind dadurch nur einige der Themen, die die Autorin streift.
Aber sie streift sie nur, irgendwie fehlt mir bei dem Buch die Tiefe, denn im Endeffekt wird in dem Buch einiges geredet, aber sehr wenig gesagt. Zu einer wirklichen Aussprache kommt es nur zögerlich, da ist mir zu viel „Können wir darüber ein andermal reden, Kat?“ dabei und die Essenz des Buchs liegt nicht in den Zeilen, sondern dazwischen. Ja, die Autorin schafft es, die Geschichte zu einem halbwegs ordentlichen, wenn auch für mich eher unspektakulären Schluss zu bringen, streift nebenher noch die Themen Internet („Du hast niemals im Internet nach den Leuten von früher gesucht?“) und Einsamkeit, aber mir ist das Buch insgesamt zu vage.
Sprachlich fand ich es sehr gelungen und die Charaktere sind sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart gut beschrieben, sodass man auch die Entwicklung der beiden nachvollziehen kann. Die beiden Protagonistinnen sind älter geworden, aber nicht „souverän gealtert“. Alte Stutenbissigkeit ist geblieben, neue Gleichgültigkeit ist dazugekommen („Früher wäre ich neidisch gewesen. Jetzt war es mir egal.“) Und da vermutlich jede:r solche oder ähnliche Erfahrungen mit Freundschaften gemacht hat, kann man sich vieles aus dem Buch sehr gut vorstellen.
Für mich war es daher einerseits eine unterhaltsame Lektüre, andererseits eine schmerzhafte Erinnerung an zerbrochene Freundschaften. Der Drogenkonsum hat für mich eine zu dominante Rolle (die beiden Damen kiffen auch auf Kreta noch zusammen) und alles in allem fehlt mir die Tiefe und die einzige erleuchtende Erkenntnis, die mir bleibt ist, dass man auf Freundschaften aufpassen muss, wenn man sie aufrechterhalten will. Die steht aber sicher auch in irgendwelchen Abreißkalendern. Es ist kein schlechtes Buch, aber für mich auch nicht wirklich gut, daher vergebe ich drei Sterne.

Bewertung vom 02.08.2021
Strandberg, Mats

Das Heim


ausgezeichnet

Zwanzig Jahre ist es her, dass Joel, Protagonist in Mats Strandbergs Roman „Das Heim“, zu Hause war. Jetzt ist er in das westschwedische Städtchen gekommen, um seine demenzkranke Mutter Monika zu pflegen. Als sich ihr Zustand rapide verschlechtert, besorgt er ihr einen Platz im Seniorenwohnheim „Nebelfenn“, wo sich die Ereignisse nach und nach überschlagen und das Buch von einer tragischen Familiengeschichte schnell zu einem Horror-Roman wird. Denn Monika scheint immer weniger sie selbst zu sein. Aber wer ist sie, wenn sie nicht sie selbst ist? Ist es ihre Krankheit, die sie so „seltsam“ werden lässt? Und wieso weiß sie Dinge, die sie eigentlich gar nicht wissen kann?
Der Autor erzählt die Geschichte alternierend aus den Perspektiven von Joel und seiner Jugendfreundin Nina, die als Pflegekraft im Seniorenheim arbeitet. Die beiden hatten ebenfalls 20 Jahre lang keinen Kontakt, nachdem Nina eine gemeinsame Musikkarierre zugunsten eines bürgerlichen Lebens aufgegeben hatte. Joel versuchte es alleine, rutschte in eine Drogensucht und scheiterte in jeder Hinsicht. Trotz ihrer Differenzen stellt sich zwischen ihnen schnell wieder eine Vertrautheit ein.
Die erste Hälfte des Buchs ist langsam, fast träge erzählt. Der Autor beschreibt Monikas Umzug ins Heim und ihre neuen Mitbewohner:innen. Aber dann wird die Geschichte packend, spannend und enorm gruselig. Vor allem der immer wieder auftauchende „Fettfleck“, der sich durch das ganze Buch zieht, erinnerte mich an „Das verräterische Herz“ von Edgar Allan Poe und steigerte bei mir den Gruselfaktor enorm.
Und abgesehen vom Grusel-Element ist das Buch für mich sehr realistisch. Die Demenz der Heimbewohner hat der Autor treffend beschrieben, ebenso die teilweise Überforderung der Angestellten. Ihre Arbeit ist auch ohne einen Dämon eine stetige Herausforderung. Joel kämpft gegen seine eigenen Dämonen: seine Sucht (auch wenn er sechs Jahre clean ist, hat er oft das Verlangen danach), seinen Bruder Björn, der ihm die ganze Arbeit alles überlässt, weil er meint, Joel sei es der Mutter schuldig und noch dazu sein schlechtes Gewissen, weil er die Mutter im Heim „abgeliefert hat“.
Ich finde das Setting und die Protagonisten sehr gut ausgearbeitet. Die Charaktere sind gut in ihren Stärken und Schwächen gut und vielschichtig beschrieben. Auch sprachlich fand ich das Buch gut, es ist sehr flott zu lesen und bis auf wenige holprige Stellen ist es auch sehr gut übersetzt. Die „Zwischenkapitel“, die mit „Nebelfenn“, also dem Namen des Seniorenheims überschrieben sind, beschreiben das Leben im Heim und die dort lebenden Personen näher und geben einerseits einen tiefen Einblick in das Leben mit Demenz, andererseits zeigen sie, wie das vorher friedliche Leben im Heim angespannter und zunehmend ungemütlich wird. Der Horror des Dämons war für mich ebenso greifbar wie die Verzweiflung, mit der die 95jährige Wiborg immer wieder versucht, ihre schon lange verstorbenen Eltern anzurufen.
Das Buch war daher für mich auf mehreren Ebenen eine unbehagliche, aber lohnende Lektüre. Einerseits, weil das Horror-Element gut ausgearbeitet ist, andererseits sind die Elemente Demenz, Ausgeliefertsein, Einsamkeit hervorragend damit verflochten. Eingesperrt sein ist ein sehr zentrales Element. Die Menschen sind physisch im Heim mehr oder weniger eingesperrt, die Haustüren sind nur mit Codekarten zu öffnen. Sie sind aber auch irgendwie in sich selbst eingesperrt, denn ihre Erinnerungen und das, was einmal ihre Identität ausmachte, schwinden. Aber auch Joel ist in seinem Leben und seinen Schuldgefühlen gefangen, ebenso wie Nina in ihrer Ehe.
Der Roman ist düster und hintergründig. Der Verfall, der mit der Demenz einhergeht, die klaustrophobische Atmosphäre im Heim, ein bisschen Rassismus, Überforderung und Überlastung von Pflegepersonal – das alles macht die bedrückende, ergreifende Stimmung aus, die der Autor stets eher subtil und leise erschafft. Wer das mag, ist mit dem Buch hervorragend bedient. Von mir 5 Sterne.

Bewertung vom 29.07.2021
Engberg, Katrine

Das Nest / Kørner & Werner Bd.4


ausgezeichnet

„Das Nest“ ist schon der vierte Teil von Katrine Engbergs Krimi-Serie um die Ermittler Anette Werner und Jeppe Kørner und ich frage mich wirklich, wie mir die Reihe bislang entgehen konnte. „Das Nest“ bietet alles, was ich mag: Spannung, eine ausgewogene Balance aus Ermittlungen und Privatem und ganz viel Kopenhagen. Die drei anderen Teile warten jetzt darauf, von mir gelesen zu werden.
Aber von vorn. Der 15jährige Oscar verschwindet spurlos. Ein seltsamer Abschiedsbrief stellt das Ermittler-Duo Anette Werner und Jeppe Kørner vor Rätsel und die Eltern des verschwundenen Jungen benehmen sich mehr als eigenartig. Kurz darauf wird eine Leiche in einer Müllverbrennungsanlage gefunden und der Leser findet sich samt der Polizei inmitten der Ermittlungen zwischen Trekroner Fort im Hafen von und der Müllverbrennungsanlage Amager Bakke wieder und in einer wahren Achterbahnfahrt, die mal hierhin und mal dorthin, aber (zumindest mich) immer in die falsche Richtung führte. Mehr möchte ich zum Inhalt gar nicht sagen, denn er ist lange sehr verworren und es ist fast unmöglich, etwas dazu auszuführen, ohne zu spoilern.
Denn bei den Themen greift die Autorin tief in die Wunderkiste. Von CO2-Emissionen über krude Familienverhältnisse und alkoholkranke Eltern, bis hin zu Korruption und Betrug, lässt sie praktisch nichts aus und schafft völlig unvorhergesehene Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Stränge, die anfangs parallel und voneinander unabhängig zu laufen scheinen. Nach und nach verbindet sie sie und schafft es, alles zu einem für mich völlig überraschenden aber durchaus stimmigen Ende zu bringen. An manchen Stellen wirkte die Geschichte für mich zwischen Totenmasken, Kunstwerken, Müllverbrennung und Toten ein bisschen überladen, aber die Autorin schafft es gekonnt, eventuell aufkommende Verwirrung zu beseitigen und ein konstant hohes Spannungslevel zu halten.
Sprachlich fand ich das Buch locker aus der Hüfte geschrieben und sehr flüssig zu lesen, manche Stellen fand ich sogar sehr poetisch („Die blassgrauen Augen erzählten die Geschichte eines gelebten Lebens, von Liebe, die aufgeblüht und verschwunden war, von Freundschaften, Arbeit, drei Kindern und einer Scheidung. Von kleinen Knien mit Pflastern, Pausenbroten, Sommerferien, Feierabendbieren und Segeltouren, von Versagen und Missverständnissen, von Beziehungskrieg und gebrochenen Herzen.“) Soweit ich es im Vergleich mit dem dänischen Original beurteilen kann, hat der Übersetzer in der Hauptsache gute Arbeit geleistet. Da es mein erstes Buch der Reihe ist, kann ich die Entwicklung der Protagonisten nicht beurteilen, aber ich finde sie sehr gut beschrieben und gut ausgearbeitet. Die Ermittler haben beide mit ihren privaten Problemen zu kämpfen, was sie aber insgesamt sehr sympathisch und menschlich macht. Am besten gefällt mir allerdings Jeppes „alte“ Freundin Esther, die ihm bei den Ermittlungen tatkräftig unter die Arme greift, und ihr Mitbewohner Gregers. Aber insgesamt fand ich die Umgebung, in der die Autorin ihren Krimi angesiedelt hat, schlicht atemberaubend. Ich hatte stets die Bilder vor Augen, die sie so lebendig beschreibt, konnte Trekroner, die kleine Meerjungfrau, Vesterbro und auch die (inzwischen eröffnete) Skipiste Copenhill auf Amager Bakke vor mir sehen.
Für mich war das Buch ein wirklicher Page-Turner, ich fand es enorm spannend und gut konzipiert, nach ein paar wenigen Anlaufschwierigkeiten konnte ich es nicht mehr aus der Hand legen und habe es in einer Nacht durchgelesen. Von mir daher eine klare Lese-Empfehlung für alle, die Skandinavien im Allgemeinen und Kopenhagen im Speziellen mögen und spannende Krimis mit vielen Abartigkeiten zu schätzen wissen. Fünf Sterne

Bewertung vom 29.07.2021
Hofmann, Sabine

Trümmerland / Edith - Eine Frau geht ihren Weg Bd.1 (eBook, ePUB)


sehr gut

„Trümmerland“ ist der Titel von Sabine Hofmanns Roman und genau dort spielt die Geschichte sich auch ab: in den Trümmern einer Stadt im Ruhrgebiet im Jahr 1946. Für mich war das Buch Nachkriegsgeschichte auf die unterhaltsame Art.
Die Autorin schafft es, die Probleme der Menschen in den in Schutt und Asche gelegten Städten anschaulich und unterhaltsam in die Geschichte um die zwölfjährige Hella, ihre Mutter Martha und die bei ihnen einquartierte Edith zu verpacken. Hella wird Zeugin, als ein Mann in einem Bombenkrater auf dem ehemaligen Zechengelände stirbt. Sein Mantel hat es ihr angetan, er scheint warm und kuschelig zu sein – Vorkriegsware eben. Und der Mantel hat es in sich, wie ihre Mutter später feststellt, denn in seinem Futter sind Bezugsscheine für große Mengen Butter versteckt.
Und plötzlich befinden sich die drei Frauen mitten in einer spannenden Geschichte um Schwarzmarktschiebereien, echte und gefälschte Dokumente, größere und kleinere Gauner und Gaunereien und der Leser findet sich in einem Krimi wieder, den ich so nicht erwartet hätte. Denn, nachdem das Buch anfangs eher harmlos und historisch daherkommt, nimmt es mehr und mehr Fahrt auf und wird packend spannend. Not, Hunger und der Kampf ums nackte Überleben bekommen Gesichter und Geschichten. Und auch die britische Besatzung, entnazifizierte Polizisten und solche mit „Persilschein“ haben ihren Platz in dem Roman.
Alle Charaktere sind gut und authentisch ausgearbeitet. Alle haben ihre spezielle Vergangenheit, die mal klar und deutlich, mal eher angedeutet beschrieben wird. Deutlich beschrieben wird auch das Leben in der Nachkriegszeit. Brennnessel- und Kohlrübensuppe, hauchdünn geschnittene Brotscheiben, Lebensmittelmarken, Tauschhandel und Schwarzmarkt kennen die meisten, wenn überhaupt, nur aus dem Geschichtsunterricht oder aus Erzählungen der (Ur)Großeltern. In diesem Buch wird alles lebendig und anschaulich geschildert.
Sprachlich fand ich das Buch flott geschrieben und flüssig zu lesen. Als der Roman dann Fahrt und Spannung aufgenommen hatte, konnte ich ihn praktisch nicht mehr aus der Hand legen. Es ist eine gelungene Mischung aus Roman und Krimi, gestrickt um tolle und in allen Stärken und Schwächen sehr gut beschriebene Charaktere in einer ebenso authentisch beschriebenen Umgebung. Das Szenario ist so enorm lebendig, man meint an manchen Stellen fast, den Schutt, die Ruinen und Trümmer sehen, den Staub fast riechen zu können. Schade, dass die wirkliche Spannung erst verhältnismäßig spät aufkommt, daher von mir vier Sterne.

Bewertung vom 23.07.2021
James, Tyler

Meine Amy


ausgezeichnet

Zehn Jahre sind seit dem Tod von Amy Winehouse vergangen, jetzt hat sich ihr bester Freund Tyler James mit einem Buch von ihr verabschiedet. „Ein Abschied in Worten” – so lautete der Untertitel des Buchs „Meine Amy” und der Titel ist Programm. Es ist ein bewegendes und berührendes Denkmal, das er der Ausnahmekünstlerin setzt. Obwohl ich absolut kein Fan von Amy Winehouse war und bin, hat das Buch mich tief beeindruckt.
Die Geschichte von Amy Winehouse kennt vermutlich jeder, der ihre Musik schon einmal gehört hat: talentiertes Mädchen, später hochtalentierte junge Frau, überragender und überraschender Erfolg mit dem ersten Album „Frank“, On-Off-Beziehung zu Blake Fielder-Civil, Heirat, Scheidung, Drogen, Alkohol, Bulimie und immer wieder Skandale. Eine abgesagte, eine misslungene Tournee. Und ihr Tod mit nur 27 Jahren. Wer aber der Mensch war, der hinter den Skandalen steckte, beschreibt Tyler James in seinem Buch, das zum zehnten Todestag der Musikerin erscheint.
Er vermischt seine eigene mit der Biografie von Amy Winehouse, denn sie sind einen großen Teil ihres Lebens gemeinsam gegangen. „Sie war zwölf, fast dreizehn, sah aber aus wie neun, knapp eins fünfzig groß mit langem dunklem Haar, ein kleines jüdisches Mädchen aus North-London.“ – so fing ihre Freundschaft an, die bis zu ihrem Tod andauern sollte, wobei der nur ein Jahr ältere James nach und nach eine Beschützer-, ja eine Vaterrolle für Amy übernehmen sollte. „Es war Liebe auf den ersten Ton. Und dann Liebe auf den ersten Blick.“ Und sie waren trotz aller später aufkommenden Probleme Seelenverwandte, ihre Beziehung war allerdings immer nur geschwisterlicher Art.
„Unsere Freundschaft begann in genau diesem Moment, war nicht nur von unserer gemeinsamen Liebe zur Musik getrieben, sondern auch von einer tieferen Gemeinsamkeit: Wir waren zwei abgef**te Teenager und erkannten uns im jeweils anderen wieder. Wir waren depressiv, ängstlich, verunsichert.“ Er kümmerte sich über mehrere Jahre um Amy, „Wenn du dich um jemanden kümmerst, dem es so schlecht geht, dann wirst du selbst krank und verlierst dich selbst. Aber du gibst nicht auf. Es war mir egal, was es mit mir machte. Man darf nicht aufgeben. Und ich habe nie aufgegeben.“ Gemeinsam rutschten sie in die Sucht – nur einer von ihnen kam lebend wieder heraus.
Es ist ein Buch über Amy Winehouse, aber auch über Sucht, Selbstverletzung, Überforderung mit dem plötzlichen Ruhm und dem damit verbundenen Reichtum und natürlich über ihr tragisches Ende. Der Verfasser wertet nicht, er klagt weder Amys Vater Mitch noch das Management an, die ihrem Verfall viel zu lange zugesehen haben. Und er klagt mit keiner Zeile Amy selbst an. Weder für ihr Abrutschen in die Sucht, ihre Selbstzerstörung oder dass sie ihn in alles mit hineingezogen hat. In seinen Augen konnte sie nicht anders und er liebte sie wie eine Schwester, bedingungslos und grenzenlos. Aber eine unterschwellige Kritik an der Gesellschaft kann der Verfasser nicht verbergen: erst Gesellschaft und Medien haben das schüchterne Mädchen, das eigentlich immer nur Songs schreiben, und gar nicht berühmt werden wollte, zu dem gemacht, was sie zum Schluss war: jemand, der Grenzen suchte, aber nicht fand („Amy sagte oft: »Das Gesetz gilt nicht für mich.« Und das meinte sie nicht als Scherz. Es war nicht so, dass sie sich für was Besseres hielt, im Gegenteil. Aber es war einfach wahr. Amy kam mit allem davon.“)
Ich lese sehr viel, auch viele Bücher zu schwierigen Themen. Aber dieses war für mich eines der berührendsten, ein Buch, das mich zutiefst traurig und fassungslos zurückließ. Dabei fand ich es sprachlich nicht einmal besonders gut, denn es ist nicht wirklich ausgefeilt. Aber der Tiefgang, der Schmerz und die bedingungslose Freundschaft zwischen den beiden, all das machte mir schwer zu schaffen. Tyler James hat für mich ein herausragendes Buch geschrieben. Ein Einblick in das Leben des Menschen abseits der Kunstfigur Amy Winehouse und schlicht ein Denkmal für seine beste F

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.07.2021
Funk, Mirna

Zwischen Du und Ich


weniger gut

Die Mittdreißigerin Nike hat die Chance, für ihren Arbeitgeber DAAD (Deutscher Akadamischer Auslandsdienst) für ein Jahr nach Tel Aviv zu gehen, um von dort aus eine Konferenz vorzubereiten. Damit beginnt Mirna Funks Roman „Zwischen du und ich“. Da sie durch ihre Mutter Jüdin ist, nutzt Nike Chance, sich in Israel einbürgern zu lassen (Alija zu machen), obwohl sie den Glauben nie praktiziert hat. Außerdem möchte sie die Zeit nutzen, um mehr über ihre Familie herauszubekommen, denn ihre Familienverhältnisse in Deutschland sind zu kompliziert, als dass sie dort etwas erfahren könnte. In Tel Aviv trifft sie auf Noam, einen bekannten ehemaligen Zeitungskolumnisten, der ebenfalls aus komplizierten familiären Verhältnissen stammt.
So weit, so interessant. Und vor allem die Passagen, die die Autorin aus Nikes Sicht beschreibt, fand ich im Großen und Ganzen auch wirklich gut. Die Schilderungen ihrer Vergangenheit in einer toxischen und gewaltvollen Beziehung mit einem älteren Mann, ihre komplizierte Familie, in der viel über die anderen geredet wird, aber kaum jemand mit dem anderen zu reden scheint und die mutige Entscheidung zum Umzug nach Tel Aviv – das alles las sich spannend und interessant. Noam hingegen fand ich nicht sehr sympathisch. Zwar hat er es auch nicht leicht im Leben und auch seine Familienverhältnisse sind schwierig, aber er ist für mich ein Macho, dazu ist er egozentrisch, sexistisch, unbeherrscht und rücksichtslos. Frauen scheinen für ihn nur Objekte zu sein, dafür nimmt er sich selbst aber das Recht heraus, eifersüchtig zu sein und auch seinen Vaterpflichten gegenüber seinem Sohn Amit kommt er nicht wirklich nach.
Nachdem Nike ihn getroffen hat (besser gesagt: nachdem er sie erst bei Instragram gestalkt und dann um ein Treffen gebeten hat), interessiert sie sich kaum noch für etwas anderes. Obwohl sie schon eine toxische Beziehung hinter sich hat, lässt sie sich Hals über Kopf auf ihn ein und ihre Arbeit und die Suche nach ihren Wurzeln geraten völlig in den Hintergrund („Ich war die gesamte Woche nicht zum DAAD gegangen, sondern hatte die Tage nur mit Noam verbracht.“). Und so wandelt sich auch die Handlung des Buchs zu einer eher platten Liebesgeschichte zweier traumatisierter Menschen. Die erwarteten Themen Religion, Kultur, jüdisches Leben in Deutschland und Israel, die Unterschiede zwischen „Ost-Juden“ und „West-Juden“ zu DDR-Zeiten finden fast ausschließlich im ersten Teil des Buchs statt und dann wird zugunsten einer hanebüchenen unguten Liebesbeziehung alles über den Haufen geworfen. Und auch das Thema der häuslichen Gewalt und der „vererbten Traumata“ (also Epigenetik) wird zwar erwähnt, aber nicht wirklich ausgeführt. Einzig der Zusammenhang zwischen deutscher Kolonialherrschaft und dem Bürgerkrieg in Ruanda wird ziemlich gut herausgearbeitet.
Schon beim Lesen hatte ich immer wieder das Gefühl, ich hätte irgendwas verpasst. Ständig wartete ich auf Erleuchtung oder echte Handlung zwischen Sex oder Gewaltbeschreibungen für die ich mir durchaus eine Triggerwarnung gewünscht hätte. Also habe ich zurückgeblättert, noch einmal gelesen – und war doch nicht schlauer. Ich fand das Buch an sich nicht wirklich schlecht, aber ganz sicher auch nicht gut. Sprachlich ist es gut und flüssig zu lesen, die Autorin sagt durch Andeutungen und Rückblicke sehr viel, ohne es wirklich zu sagen. Insgesamt fand ich es stellenweise aber zu derb und zu vulgär.
Für mich war das Buch gewollt und nicht gekonnt, vor allem Ende ließ mich auch nach mehrmaligem Lesen völlig ratlos zurück. Wichtige Themen werden nur angerissen, aber zu wenig verfolgt, die Charaktere waren eher unsympathisch und in ihren Motiven undurchsichtig. Alles in allem fehlte mir im Buch die Tiefe und es kam mir eher wie mit dem Vorschlaghammer erzählt vor, denn einfühlsam. Schade, das Thema hätte eine Menge Potential geboten, aber über jüdisches Leben gibt es sicher weitaus bessere Bücher. Von mir daher für die gute Idee eher ratlose und enttäuschte 2 Sterne.