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Ingrid von buchsichten.de
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Erkelenz

Bewertungen

Insgesamt 351 Bewertungen
Bewertung vom 29.09.2021
Le Tellier, Hervé

Die Anomalie


sehr gut

Im Roman „Die Anomalie“ des Franzosen Hervé le Tellier kommt es, treffend zum Titel, zu einer sehr außergewöhnlichen Situation, von der sich beiläufig herausstellt, dass diese nicht einmalig ist. Dabei geht es um eine Boeing 787, die im März 2021 von Paris nach New York fliegt. Die Auswirkungen des Flugs betreffen das Flugzeug selbst, die Crew und die Passagiere. Das Thema Corona spielt in der Geschichte keine Rolle.

Das Buch ist in drei Kapitel geteilt. Im Folgenden lernte ich in weiteren Unterteilungen des ersten Kapitels verschiedene Mitreisende des genannten Flugs kennen. Dieser Teil des Romans liest sich wie Kurzgeschichten, die unabhängig voneinander gelesen werden können. Darin erfuhr ich mehr vom Alltag einiger Figuren aus dem Pool der Reisenden, ihren Beruf, über ihre Beziehung zu Verwandten und Bekannten sowie den Grund, warum sie von Paris nach New York fliegen. Der mittlere Teil beschäftigt sich damit, was nach Eintritt der Anomalie geschieht, welche Konsequenzen offizielle Stellen daraus ziehen. Dabei wird der Geheimdienst zugeschaltet, der Präsident der Vereinigten Staaten informiert und Wissenschaftler zur Klärung hinzugezogen. Im letzten Kapitel erlebte ich, welche persönlichen Folgen die Anomalie für die Passagiere und die Crew hat und wie diese damit umgehen.

Die Regelwidrigkeit, über die die Geschichte handelt, gehört in den Bereich des Science Fictions. Sie ist ein Gedankenexperiment mit dem der Autor gekonnt spielt. Hervé le Tellier schreibt literarisch mit Spannungsmomenten und komödiantischen Elementen. Der Genremix sorgt immer wieder für Überraschungen. Die Figuren sind abwechslungsreich. Neben einem Auftragskiller sitzen beispielsweise auch eine Mutter mit zwei Kindern, ein Architekt und seine Freundin, eine Anwältin und ein Schriftsteller im Flugzeug auf die der Autor genauer schaut. Die Figuren sind so gewählt, dass sie veranschaulichen, wie ganz unterschiedliche Personen mit einer Extremsituation zurechtkommen, egal welchen Alters.

Auf das dritte Kapitel freute ich mich besonders, denn ich wollte wissen, welches Schicksal der Autor den mir nun bekannten Figuren des ersten Teils weiter zukommen lassen würde. Dagegen fand ich das mittlere Kapitel unumgänglich, aber vom Verständnis her schwieriger als die anderen, denn Hervé le Tellier theoretisiert hierin mehrfach mit einigen Erklärungen für das Unglaubliche. Seine Ausführungen sind ausdrucksvoll, er zieht manche Schleife über das Geschehen hinaus und greift auch gerne zum Wortwitz.

Hervé le Tellier spielt in seinem Roman mit einer futuristischen Idee, deren Glaubwürdigkeit angezweifelt werden darf. Doch allein die Beschäftigung damit, welche Rädchen sich drehen müssen, um die Realität zu vertuschen und unser Dasein zu erklären, ist das Lesen wert, darum empfehle ich das Buch gerne weiter.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.09.2021
Engel, Kristina

Ein Koffer voller Schönheit / Frauen, die die Welt schöner machen Bd.1


ausgezeichnet

n ihrem Roman „Ein Koffer voller Schönheit“ nahm Kristina Engel mich mit in die Vergangenheit hin zum Ende der 1950er/Anfang der 1960er Jahre nach Lüneburg. Der Untertitel „Sie brachten Glanz und Glamour ins Haus“ bezieht sich auf die Avon-Beraterinnen zu denen die Protagonistin Anne schon bald gehören wird. Mit einem Koffer voller Proben kommen sie auf Wunsch zu ihren Kundinnen ins Haus und präsentieren die Produkte des Kosmetikunternehmens.

Im Frühjahr 1959 haben die Zärtlichkeiten in der Ehe zwischen Anne und Benno Jensen nachgelassen. Die beiden haben sich zu Kriegszeiten kennen gelernt, Benno wurde danach noch als Soldat an der Schulter verwundet. Inzwischen führt er die Tischlerei seines Vaters erfolgreich fort. Mit den zwölfjährigen Zwillingen Leo und Lili ist die Familie komplett. Aber Benno strebt, durch einen Freund angetrieben, zu mehr Wohlstand und eröffnet mit diesem ein Möbelhaus.

Eine wichtige Rolle im Leben der Familie spielt Bennos Mutter Margarethe, inzwischen verwitwet und schon immer als Friseurin mit einem Salon selbständig. Sie bemängelt die fehlende Initiative ihrer Schwiegertochter, eigenes Geld zu verdienen und ihre finanzielle Abhängigkeit von Benno zu beenden. Margarethe zeigt Anne ihren Avon-Probenkoffer, die davon sehr angesprochen ist. Denn ihr liegt es, mit den Produkten umzugehen. Aber es vergeht noch einige Zeit bis sie sich dazu entschließt, die erste Avon-Beraterin Deutschlands zu werden.

Es ist nicht nur der Schritt zur Beraterin für das bekannte Kosmetikunternehmen, das die Autorin im Roman authentisch beschreibt, sondern sie verarbeitet darüberhinaus weit mehr Themen. Mit der Eröffnung des Möbelhauses schaut Kristina Engel auf die wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik und dem Zeittrend in Richtung Wohnen. Die beiden Zwillinge im Teenageralter sorgen für Streitigkeiten bei Meinungsverschiedenheit untereinander und mit ihren Eltern beispielsweise zum musikalischen Geschmack, im Umgang mit Freunden und der Forderung nach Freiheiten in Bezug darauf, wann sie Zuhause zu sein haben.

Mit ihrem Figuren Benno zeigt die Autorin wie lang die Schatten der Kriegserlebnisse reichen. Durch Margarethe lernte ich als Leserin eine unabhängige, mir sympathische Person kennen, deren Ansichten in Sachen Beruf und Liebe von der herrschenden Meinung in der beschriebenen Zeit abweichen. Erstaunt erfährt Anne von den uneigennützigen Aktivitäten ihrer Schwiegermutter im Krieg. Die Benennung von Produkten, die damals im Alltag genutzt wurden und die es oft heute noch gibt, fand ich interessant. Kristina Engel hat ihre Geschichte in Lüneburg angesiedelt. Ihre Ortskenntnisse bringen Lokalkolorit mit in die Erzählung und durch die Nähe zur DDR und den damit verbundenen Grenzaktivitäten bindet sie einen weiteren Ausschnitt deutscher Geschichte mit ein.

Kristina Engel versteht es, in ihrem Roman „Ein Koffer voller Schönheit“ durch die Einbindung unterschiedlichster Themen, den Esprit der Jahre zwischen 1959 und 1961 gekonnt einzufangen. Vor dem Hintergrund der Entwicklung ihrer Protagonistin Anne zu einer selbständigen Avon-Beraterin zeigt sie die Stellung der Frauen zur damaligen Zeit und den dagegen wachsenden Widerstand für mehr Selbstbestimmung. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung für das Buch.

Bewertung vom 22.09.2021
Schreiber, Jasmin

Der Mauersegler


ausgezeichnet

Dr. Marvin Prometheus Grabow ist ein junger aufstrebender Arzt und der Protagonist des Romans „Der Mauersegler“ von Jasmin Schreiber. Er wird bei seinem Zweitnamen gerufen, den ihm seine Mutter aufgrund der bekannten griechischen Sage gegeben hat, denn ihr gefällt der Held, der Gutes für die Menschheit tut und Strafe nicht scheut. Auch die Hauptfigur hat Gutes im Sinne. Jakob, bester Freund von Kindertagen an hat Krebs und Prometheus verspricht ihm, sein Bestes zu tun, damit er wieder gesund wird. Doch dann überrollt Jakob die Krankheit und stirbt, zurück bleibt der trauernde Freund, der mit Gewissensbissen kämpft. Er flieht vor der Familie, den Freunden und den Konsequenzen mit dem Auto von seinem Wohnort an der Ostsee nach Dänemark und fühlt sich wie ein Mauersegler, der nicht mehr allein vom Grund wegfliegen kann, wenn er geschwächt gelandet ist.

Die Autorin beschreibt einfühlsam die Gefühlswelt von Prometheus, der sich die Schuld am Tod seines Freunds gibt. Voller Verzweiflung kämpft er gegen das mächtige Verlangen an, Jakob ins Jenseits zu folgen. Die Schuld drückt ihn nieder, seine Gedanken wandern in die Vergangenheit, nicht nur zu schönen gemeinsamen Zeiten, sondern auch zu Abenteuern, die mit körperlichen Verletzungen endeten, bei denen sie aber immer füreinander da waren.

Erst im Laufe der Zeit erfuhr ich als Leserin, warum Prometheus sich selbst anklagt. Durch Zufall trifft er am Strand in Dänemark auf zwei ältere Frauen, die eine Pferdezucht betreiben und einige Gästezimmer anbieten. Die beiden begegnen ihm aufgeschlossen und geben ihm den nötigen Freiraum sich mit seinen Gefühlen auseinanderzusetzen, während sie unaufdringlich für ihn da sind. Bei ihnen begegnet er einer naturverbundenen Lebensweise mit Kenntnissen, welche alt und bewährt sind und manchmal mystisch.

Die Autorin kennt sich in der Sterbe- und Trauerbegleitung aus und daher sind ihre Beschreibung der Auseinandersetzung von Prometheus mit dem Tod des Freundes authentisch. Ihr Schreibstil berührt tief und dennoch gelingt es ihr in bestimmten Situationen einen heiteren Tonfall anzuschlagen und damit die ergreifende Stimmung des Romans aufzulockern. Als studierte Biologin spürte ich Jasmin Schreibers Zuneigung für Flora und Fauna, denn sie bindet Wissenswertes und Unterhaltsames beispielsweise über Pferde und Mauersegler in ihre Geschichte ein. Wer den Roman „Marianengraben“ der Autorin gelesen hat, erlebt eine kurze Erinnerung an eine der Figuren in der Erzählung.

Mit ihrem Roman „Der Mauersegler“ schafft Jasmin Schreiber es erneut, mich emotional zu berühren durch die Auseinandersetzung des Protagonisten mit einer abrupt endenden langjährigen Freundschaft und seine Mitverantwortung daran. Gerne empfehle ich den bewegenden Roman weiter.

Bewertung vom 17.09.2021
Randau, Tessa

Die Berge, der Nebel, die Liebe und ich


ausgezeichnet

In ihrem Buch „Die Berge, der Nebel, die Liebe und ich“ schreibt Tessa Randau über eine Begegnung, die das Herz wieder öffnete, wie es auch im Untertitel heißt. Der Ratgeber in Romanform bietet wertvolle Ratschläge für Beziehungen, vor allem für Paare.

Tessa Randaus Protagonistin ist unbenannt. Sie ist seit längerem verheiratet und mittleren Alters. Das Ehepaar scheint einander zugeneigt, aber ohne, dass sie derzeit gemeinsam besonders schöne Erlebnisse teilen. Daher schenkt die Hauptfigur ihrem Mann Chris ein Wochenende in den Bergen. Gedanklich stellt sie sich vor, wie sie bei Wanderungen die Zeit zu zweit genießen werden und dabei gemeinsame Erinnerungen schaffen können.

Dann wird sie damit konfrontiert, dass Chris sich stattdessen auf den dortigen Bike-Park freut, um seinem Hobby zu frönen. Es kommt zum Streit und sie begibt sich allein auf die Wanderung zu einem Gipfel. Bei einer Rast wird sie von einem älteren Mann angesprochen, der sie auf ihrem weiteren Weg begleitet. Die offene und direkte Art in der beide von Beginn an miteinander reden, erstaunt sie. Die Gespräche auf der Tour führen dazu, dass sie einen neuen Blick für ihre Beziehung zu Chris gewinnt.

Für ihre Geschichte hat die Autorin bewusst einen Charakter gewählt der namenlos bleibt und an dem manche Leserin sich in bestimmten Eigenschaften selbst wiederfindet. Aber das Buch richtet sich nicht nur an Frauen, denn auch Männer werden mal mehr, mal weniger die Situationen wiedererkennen, die das Paar in ihrer Ehe erlebt. Im Laufe der Zeit hat sich Routine eingeschlichen, die Kinder binden Zeit, die das Paar nun nicht mehr für sich allein hat. Tessa von Randau schaut auf die Wünsche der Frau genauso wie auf die des Mannes in der aktuellen Situation, die zum Konflikt geführt haben.

Nicht nur im wörtlichen Sinne lichtet sich der Nebel in der Geschichte „Die Berge, der Nebel, die Liebe und ich“ von Tessa Randau für den Leser und die Leserin, denn sie macht auf nicht bewusste Gefühle aufmerksam. Die Autorin hat sich von Konzepten von Schulze von Thun, Chapman und Bradshaw inspirieren lassen, die sie in ihre Geschichte einbindet, verständlich ausmalt und damit eine fundierte Grundlage für ihre Ratschläge bietet. Neben Anregungen zur Kommunikation richtet sie ihren Blick auf die Kindheit der Figuren. Daraus ergibt sich eine Erzählung mit einigen Denkansätzen für das Miteinander, nicht nur von Paaren, denn gewisse Punkte lassen sich auf weiteres menschliches Miteinander anwenden.

Das Buch „Die Berge, der Nebel, die Liebe und ich“ ist ein empfehlenswerter Ratgeber für Beziehungen von Tessa Randau. In einer ansprechenden, anregenden Geschichte hat die Autorin manchen Ratschlag, basierend auf bewährten Konzepten, für das gegenseitige Verständnis der Kommunizierenden eingebunden. Eine Identifikation mit den Figuren der Erzählung ist leicht möglich. Erwähnenswert sind auch die schönen und passenden Illustrationen von Ruth Botzenhardt, wodurch das Buch optisch für Aufmerksamkeit sorgt.

Bewertung vom 12.09.2021
Schuster, Stephanie

Freiheit im Angebot / Wunderfrauen-Trilogie Bd.3


ausgezeichnet

Mit dem Roman „Die Wunderfrauen - Freiheit im Angebot“ findet die Trilogie von Stefanie Schuster rund um die in Starnberg lebenden Freundinnen Luise, Marie, Helga und Annabel ihren Abschluss. Inzwischen sind die 1970er Jahre angebrochen, die Frauen sind jetzt vom Alter her in ihren 40er Jahren beziehungsweise Anfang 50. In Bezug auf die Partnerschaft hat sich bei den Vieren seit den in Band zwei beschriebenen Begebenheiten einiges ereignet und auch im vorliegenden Teil gibt es Veränderungen. Die Autorin hat die Geschichte an geeigneten Stellen mit kleinen Rückblenden versehen, so dass keine Kenntnisse der ersten Bände zum Verständnis notwendig sind.

Der Prolog gibt Ausschau auf eine gemeinsame Reise der Freundinnen im Jahr 1973 nach Paris, die turbulenter als geplant verläuft. Doch bis es soweit ist erleben sie viele Höhen und Tiefen. Im Sommer 1972 besitzt Luise immer noch ihr Lebensmittelgeschäft. Obwohl sie über die Jahre hinweg die Gestaltung und das Angebot des Ladens den aktuellen Erfordernissen immer wieder angepasst hat, nimmt ihre Kundschaft beständig ab. Ihre Schwägerin Marie leitet derweil einen Reiterhof. Helga wünscht sich trotz eines tollen Jobangebots die Selbständigkeit und Annabel geht durch die sich ihr bietenden Gelegenheiten ihrem detektivischen Spürsinn nach. Jede der vier Freundinnen schaut zunehmend selbstbewusster auf eine Zukunft in der sie ihre Träume verwirklichen möchte.

Stephanie Schuster zeigt in ihrem Roman, dass es für eine Frau auch zu Beginn der 1970er Jahre noch nicht selbstverständlich war, einen Beruf auszuüben. Ebenso verdeutlicht sie die Schattenseiten der selbständigen wie auch der angestellten Tätigkeit am Beispiel von Luise und Marie sowie Helga. Aktuelle Musik und Literatur begleiten die vier Frauen auf ihrem Weg und mit den Olympischen Spielen in München steht ihnen sogar in unmittelbarer Nähe ein Weltereignis bevor. Doch leider bieten die Spiele bekanntermaßen nicht nur das erhoffte freudige Geschehen und Annabel bangt in diesem Rahmen um eine ihr liebe Person.

Das Ladenkundebuch darf natürlich auch im dritten Band nicht fehlen und auch diesmal hält Luise hierin Fakten, Tipps und alles fest, was für sie nicht in Vergessenheit geraten darf wie beispielweise Gesetzesänderungen, die die Stellung der Frau in der Gesellschaft verbessern. Schließlich wird aus dem Ladenkundebuch ein Reisetagebuch.

Der Autorin schreibt über die Behinderungen von Annabels Tochter und Maries Schwager einfühlsam. Annabel beschäftigt immer noch die Vergangenheit der angeheirateten Familie, denn über die Zeit des Nationalsozialismus hat diese den Mantel des Schweigens gehüllt genauso wie die Eltern von Helga. Aber Alter und Tod geben ihr jetzt die Möglichkeit die Wahrheit aufzudecken, die nicht nur sie bewegt, sondern auch mich als Leser.

Ich empfand den dritten Teil der „Wunderfrauen“-Serie eigentlich noch nicht als abschließend, denn ich könnte mir eine weitere Fortsetzung sehr gut vorstellen. Jede der Frauen kann stolz auf ihre Kinder und damit auf ihre erzieherischen Fähigkeiten sein. Es wäre schön, wenn es einen weiteren Band geben würde, denn ich möchte gerne erfahren, was die älter werdenden Freundinnen und ihre Söhne und Töchter erleben. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung für den Roman.

Bewertung vom 11.09.2021
Seifert, Nicole

FRAUEN LITERATUR


ausgezeichnet

Der Untertitel „Abgewertet, vergessen, wiederentdeckt“ des Buchs „(Frauen)Literatur“ sagt aus, was der Autorin Nicole Seifert am Herzen liegt, denn sie plädiert dafür, dass Jeder mehr Werke von Frauen lesen sollte. Sie geht der Frage nach, ob die von Autorinnen verfasste Literatur herabgewürdigt wird, ob Autorinnen von Verlagen anders als Autoren behandelt und ob sie in den Medien anders besprochen werden. Außerdem versucht Nicole Seifert zu klären, ob es tatsächlich grundsätzliche Unterschiede im Schreiben der beiden Geschlechter gibt.

Der Begriff Frauenliteratur hat sich in der Öffentlichkeit eingeprägt für Literatur von, über und für Frauen, obwohl damit nicht alle Facetten erfasst sind. Als Unterkategorie der Literatur verweist die Autorin allerdings darauf, dass es erstaunlicherweise das Pendant „Männerliteratur“ nicht gibt. Eine Begriffssuche von mir auf Instagram führt denn auch zu ganzen 27 unspezifischen Ergebnissen für Männerliteratur, beim Äquivalent sind es weniger als 1.000, die ich nicht genau gezählt habe. Bücher von, über und für Männer werden schlicht Literatur genannt. Die Autorin sieht daher den Begriff Frauenliteratur als überflüssig an, diese Meinung teile ich gerne.

Nicole Seifert nähert sich einer Klärung ihrer Fragen aus unterschiedlichen Sichten. Sie vergleicht Kritiken zu von Männern und Frauen geschriebenen Büchern, sie betrachtet verschiedene aufgestellte Kanons der Literatur und blickt auf ihre eigene Schullektüre zurück. Erschreckend ist, dass sie in der Schule fast ausschließlich von Männern geschriebene Literatur gelesen hat, bei mir war es genauso. In den bekanntesten Kanons werden überwiegend männliche Autoren aufgeführt. Die Autorin versucht zu klären, wie es dazu gekommen ist und wie sich die Umstände in Zukunft ändern lassen.

„FrauenLiteratur – abgewertet, vergessen, wiederentdeckt“ von Nicole Seifert ist ein wichtiges Buch für alle Lesenden. Auf Fakten beruhend setzt die Autorin sich kritisch mit einem langzeitigen Phänomen auseinander und wirkt durch ihre Aussagen augenöffnend. In der Hoffnung darauf, dass ihre Anregungen auf fruchtbaren Boden fallen, empfehle ich das Buch sehr gerne weiter.

Bewertung vom 07.09.2021
Feeney, Alice

Glaube mir


ausgezeichnet

Der Thriller „Glaube mir“ von Alice Feeney beginnt mit einem rätselhaften Prolog, der in kursiv gesetzt ist. Die Autorin stellte mir darin Jemanden vor, der einen Monolog hält und etwas getan hat, zu dem er sich Verständnis von anderen wünscht. Über Alter und Geschlecht derjenigen Person ließ sie mich bewusst im Unklaren. Es wird nur bekannt, dass der oder die Erzählende die eigenen wirklichen Gedanken und Gefühle öffentlich nicht gerne preisgibt und sich oft neu erfunden hat. Ich fühlte mich herausgefordert aufzudecken, wer diese Persönlichkeit ist, als ich mich mit dem Lesen der Geschichte begann.

Anna Andrews ist 36 Jahre alt, lebt in London und arbeitet schon lange bei der BBC, seit zwei Jahren als Moderatorin der Mittagssendung. Eines Tages sieht sie sich damit konfrontiert, dass ihre Vorgängerin für sie unerwartet aus der Elternzeit zurückkehrt und wieder ihren Platz einnehmen wird. Daher soll sie wieder als Nachrichtenkorrespondentin arbeiten. Ihr erster Auftrag führt sie nach Blackwood, dem Ort an dem sie aufgewachsen ist. Dort soll sie von dem Fund einer Frauenleiche in einem Waldstück berichten. Der für den Fall zuständige Ermittler ist DCI Jack Harper, der Leiter der Abteilung für schwere Verbrechen in Blackwood und bis vor einigen Monaten der Ehemann von Anna Andrews. Prekär ist es, dass beide die Tote kennen, Anna aus Schulzeiten und Jack hatte aktuell ein Verhältnis mit ihr, was natürlich fast zwangsläufig zu Spekulationen in Bezug auf die Täterschaft führt.

Der Titel richtete sich auch an mich als Leserin, denn sowohl Anna wie auch Jack erzählen im Wechsel in der Ich-Form und ihre jeweilige Schilderung wollte von mir geglaubt werden. Alice Feeney bedient sich sehr geschickt der Auslassung einiger Fakten und Namen, um Querverbindungen zwischen Gegenwart und Vergangenheit sowie der Bekanntheit der Protagonisten mit weiteren Personen zunächst zu verhindern oder zu verschleiern. Erst nach und nach erfuhr ich mehr über die Ehe von Anna mit Jack und den Ereignissen während ihrer Kindheit, die dazu führten, dass sie ihr Elternhaus mit 16 Jahren verlassen hat.

Der Thriller forderte mich als Leserin von Beginn an dazu auf mitzurätseln, wer die Verbrechen begangen hat, denn bald schon bleibt es nicht bei einem Mord. Neben Anna und Jack werden schnell weitere Personen durch ihr Agieren zu Verdächtigen. Alice Feeney hat selbst viele Jahre bei BBC News gearbeitet, so dass sie den beruflichen Hintergrund von Anna glaubhaft gestaltet. Aufgrund der Erzählperspektive konnte ich die Gefühle der beiden Protagonisten in allen Facetten nachvollziehen: der Hass, der nach der gescheiterten Ehe geblieben ist, die Verzweiflung aufgrund der aktuellen Situation und das ungewöhnliche Verhältnis zu Annas Mutter.

Zahlreiche unerwartete Wendungen und neue Tatsachen führten im Thriller „Glaube mir“ von Alice Feeney zu durchgehender Spannung. Der Schluss überraschte mich schließlich nach einem packenden Mitraten um die Identität des oder der Täter. Gerne empfehle ich das Buch an Leser des Genres weiter.

Bewertung vom 04.09.2021
Nordby, Anne

Eis. Kalt. Tot.


ausgezeichnet

Anne Nordby ist das Pseudonym einer deutschen Autorin, die in Dänemark lebt. Das von ihr geschriebene Buch „Eis.Kalt.Tot.“ ist der Beginn einer Serie, die in Kopenhagen spielt. Genremäßig ist die Geschichte als Nordic Noir Thriller einzuordnen. Anne Nordby nutzt die Möglichkeit in ihrer Erzählung auf kritische Themen aufmerksam zu machen. Der Titel erklärt sich davon, dass die Handlung in einem eiskalten Februar spielt und gleich zu Beginn treibt zwischen den Eisschollen im Hafenbecken ein kopfloser Toter.

Die Autorin baut direkt im ersten Kapitel Spannung auf, denn Bente, eine Frau mittleren Alters, die zu einer Geo-Konferenz reist, bemerkt sehr schnell, dass etwas mit dem Taxifahrer nicht stimmt, der sie zum Bahnhof fahren soll. Inwieweit Bente in die kommenden Ereignisse involviert ist, konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht absehen, aber dadurch wurde meine Neugier auf das weitere Geschehen geweckt.

Als nächstes lernte ich Jesper Baek kennen, der erst seit vier Wochen als Vizekriminalkommissar bei der Kopenhagener Mordkommission arbeitet. Bisher lebte und arbeitete er auf dem Land. Nicht nur seine Kollegen, sondern auch ich fragte mich, aus welchem Grund er seine Arbeitsstelle gewechselt hat. Seiner Kollegin Kirsten Vinther, die für die aktuellen Ermittlungen verantwortlich ist, fehlt noch die benötigte Vertrauensbasis zu ihm für eine enge Zusammenarbeit. Dadurch gibt es über die gesamte Erzählung hinweg eine gewisse hintergründige Anspannung zwischen den beiden, vor allem als sich herausstellt, dass kritische Informationen an die Presse gelangt sind. Während ich von Kirsten einen Eindruck als taffe und durchsetzungsfähige Frau erhielt, die gerne sarkastische Worte findet, empfand ich Jesper trotz seiner allgemeinen Unsicherheit als aufmerksamen Beobachter.

Mit der selbständigen Super-Recognizerin Marit Rauch Iversen, die von der Kriminalpolizei zu bestimmten Fällen hinzugezogen wird, hat Anne Nordby eine besonders interessante Person einbezogen. Jede ihrer Figuren ist eigenwillig, mit Ecken und Kanten. Auch durfte ich als Leserin am Privatleben ihrer Charaktere teilnehmen, das nochmals für weitere Konflikte der betreffenden Person im Berufsleben sorgte.

Der Thriller ist komplex gestaltet, denn bald schon bleibt es nicht nur bei einem Mord. Zu zahlreichen Problemen bietet die Autorin Lösungen, die nicht alle Leser gleich gut finden werden. Die Beschreibungen der aufgefundenen Leichen sind nichts für schwache Nerven. Die ungemütliche Atmosphäre mit Eis und Kälte zieht sich durch die gesamten Begebenheiten. Während noch die Ermittler nach einem Serientäter suchen, dessen Morde eng mit der grönländischen Sagenwelt zusammenzuhängen scheinen, flechtet Anne Nordby klimarelevante heikle Sachverhalte in ihren Thriller ein. Man spürt bei diesem Thema ihre Kompetenz, denn sie hat einige Semester Geologie und Paläontologie studiert. Die Darstellung der Kriminalfälle wirkt glaubhaft, obwohl ich von solch brutalen Morden in der Realität niemals hören möchte.

„Eis.Kalt.Tot.“ von Anne Nordby ist ein sehr gut gelungener Nordic-Noir-Thriller, bei der die Autorin kreativ grausame Morde in Szene setzt und nebenher mythische Elemente und ein aktuelles Umweltthema gekonnt einbindet. Zahlreiche unerwartete Wendungen machen die Erzählung durchgehend spannend, daher empfehle ich das Buch gerne an Leser und Leserinnen des Genres weiter.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.09.2021
Stonex, Emma

Die Leuchtturmwärter


ausgezeichnet

Die Leuchtturmwärter Arthur, Bill und Vince und ihre Lebensgefährtinnen sind die Protagonisten im nach ihrem Beruf benannten Roman von Emma Stonex. Hohe Wellen umtoben den auf dem Cover abgebildeten Leuchtturm, hohe Wellen im übertragenen Sinne schlägt auch das unerwartete spurlose Verschwinden der Wärter. Die Autorin wurde zu ihrer Erzählung von einer wahren Geschichte inspiriert.

Ein Leuchtturm wird immer von drei gleichzeitig anwesenden Wärtern bedient. Im Winter 1972 ist das der Oberwärter Arthur, der schon viele Jahre im Dienst ist, der erfahrene Bill sowie Vince, der erst seit Kurzem dem Beruf nachgeht. Am Silvestertag wird der Turm von Mitarbeitern der Betreibergesellschaft angesteuert, doch sie finden den Turm ohne Wärter vor, die Zugangstür ist verschlossen, der Tisch für zwei Personen gedeckt und zwei Uhren sind zur gleichen Zeit stehen geblieben. Im letzten Logbucheintrag ist von einem Sturm zu lesen, doch zu Silvester war es windstill. Die Frage, was geschehen ist, verlangt nach einer Klärung.

Die Autorin erzählt auf zwei Handlungsebenen. Einerseits schaut sie auf die drei Männer bei ihrer Arbeit im Leuchtturm in den Tagen und Wochen vor dem Verschwinden. Andererseits nimmt sie die drei Lebenspartnerinnen der Wärter zwanzig Jahre später in den Fokus, denn ein Journalist greift die Geschichte erneut auf und möchte dabei Licht ins Dunkel des ungeklärten Falls bringen. Schrittweise blickt Emma Stonex auf Szenen im Leben jeder einzelnen Figur und deckt dabei deren kleine Geheimnisse auf, so dass sich für den Leser und die Leserin schrittweise ein Bild der Charaktere ergibt, geprägt durch die von den jeweils Handelnden erzählten Passagen und den Aussagen Dritter. Unterschwellig ist stets eine gewisse Spannung vorhanden.

Emma Stonex wechselt häufig die Perspektive, wobei es immer klar bleibt, wer gerade im Mittelpunkt steht. Teile lässt schreibt sie in der Ich-Form, andere übernimmt sie als allwissender Erzähler, ergänzt um fiktive Berichte. Im Laufe der Geschichte bietet sie verschiedene Erklärungen für das Verschwinden an, mal rational gedacht, aber auch mystisch. Als Leserin erhielt ich ein immer tieferes Verständnis für die Handlung, ohne dass sie mir je wirklich greifbar wurde, sondern immer mehr zum Nachdenken brachte über die Frage, was Wahrheit und was Lüge ist.

Das Setting schafft eine eigenwillige Stimmung durch das schicksalergebene Warten der Angehörigen auf die Rückkehr der Wärter in einer eigens für sie geschaffenen Kolonie mit Blick auf den Turm und das angespannte Miteinander der Hüter des Leuchtturms umgeben von der unberechenbaren Kraft des Meers. Sie sind aufeinander angewiesen, ihr Wechsel und ihre Versorgung sind vom Wetter abhängig. Unterdessen führen ihre Frauen ihr Leben zwar in eigenen Wohnungen, die aber nah zueinander liegen, in einem Umfeld, dass ihnen wenig Freizeitaktivität bietet. Das beruflich erworbene Ansehen der Männer ist auch in ihrem Verhältnis untereinander zu spüren, sowie einige Rivalitäten.

Mit ihrem Roman „Die Leuchtturmwärter“ hat Emma Stonex mir Einblicke in den gleichlautenden Beruf verschafft, der heute allerdings meist durch entsprechende Technik im Turm ersetzt wird. Basierend auf einer wahren Begebenheit, die zu Beginn des letzten Jahrhunderts geschehen ist, bietet sie in ihrer Erzählung mögliche Erklärungen für das spurlose Verschwinden der drei Wärter vom Turm, die genügend offene Enden für eigene Überlegungen lassen. Den besonderen Lesegenuss bringt die Kombination aus den Fakten, die das Leben eines Wärters des Leuchtfeuers mit sich bringt und den fiktiven Gedanken und Gefühlen ihrer Figuren, in die Emma Stonex tief eindringt und sie dem und der Lesenden vermittelt. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung dafür.

Bewertung vom 25.08.2021
vor Schulte, Stefanie

Junge mit schwarzem Hahn


ausgezeichnet

Der Roman „Junge mit schwarzem Hahn“ ist das Debüt von Stefanie vor Schulte. Sie entführte mich als Leserin damit in eine dunkle Zeit mit mittelalterlichem Charakter. In eine raue Welt voller Misstrauen, Hass, Gewalt und Ungerechtigkeit setzt sie ihren Protagonisten, den elfjährigen Martin, ein vom Gemüt her freundliches und aufgeschlossenes Kind. Er ist die titelgebende Figur, der Junge mit dem schwarzen Hahn. Dem Titel entsprechend ist immer ein Hahn an seiner Seite oder genauer gesagt, meist unter seinem verdreckten Hemd versteckt.

Am Rand des kleinen Dorfs lebt Martin für sich allein. Sein Vater hat vor langer Zeit seine Familie mit dem Beil erschlagen, nur er hat unbeschadet überlebt. Den Dorfbewohnern bietet er kleine Dienstleistungen an und wird meist mit etwas Essen dafür belohnt, ohne dass er darum betteln muss. Ein Maler, der zu einem Auftrag ins Dorf kommt, erkennt die Besonderheit des Jungen, die darin besteht, dass er über eine sehr gute Beobachtungsgabe verfügt und Zusammenhänge schnell erkennen kann. Inzwischen wurde Martin Zeuge, wie ein Reiter die junge Tochter einer Bekannten bei einem Gang zum Markt entführt.
Weil er überzeugt ist, dass er im Ort keine lebenswerte Zukunft haben wird, kommt es ihm gelegen, den Maler auf seinem weiteren Weg nach Beendigung dessen Auftrags zu begleiten. Und ganz nebenher schafft er es auch sich seine eigenen Herzensangelegenheiten zu erfüllen, die unter anderem darin bestehen, das Rätsel der Kindesentführung zu lösen und den Grund für das Massaker in seiner Familie zu finden. Seine Wünsche bilden den roten Faden in der Geschichte.

Martin spiegelt das Gute im Menschen wider und bringt einen Lichtblick in eine düstere Welt. Stefanie von Schulte beschreibt das Dorf und seine Bewohner als arm und dadurch um ihr eigenes tägliches Wohl besorgt, angepasst, schicksalsergeben, aber auch eitel, gemein und ausbeuterisch. Daneben strahlt der Junge Besonnenheit, Mut und Wärme aus. Obwohl er schon Entsetzliches erleben musste, schaut er nach vorn und verzweifelt nicht. Durch seine Eigenschaften ragt er aus der Gesellschaft hervor und wird durch seine Andersartigkeit an den Rand gedrängt. Das Einflechten von mystischen Elementen gibt dem Roman etwas Fabelhaftes. Die Rolle des Hahns in Bezug zu Martin ist den Einwohnern des Orts suspekt. Doch für Martin ist er die Verknüpfung zu seiner Vergangenheit und an heitere Kindertage. Er bietet ihm Wärme und Geborgenheit und führt ihn auf seine Weise auf dem für ihn vorgesehenen Weg, ihm vertraut er blind.

Stefanie von Schulte schreibt in ihrem Roman „Junge mit schwarzem Hahn“ auf den Punkt und macht mit Eindringlichkeit klar, dass sich in einer solch dunklen Umgebung Hoffnung entwickeln kann entgegen der auf den Gegebenheiten beruhenden Vermutungen. Für mich ist die Geschichte ein überraschend reifes Debüt und daher empfehle ich das Buch gerne weiter.