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dracoma
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LANDAU

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Bewertung vom 02.08.2022
Miller, Madeline

Galatea


gut

Miller erzählt die Sage um Pygmalion nicht neu, sondern führt sie fort: die Erzählung endet nicht mit der Eheschließung und der Geburt des Tochter Paphos, sondern schließt sich daran an. Die im Mythos namenlose Statue bekommt hier einen Namen: Miller macht sie Hauptfigur und entthront damit Pygmalion.

Galatea, gr. die Milchweiße, ist die zum Leben erweckte Statue des Pygmalion, die sich dieser aus Elfenbein - Miller redet allerdings von Stein - erschaffen hatte. Sie ist in einer Ehe gefangen, in der sie ausschließlich durch den Blick ihres Mannes lebt, der ihr Schöpfer ist und daher alle Rechte an ihr, ihrem Körper und ihrem Leben beansprucht. Galatea bricht aus, sie flieht, wird gefangen und in einer Hütte interniert; ihr Verhalten wird als dermaßen außergewöhnlich betrachtet, dass es als krankhaft bezeichnet wird, sie wird also von Ärzten und Krankenschwestern „umsorgt“, immer nach den Wünschen ihres Schöpfers. Ein täglicher Tee lähmt ihren Kopf und ihre Zunge; sie wird also täglich neu in den erwünschten Zustand der Gedankenlosigkeit und Stummheit versetzt.

Hier setzt nun Millers Erzählung ein.

Mit einer List, die auf einer Art Frauensolidarität beruht, gelingt Galatea die Flucht. Pygmalion verfolgt sie - eine merkwürdige Szene, wenn man sich die beiden im Wettlauf vorstellt! Galatea lockt Pygmalion ins Meer - und diese Idee hat mir gut gefallen, da Galatea der Name einer der Nereiden ist, der Nymphen des Meeres. Galatea sucht also ihren ursprünglichen Lebensbereich wieder auf, und damit gelingt ihr die Befreiung der Tochter.

Miller setzt hier im Unterschied zur Ovid-Sage einen anderen Schwerpunkt: die Frau steht im Mittelpunkt und hat einen Namen, während der Mann, Pygmalion, namenlos bleibt. Eine originelle, feministische Sichtweise des Mythos!

Ein sprachlich geschmeidiges Buch, allerdings stören die wiederholten Wendungen „und vögelte mich“ – auf der anderen Seite rücken diese ganz und gar ungriechischen Wendungen den Text über die Jahrhunderte an den heutigen Leser heran.

Vorwort, Nachwort und auch der Abdruck der Ovid-Sage erklären Text und Vorlage mehr als hinreichend. Da geht es mir wie meinen Vorrednerinnen. Ich empfinde das Verhältnis zwischen Begleittexten und Erzählung als überfrachtet: wie so oft wäre hier weniger mehr gewesen und hätte es dem Leser ermöglicht, eigene Entdeckungen zu machen.