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Hennie
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Chemnitz

Bewertungen

Insgesamt 274 Bewertungen
Bewertung vom 27.05.2018
George, Nina

Die Schönheit der Nacht


ausgezeichnet

DIE INNERE FREIHEIT
Was mir als erstes auffiel war das Äußerliche: der schöne Titel und das ansprechende Cover sowie das türkisfarbene Innenleben des Buches mit dem Abdruck der Zitate, jeweils eins vorn und eins hinten drin. Eine edle Aufmachung mit Lesebändchen!
Meine Erwartungen an den Roman wurden übertroffen. Ich dachte an Liebe, Leidenschaft, an Sinnlichkeit und Begehren, an Selbstverwirklichung und an Freiheit in der Beziehung. Das alles bekam ich geliefert und noch viel mehr, allerdings anders als vermutet. Es passiert nichts wirklich Aufregendes in Nina Georges Roman und doch ist ihr mit der Geschichte über das normale Leben zweier Frauen ein literarisches Juwel gelungen.
Zum einen ist da Claire, eine Frau in der Mitte ihres Lebens, eine Frau, die scheinbar alles hat. Sie gelangte aber an einen Wendepunkt, fühlt sich verbittert und irgendwie versteinert. Ihr Seelengleichgewicht ist äußerst fragil geworden. Gilles, ihr Ehemann betrügt sie seit längerem und sie sucht in gelegentlichen „One-Day-Stands“ eine Bestätigung ihres Frauseins.
Die andere Frau heißt Julie, steht am Anfang ihres Lebens und ist die Freundin von Nicolas, dem Sohn von Claire und Gilles. Der Zufall will es, dass Claire in ihr die Person erkennt, die ihr im Hotel nach ihrem Seitensprung begegnete. Nun fahren sie alle gemeinsam, wie die Familie seit 22 Jahren schon, in ihr Ferienhaus an der bretonischen Küste...

In einem großartigen, sprachgewandten Stil beschreibt die Autorin die Wandlung von Claire und Julie. Beide entdecken sich neu. Ich habe mich sehr gern darauf eingelassen und konnte die Entwicklung der so unterschiedlichen Frauen akzeptieren bis hin zum hoffnungsfrohen Finale. Die innere Zerrissenheit beider Protagonistinnen vermochte ich gut nachzuvollziehen.
Ich bin von der Schönheit und Macht der Sprache beeindruckt. Nina George verfügt über ein großes Talent mit Worten zu malen, Metaphern einfließen zu lassen und auch zwischen den Zeilen Stimmungen zu erzeugen. Ich fand viele ausdrucksstarke, inhaltsreiche Sätze. Ein Beispiel nur:
„Worte konnten lügen.
Immer.
Die Stimme nie, der Körper nie, und was von jenseits der geschlossenen Tür so unvermutet auf Claire regnete, war die Nacktheit einer Seele. Eingehüllt in einen Atem, der wie das
Einatmen vor dem Schweigen war.“

Eine der vielen Schlüsselszenen war für mich als Julie mit den drei Männern (Gilles, Nicolas, Ludovic) auf dem Heimweg, plötzlich aus dem Auto aussteigt, abrupt die Beziehung zu Nicolas beendet und sich mit einer rücksichtslosen Entschlossenheit im heftigen Gewitterregen zurückkämpft zu Claire ans Meer. Hier die Metapher: Aufrecht durch den Sturm gehen!
Mein Leben geht schon weit über die Mitte hinaus. Ich befinde mich im letzten Drittel. Auch deshalb kann ich das Geschriebene gut einordnen. Es vermochte jede Menge Bilder und Erinnerungen in meinem Kopf zu wecken. Das ist so tragisch am Leben! Ich meine damit, wenn man glaubt Bescheid zu wissen, dann ist es auch bald zu Ende. Auch dazu fand ich ein Zitat:
„Erst am Ende lernen wir uns kennen.“ S. 272

Für mich war „Die Schönheit der Nacht“ ein wundervolles Leseerlebnis mit wertvollen Erkenntnissen. Viele inhaltsschwere, tolle Sätze fanden Eingang in mein Zitatebuch und eine für mich neue Schriftstellerin fand Eingang in mein Herz.
Ich empfehle dieses Buch eigentlich allen, egal ob Mann oder Frau. Es ist mit soviel Herzenswärme, Liebe zum Detail, Feingefühl und Klugheit geschrieben.

Von mir bekommt es die Höchstbewertung!

Bewertung vom 27.05.2018
Freund, René

Ans Meer


ausgezeichnet

DER LETZTE WUNSCH
René Freund erzählt eine alltägliche Begebenheit aus einem kleinen österreichischen Städtchen. Anton Schwenk, der Linienbusfahrer befindet sich auf seiner täglichen Tour und es ist für ihn kein so guter Tag.
Schon nach den ersten Zeilen war ich mittendrin im Geschehen und fühlte mich als Passagier in Antons gelben, alten, klapprigen Bus. Anton ist mir sofort ans Herz gewachsen. Ein Mann wie ein Bär („Bärli“), aber unbeholfen, wenn es um Herzensdinge geht. Er hat gern alles unter Kontrolle, die er aber bei seiner Nachbarin Doris so gern verlieren möchte.
Als Linienbusfahrer trägt er große Verantwortung. Jedoch die Realität hatte seine Liebe zum ehemaligen Traumberuf aufgefressen. Ein Tag war inzwischen wie der andere und er hat viel Zeit zum Nachdenken. Es kommt bei ihm nach und nach viel Frust auf, die ständigen Kontrollanrufe der Mutter, der hustende Mann auf dem Balkon seiner Liebsten, die infame Beschuldigung der Körperverletzung eines Schülers und die zeitnahe Vorladung bei seinem Arbeitgeber deswegen. Das führt dazu, dass er alles auf eine Karte setzt. Er erfüllt der todkranken Carla ihren Wunsch nochmal ihre italienische Heimat, die Lieblingsstätte ihrer Kindheit, die Bucht, das Meer zu sehen. Spontan fragt er die verbliebenen Fahrgäste: „Wer hat Lust, ans Meer zu fahren?“ und funktioniert kurzerhand seinen Linienbus zum Reisebus um. Sofort geht es los mit der Reise, die mit unvorhergesehenen Hindernissen aufwartet...

Sämtliche Charaktere wurden wunderbar herausgearbeitet. Der sympathische, liebenswürdige Anton, seine nervtötende Mutter Mechthild, die todkranke Clara, die demente Frau Prenosil und die unterschiedlich temperamentvollen Kinder bzw. Jugendlichen Annika, Ferdinand, Helene und Eva.
Abwechselnd wird aus Antons und Doris Sicht die Handlung auf 140 Textseiten und in 55 kurzen Kapiteln vorangetrieben.
René Freund schreibt mit Gefühl, sehr warmherzig und mit guter Beobachtungsgabe und Menschenkenntnis. Obwohl ich zunächst etwas bekümmert war, dass die Fahrt mit Anton so schnell zu Ende ging, empfand ich es dann doch als angenehm, dass die Story nicht zu lang war. Dicke Bücher gibt es genug!

Fazit:
Ich habe die Reise "Ans Meer" mit sehr viel Vergnügen gelesen. Ich fand die Geschichte um Anton und Doris sehr gut erzählt.
„Ans Meer“ ist vor allem für diejenigen, die kurze, aber gehaltvolle Geschichten lieben!
Es ist ein schmales, emotionsgeladenes Buch mit viel Ideenreichtum, mit einer Geschichte über die Liebe, Krankheit, Verlust und Tod, über Zuwendung, Fürsorge und deren Fehlen, aber auch über Kontrollzwang und nicht Loslassenkönnen und über so vieles mehr. Nicht zu vergessen die kleinen Heldentaten im Alltäglichen!

Ich vergebe sehr gern meine Kauf- und Leseempfehlung für dieses schmale, unterhaltsame Büchlein. Von mir gibt es fünf von fünf blitzblanken, strahlenden Sternen!

Bewertung vom 09.04.2018
Gallert, Peter;Reiter, Jörg

Tiefer denn die Hölle / Martin Bauer Bd.2


ausgezeichnet

EIN MONSTER UND SEIN LEHRLING
Wie schon den ersten Band „Glaube, Liebe, Tod“ vom Autorenduo Peter Gallert und Jörg Reiter las ich auch „Tiefer denn die Hölle“ mit Begeisterung. Der Krimi konnte mich wieder voll und ganz überzeugen.
Mit dem sympathischen Martin Bauer, dem Polizeiseelsorger, schufen die beiden Schriftsteller eine sehr beeindruckende Romanfigur. Er ist äußerst ungewöhnlich in der Auffassung und Umsetzung seiner Arbeitsaufgabe. Bauer nutzt seinen scharfen Verstand, seinen evangelischen Glauben und seine oft zutreffende Intuition. Dabei kollidiert er sehr häufig mit der Polizeiarbeit, gelangt an und über die Grenzen seiner Zuständigkeit und bringt damit die Hauptkommissarin Verena Dohr oft in arge Bedrängnis. Sie, die schon genug andere Probleme, sowohl dienstlich als auch privat, beschäftigen. Ihr intriganter Kollege Guido Karman kann es gar nicht erwarten, dass sie irgendeinen Fehler macht. Schon lange ist er sich mit dem Polizeidirektor Lutz einig, dass mit ihr die falsche Person die Dienststelle leitet. Es wird kräftig an ihrem Stuhl gesägt.

Der Fall, der dieses Mal zu lösen ist:
In einem stillgelegten Bergwerk entdeckt man eine Leiche, die über und über mit Honig bedeckt ist. Bauer wird zu Hilfe gerufen, weil der diensthabende Polizeiseelsorger Monsignore Rüdiger Vaals in der Tiefe des Schachtes einen Herzinfarkt erlitten hat. Welchem Schrecken verdankte er diesen? Hatte er den Mann erkannt?
Obwohl es mit seiner Ehe immer noch nicht zum besten steht und seine Frau Sarah hochschwanger ist, kann er es nicht lassen. Er muss ermitteln und durch seine unkonventielle, einfühlsame Vorgehensweise kommt er zu Erfolgen, die ihn durchaus auch an seine Grenzen bringen. Er bringt sich in große Gefahr...

Die beiden Autoren erzeugen eine Spannung, die einem die Luft anhälten läßt. Durch die besonderen Charaktere, durch ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen wird es noch aufgeheizt. Konflikte sind vorprogrammiert und wurden hervorragend für den Leser nachvollziehbar ausgearbeitet. Ich empfand es so geschrieben als wäre ich mittendrin. Situationen, Empfindungen, Gerüche! Total realistisch! Kein Wunder eigentlich, denn die Autoren schreiben auch Drehbücher zusammen. Einige Bilder hatte ich jedenfalls lange im Kopf.
Dieser Krimi verfügt über eine kreative Dramaturgie. Als Beispiele möchte ich die Briefe des Kindes an seine tote Mutter nennen und die Einarbeitung von Bibelzitaten im Geschehen. Technische Details wie schon im ersten Teil werden angesprochen und erklärt. Tatorte sind stillgelegte Zechen im Ruhrgebiet. So konnte ich mich z. B. schlau machen, was unter einer Dahlbuschbombe zu verstehen ist. Also besitzt der Krimi auch durchaus einen bildenden Faktor.

Fazit:
Ein Krimi, der nicht in erster Linie durch ausgefeilte Dialoge besticht! Was mir wieder auffiel sind die lebensechten Personen mit ihren alltäglichen Problemen. Keine Superhelden! Sehr nah an der Realität.Die Story machte mich betroffen, weil die grausigen Taten nicht eher gestoppt wurden. Es gibt das Beichtgeheimnis! Muss daran auch heute noch unter allen Umständen festgehalten werden? Für mich unbegreiflich!

Der zweite Fall von Gallert und Reiter ein Krimi der Extraklasse. Ich vergebe meine Lese- und Kaufempfehlung sowie die Höchstbewertung.

Bewertung vom 09.04.2018
Dixon, Glenn

Wie ich dank Shakespeare in Verona die große Liebe fand


sehr gut

EINE WAHRE GESCHICHTE ÜBER DIE LIEBE
Meine Bewunderung für den Autor Glenn Dixon. Ein Mann verarbeitet seine unglücklichen Erlebnisse in der Liebe und verbindet sie gekonnt mit dem Shakespeare-Drama „Romeo und Julia“. Der Titel „Wie ich dank Shakespeare in Verona die große Liebe fand“ ist aussagekräftig und wer ihn richtig interpretiert, weiß schon wie die Geschichte endet.

Glenn Dixon arbeitete als Highscool-Lehrer in Kanada. Er besprach regelmäßig in den Abschlussklassen das klassische Drama um Romeo und Julia. Dabei blieb er mit den jungen Leuten dicht am heutigen Leben dran. Mit der Liebe hat er so seine ganz eigenen bitteren Erfahrungen machen müssen. Glenn ist lange gefangen in der Liebe zu Claire und hat leider viel zuviel Zeit verbracht mit der total verkorksten Beziehung zu ihr. Bis es ihm endlich reicht und er beschließt, sich eine Auszeit in Italien zu nehmen.
Der Ich-Erzähler, der Autor selbst, begibt sich von Kanada aus in die Stadt Verona mit einem ganzen Sack voller Fragen, um etwas über die Liebe, diese allumfassende Kraft und vielleicht etwas über Shakespeare zu erfahren. Kurz nach der Ankunft trifft er bald auf die Briefbeantwortungsstelle „Julias Sekretärinnen“. Es gibt jede Menge Arbeit, denn täglich treffen viele Briefe ein. Diese wollen beantwortet werden. Glenn wird als erster Mann in den Kreis der „Julias“ aufgenommen. Er als „Julias Sekretär“ soll sich die englischsprachigen Anfragen vornehmen. Selten sind Briefe von Männern dabei. Meistens sind es Frauen, die sich offenbaren, Rat suchen. Die Briefe kommen aus aller Welt. Nun steht er vor der Frage: Wie schreibt man Briefe an wildfremde Menschen mit unaufdringlicher Empathie und ohne Klischees bei diesem wichtigen Thema Liebe? Das ist alles andere als leicht.

„Sie alle wollten von „Julia“, diesem angeblichen Vorbild romantischer Weisheit, wissen, wie die Liebe funktioniert.“ – S. 23

Also, Glenn Dixon erzählt abwechselnd von sich, von seinen Schülern und von seinen Briefen in Verona. Den Schreibstil bezeichne ich als geradlinig, ehrlich ohne Herzschmerz und Dramatik. Die Aufteilung des Romans erfolgt in Kapitel mit Überschriften (aus Romeo und Julia) und in Akten wie bei dem Drama. Ein Abschnitt wird vom nächsten durch ein hübsches Efeurankenbildchen getrennt. Es erfolgen immer mal wieder Unterbrechungen durch kurze, sachliche Abstecher in wissenschaftliche Exkurse über die Liebe. (z. B. S. 103 „chemische Monde“, „biologische Sterne“).
Eine ganz wichtige Feststellung im Roman war für mich, dass man sich erst einmal selbst lieben muss, um andere lieben zu können. Sowie der Satz: „Sei dir selber treu.“ Den verwendet Glenn oft in seinen Juliabriefen als Abschluß.

Für mich war es ein kurzweiliges Buch. Ich empfand es als beispielhaft für die positive Verarbeitung einer unglücklichen Liebesbeziehung. Das Ende läßt hoffen für Glenn Dixon und die Liebe seines Lebens.

Fazit:
Für Freunde der Literatur von Shakespeare, für Italienliebhaber und nicht zuletzt für Verona-Fans besonders geeignet.
Ich vergebe vier von fünf Sternen!

Bewertung vom 14.09.2017
Riebe, Brigitte

Marlenes Geheimnis


ausgezeichnet

DIE VERTREIBUNG EVAS AUS IHREM PARADIES
Drei Frauen, drei Generationen und ein Geflecht aus Lügen. Ein bewegender Roman über ein Familienschicksal vor der reizvollen Kulisse des Bodensees. So wird das Buch vom Verlag Diana angekündigt.
Was für eine wunderbar geschriebene Geschichte! Sofort war ich mittendrin im Geschehen. Das ist ein packendes Familienschicksal über drei Generationen, beginnend mit den Kriegsjahren im Sudetenland und den Folgen der Vertreibung. Das Thema hatte mich sofort im Griff. Ich konnte mich dem warmherzigen Schreibstil nicht entziehen.
Die Autorin Brigitte Riebe, der ersten Nachkriegsgeneration zugehörig, schrieb stellvertretend für die unsagbar vielen Betroffenen die gefährliche Zeit der Flucht und die Lebensgeschichte der fiktiven Eva Menzel auf.
Die Erzählung erfolgt auf zwei Ebenen, einmal in der Gegenwart um die Enkelin Christiane, genannt Nane, und zum anderen in der Vergangenheit um Eva. Die beiden Ebenen sind gleich intensiv und es ist sehr wichtig - (so finde ich) - auch "zwischen den Zeilen zu lesen". Der geschickte Wechsel zwischen den Zeiten erfolgt zum Ende der Kapitel jeweils auf dem höchsten Level der Spannung.
Eva, die deutsche Apothekerstochter aus dem nordböhmischen Reichenberg (jetzt: Liberec) führte ein sorgloses Leben in einem liebevollen, wohlsituierten Elternhaus. Das junge Mädchen lernte einen Beruf, ging zur Arbeit, hatte Hobbys, verliebte sich in einen jungen Tschechen. Scheinbar alles ganz normal, sollte man meinen. Durch die Kriegsjahre mussten alle Menschen Abstriche in ihrer Lebensführung hinnehmen. Jedoch ganz schlimm wurde es 1942 nach dem Attentat auf Reinhard Heydrich, mit den furchtbaren Vergeltungsmaßnahmen und der Auslöschung des Dorfes Lidice. Das Verhalten und der Umgang zwischen der deutschen und tschechischen Bevölkerung veränderte sich radikal. Die vorherige scheinbare Normalität wandelte sich in die negativsten Erscheinungsformen, Hassgefühle, Verachtung, Demütigung, Geringschätzung bis hin zu Gewalt und Mord. Das Unheil bricht massiv über die deutsche Bevölkerung herein, was schließlich in der Vertreibung gipfelt... Die bedauernswerten Menschen! Die armen Kinderseelen! Wie tief sich die Ereignisse ins Bewußtsein/Unterbewußtsein graben hat die Autorin bei Marlene, der Tante von Nane, ergreifend beschrieben. Allerdings spreche ich den Leser hiermit direkt an, sich bestimmte Dinge vorzustellen. Alles kann man nicht schreiben.
Angenehm fiel mir auf, dass die Autorin nie den symbolischen Zeigefinger erhebt, sie läßt die Situationen und die Menschen und ihr Verhalten für sich sprechen.
Die Hauptpersonen Eva, Marlene, Viktoria, Christiane (Nane) sind ganz unterschiedliche, aber starke Persönlichkeiten. Doch auch die anderen Personen im Roman fallen auf durch jeweils lebhafte, bildliche Charakterisierung. Ich konnte sie mir gut vorstellen. Es wird keine Schwarz/Weiß-Malerei betrieben. Die Kraft der Worte weiß Brigitte Riebe in außergewöhnlicher Weise einzusetzen, ohne in Sentimentalität oder Rührseligkeit abzugleiten.
„Marlenes Geheimnis“ ist für mich ein zeitgeschichtlich wichtiges Werk über eine brisante Zeit und realistischer Geschichtsunterricht. Die finsterste deutsche Geschichte wurde in einen ausnehmend gut und unterhaltend erzählten Roman gepackt.
Ich verstehe dieses Buch als Mahnung an uns Nachgeborene. Das Wissen um die Vorgänge in der Zeit des Deutschen Reiches muss wach gehalten werden. So etwas darf niemals wieder passieren. Ich möchte Bertolt Brecht zitieren:
„Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“

Das Ende des Buches ist auch ganz großartig, so voller Optimismus und Zuversicht und im harmonischen Einklang mit den Auberlin-Frauen und der Bentele-Familie. Einfach wunderschön. Sehr freue ich mich auf baldigen neuen Lesegenuß von Brigitte Riebe.
Ich vergebe sehr gern fünf von fünf Lesesternen und meine Lese-/Kaufempfehlung!

Bewertung vom 25.07.2017
Ocker, Kim Nina

Nothing Like Us (eBook, ePUB)


sehr gut

LEBE DEINEN TRAUM!
Kim Nina Ocker gelang eine schöne Erzählung einer hoffnungsvollen Liebe zwischen zwei jungen Menschen, die ihren Traum leben wollen.
Lena Winter, 19 Jahre alt, Abiturientin aus Deutschland absolviert ein Praktikum in einem Hotel der Extraklasse. Das Fünf-Sterne-Hotel West ist ein imposantes Gebäude der Upper East Side in New York. Alles super in diesem Haus – die Größe, die Einrichtung, die Gäste –. Die junge Frau aus Hannover hatte gehofft in der Küche des Nobelhotels, in der Patisserie, unterzukommen, um dort zu lernen. Lenas Faszination des Kochens und Backens war sehr groß, obwohl es dafür keine Tradition in der Familie gab. Also, das war ihr übermächtiger Traum. Sie wollte es zu einer gewissen Meisterschaft bringen. Aber zunächst wird sie zu niederen Diensten eingeteilt. Erst darf sie den Eingangsbereich fegen, danach soll sie Ordnung in eine Wäschekammer bringen. Ihre Enttäuschung ist groß. Trotzdem macht sie sich mit Eifer ans Werk und verdonnert einen vermeintlichen Praktikanten zur Mithilfe, ohne zu wissen, wen sie da vor sich hat. Es ist Sander West, der junge, attraktive Hotelerbe. Zunächst spielt er mit. Das hat mehrere Gründe, warum er sich darauf einläßt. Der naheliegendste und offensichtlichste Grund ist, dass ihm das junge deutsche Mädchen gefällt. Und das von der ersten Sekunde an. Ihre kratzbürstige, zielstrebige Art beeindruckt ihn. Darum erhält sie von ihm auch gleich einen passenden Spitznamen verpaßt. YAPPER!
Wie wird es zwischen Sander und Lena ausgehen? Gibt es ein Happy End?

Erzählt wird aus der Ich-Perspektive beider Protagonisten. Lena und Sander durchleben unabhängig voneinander eine Wandlung. Sie fühlen sich nicht nur ungeheuer körperlich voneinander angezogen, sondern erkennen trotz Höhen und Tiefen in ihrer Beziehung, dass sie sich ähnlich sind in ihren Zielen für die Zukunft. Aber bis beide zu der Erkenntnis kommen leiden sie für mein Empfinden zuviel ohne triftigen Grund. Lena zumindest hätte schon ab und zu ihren Gefühlen vertrauen können. Fehlinterpretationen von Verhaltensweisen spielen eine große Rolle. Aber bestimmt ist man genauso in dem Alter von 19/23 Jahren, wie es die Autorin beschreibt. Es fehlt die Lebenserfahrung. Was mir an der ansonsten sympathischen Lena nicht gefiel, war dieser exzessive Alkoholgenuß. So lassen sich Probleme nicht lösen.

Zwei Stellen aus dem Buch möchte ich zitieren. Die fand ich sehr gelungen. Einmal dieser Dialog: - „Der Klügere gibt nach.“ - „Wenn die Klügeren immer nachgeben, dann beherrschen die Dummen die Welt.“
Sander an Lena: „Realität ist was für Menschen, die Angst vorm Träumen haben.“

„Nothing like us“ ist eine lesenswerte, charmante Liebesgeschichte, die ohne Schmalz und zuckersüßes Gesülze auskommt. Wobei die Verbindung zwischen Milliardärssohn und mitteloser Praktikantin schon wie ein modernes Märchen anmutet. Doch warum nicht? Möglich ist alles!
Die Charaktere sind gut gezeichnet und machen die Handlung plausibel. Besondere Freude bereiteten mir Keito und Lexie, die Freunde von Lena.
Empfehlenswert für junge Leser und für die Romantiker unter uns. Von mir vier von fünf Sternen!

Bewertung vom 21.05.2017
Hogan, Ruth

Mr. Peardews Sammlung der verlorenen Dinge


ausgezeichnet

DAS MUSEUM DER VERLORENEN DINGE
Ruth Hogan gelang mit ihrem Debütroman ein wundervolles Werk. Im Klappentext erfährt der Leser, dass sie durch einen schweren Autounfall und durch eine Krebserkrankung zum Schreiben fand. Die Geschichte um „Mr. Peardews Sammlung verlorener Dinge“ zeichnet sich vielleicht auch deshalb, wegen der traumatischen Erlebnisse, durch eine besondere Sensibilität aus.
Der Roman beginnt recht ausgefallen und entbehrt nicht einer gewissen Komik. Der alleinreisende Charles Bramwell Brockley wird in einer Keksdose im Zug von London Bridge nach Brighton gefunden. Er hat großes Glück, dass er Anthony Peardew in die Hände fiel. Ansonsten wäre seine Asche in dem Behältnis in den nächsten Abfalleimer gewandert. Stattdessen erhält die Huntley & Palmers Keksdose einen geordneten und beschrifteten Platz in Andrews Sammelsurium gefundener Dinge. Vor 40 Jahren begann er mit dieser seltsamen Marotte, nachdem er das Liebespfand seiner Verlobten Therese verlor und sie am gleichen Tag bei einem Unfall verstarb.
Anthony Peardew, so heißt also die Hauptperson des Romans. Er und seine verlorenen Dinge sind der Dreh- und Angelpunkt im Buch. Die Geschichte spielt in zwei Zeitebenen. Die eine Ebene beginnt in den siebziger Jahren (1974/1975) und bezieht Personen wie Eunice, Bomber, dessen Eltern und seine Schwester Portia mit ein. Deren Lebensläufe, Schicksale verflechten sich stetig mit der Handlung um Anthony und seine Fundstücke und führen bis zur Gegenwart.
Die andere Zeitebene spielt in der Gegenwart und bindet die Personen um Laura ein, Freddy, der Gärtner von Anthony, Sunshine, das junge Mädchen mit Down-Syndrom.
Wie ein roter Faden verbinden die verlorenen Gegenstände Gegenwart und Vergangenheit.
Laura, eine junge, geschiedene Frau Mitte dreißig, erledigt für Anthony den Haushalt und hilft ihm bei der Buchhaltung. Sie fühlt sich wohl im „Padua“, in Anthonys Villa. Nach seinem unerwarteten, plötzlichen Tod teilt ihr sein Anwalt mit, dass sie nun Alleinerbin vom gesamten Besitz ist. Anthonys Vermächtnis an Laura war, dass einige der verlorenen Gegenstände irgendwann an ihre Besitzer zurückgegeben und ihrer Bestimmung übergeben werden können... Ob und wie das gelingt, ist äußerst lesenswert.

Die Autorin schuf einmalige, gleichermaßen anziehende (Sunshine, Bomber) wie auch abstoßende (Portia, Felicity) Charaktere.
Ruth Hogan schrieb ein Buch über das Leben, die Liebe in ihren unterschiedlichen, variantenreichen Erscheinungsformen, über das Verlieren und Finden von Gegenständen, aber auch von Menschen. Sie erzählt feinsinnig mit tiefem Humor und bissiger Ironie. Ihr gelingen außergewöhnliche Sätze, die mir lange im Gedächtnis bleiben werden.
Auf S. 76 „Eine ganz leichte Fontanelle in ihrem Charakter“.
Auf S. 90: „Seine Liebe war die Farbe ihrer Prellungen“.
Auf S. 144: „Wie kann ein Getränk, das nass ist, weil es ein Getränk ist, trocken sein?“

Manchmal traten mir vor lauter Rührung die Tränen in die Augen. Vor allem wegen Sunshine, das Mädchen mit dem „Daunendrom“. Meine Lieblingsfigur im Roman. Sie ist so ein unverstellter, liebenswerter Charakter, sehr warmherzig und äußerst mitfühlend. Sunshine ist der Grund, warum ich die übersinnlichen Sequenzen im Buch nachvollziehen kann und nicht als störend empfinde.
Ruth Hogan gelang es mit einer Leichtigkeit eine berührende Geschichte um eine große Liebe zu schreiben. Wie sie gefundene Dinge mit den Schicksalen von vielen Menschen neben den Hauptpersonen miteinander verbindet, das ist eine reife literarische Leistung.
Es ist schon das zweite Buch (neben „Der Freund der Toten“ von Jess Kidd) in diesem Jahr, was mir außerordentlich gut gefällt.
Meine bedingungslose Leseempfehlung und fünf Sterne!

Bewertung vom 07.05.2017
Kidd, Jess

Der Freund der Toten


ausgezeichnet

MIT DEN TOTEN IM BUNDE
„Der Freund der Toten“ - Der Roman ist für mich ein Anwärter für das Buch des Jahres 2017. –
Ein absolut gelungenes Debüt der Engländerin Jedd Kiss! Ihr folgt man gern durch die Geschichte des charmanten Hippies und Womanizers Mahony, der seine Wurzeln in dem kleinen irischen Ort Mulderrig sucht.
Vor 26 Jahren wurde er in Dublin in einem Körbchen vor dem Waisenhaus abgestellt. Beigelegt wurde damals ein Briefumschlag. Diesen Umschlag erhält er über Umwege erst viel später aus dem Nachlaß der ihm nie gewogenen Schwester Veronica. Der Inhalt trifft ihn bis ins Mark: Ein Foto seiner blutjungen Mutter Orla Sweeney, die ihn liebevoll im Arm hält, umseitig mit einer aussagekräftigen Beschriftung. Er war immer der Annahme, dass seine Mutter ihn nicht wollte. Mit dem Beweis in den Händen, das es so nicht war, macht er sich auf den Weg in den Ort seiner Geburt.
Der Roman beginnt im Jahre 1950 mit einer unglaublich präzisen Beschreibung der brutalen Tötung einer jungen Frau im Wald. Ihr Kind entgeht der Ermordung durch das plötzliche, wundersame Verbergen des Kleinen durch Blätter und Farne.
Weiter geht es dann 1976. Mahony kommt im beschaulichen Mulderrig an und erzeugt von Anfang an Unruhe durch sein merkwürdig vertrautes Gesicht. Er findet in Rathmore House eine Unterkunft. Dort wohnt die alte Mrs Cauley, eine ehemalige Schauspielerin, sehr hell im Kopf, aber mit siechem Körper. Sie hilft Mahony Licht in das mysteriöse Verschwinden seiner Mutter zu bringen. Gemeinsam hecken sie einen cleveren Plan aus. Am Ende geht der auch auf, aber lange Zeit sieht es danach aus, dass Mahony das gleiche Schicksal wie seine Mutter ereilt. Zu viele Bewohner Mulderrigs stellen sich gegen ihn oder halten sich bedeckt. Doch Mahony hat starke Verbündete. Die Toten stehen ihm bei. Sie helfen dabei, dass sich langsam Mosaiksteinchen zu Mosaiksteinchen fügt. Allen voran ist da die kleine Ida, die ihr gelbes Jojo sucht und der bedauernswerte Hund, der totgeschlagen wurde, weil er die Untat an Orla verhindern wollte.

Durch Jedd Kiss feinsinnigen, illustrativen Schreibstil, durch die beeindruckenden Sätze, die sie formuliert, durch die bildhaften Vergleiche, die sie findet, wird der Roman zu einer literarischen Besonderheit. Sie weiß um die Wirkung der Worte und setzt sie ganz bewußt ein.
Es fällt mir schwer die poetisch angehauchte Geschichte einem Genre zuzuordnen. Es gibt viele Krimielemente als auch solche Elemente, die märchenhaft, übernatürlich oder magisch sind. Auch der Humor kommt nicht zu kurz, mal bitter, bissig, spitzzüngig und gemein oder sogar schwarz. Ich bin daher einverstanden, dass man „Der Freund der Toten“ als Roman bezeichnet.
Die Autorin zeichnet Charaktere, die einzigartig sind. Herausgreifen möchte ich den Pater Eugene Quinn, der mit dem tückischen Aussehen eines Wiesels geschlagen ist. Diesen Nachteil unterstreicht sie noch in der Beschreibung des Pfarrhauses, das mit dem Auftauchen von Mahony plötzlich durch eine Unmenge von Fröschen bevölkert wird (eine von den 10 biblischen Plagen?).
Das Cover des Buches ist ein Eyecatcher. Es fügt sich auch im nachhinein nahtlos in den Gesamteindruck des Buches ein. Da sind Augen aus dem schwarzen Hintergrund, Blumen und Farne, Fuchs und Hase zu sehen.
Das Ende der Geschichte geht aus wie im Märchen. Das Gute siegt über das Böse. Mahony darf glücklich mit einer Frau sein weiteres Leben gestalten. Und wenn er nicht gestorben ist, dann lebt er noch heute.
Ein beeindruckendes Debüt, das ich mit fünf glitzernden, blinkenden Sternen bedenken möchte. Meine unbedingte Leseempfehlung!

Bewertung vom 07.05.2017
Pásztor, Susann

Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster


ausgezeichnet

Würdevolles Sterben

Susann Pásztor behandelt hier ein ganz schwieriges Thema mit dem die meisten überfordert sind. Es wird oft verdrängt. Die Autorin baut ihre Geschichte mit Fred Wiener und dessen 13jährigem Sohn Phil auf. Beide sind etwas eigenbrötlerisch, sehr zurückhaltend, fast introvertiert. Sie haben ihre Rituale miteinander, die sie davon abhalten, sich gegenseitig zu nerven. Fred ist um die vierzig, von seiner Frau Sabine geschieden und etwas dicklich. Phil dagegen für sein Alter zu klein, ist ein begabter Junge, ein kleiner Wortakrobat, schreibt Gedichte und sammelt Wörter, die er in sein System ordnet.
Fred Wiener also ließ sich als ehrenamtlicher Sterbebegleiter ausbilden. Karla Jenner García, 60 Jahre alt, erkrankt an Bauchspeicheldrüsenkrebs, ist die Erste, die er begleiten möchte. Sie ist eine überaus taffe Frau und macht es ihm nicht gerade leicht. Karla hat sehr genaue Vorstellungen, was sie will und was nicht. Fred jedoch weiß nicht wirklich, wie er sich der Todkranken nähern soll. Er ist total verunsichert. Wiederholt stellt er an sich selbst die Fragen, auf die die sterbenskranke Frau Antworten möchte. Warum wurde er Sterbebegleiter? Wieso möchte er sich so eng mit dem Tabuthema Tod befassen? Er versucht immer wieder das Gelernte zu rekapitulieren und anzuwenden. Doch Theorie und Praxis sind zwei verschiedene Dinge. In seinem Bestreben der sterbenden Karla noch etwas Gutes zu tun, schießt Fred weit über seine Kompetenzen hinaus. Es geht gründlich schief. Durch einen Zufall und über seinen Sohn Phil, der Karlas Fotoarchiv digitalisiert und dadurch der Nachwelt erhält, findet er wieder Zugang zu ihr.

Die Sterbebegleitung, das Befassen mit dem Tod, mit seinen Vorboten, mit der Endlichkeit unseres Seins. Das sind die Themen, die unangenehm sind. Ich selbst habe solche Literatur bisher gemieden.
Susann Pásztor erzählt eine Geschichte, die mir sehr ans Herz ging. Genau diese heimtückische Krankheit, an der Karla starb, nahm mir auch meinen Vater vor der Zeit.
Ich war sehr erstaunt mit welcher Leichtigkeit das schwere Thema bewältigt wurde. Das eine oder andere Mal musste ich schmunzeln. Zum Beispiel das Gespräch über die Bestattungsmodalitäten, das Karla sehr souverän und nachdrücklich mit dem geschäftstüchtigen Bestatter führt.
„Ich kann mich mit dem Tod so intensiv auseinandersetzen, wie ich es möchte und aushalte“. Er mit seinen Vorschlägen: Karla als „Diamant“ oder „Korallenriff“ oder ...
Das wirkt ungewollt komisch, makaber, befremdlich auf diejenigen für die das Sterben noch kein Thema ist.
Der Tod gehört zum Leben, zu unserem Alltag. Diese banale Weisheit führt die Autorin mit einer Selbstverständlichkeit zu einem normalen Abschluß. Ohne auf die Tränendrüsen zu drücken, ohne Wehleidigkeit, ohne Bitterkeit, unaufdringlich, niemals aufgesetzt. Die handelnden Personen passen hervorragend zusammen, wie bei einem Puzzle. Das Buch wurde behutsam und mit viel Fein- und Taktgefühl geschrieben bis zum Ende.
„Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster“ so der Titel des Buches und so ist es dann auch. Mit einem optimistischen Ausklang schließt die Geschichte ab. Die Protagonisten sind gereift. Phil ist auch körperlich gewachsen, größer geworden und kann mit seiner Mutter Sabine und derem neuen Freund befreit umgehen. Fred wurde selbstsicherer.

Ein schönes, ein wichtiges Buch. Von mir eine unbedingte Leseempfehlung.

Bewertung vom 28.03.2017
Cole, Daniel

Ragdoll - Dein letzter Tag / New-Scotland-Yard-Thriller Bd.1


ausgezeichnet

DIE STETIG TICKENDE TODESUHR
„Der neue Bestsellerautor Daniel Cole sorgt für einzigartige Spannung, die süchtig macht“. Der Aussage kann ich mich vorbehaltlos anschließen. Dem jungen Autor gelang mit „Ragdoll - Dein letzter Tag“ ein starker Debütroman. Ragdoll ist ein äußerst clever erarbeitetes Mordkomplott mit überraschenden Wendungen und Zusammenhängen.

Die Handlung:
Die Geschichte beginnt im Jahr 2010 im „Old Bailey“, dem berühmten Londoner Gerichtsgebäude. Detective William Oliver Layton-Fawkes, genannt WOLF, rastet im Gerichtssaal vollkommen aus als das Urteil für den „Feuerbestatter“ genannten Serienmörder nicht schuldig lautet. Er schlägt ihn fast tot. Vier Jahre später kehrt Wolf nach seiner Suspendierung wieder zu seinem Ermittlerteam der Metropolitan Police zurück. Er wird zu einem grausigen Fund gerufen. In einer Wohnung, die seiner gegenüber liegt, hängt eine Leiche. Das besonders Entsetzliche ist, dass sie aus sechs Körperteilen von sechs Opfern grob zusammengenäht wurde zu einer „Ragdoll“. Fast gleichzeitig erhält die Journalistin Andrea, Wolfs Exfrau eine Liste, auf der sechs weitere Morde mit genauem Todeszeitpunkt angekündigt werden. Der Ragdoll-Mörder ist unwahrscheinlich clever und trickst die Polizei aus. Die „Todesuhr“ beginnt zu ticken und ein nervenaufreibender Wettlauf gegen die Zeit beginnt. Der letzte Name auf der Liste lautet:
DETECTIVE WILLIAM OLIVER LAYTON-FAWKES .

Meine Meinung:
In einer besonderen Erzählweise, in einer direkten Draufsicht auf das Geschehen vermittelte Daniel Cole von der ersten bis zur letzten Seite eine unheimliche, knisternde Spannung und erzeugte einen mitreißenden Sog. Eine unerklärliche atemberaubende Atmosphäre! Dabei versteht er es scheinbar auch noch zwischen den Zeilen Spuren für den Leser zu legen und starke Charaktere zu schaffen. Vom Prolog an bis zum Schluß endet jedes Kapitel mit einer Überraschung. Ein fortwährendes Auf und Ab in den Ermittlungen sorgt dafür, dass der Mißerfolg überwiegt. Das ist aber auch kein Wunder bei dem chaotisch agierenden Ermittlerteam mit einem Chef, der sich nicht durchsetzen kann. Die äußerst brutalen Morde und ein ständiger Wettlauf mit dem übermächtig erscheinenden Killer tun ihr Übriges. Wolf gebärdet sich zeitweise wie eine tickende Zeitbombe, die auf ihre Selbstzerstörung wartet. Er hat den schwierigsten und außergewöhnlichsten Charakter, obwohl er zumindest bei den Frauen einen ganz schönen Schlag besitzt. Eine besondere Beziehung verbindet ihn mit Emily Baxter, der unberechenbaren Kollegin. Sie brauchen sich wie die Luft zum Atmen. Alex Edmunds, der jüngste im Team, ist ehrgeizig und arbeitet wie ein Berserker Tag und Nacht. Am Ende des Buches war dieser Protagonist mit seiner privaten Entscheidung für mich eine besondere Überraschung.
Es war alles für mich plausibel und folgerichtig. Vor allem die Einblendungen aus der Psychiatrie aus den Jahren 2010/11 halfen mir beim Verstehen der Geschehnisse. Viel psychologisches, psychopathisches, übernatürliches (Gott, Teufel, Dämon), krankhaftes spielte eine große Rolle.
Wolf geht aus dem grausamen Mordgeschehen nicht als Sieger, aber auch nicht als Verlierer hervor. Das Ende ist meiner Meinung nach offen und läßt dem Autor Raum, ob er die Geschichte weiterverfolgt als Fortsetzung oder ob er es dabei beläßt.
Das Cover in seiner Düsternis, schwarzer Vogel auf schwarzem Grund, paßt zum Genre. Mit dem Inhalt des Thrillers hat es nichts zu tun.
Ich vergebe fünf Sterne für ein reifes Debüt.