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Juti
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Bewertungen

Insgesamt 720 Bewertungen
Bewertung vom 03.04.2023
Die Geschichte der Welt
Grataloup, Christian

Die Geschichte der Welt


gut

neuer historischer Atlas

Große Freude überfiel mich, als ich von diesem monumentalen Werk hörte. Das Kriegsgeschehen des 1. und 2. Weltkriegs habe ich so noch nicht auf Karten gesehen. Überzeugt hat mich auch die Schließung der letzten weißen Flecken und die Tiefseekabel. Dass ich bei der Themenwahl einen französischen Schwerpunkt ausgemacht habe, sei dem französischen Autor verziehen.

Doch muss ich Wasser in den Wein gießen:
Karten die über eine Doppelseite gehen, sind in der Mitte des Buches nicht in der Kartenmitte zu erkennen, weil die Karte durch die Bindung verschwindet. Das hätte der Verlag anders lösen müssen.

Ferner sind es die üblichen Petitessen:
Einerseits freue ich mich über die biblischen Karten zu denen der Autor korrekt schreibt, dass archäologische Funde dazu fehlen, andererseits gehen auf S.45 die Feldzüge der Babylonier direkt durch die syrische Wüste. Das kann aber nicht sein. Entlang des Euphrats oder Tigris sind die einzigen möglichen Wege.
Dass die Legende bei den Konfessionen auf S. 303 die falschen Farben benennt, ist sogar dem Rezensent der SZ aufgefallen. Mein Kompliment.

Beim Aufstieg Preußens auf S. 333 wird im Jahre 1702 die Grafschaft Moers erwähnt. Das ist falsch! Wie in der Karte korrekt dargestellt, kam am Niederrhein zunächst Kleve zu Preußen. Die genauen Hintergründe mögen man bei Lokalhistorikern nachfragen.
Auf S.429 liegt Mannheim außerhalb von Baden, was falsch sein muss.


Wie zu sehen ist, habe ich nur bei Deutschlandkarten Fehler gefunden. Dies liegt allein daran, dass ich mich in andere Ländern nicht so auskenne. Ich lese, dass es schon eine 6. Auflage gibt. Da ich nicht herausfinden konnte, welche Auflage ich studiert habe, hoffe ich sehr, dass das ein oder andere schon korrigiert ist. So bleibt aber ein gewisses Misstrauen, dass ich bei mir unbekannten Dingen wie Tiefseekabeln aufs Eis geführt werde. Deswegen nur 3 Sterne.

Bewertung vom 02.04.2023
Lachen
Hohler, Franz; Leeb, Root; Helfer, Monika; Köhlmeier, Michael; Dragnic, Natasa

Lachen


gut

Licht und Schatten

Da höre ich in der Kulturzeit, dass der Schweizer Franz Hohler Geburtstag feierte, da suche ich nach einem Buch von ihm und so liegt dieser Band auf meinem Nachttisch.
Nun habe ich das alte Problem: Wie bewerte ich Kurzgeschichten?

Also heute mal ausführlich:
Köhlmeier schreibt drei, ich würde sagen, Märchen. „Das Kasmandl“ bleibt in Erinnerung, ist aber für den Titel zu traurig. 4 Sterne.
In „Der Joker“ habe ich alles vergessen: 2 Sterne
„Die Legende von Levi und dem Bettler“ geht es um seine Bruder Josef eine wertvolle Perle und das Glück, 3 Sterne.
Gesamtnote Köhlmeier: 3 Sterne

Dragnic schreibt über einen Menschen, der sich nur als Museumswärter eignet und dann verschwindet. Es gibt nichts zu lachen. 2 Sterne

Shami hat vier Geschichten:
In der ersten träumt einer, dass die Männer ihre Geschlechtsteile auf einer langen Kreuzfahrt entkoppeln müssen, damit es auf dem Schiff keinen Nachwuchs gibt. Das geht beim ausschecken schief. 5 Sterne
In „Der Teufel war es nicht“ bedient sich der Sohn am Tresor des Vaters. 3 Sterne
In „Der Teppichklopfer“ wird um die Wette gefurzt. 4 Sterne
Und in „Galgenhumor“ wird ein Satiriker in der Diktatur beschrieben. 3 Sterne
Gesamtnote Shami: 4 Sterne

Helfers „Es ist alles nicht so einfach“ beschreibt ein Ehepaar, das die Nachbarin hinter der Wand immer Lachen hört. Nur das Ende habe ich nicht verstanden. 4 Sterne
Hohlers „Das verlorene Lachen“ hat mich enttäuscht. Der Ich-Erzähler wollte gleichnamige Novelle von Keller mit auf die Alp nehmen, findet aber das Reclam-Heft nicht mehr. 2 Sterne
Leebs Geschichten müsste ich auch einzeln bewerten. Ich habe aber die Lust verloren. Sie passten jedenfalls zum Thema. 3 Sterne.

Und im Nachwort behandelt Shami Lachen wissenschaftlich. Das Lachen im Christentum misslingt ihm aber, weil er die Bibel zu wörtlich nimmt. Dafür streut er wirklich gute Witze ein. Also wieder 3 Sterne.

So ist die klare Gesamtnote: 3 Sterne.

Bewertung vom 01.04.2023
ATLAS DR April 1943 - Eisenbahnkarte Deutschland

ATLAS DR April 1943 - Eisenbahnkarte Deutschland


ausgezeichnet

Eisenbahnherz, was willst du mehr!

Historische Eisenbahnfreunde werden sich freuen. Das Eisenbahnnetz ohne Kriegszerstörungen. Und wir alle leiden, wenn wir uns den Zustand der Deutschen Bahn heute ansehen. Und das ganze ohne Krieg.

Bewertung vom 01.04.2023
Ein Grund morgens aufzustehen
Strätling, Ulrike

Ein Grund morgens aufzustehen


gut

Heiteres für den April

Dieses Bändchen sorgt für gute Laune. Alles, was so im Leben passiert, vereint die Autorin in diesem Werk. In verständlicher Sprache schildert sie die alltäglichen Geschichten.

Für mehr als 3 Sterne fehlte mir allerdings der Tiefgang. Aber abgesoffen ist das Buch lange nicht.

Bewertung vom 31.03.2023
Reisewarnung für Länder Meere Eisberge
Schulz, Tom

Reisewarnung für Länder Meere Eisberge


schlecht

Nur ein guter Titel

Seit der Corona-Zeit habe ich kein Gedichtbuch mehr gelesen. Und eins hat die Corona-Pandemie nicht verändert: Ich bin für moderne Lyrik nicht zu haben.

Die Gedanken des Autors wirken wie zusammenhangslose Sätze, wenn man überhaupt von Sätzen sprechen darf. Ein Gedicht bestand nur aus dem Nebensatz „Weil“, ein anderes aus „Dass“.

Sprachgewaltige Bilder sind mir nicht in Erinnerung geblieben und so habe ich nach dem 3. Kapitel ab Seite 50 beschlossen, meine Zeit sinnvoller zu nutzen.

Wenn ich etwas verstanden habe, dann gefährdet Reisen die Natur. Das wusste ich aber schon vorher. 1 Stern.

Bewertung vom 28.03.2023
Liebe, Sex und Allah
Ghandour, Ali

Liebe, Sex und Allah


gut

Die gute alte Zeit

Dieses Buch erweitert das Wissen über die islamische Kultur. Die Sexualmoral entstand dort zwischen dem 8. und 12. Jh. und war bei weitem nicht so verklemmt, wie wir uns im Westen das heute vorstellen.

Am Anfang werden die Rechtsauffassungen geklärt, was ich nicht so spannend fand. Im zweiten Teil finden sich aber auch praktische Beispiele erotischer Literatur:
Halt an! Du triffst auf einen reifen Löwen, fest, glatt und mit Safran parfümiert.
Wen er angreift, lässt er zurück als Verlierer, als Gebrochenen, als Verängstigten.
Vor ihm wird im ganzen Land weggerannt, als ob der rote Tod geblickt wurde,
als ob er ein angriffslustiger, tapferer Löwe wäre. (126)


Da die Literatur für die Längen am Anfang entschädigt, vergebe ich 3 Sterne.

Bewertung vom 27.03.2023
Der junge Mann
Ernaux, Annie

Der junge Mann


weniger gut

Nobelpreiswunder – besser Antiwunder

Der SZ gelingt das Wunder über dieses Büchlein eine längere Rezension zu schreiben als das Buch selbst. Dies gelingt dank Verweisen auf ähnliche Liebesgeschichten.
Schon vor ihrem Nobelpreis habe ich gewarnt, dass der Autorin in ihrem autobiografischen Schreiben der Stoff ausgeht. Dies ist nun geschehen.

Wenn das Werk eine sehr kurze Novelle sein sollte, dann gehört dazu eine unerhörte Begebenheit. Dies soll das Verhältnis der Ich-Erzählerin mit einem 30 Jahre jüngeren Mann sein. Allein in heutigen Zeiten sagt man: „Wenn es beiden gefällt.“ Unerhört ist das nicht.

Ernaux schreibt selbst, der Mann könnte ihr Sohn sein. Dass fremde Menschen gucken, mag ja so sein, aber sind Beziehungsverhältnisse so offensichtlich? Und an anderer Stelle steht, dass ein Homopaar weniger Aufmerksamkeit bekommen hätte, bleibt aber jeden Beweis schuldig, dass dies nur ein subjektiver Eindruck ist.


Dieses Büchlein braucht nur der Suhrkamp-Verlag, der sich damit eine golene Nase verdienen kann. Ohne Nobelpreis wäre es nicht erschienen. Da es in einer knappen Stunde zu lesen ist – und ich nur für abgebrochene Bücher 1 Stern gebe – erhält es 2 Sterne. Meine schlechteste Berwertung für ein Buch von Annie Ernaux.

Bewertung vom 26.03.2023
Das glückliche Geheimnis
Geiger, Arno

Das glückliche Geheimnis


ausgezeichnet

Autobiografie als Erfolgsratgeber

Die Erinnerung an den Widerstandskämpfer begann erst in den 70er Jahren in seiner schwäbischen Heimat, deutschlandweit erst in den 90ern. Die Erinnerung an den Grafen Stauffenberg unmittelbar nach dem Krieg. Warum? Weil Stauffenberg im Militär vernetzt war, Elser dagegen war Einzeltäter. Mit anderen Worten: Jeder hätte diesen Anschlag verüben können.

Genauso trifft Arno Geigers Werk jeden. Jeder könnte im Altpapier nach weggeworfenen Büchern, Zetteln und Briefen suchen. Jeder hätte den Lesestoff zu Büchern verarbeiten können und vielleicht den Buchpreis gewinnen können.

Doch jede Tätigkeit geht mit der Zeit. Anfangs interessieren ihn die Bücher, verkauft sie auf dem Flohmarkt oder macht auch Antiquitäten zu Geld. Als berühmter Schriftsteller hat er das nicht mehr nötig. Jetzt liebt mehr die privaten Briefe, die zu Dokumenten wurden, weil er weder Absender noch Empfänger kennt.
Und so wie sein Müllsammeln geht auch seine Beziehung mit der Zeit. Aber auch hier könnte sich jeder wiederfinden, weil es Höhen und Tiefen gibt, erst mit M., dann mit K., zwischendurch mit O. K. wird später geheiratet und auch das nicht mit einem einfachen Ja.

Auch wenn Insa Wilke seine Bemerkungen zum Literaturbetrieb gegen Ende nicht gefallen, ich fand sie erhellend. Ich habe auch das Gefühl, das manches Werk alter Autoren nicht veröffentlicht würde, wenn es von einer unbekannten Autorin geschrieben worden wäre.


Arno Geigers Buch gehört aber nicht dazu. Ich will hoffen, dass ich von diesem mittelalten Autor noch viele neue Gedanken lesen darf. 5 Sterne

Bewertung vom 23.03.2023
Fahrtwind
Modick, Klaus

Fahrtwind


sehr gut

Eichendorffs Taugenichts Aktualisierung

Ja, dieses Buch musste unbedingt geschrieben. Und wer, wie ich, Fan des Taugenichts ist, wird sich freuen, dass die Nachmittagslektüre der Romantik endlich einen modernen Anstrich bekommen hat.
Naturbilder fehlen heutzutage, dafür muss der namelosen Ich-Erzähler den stockschwule Guido nachspielen. Kutschfahrten geschehen heute motorisiert.

Und dass unser „Ich“ auf dem Rückweg drogennehmende Musiker findet, passt doch ins Bild. Dass sich die SZ beschwert, dass dieses Buch deswegen nicht in den Schulkanon findet, wir der Autor wohl als Lob auffassen.


Von mir erhält er tatsächlich ein Lob, Eichendorffs Taugenichts sollte aber bekannt sein. Ein heiteres Buch in Corona-Zeiten. 4 Sterne, da die Gattung echte Neuigkeiten nicht erlaubt.

Bewertung vom 20.03.2023
Fabelhafte Rebellen
Wulf, Andrea

Fabelhafte Rebellen


ausgezeichnet

Romantisches Jena

Hohe Qualtität lieferte Wulf schon bei ihrem Humboldt-Buch. Und so verwundert es auch nicht, dass selbst der große Alexander, der nur wenige Monate bei seinem Bruder in Jena verweilte und Goethe traf auch thematisiert wird. Ja, ich habe vom alten Dichter gelernt, dass er sich zwar schon immer für die Naturwissenschaft begeisterte, mit Alexander aber erstmals einen ädequaten Gesprächspartner hatte.

Wer Goethe sagt, muss auch Schiller sagen, der im Gegensatz zum alten Meister, lange Jahre seinen Hauptwohnsitz in Jena hatte, bevor ans Theater nach Weimar zog. Schiller war immer krank, jedoch wie dieses kluge Buch lehrt, kein Hypochonder, sondern ein Überlebenskünstler. Die Autopsie nach seinem Tod zeigte nämlich, dass sein Leben einem Wunder gleich kam.

Überhaupt unterscheidet das 18. Jahrhundert sich von heute am meisten dadurch, dass viel mehr Kinder starben. Dennoch fielen die Eltern immer in Trauer. Am meisten litt die Jenaer Romantik unter dem Tod der junge Auguste, die nicht an der Ruhr sondern an der falschen Behandlung ihres Arztes in Bad Bocklet gestorben ist.

Auguste war das älteste Kind von Caroline geb. Michaelis, einem Philologen aus Göttingen, verwitwete Böhmert (Vater von Auguste), geschiedene Schlegel, also bei ihrem Tod mit Schelling verheiratet. In ihren Haushalt, die als einzige der Romantiker die Mainzer Republik live miterlebt hatte, und dank ihres Mannes August Wilhelm Schlegel wieder in die Gesellschaft integriert wurde, kehren die anderen Personen zum Gespräch ein. Und der große Goethe, der ja selbst bis zu den napoleonschen Kriege keine Ehe geführt hatte, muss helfen, als sie sich von Schlegel trennt, um mit Schelling zusammenzuleben. Schiller gehörte nicht zu den Romantikern, weil Friedrich Schlegel seine „Horen“ abschlägig rezensiert hatte und Bruder August Wilhelm zu ihm hielt.

Entgegen meiner Rezension geht die Autorin chronologisch vor. Eine gute Wahl. Zuerst kam Fichte nach Jena und, als dieser längst von der Uni geflogen war, und sogar schon Schelling und Schlegel die Stadt verlassen hatten, kam Hegel.
Doch die Philosophie ist nur ein Thema von vielen. Viel wichtiger ist Wulf das Klima in der Kleinstadt der Gelehrten und der Tratsch und Eifersucht unter ihnen. Novalis hat es gut getroffen. Er ist früh gestorben und bleibt als Romantiker in Erinnerung. Und hätte es den Winter 1799, der so eisig kalt war und die Handelnden krank machte, nicht gegeben, dann wäre die Geschichtsschreibung heute wohl eine andere.

Ich will nicht ausschließen, die ein oder anderen ausgelassen zu haben, wie Dorothea Veil, die Frau Friedrichs, aber auch so entsteht der Eindruck eines überzeugenden Buches, aus dem ich viel gelernt habe. 5 Sterne und Bestes Sachbuch des bisherigen Jahres 2023.


Zitate:
Friedrich Schlegels einziges Ziel war es, zu lesen, zu denken und zu schreiben. Die besten Köpfe […] würden durch eine konventionelle Berufswahl verkümmern. (136f)

Meine einzig Religion ist die,
Daß ich liebe schöne Knie,
Volle Brust und schlanke Hüften,
Dazu Blumen mit süßen Düften,
Aller Lust voll Nahrung,
Aller Liebe süße Gewahrung.
(Gedicht von Schelling, 292)