Benutzer
Benutzername: 
Ingrid von buchsichten.de
Wohnort: 
Erkelenz

Bewertungen

Insgesamt 351 Bewertungen
Bewertung vom 02.11.2021
Lo Cascio, Priska

Die Stunde zwischen Nacht und Morgen


ausgezeichnet

In ihrem Roman „Die Stunde zwischen Nacht und Morgen“ nimmt Priska Lo Cascio die Lesenden mit in das Köln der Nachkriegszeit. Doch vorher zeigt sie wie der 14-jährige Matthes im März 1945 als Augenzeuge erleben muss, wie die Alliierten in einem letzten Großangriff Köln in Trümmern legen. Er ist einer der drei Protagonisten der Geschichte. Aufgrund des sich umarmenden Paar auf dem Cover versprach ich mir beim Aufblättern eine Liebesgeschichte vor schicksalhaftem Hintergrund und wurde nicht enttäuscht.

Neben Matthes, der beim oben erwähnten Bombenangriff zur Vollwaise wird, stehen sein älterer Bruder Helmut und die junge Schweizerin Elvira, Eli genannt, im Fokus der Erzählung. Helmut studiert Pharmakologie und beabsichtigt, später in der Apotheke seines Vaters zu arbeiten, als er sich im Jahr 1942 freiwillig zum Wehrdienst meldet, um für Deutschland als sein Vaterland zu kämpfen. Jetzt kehrt er nach Hause zurück und steht vor den Ruinen seines Elternhauses. Bei der Suche nach seinem Bruder begegnet er der 25 Jahre alten, aus betuchtem Haus stammenden Eli, die als Freiwillige für die Schweizer Spende arbeitet, die in Köln ein Barackendorf errichtet hat. Eli hat auf Wunsch ihrer Eltern einem Anwalt in der Schweiz die Ehe zugesagt, doch sie t mit ihren Gefühlen zu ihm. Durch ihre gemeinnützige Arbeit findet sie Wertschätzung und die Entfernung zur Heimat gibt ihr Gelegenheit, über ihre Zukunft nachzudenken.

Priska Lo Cascio greift in ihrem Roman ein eher unbekanntes Kapitel der Geschichte auf. Vor dem Lesen des Buchs hatte ich noch nicht von dem „Schweizer Dorf“ in Köln gehört, das dort nach dem Zweiten Weltkrieg errichtet wurde. Es ist berührend darüber zu lesen, wie engagiert sich Freiwillige aus der Schweiz damals dort darum bemühten, die Not und den Hunger der Bevölkerung in der rheinischen Stadt zu lindern. Der Winter 1946/47 zeichnete sich durch besonders kalte Temperaturen aus und mancher Kölner war froh, überhaupt ein Zuhause gefunden zu haben, auch wenn man auf engstem Raum zusammenwohnte. Einige lebten im Keller zwischen den Ruinen oder in notdürftig wieder hergerichteten Wohnungen. Die Schweizer Spende“ organisierte in Köln Massenspeisungen, Ausgaben von gespendeten Kleidern und Medikamenten.

Eli ist eine lebensfreudige Figur, die sich durch die Pläne ihrer Eltern und ihres Verlobten eingeschränkt fühlt und eine Möglichkeit findet, sich selbst zu verwirklichen. Jedoch gestaltet es sich aufgrund von Konventionen, denen sie unterliegt, nicht einfach, dauerhaft ihren eigenen Interessen nachzugehen. Sie nimmt die großen Unterschiede wahr, wie wohlbehütet sie selbst in der Schweiz die Kriegsjahre erlebt hat und in welchem Elend die Kölner durch die Bombenangriffe versunken sind.

Einfühlsam beschreibt Priska Lo Cascio die Schweigsamkeit von Helmut, die mit seinen Erfahrungen im Krieg zusammenhängt. Er wirkt nicht nur distanziert auf Eli, sondern wahrt auch einen gewissen Abstand zu ihr. Die Autorin zeigt anhand der Beziehung von Helmut und Eli, wie schwierig eine Annäherung zwischen Personen ist, die Sympathie zueinander empfinden, wenn beide eine folgenschwere Vergangenheit haben. Matthes bildet nicht nur ein Bindungsglied zwischen seinem Bruder und Eli, sondern veranschaulicht die Probleme der Heranwachsenden, die mit tragischen Umständen einen Kampf ganz eigener Art führen und sich dennoch auf ihre Zukunft freuen.

In ihrem Roman „Die Stunde zwischen Nacht und Morgen“ erzählt Priska Lo Cascio behutsam die Geschichte eines Soldaten, der aus dem Krieg heimkehrt und sich zu einer freiwilligen Helferin der Schweizer Spende im Barackendorf in Köln hingezogen fühlt. Unter Einbindung der damaligen politischen Verhältnisse und geltender gesellschaftlicher Etikette wirkt die Erzählung authentisch und nachvollziehbar. Daher vergebe ich sehr gerne eine Leseempfehlung.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 01.11.2021
Schweikert, Ulrike

Berlin Friedrichstraße: Novembersturm / Friedrichstraßensaga Bd.1


sehr gut

Der Roman „Berlin Friedrichstraße – Novembersturm“ von Ulrike Schweikert ist der erste Teil eine Dilogie. Bezeichnenderweise spielt die Geschichte zu einem gewissen Teil in der Friedrichstraße in Berlin, denn hier besitzt ab einem gewissen Zeitpunkt einer der Protagonisten ein kleines Geschäft an einer Ecke des Bahnhofs. Die Bahnstation, die am Ende des 19. Jahrhunderts gebaut wurde, erfuhr später einige Aus- und Umbauten. Im Laufe der Jahre entwickelte sie sich zu einem Dreh- und Angelpunkt für die West- und Ostberliner. Aber der erste Band spielt zunächst in der Zeit von 1882 bis 1933.

Die Autorin schildert im Buch die ungewöhnliche Liebe der Kinder der Familien Rosenstein, Wagenbach und Richter, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Beletage und dem zweiten Stock in einem Vorderhaus in Charlottenburg leben. Aber auch Ella Weber, die im Hinterhaus aufwächst, spielt in der Liebesbeziehung eine wichtige Rolle.

Nach einem einführenden Prolog springt die Geschichte zeitlich in das Jahr 1920. Der 31 Jahre alte Robert Wagenbach erhält in diesem Jahr als Architekt einen bedeutenden Auftrag und hält um die Hand der ein Jahr jüngeren Luise Richter an. Über der Freundschaft der beiden liegt die Trauer um den im Ersten Weltkrieg vermissten Freund Johannes Rosenstein, mit dem Luise heimlich verlobt war. Johannes ältere Schwester Ilse ist eine gute Freundin von Luise und ist genauso positiv erschrocken wie das Ehepaar als Johannes eines Tages wieder in ihr Leben tritt.

In ihrem Roman beschreibt die Autorin bewusst sowohl die glänzende Seite Berlins wie auch die Schattenwelt. Sie bringt einen Teil ihrer Figuren mit der Welt des Kinos, des Theaters, der Kleinkunst und der Literatur in Berührung. Neue Musikstile erobern die Bühnen, nach den langen Kriegsjahren freuen sich die Berliner über kurzweilige Unterhaltung, obwohl ihnen sicher aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung nicht immer zum Lachen ist. Viele kämpfen noch lange Zeit mit den psychischen und physischen Folgen des Kriegseinsatzes. Die Inflation bedrohte Reiche wie Arme. Ulrike Schweikert zeigt, wie Ringvereine kriminell organisiert vorgingen und ihren Einfluss gelten ließen.

Die Geschichte spielt vor dem Hintergrund der dramatischen politischen Entwicklungen in Deutschland und deren Auswirkungen auf Berlin. Dadurch gelingt der Autorin die Gestaltung einer viele Aspekte umfassenden Erzählung, die sich leicht und gewandt lesen lässt. Allerdings treten neben den Fakten die fiktiven Anteile der Geschichte etwas zurück. Leider konnten mich persönlich die Gefühle der handelnden Personen nicht wirklich erreichen. Es gab kaum Entwicklung in den Ansichten und Meinungen der einzelnen Protagonisten über die Reihe von Jahren hinweg. Von einem Unglücksfall zum Ende des Romans hin war ich überrascht, er sorgte dafür, dass die Figuren neu gesetzt wurden.

Insgesamt gesehen, hat Ulrike Schweikert mit ihrem Roman „Berlin Friedrichstraße – Novembersturm“ ihr Ziel erreicht, die 1920er Jahre bis hinein in die 1930er Jahre in Berlin aus mehreren Blickwinkeln abzubilden. Wer sich gerne in diese Welt zwischen Glamour und Gosse mitnehmen lassen möchte, sollte zu dem Roman greifen.

Bewertung vom 24.10.2021
Austen, Jane

Von ganzem Herzen ...


ausgezeichnet

Das Buch „Von ganzem Herzen …“ enthält eine Briefauswahl die Jane Austen an ihr vertraute Personen, vor allem aber an ihre Schwester Cassandra geschrieben und verschickt hat. Zusammengestellt wurde die Sammlung von Penelope Hughes-Hallett, einer Tutorin und Dozentin der Open University. Sie verbrachte ihre Kindheit wie Jane Austen in Steventon im englischen Hampshire. Gisella M. Vorderobermeier hat das Buch ins Deutsche übertragen.

Nach einer Stellungnahme von Penelope Hughes-Hallet zu der Veröffentlichung von Briefen von Jane Austen im Allgemeinen, leitet sie in die nun folgende Zusammenstellung der Schreiben über, die in sechs Kapitel unterteilt ist. Jane Austen verstarb mit 41 Jahren. Die ersten 25 Jahre ihres Lebens verbrachte sie in Steventon, wo Erstfassungen von zwei ihrer bedeutenden Werke entstanden. Anschließend lebte sie in Bath und Southampton ohne offensichtliche schriftstellerische Tätigkeit. Nachdem sie 1809 in Chawton ihr Zuhause gefunden hatte, entstanden die Endfassungen von „Verstand und Gefühl“ und „Stolz und Vorurteil“ und später weitere Romane. Ein letztes Kapitel widmet sich ihren Briefen in der Phase ihrer Krankheit bis zu ihrem Tod.

Illustrationen, teils farbig, manchmal ganzseitig, immer zum Kontext der damaligen Zeit sind durchgehend zu finden und unterstreichen den hochwertigen Charakter des Buchs. Sie vermitteln dem Lesenden ebenso wie die in die Kapitel einführenden Texte das Umfeld, in dem Jane Austen gelebt hat. Zu finden sind Zeichnungen, Porträts, Landschaftsbilder, Kleidung und vieles andere welches das Leben am Ende des 19. Jahrhunderts beziehungsweise zu Beginn des 20. Jahrhunderts ausmachte. Die Briefe werden auch von Zitaten aus den Romanen der Schriftstellerin begleitet.

Insgesamt ergibt sich ein umfassendes Bild vom Leben der Schriftstellerin, soweit Fakten dazu vorliegen. Vor allem in der Korrespondenz mit ihrer Schwester nimmt man das gute Verhältnis zueinander auch durch kleine Scherze wahr. Durch das Lesen der Briefe lassen sich Rückschlüsse auf viele Szenen in Jane Austens Romanen ziehen, die dadurch mehr Hintergrund zu der Figurengestaltung, der Wohnorte und der Umgebung erhalten.

„Von ganzem Herzen …“ mit ausgewählten Briefen von Jane Austen ist ein Muss für jeden Fan von ihr, deshalb empfehle ich das Buch gerne weiter.

Bewertung vom 20.10.2021
Gier, Kerstin

Was man bei Licht nicht sehen kann / Vergissmeinnicht Bd.1


ausgezeichnet

In ihrem Roman „Vergissmeinnicht“ nimmt Kerstin Gier die Lesenden mit in eine magische Welt, zu der man von unserer Erde aus in der Gegenwart Zutritt findet. Darauf nimmt auch der Untertitel des ersten Bands der Trilogie „Was man bei Licht nicht sehen kann“ Bezug, denn die mystische Welt bleibt den meisten Menschen verborgen. Das Cover wirkt mit dem wunderschönen, mit vielen Elementen ausgestatteten Erscheinungsbild der Illustratorin Eva Schöffmann-Davidov sehr anziehend. Durch partiell gesetztem Relieflack werden glänzende Akzente gesetzt. Auch das Buch ohne Schutzumschlag ist ein optisches Highlight. Der Titel der Trilogie ist nicht nur Bestandteil des Namens eines Geschäfts, das in der Geschichte eine wichtige Rolle spielt, sondern bezieht sich auf die gleichnamige Zierpflanze, die oft übersehen wird wie Matilda, eine der beiden Hauptfiguren.

Der Roman wird von zwei Protagonist*innen erzählt, einerseits von dem 17-jährigen Quinn und andererseits von der um ein Jahr jüngeren, gerade erwähnten Matilda. Quinn von Arensburg ist beliebt bei seinen Mitschülern und er hat eine feste Freundin, von der er sich aber trennen möchte. Nach einer Party seines besten Freunds Lasse wird er Opfer eines Unfalls bei dem er schwere Verletzungen erleidet und sich kaum ohne Rollstuhl fortbewegen kann. Schuld daran sind seltsame Geschöpfe, von denen er sich verfolgt sah. Aber er versteht, dass man seine Aussagen darüber für verrückt halten wird.

Matilda Martin wohnt mit ihrer Familie in einer Doppelhaushälfte, das dem Haus von Quinns Familie gegenüber liegt. Ihre Eltern sind sehr konservativ eingestellt. Seit langem schwärmt sie heimlich für Quinn und bietet gerne ihre Hilfe den Nachbarn an, um deren Sohn beim Fahren des Rollstuhls behilflich zu sein, wenn er Termine außerhalb des Zuhauses wahrnehmen muss. Quinn hat Matilda bisher weitestgehend ignoriert, doch in Gesprächen mit ihr ist er von ihren Kenntnisse über Fantasywelten beeindruckt und gewinnt seine Aufmerksamkeit.

Kerstin Giers erster Teil ist so wie die gesamte Trilogie ein All-Age-Roman. Es ist ein Spiel mit dem Gedanken, dass es eine magische Welt gibt, in der jedes aus Märchen und Sagen bekannte Wesen wirklich existiert. Zwar können nur Auserwählte die mystische Szenerie durch Portale betreten, aber die seltsamen Gestalten haben die Möglichkeit sich den Menschen zu zeigen. Noch realistischer erscheint die Vorstellung des Bestehens einer Anderswelt dadurch, dass Quinn selbst über seine Glaubwürdigkeit nachdenkt, wenn er von seinen Erlebnissen dort berichtet.

Die beiden Protagonisten sind auf ihre ganz eigene Weise tough. Zwar unterscheiden sich die Meinungen ihrer Eltern deutlich voneinander, aber sowohl bei Quinn wie auch bei Matilda gelten bestimmte Ansichten und Regeln mit denen die beiden nicht immer einverstanden sind. Ihr Hang dazu, die Verbote zu brechen beziehungsweise auf ihre eigene Art auszulegen, bringt Spannung in den Roman.
Beide Hauptfiguren haben ein äußeres Erscheinungsbild, das immer wieder Thema ist. Während Quinn wie sein leiblicher Vater asiatische Gesichtszüge trägt, ist es bei Matilda die Ähnlichkeit zu ihrer ein Jahr älteren Cousine durch die sie ständig verwechselt werden. Letzteres macht Matilda in der Regel wütend, führt aber für den Lesenden zu einigen witzigen Vorfällen.

Die Beschreibung des Geschehens ist frisch, frech und amüsant. Kerstin Gier nutzt moderne Jugendsprache und Wortwitz, auch während die beiden Protagonisten sich in zahlreiche gefährliche Situationen begeben.

Das Buch „Vergissmeinnicht – Was man bei Licht nicht sehen kann“ von Kerstin Gier ist ein mit einer gewissen Unbeschwertheit und dennoch mit viel Drama versehener Roman, der Generationen übergreifend gelesen werden kann. Neben einer Geschichte, die im Hier und Jetzt spielt tauchte ich an der Seite der beiden jugendlichen Protagonisten ein in eine phantastische Welt voller magischer Gestalten, die real sein könnten. Sehr angenehm fand ich dabei die Vorstellung, so wie

Bewertung vom 07.10.2021
Ameziane, Mona

Auf Basidis Dach


ausgezeichnet

Mona Ameziane schreibt in ihrem Buch „Auf Basidis Dach“ wie es im Untertitel heißt „über Herkunft, Marokko und meine halbe Familie“. Es ist Fakt, dass ihr Vater in Marokko geboren und aufgewachsen ist und daher ein großer Teil der Familie der Autorin immer noch in und um Fès lebt. Mona Ameziane setzt sich in ihrer Erzählung mit ihrer Zugehörigkeit zu zwei Staaten, mit ihren beiden Heimaten im Westen Deutschlands und Nordosten Marokkos auseinander und wählt dazu eine offene und ehrliche Sprache.

Ihren inzwischen verstorbenen Großvater hat die Autorin Basidis gerufen so wie alle Großväter in Marokko genannt werden. Auf dem Dach seines Hauses steht sie gerne und lässt ihre Blicke über die Häuserdächer der Nachbarschaft schweifen, hier treffen sich Mitglieder der Familie und hier werden aber auch während des jährlichen Aid el Kebir Schafe geopfert.

Mona Ameziane zieht Vergleiche zwischen den beiden Kulturen. Ein- oder mehrfach im Jahr verbringt sie ihren Urlaub in Marokko, als Jugendliche hat sie ein Schuljahr dort verbracht. Sie zeigt die Unterschiede im Umgang der Menschen miteinander auf und schaut auf die gesetzlichen Regelungen sowie Konventionen des afrikanischen Lands und Deutschlands. Ihr großer Wunsch ist es, den Geburtsort ihrer Großmutter aufzusuchen. Für diese Spurensuche wendet sie sich an ihren Vater, der sie auf eine gemeinsame Reise nach Nordafrika begleitet. Auf ihrem abenteuerlichen Weg konnte ich beim Lesen die beiden begleiten.

Als Journalistin kommt die Autorin immer wieder mit kritischen Themen in Berührung und auch in ihrer eigenen Auseinandersetzung mit Herkunft und Kultur wählt sie Worte der eigenen Zu- oder Abneigung mit Respekt aus. In Rückblicken schildert sie Selbsterlebtes aus beiden Ländern, ihre Beobachtungen würzt sie gerne mit einer Prise Humor.

Mona Ameziane brachte mir in ihrem Buch „Auf Basidis Dach“ aus einer ganz persönlichen ehrlichen Sicht mit ebenso privaten Einsichten das Land Marokko, seine Bewohner und seine Traditionen näher. Ihr Bericht stimmte mich nachdenklich und wird mir in Erinnerung bleiben. Definitiv ein Buch, das ich gerne weiterempfehle.

Bewertung vom 04.10.2021
Wortberg, Christoph

Kein Vergessen / Trauma Bd.2


sehr gut

„Trauma – Kein Vergessen“ von Christoph Wortberg ist der zweite Band der Trauma-Trilogie. Auch diesmal ermittelt wieder die Hauptkommissarin Katja Sand von der Mordkommission München und ihr Kollege Rudi Dorfmüller. Der Prolog deutet darauf hin, dass hier der Täter erzählt. Ob es sich dabei um einen Mann oder eine Frau handelt verschweigt der Autor bewusst. Deutlich wird nur, dass die entsprechende Person niemals vergessen konnte, was mit ihr als Kind geschehen ist. Für diejenigen, die den ersten Teil nicht gelesen haben, gibt es an entsprechenden Stellen für das Verständnis Zusammenfassungen, so dass man den Band auch unabhängig davon lesen kann.

Katja Sand und Rudi Dorfmüller werden mit einem brutalen Mord an einer Rentnerin konfrontiert. Der Tatverdacht fällt auf den von ihr geschiedenen Ehemann. Die Ermittlerin zieht den Psychoanalytiker Dr. Alexander Hanning hinzu, der für seine Taten zurzeit im Gefängnis inhaftiert ist. Durch dessen Überlegungen gelingt es Katja Sand, Parallelen zu einer Serie von Morden an Frauen zu finden, die schon einige Jahre zurückliegt. Der damalige Täter wurde gerade aus der Haft entlassen. Bevor genügend Beweise gefunden wurden, um den Mörder zu überführen, geschieht ein weiteres Verbrechen. Ein älterer Mann wird auf die gleiche Weise getötet wie die Rentnerin. Der Fall passt allerdings nicht zum bisher angedachten Motiv.

Christoph Wortberg bindet in seine Geschichte ein sehr sensibles und bewegendes Thema ein. Katja Sands Privatleben ist inzwischen zur Ruhe gekommen, sowohl zu ihrer Tochter wie auch zu ihrer Mutter hat sich das Verständnis füreinander gebessert. Der Autor legt im Laufe der Erzählung ein weiteres Puzzlestück offen, welches das Bild des Traumas zusammensetzt, das die Ermittlerin aus ihrer Vergangenheit her vor allen verbirgt, sie aber emotional nicht loslässt. Katja Sand ist klar, dass Dr. Hanning Interesse daran hat, ihre schmerzhaften Erinnerungen offen zu legen. Dennoch hat sie für sich abgewogen, dass seine Hilfe bei den aktuellen Ermittlungen unumgänglich ist, was für mich nicht ganz schlüssig war.

Die Konstruktion des Thrillers finde ich gelungen, auch wenn die Fallermittlungen durch die Suche nach einem Motiv ins Stocken geraten und zu kleinen Längen führen. Katja Sand und Rudi Dorfmüller arbeiten durch ihre jahrelange Zusammenarbeit mit Vertrauen füreinander und dem Wissen und der Akzeptanz um die einzelnen Macken des jeweils anderen. In das Privatleben des Kommissars, der Anfang Dreißig ist, kommt Bewegung. Die beinhaltete Leseprobe des dritten Bands verspricht einen Abschluss der Trilogie, die die Ermittler nochmal auf besondere Weise herausfordern wird.

„Trauma – kein Vergessen“ von Christoph Wortberg ist ein solider gearbeiteter Thriller mit aufsehen erregenden Morden und einer Ermittlerin, die sich Gedanken über die Konsequenzen einer Verurteilung für den Mörder macht und ihre eigene seelische Erschütterung noch nicht überwinden kann. Der vorliegende Teils der Trilogie macht neugierig auf den abschließenden Band.

Bewertung vom 04.10.2021
Funk, Kristin

Ein Buch, vier Jahreszeiten


ausgezeichnet

„Ein Buch, vier Jahreszeiten“ aus dem Verlag arsEdition beinhaltet Wohlfühlideen, Rezepte und Geschichten für ein ganzes Jahr, wie es im Untertitel heißt. Es ist ein rundum gelungenes Buch, das den Leser und die Leserin in vielfacher Form mit durch die Jahreszeiten nimmt. Stimmungsvolle Fotos und bunte Illustrationen, mal klein, mal ganzseitig vermitteln mir beim Betrachten ein behagliches Gefühl. Wissenswerte Fakten, Anregungen zum Selbermachen, überlieferte Bräuche, schmackhafte Rezepte, Gedichte, Sprüche und Märchen sorgen für ein abwechslungsreiches Leseerlebnis.

Die Beiträge hat Kristin Funk zusammengestellt und einige Texte davon selbst geschrieben, das Atelier für grafische Gestaltung Eva Schindler hat die Aufmachung des Innenteils übernommen. Ein Überblick auf den ersten Seiten, sorgt unter dem Titel der jeweiligen Jahreszeit für ein schnelles Auffinden des gesuchten Inhalts. Kristin Funk hat das Besondere jeder Jahreszeit herausgearbeitet und sichtbar gemacht.

Die opulente Aufmachung mit einer durchgehend wunderschönen Seitengestaltung fordert dazu auf, immer wieder in die Hand genommen zu werden. Über das ganze Jahr hinweg finden sich Ideen, wie man selbst dazu beitragen kann, sich wohlzufühlen. Das Buch ist inspirierend und entschleunigend für Leser und Leserinnen, die sich durch eine ästhetische Gestaltung ansprechen lassen. Es eignet sich auch hervorragend als Geschenk.

Bewertung vom 30.09.2021
McDonnell, C. K.

The Stranger Times Bd.1


ausgezeichnet

„The Stranger Times“ des irischen Bestsellerautors und Stand-Up-Comedian Caimh McDonnell, der hier unter dem Pseudonym C.K. McDonnell schreibt, ist ein Buch, klar. Gerne nenne ich an dieser Stelle nun das Genre, aber in diesem Fall ist das nicht einfach: Komödiantische Fantasy, krimineller Schauerroman trifft es alles. Doch im Prinzip geht es um die Klärung der Frage im Untertitel „Was, wenn die seltsamsten News die wirklich wahren wären?“ Dazu lohnt sich ein Blick hinter die Fassade und damit das genauere Hinsehen auf die Umschlaggestaltung, denn innerhalb der Wiskeyflasche sind kleine Szenen zu sehen, die Bezug auf die Geschichte nehmen.

Im Prolog gibt der Autor einen kleinen Vorgeschmack auf ein mysteriöses Ereignis, eventuell ein Verbrechen, das im Folgenden von verschiedenen Gruppen aufzuklären sein wird. Zu einer dieser Ermittlungsteams gehört Hannah Willis, die nach der Trennung von ihrem gutbetuchten Ehemann auf der Suche nach Arbeit bei der Stranger Times eine Stelle als stellvertretende Chefredakteurin findet. „The Stranger Times“ ist eine Wochenzeitung in Großbritannien, die ihre Artikel wie der Name schon sagt, dem Fremden und Unbekannten in unserer Welt widmet. Zur Veranschaulichung sind zwischen einigen Kapiteln zum großen Vergnügen beispielhaft Zeitungsberichte zu lesen. Kaum hat Hannah in der Redaktion angefangen, ereignen sich dramatische Begebenheiten, die unglaubwürdig klingen, aber wahr sind.

Bereits die Jobanzeige, auf die die beruflich unerfahrene Hannah sich bewirbt, klingt anders als alle, die sie bis dahin gelesen hat und ebenso ungewöhnlich gestaltet sich ihr Bewerbungsgespräch. Doch die Not, ab sofort für sich selbst sorgen zu müssen, macht ihr die Entscheidung für eine Zusage einfach. Hannah ist eine der mit gelungenen persönlichen Eigenschaften versehenen Charaktere der Angestellten der Wochenzeitung. Dazu gehören ferner die fürsorgliche Büroleiterin Grace, die noch junge rebellische Stella, der rüpelhafte Chefredakteur und Alkoholiker Vincent und die beiden Reporter Reggie und Ox, die einander in ihrem Glauben an das Übernatürliche ergänzen. Das Figurenensemble liefert sich in Dialogen manchen amüsanten Schlagabtausch.

Die Story spielt in Manchester, einer trubeligen Stadt in der sich Arm und Reich, Einheimische und Zugewanderte aufhalten. Es geschehen seltsame Dinge, die zwar bemerkt werden, denen aber keine besondere Bedeutung beigemessen wird, was von einigen Beteiligten genauso gewünscht ist. Merkwürdige Gestalten agieren nach ihren eigenen Regeln. Die Geschichte bleibt trotz des Chaoses nachvollziehbar und entwickelt sich beständig voran mit zahlreichen kuriosen Einfällen und unerwarteten Wendungen.

Im ersten Band seiner auf drei Teile ausgelegten Serie „The Stranger Times“ zeigt C.K. McDonnell seinen Humor in Situationsbeschreibungen, Dialogen, manchmal in Übertreibungen, auch mal sarkastisch. Die Erzählung überrascht mit einer kriminellen Handlung in die mystische Elemente Eingang finden und bietet reihenweise eigenartige und schräge Figuren. Auf diese Weise sorgt der Roman für eine ungewöhnliche empfehlenswerte Unterhaltung.

Bewertung vom 30.09.2021
Keil, Lisa

Auf und mehr davon


ausgezeichnet

Im Roman „Auf und mehr davon“ von Lisa Keil reiste ich zum dritten Mal in das fiktive ländliche Neuberg, das irgendwo zwischen Lüdenscheid und Soest angesiedelt ist. Zum Lesen benötigt man keine Kenntnis der ersten beiden Bücher der Serie, die ebenfalls in dem kleinen Ort spielen. In jedem Teil stehen zwei verschiedene Figuren im Mittelpunkt, die jeweils im Wechsel aus der Ich-Perspektive heraus erzählen. Diesmal sind es die 21 Jahre alte Milena, von allen Milli genannt, und ihre 38-jährige Mutter Cordula, also Nichte und Schwester von Kaya, die im ersten Band im Fokus stand.

Milli geht nach bestandenem Physikum neben ihrem Studium einem Praktikum in einer Klinik für Wiederkäuer nach. Für sie ist es bequemer, dass ihr von der Klinik angebotene Zimmer zu nutzen und für ihre Vorlesungen zur Universität zu fahren. Die Wohnung mit zwei Zimmern, Bad und Küche teilt sie sich mit einem Praktikanten aus Frankreich. Währenddessen wird das Forschungsprojekt gecancelt mit dem Cordula in der letzten Zeit beschäftigt war. Der Dozentin für chemische Biologie wird empfohlen, erstmal eine Auszeit zu nehmen. Cordula kommt auf die Idee, Millis Studentenzimmer zu nutzen. Sie schreibt sich als Gasthörerin ein. Beiden Frauen begegnet überraschend die Liebe, die ihre Zukunftsplanungen umwirft.

Die Hauptfiguren sind zwar Mutter und Tochter, doch ihr Charakter ist von Gegensätzen geprägt Cordula wurde bereits mit 16 Jahren Mutter. Die die eher introvertierte Persönlichkeit hat es dennoch mit familiärer Hilfe geschafft, sich als Alleinerziehende eine wissenschaftliche Karriere aufzubauen. Dabei hat sie nach der großen Enttäuschung mit dem Vater von Milli nie mehr eine feste Beziehung aufgebaut. Im kleinen Ort Neuberg hat Cordula sich nie wohlgefühlt, weil hier jeder alles von jedem kennt und nicht mit guten Ratschlägen gespart wird. Milli dagegen liebt Neuberg und fühlt sich bei ihrer Tante Kaya und deren Familie wie zu Hause. Im nahen Stall warten die Ponys und ihr Ochse auf sie, bei deren Pflege sie gerne mithilft. Das Verhältnis von Cordula zu Milli ist eigentlich eher unkompliziert, aber manchmal durch alltägliche Sorgen auch komplizierter.

Was ich besonders am Schreibstil von Lisa Keil mag, ist die Darstellung von realistischen Szenarien im ländlichen Bereich. Durch ihr Fachwissen auf dem Gebiet der Tiermedizin gestaltet sie das Umfeld von Milli nachvollziehbar, ihre Figuren handeln authentisch. Natürlich darf es an reichlichen Verwicklungen nicht fehlen. Es gelingt der Autorin auch dramatische Situationen gekonnt aufzuheitern, ohne kitschig zu werden. Das studentische und das klinische Umfeld bieten einige neue liebevoll kreierte und wandelbare Personen. Mit viel Gespür für ihre Figuren beschreibt die Autorin die zwischenmenschlichen Beziehungen. Im Laufe der Zeit erfuhr ich mehr aus der Vergangenheit von Cordula, die bis nach Frankreich führt und schließlich wird sogar das Geheimnis um Millis Vater gelüftet.

Die romantische Liebeskomödie mit Herz und Verstand „Auf und mehr davon“ von Lisa Keil bringt vom Titel her mit, was denkbar möglich wäre, weil ich als Leserin die Figuren sympathisch finde und den Schreibstil der Autorin schätze. Darum vergebe ich gerne eine Leseempfehlung und könnte mir eine weitere Geschichte im Umfeld der Schwestern Kaya und Cordula gut vorstellen

Bewertung vom 29.09.2021
Cain, Matt

Das geheime Leben des Albert Entwistle


ausgezeichnet

„Der Titel des Romans „Das geheime Leben des Albert Entwistle“ von Matt Cain verweist darauf, dass die titelgebende Person etwas zu verbergen hat. Albert weiß von Jugend an, dass er Männer liebt, was früher öffentlich nicht erlaubt war. Nach Auseinandersetzungen in seinem Elternhaus hat er seine damalige Liebe aufgegeben, aber nie vergessen.

Der Protagonist ist Postbote von Beruf und steht jetzt mit 64 Jahren kurz vor seiner Pensionierung, vor der er sich fürchtet. Seit dem Tod seiner Mutter, um die er sich viele Jahre gekümmert hat, wohnt er allein im ehemals elterlichen Haus. Er hatte seit dem unglücklichen Ausgang seiner ersten Romanze nie eine feste Beziehung, auch nennenswerte Freunde hat er keine. Gesprächen mit seinen Kollegen und Postkunden weicht er aus. Darum schaut er eine ungewisse Zukunft, in der er noch nicht weiß, wie er seinen Alltag demnächst gestalten soll. Als auch noch seine Katze stirbt, nimmt seine Traurigkeit zu.

Seine große Liebe George geht ihm nicht mehr aus dem Sinn und er beschließt, ihn zu suchen. Durch bestimmte Umstände wird Albert deutlich, dass er selbst etwas in seinem Leben ändern muss, um seinem Wunsch nachzukommen, denn seine Unerfahrenheit in vielen Dingen steht ihm im Weg. Es ist schwierig für ihn, sich zu überwinden, auf Menschen zuzugehen und ein Gespräch aufzunehmen. Ihm wird klar, dass zu seiner Suche Soziale Medien einen Beitrag leisten können, doch dazu muss er sich erst Zugang verschaffen. Ganz vorsichtig und Schritt für Schritt überwindet er sich, wobei er Hilfe bei einigen seiner Kunden sucht und erhält, die er durch die Postzustellung vom Sehen kennt. Nicht nur Albert, sondern auch andere Figuren entwickeln sich in der Geschichte weiter und ich fand es schön, über die Veränderungen zu lesen.

Matt Cain ließ mich zu Beginn des Romans daran teilnehmen, wie ein gewöhnlicher Tag von Albert abläuft. Schnell erfuhr ich, dass ein bestimmtes, noch ungenanntes Ereignis Ende der 1960er Jahre das ganze Leben und den Charakter des Postboten geprägt hat. Der Protagonist erinnert sich immer wieder an einzelne Szenen mit George in der Vergangenheit. Was schließlich zum endgültigen Scheitern der Beziehung führte erfuhr ich erst sehr spät in der Geschichte.

Albert ist ein stiller Sympathieträger. Die positiven Rückmeldungen, die Albert im Folgenden auf seine Worte und Handlungen erhält, steigern zunehmend sein Selbstbewusstsein und so entwickeln sich im weiteren Verlauf der Roman zu einer Wohlfühlgeschichte, ohne dass der Autor dramatische Schicksale im Umfeld der Hauptfigur außer Acht lässt.

„Das geheime Leben des Albert Entwistle“ von Matt Cain ist lustig und traurig, macht wütend, überrascht und ist durchgehend berührend. Der Autor zeigt, dass es nie zu spät ist, um Verzeihung zu bitten. Gerne empfehle ich den Roman weiter.