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Raumzeitreisender
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Buchwurm, der sich durch den multidimensionalen Wissenschafts- und Literaturkosmos frisst

Bewertungen

Insgesamt 775 Bewertungen
Bewertung vom 26.12.2020
Schröder, Rainer M.

Das Geheimnis der weißen Mönche


gut

Die Geschichte spielt im 17. Jahrhundert nach Ende des Dreißigjährigen Krieges in der Eifel. Fuhrman Jakob Tillmann soll den todkranken Mönch Anselm von Picoll ins Kloster Himmerod bringen. Welches Geheimnis der Mönch mit sich trägt, weiß Jakob nicht. Es ist die Zeit der Inquisition und der Hexenverfolgungen.

Sein Besuch in Himmerod setzt eine Lawine in Gang, die Jakob nicht in seinen kühnsten Träumen erwartet hätte. Er befindet sich in höchster Lebensgefahr, ohne die Hintergründe zu kennen. Auf seiner Odyssee macht er Bekanntschaft mit der Folterkammer des Domherrn von Trier, Melchior von Drolshagen.

Die Leser werden konfrontiert mit der Schattenseite der Kirchengeschichte, einer Zeit, als hohe Kirchenvertreter politische Macht hatten und diese gnadenlos für ihre Zwecke zu nutzen wussten. Ein Lichtblick sind die wenigen mutigen Menschen, die Unrecht in dieser schweren Zeit erkannten und dagegen ankämpften.

Protagonist Jakob Tillmann, ein junger Bursche, ist in einem Maße leichtsinnig und unvernünftig, dass es schon ein wenig nervt. Zu seinem eigenen Glück hat er Helfer. Auch der Zufall spielt in diesem Roman eine entscheidende Rolle. Manche Aktionen sind äußerst spannend, aber auch unwahrscheinlich.

Der Roman zieht die Leser in den Bann, zumal lange Zeit unklar ist, in welche Richtung sich die Geschichte entwickeln wird. Es ist eine Geschichte, die nicht nur von mittelalterlichem Denken geprägt ist, sondern in der bereits erste Gedanken der Aufklärung aufblitzen.

Bewertung vom 17.12.2020
Lee, Harper

Gehe hin, stelle einen Wächter


gut

Zwanzig Jahre nach den Ereignissen in "Wer die Nachtigall stört" kehrt Jean Louise, genannt Scout, die mittlerweile in New York lebt, in ihre Geburtsstadt Maycomb zurück. Fest eingebrannt in ihrem Kopf sind ihre kindlichen Vorstellungen von ihrer Heimat und insbesondere von ihrem Vater Atticus Finch, der einst Schwarze vor Gericht verteidigt hat und den sie als höchste moralische Instanz verehrt.

Die Fassade bröckelt. Jean Louise findet eine Wirklichkeit vor, mit der sie sich nicht identifizieren kann. Sie schwelgt in Erinnerungen an ihre Kindheit und führt heftige Streitgespräche mit ihrem Freund, ihrem Vater und ihren Verwandten. Atticus ist Mitglied des Bürgerrates, dem es um die Rechte der Weißen geht. Er ist nicht die Lichtgestalt, die sie bislang in ihm gesehen hat.

Wesentliche Aussagen befinden sich auf den letzten hundert Seiten des Romans. Er vermittelt keine politisch korrekte Botschaft, wie "Wer die Nachtigall stört". Es handelt sich entwicklungsgeschichtlich gesehen um einen frühen Entwurf dieses Weltbestsellers, der seinerzeit nicht veröffentlicht wurde. Auch wenn es sich nicht um einen herausragenden Roman handelt, ist er aus diesem Grund literarisch interessant.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.12.2020
Glattauer, Daniel

Geschenkt


sehr gut

Gerold Plassek, 43 Jahre, ist Journalist bei der Gratiszeitung "Tag für Tag". Er betreut dort die Leserbriefe und ist zuständig für "bunte Meldungen zum Tag" sowie "Soziales". Sein Ehrgeiz hält sich sehr in Grenzen. Sein Leben ändert sich, als seine ehemalige Freundin Alice sich meldet und ihm offeriert, das er einen 14-jährigen Sohn hat.

Alice ist Ärztin und will ein Projekt für "Ärzte ohne Grenzen" in Afrika betreuen. Gerold soll vorübergehend auf ihren gemeinsamen Sohn Manuel aufpassen. Er nimmt ihn mit in sein Büro und sie lernen sich kennen. Eines Tages geht eine anonyme Geldspende bei einem Obdachlosenheim ein, über das er kurz zuvor berichtet hat. Es folgen weitere Spenden.

Wer ist der edle Spender? Warum bezieht sich dieser immer wieder auf sozialkritische Artikel, die Gerold verfasst hat. Das Rätsel wird abendlich feuchtfröhlich in Zoltan's Bar, Gerolds Stammkneipe, diskutiert. Die Spenden haben Folgen. Das Leben von Gerold ändert sich. Man interessiert sich für ihn. Ist sein gesellschaftlicher Abstieg beendet?

Protagonist Gerold ist der Typ Verlierer, wie er in Wilhelm Genazinos Büchern vorkommt. Daniel Glattauer charakterisiert ihn lebensecht und prägnant. Entsprechend echt wirkt Manuel. Bis zum Schluss rätselt der Leser, von wem die Spenden kommen. Der Autor präsentiert eine Geschichte, die wunderbar unterhaltsam und einfach irgendwie anders ist.

Bewertung vom 30.11.2020
Comey, James

Größer als das Amt


sehr gut

"Größer als das Amt" ist nicht nur ein Aufklärungsbuch über die politischen Verhältnisse in den USA, sondern auch ein Lehrbuch über Führung und Verantwortung. In einer Zeit, in der fundamentale Wahrheiten angezweifelt und Lügen für normal erklärt werden, fühlt sich der ehemalige FBI-Direktor James Comey, der auf vier Jahrzehnte juristischer Arbeit zurückblicken kann, berufen, seine Vorstellungen von Führung darzulegen.

Comeys Ausführungen sind sachlich und präzise. Er stellt seine eigene Lebensgeschichte vor, berichtet von verschiedenen juristischen Aufgaben, die ihm übertragen wurden und gesteht selbstkritisch, immer mit dem Ziel daraus zu lernen, manchen Fehler ein. Seine berufliche Entwicklung verläuft steil nach oben. Er erreicht höchste Ämter, bis Präsident Trump ihn entlässt.

Der Auslöser für das Buch dürfte sein, dass Trump und Comey unterschiedliche Vorstellungen von Loyalität haben. Während Trump Loyalität auf sich als Person bezieht, fühlt sich Comey der Wahrheit und dem Land gegenüber verpflichtet. Dieser Disput führt letztlich zum Ende der Zusammenarbeit. Comey stellt mit diesem Buch seine Sicht der Entwicklung vor.

"Die Nachrichtendienste beschäftigen sich mit Fakten, das Weiße Haus mit Politik und der Interpretation dieser Fakten." (306) Comey liefert mit diesem Buch keine Sensationen. Es ist ein Stück Zeitgeschichte und seine persönliche Rechtfertigung für die Ereignisse der letzten Jahre. Es handelt sich um ein lesenswertes Lehrstück über die Strukturen amerikanischer Sicherheitsbehörden und deren Abhängigkeiten zur Regierung.

Bewertung vom 29.11.2020
Rowling, J. K.

Ein plötzlicher Todesfall


sehr gut

Barry Fairbrothers, Mitglied des Gemeinderates der Kleinstadt Pagford, stirbt Anfang vierzig plötzlich und unerwartet an einem Aneurysma. Er war ein engagierter Bürger mit einer hohen integrativen Kraft, der sich für benachteiligte Menschen eingesetzt hat. Seine Bedeutung für das Dorfleben wird nach seinem Tod deutlich. Die Spannungen zwischen verschiedenen Interessengruppen nehmen überhand.

Kinder rebellieren gegen ihre Eltern, Schüler gegen ihre Lehrer, Ehefrauen gegen ihre Männer und die alteingesessene Dorfelite gegen sozial schwache Bürger. Das Denunziantentum nimmt zu, peinliche anonyme Bloßstellungen erscheinen auf der Webseite des Gemeinderates. Es ist ein Buch voller Sozialkritik, in dem insbesondere die schlechten Seiten der Menschen in den Fokus rücken.

J.K. Rowling glänzt mit vielfältigen Charakterstudien und der Beschreibung zahlreicher Beziehungskrisen zwischen gesellschaftlichen Milieus. Es ist ein Roman voller Intrigen und ohne Moral. Die Leser suchen in dieser Geschichte vergeblich positive Charaktere, die es mit dem verstorbenen Barry Fairbrother aufnehmen könnten. Aber jeder muss sich letztlich für sein Verhalten verantworten und zahlt einen Preis.

Es ist ein Roman, in den man eintaucht und den man nur ungern zur Seite legt, dennoch möchte man keine Serie über dieses Dorfleben lesen. Wenn man glaubt, es kann nicht mehr schlimmer kommen, setzt Rowling noch einen drauf. Anfängliche Freundschaften werden enttäuscht. Die Niedertracht, detailliert beschrieben, kennt keine Grenzen. Es sind nur wenige Entwicklungen in positiver Richtung erkennbar.

Bewertung vom 25.11.2020
Houellebecq, Michel

Die Möglichkeit einer Insel


gut

Der Roman spielt in zwei Zeitebenen, einmal in der Gegenwart und einmal ca. 2000 Jahre später in der Zukunft. Protagonisten sind Daniel 1 (Gegenwart) und seine späteren Reinkarnationen Daniel 24 und Daniel 25. Es ist eine düstere Geschichte über die Entwicklung der Menschheit in einer Zeit ohne Gefühle.

Bereits in den ersten Kapiteln wird deutlich, dass Daniel 1 ein liebloser, dekadenter Zyniker ist. Die Fokussierung auf diese negativen menschlichen Eigenschaften lässt den geklonten leidenschaftslosen Neo-Menschen als konsequente Weiterentwicklung erscheinen. Das wirft einen bezeichnenden Blick auf den Zustand der Gegenwart.

Der Analyse der Menschheit aus dem Blickwinkel der gefühlsarmen Neo-Menschen beinhaltet eine Abrechnung mit der derzeitigen Gesellschaft, der es an echten Gefühlen, an echter Liebe mangelt. Hinter der Fassade vulgärer Beschreibungen schlummert die Sehnsucht nach echter Liebe.

Bewertung vom 19.11.2020
Morley, Christopher

Das Haus der vergessenen Bücher


sehr gut

Wenn man Carlos Ruiz Zafóns "Friedhof der vergessenen Bücher" kennt, wird man auch neugierig auf "Das Haus der vergessenen Bücher". Es sind unterschiedliche Werke, in denen Abenteuer, Liebe und Verbrechen eine Rolle spielen, umwoben von einer Gemeinsamkeit, der Liebe zur Literatur.

Christopher Morley nimmt die Leser mit auf eine Reise, die seicht beginnt und im weiteren Verlauf an Spannung gewinnt. Im Jahr 1919 betreiben Roger und Helen Mifflin ein Antiquariat in Brooklyn. Roger ist ein Literaturexperte und besessen von der Welt der Bücher. Unterstützt wird er von der jungen Hilfskraft Titania Chapman.

Von Werbung hält Roger nichts und so blitzt Aubrey Gilbert von der Werbeagentur "Grey Matter Agency" bei ihm ab. Aber Aubrey bleibt im Gespräch, da er sehr von der hübschen Titania angetan ist. Die Höhen und Tiefen der Beziehung zwischen Aubrey und Titania decken aber nur eine Facette der Geschichte ab.

Ein Buch von Thomas Carlyle über Oliver Cromwell spielt eine große Rolle. Warum ist das Interesse an diesem Buch so groß? Warum ist es zeitweise aus dem Regal verschwunden? Aubrey schöpft Verdacht und verfolgt eine wichtige Spur, deren weitere Verfolgung mit Gefahren verbunden ist.

Aufschlussreich sind die Diskussionen, die Roger Mifflin mit den Mitgliedern des Maiskolbenklubs, einem Literaturgesprächskreis, und mit Titania führt. "Unser Motto dort drüben [Friedenskonferenz nach dem Ersten Weltkrieg] muss „Amerika zuletzt“ lauten, und darauf sollten wir stolz sein, …". (114)

Auch wird das Verhalten der republikanischen Partei kritisiert. "Ich [Roger Mifflin] für meinen Teil wäre bereit, die ganze republikanische Partei zu opfern." (115) Und die Großstadtkirchen kommen wegen ihrer Haltung schlecht weg. (119) Hundert Jahre alte Diskussionen, eingebunden in einen Roman, wirken erhellend.

Der Bezug zum gerade beendeten Krieg wird an verschiedenen Stellen deutlich, insbesondere im Gedicht des französischen Soldaten Charles Sorley: "An Deutschland. Verblendet seid ihr, so wie wir. Niemand hat eure Schmerzen je gewollt, und niemand wollte euer Land als Beute sehn. ...". (162)

Bewertung vom 13.11.2020
Eschbach, Andreas

Das Jesus-Video / Jesus Video Bd.1


ausgezeichnet

Bei einer Ausgrabung in Israel im Auftrag des einflussreichen Geldgebers John Kaun, Vorstandsvorsitzender der Kaun Enterprises, einer weltweit agierenden Holdinggesellschaft, findet Grabungshelfer Stephen Foxx in einer Parzelle ein Skelett, welches auffallend anachronistisch wirkt.

Das 2000 Jahre alte Skelett eines Mannes weist eindeutig Spuren auf, die nicht in die Zeit passen. Dazu gehören moderne Zahnfüllungen sowie ein Beutel mit der Beschreibung einer Video Kamera, die selbst zum Zeitpunkt der Ausgrabung noch nicht auf dem Markt erhältlich ist. Handelt es sich um die Überreste eines Zeitreisenden?

Die Gruppe um Kaun entwickelt die Theorie, dass der Mann, der in der Region von Jesus gelebt hat, diesen mit seiner Kamera aufgenommen haben könnte. Das würde die Grundlagen des christlichen Glaubens erhärten oder erschüttern. Es beginnt eine abenteuerliche Suche nach der Kamera, die auch für den Vatikan existenziell ist.

Der Roman ist vom Anfang bis zum Ende spannend. Eschbach glänzt mit Kreativität und Detailwissen. Auf der Jagd nach der Kamera werden Theorien entwickelt und wieder verworfen. Der Kirche ist daran gelegen, die Wahrheit zu verschleiern. Das Thema ist politisch, technisch, theologisch und philosophisch brisant.

Bewertung vom 13.11.2020
Camus, Albert

Die Pest


sehr gut

Albert Camus beschreibt die Entwicklung und Auswirkungen der Pest in der französischen Präfektur Oran an der algerischen Küste im Jahr 194' aus der Perspektive von Dr. Bernard Rieux, einem couragierten Arzt, der gegen die Seuche ankämpft.

Zu Beginn sterben die Ratten und später die Menschen. Über Oran wird der Ausnahmezustand verhängt. Niemand darf die Stadt verlassen. Das geordnete Leben in der Stadt bricht zusammen. Die Menschen verkriechen sich in ihren Wohnungen.

Der atheistische Arzt Rieux kämpft aktiv gegen die Seuche an, während der Jesuitenpater Paneloux in seiner Predigt die Pest als Strafe Gottes zur Züchtigung des Menschen bezeichnet. Die Protagonisten gehen unterschiedlich mit der Situation um.

Es sind Handlungsorientierung, Liebe und Solidarität gefragt, statt Egoismus, Aberglaube und Fatalismus, auch wenn die Situation absurd erscheint. Wer die Absurdität in den Fokus rückt, verliert den Kampf gegen die Seuche.

Die Pest ist gekommen wie eine finstere Wolke und sie verschwindet auch irgendwann wieder, ohne, dass die Betroffenen es erklären können. Sie steht metaphysisch für das Böse, welches die Menschheit von Zeit zu Zeit heimsucht.

Es ist kein Zufall, dass der Roman in den 1940er Jahren entstanden ist. Das Böse steht sinnbildlich für die Okkupation Frankreichs durch die Deutschen im Zweiten Weltkrieg. Auch wenn die Gefahr gebannt ist, bleibt das Böse im Menschen latent vorhanden.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.11.2020
Borchert, Wolfgang

Draußen vor der Tür


ausgezeichnet

Das Buch besteht aus dem Drama "Draußen vor der Tür", vierzehn Kurzgeschichten und einem Nachwort von Heinrich Böll aus dem Jahre 1955. Borchert gehört, insbesondere wegen seiner überzeugenden den Nerv der Zeit treffenden Nachkriegsbeschreibungen, zu den wichtigsten Autoren deutscher Nachkriegsliteratur. Seine eigenen Erfahrungen fließen in seine Geschichten ein.

Der deutsche Soldat Beckmann kehrt nach 3 Jahren russischer Gefangenschaft heim in seine Heimatstadt Hamburg. Er ist traumatisiert, gebrochen vom millionenfachen Tod und hat Schmerzen aufgrund seiner Kriegsverletzungen. Verarmt und hungrig stellt er fest, dass er kein Zuhause mehr hat. Er fühlt sich von der Gesellschaft verlassen und fragt nach der Verantwortung für die Gräueltaten des Krieges.

Die Leser werden in diesem Drama mit Kälte, Verantwortungslosigkeit und Gleichgültigkeit konfrontiert. Die Gesellschaft hat ihr Mitgefühl verloren. So eindringlich, das gilt auch für die Kurzgeschichten, kann nur jemand schreiben, der die Abgründe des Krieges erlebt hat. In dem Buch finden sich Menschen wieder, die die Zeit erlebt haben. Es ist zugleich eine Mahnung an nachfolgende Generationen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.