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MB
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Rösrath

Bewertungen

Insgesamt 443 Bewertungen
Bewertung vom 06.12.2022
McEwan, Ian

Lektionen


ausgezeichnet

Ein großer Wurf - der neue Roman "Lektionen" von Ian McEwan; ein 700-Seiter, den ich nicht aus der Hand legen mochte! Der Abriss eines Jahrhunderts und ein ganzes Leben. Fast könnte man meinen, der Autor habe seine Leserschaft erleben lassen wollen, wie sich individuelle Lebensgeschichte auf dem Hintergrund von Zeitgeschichte entfaltet. So jagt uns McEwan durch die erschütternden Kriegsereignisse des letzten Jahrhunderts, thematisiert das geteilte Deutschland, erwähnt die Kubakrise, den Falklandkrieg, die deutsche Wiedervereinigung, die politische Situation in England, die Corona-Pandemie und den Klimawandel. Und immer wieder schimmert die persönliche Sichtweise des Autors durch, der sich hierfür die Stimme seines Protagonisten leiht und damit dem Text einen 'Lift' gibt, hin zu einer Kommentierung und Bewertung des Weltgeschehens. Die individuelle Geschichte im 'großen Zeitgeschehen' ist das Leben von Roland Baines, von seinen Eltern aus Libyen früh nach England auf ein Internat geschickt, der dort als 14-jähriger der langjährige 'Geliebte' seiner lebensälteren Klavierlehrerin wird, sich später dann als Pianist, Schriftsteller, Tennisspieler versucht - ohne die Ernte irgeneines Ruhms, auch weil er seiner Verpflichtung als Vater nachkommen möchte, als seine Frau Alissa die junge Familie verlässt, um sich ganz der Schriftstellerei zu widmen. Wir dürfen Roland durch sein Leben begleiten, an seinen Zweifeln teilhaben und auf den letzten Seiten mit ihm sein 'Altgewordensein' feiern, einen Zusatnd, der ihn milde werden lässt, der Vergebung meint und ihn gelassen seinem Lebensende entgegenleben lässt. Man könnte sagen, McEwan habe zuviel hineinpacken wollen, Jahrhundertrevue und komplette Leben - und vielleicht ist ja weniger manchmal mehr, wie man gemeinhin sagt; jedoch: In seiner Fülle ist der Roman ein Abbild höchster Komplexität, in der alles mit allem zusammenhängt. Und genau dafür steht der Titel - "Lektionen" in Lebensgeschichte und Zeitgeschicht.

Bewertung vom 02.12.2022
Lehofer, Michael

40 verrückte Wahrheiten über Frauen und Männer


ausgezeichnet

Ein intelligentes Buch. Bislang war mir der Autor Michael Lehofer unbekannt... und auch die Covergestaltung mit den sehr plakativen Aussagen hat mich eher abgeschreckt... auch auf den ersten Seiten war ich noch ein wenig skeptisch (was ja durchaus sinnvoll ist bei vermeintlichen Wahrheitsverkündern und Ratschlaggebern). Aber dann: Ein Buch voller Weisheit, ein Buch aus dem die Erfahrung des Autors als psychoanalytisch geprägtem Psychotherapeuten und versiertem Philosophen spricht; eine Anleitung in Sachen Liebe und Lebenskunst, dazu noch in einer wunderbaren Sprache formuliert und mit Geschichten und Beispielen angereichert. Und was mir zu Beginn suspekt erschien - 40 kompakte Kapitel zu Liebes- und Beziehungsphänomenen (über das 'Sich finden' und Verlieben, Vertrautheit und Entfremdung, Fremdgehen und Selbstliebe, Beziehungsarbeit, sexuelle Lust und das Paradox, sich nie für die Beziehung entschieden zu haben und sich deshalb irgendwann zu scheiden), fand ich im Nachgang genau richtig, habe ich doch 40 kompakte & fundierte Nachdenk-Einheiten erhalten. Es war eine wahre und erkenntnisreiche Freude, dem Autor bei seinen Überlegungen zu folgen. Aber Achtung vor möglichen Nebenwirkungen: Zuweilen werden vertraute und liebgewonnene Sichtweisen auf den Kopf gestellt! Ein Beispiel: "Das Problem, das wir in unserer Beziehung haben, ist nie das gemeinsame sondern stets das eigene, das uns im anderen entgegenkommt, von ihm getriggert wird." Mehr davon? Buch besorgen!!!

Bewertung vom 30.11.2022
Strobel, Arno

Fake - Wer soll dir jetzt noch glauben?


sehr gut

Täuschung aber keine Enttäuschung. Arno Strobel gelingt es erneut, uns mit seinem aktuellen Psychothriller "Fake" an der Nase herum zu führen... und das bis kurz vor Schluss. So ist das halt. 'Fake' kennen wir ja, 'deep Fake' vielleicht auch noch... aber was Arno Strobel hier mit seiner Leserschaft betreibt ist 'deep deep Fake'... und das Schlimme ist: Ich als Lesender bin drauf reingefallen und habe die letzten Seiten mit vor lauter Erstaunen weit geöffnetem Mund gelesen. Zwar könnte man sagen - alles insgesamt reichlich konstruiert... ich finde aber, dass Strobel uns nicht nur einen erschreckenden Aspekt unserer Wirklichkeit vor Augen führt, sondern uns das Spiel mit der Wahrheit in seinem Buch in gekonnter Weise unmittelbar erleben lässt. Patrick Dostert erzählt aus der U-Haft heraus seine Geschichte, nämlich dass er zu Unrecht des Stalkings, der Gewaltanwendung gegen Frauen und des Mordes angeklagt ist. Dostert schreibt in der Haft seine Geschichte auf, wie er vor der Inhaftnahme selbst Nachforschungen angestellt und sich damit immer weiter in den Verdacht hineinmanövriert hat... wie Videos auftauchen, die ihn unzweifelhaft als Täter zeigen, wie seine Beziehung daran zerbricht; bis dann mit Unterstützung eines befreundeten Nachbarn ein Staranwalt Nachforschungen übernimmt. Doch bereits sehr lange, bevor die digitale Technik Wahrheitfälschung ermöglichte gab es ein Sprichwort: Trau, schau, wem... Unbedingt den Strobel lesen... am Besten an einem verregneten Wochenende! Viel Vergnügen dabei! Ach ja: das Hürbuch ist sehr gut eingelesen!

Bewertung vom 28.11.2022
Bartmann, Susi

Der Liebesarchitekt


sehr gut

Leseleicht & erhellend!
"Der Liebesarchitekt" von Susi Bartmann istein gut getarnter 'Ratgeber in Liebesdingen' - gut getarnt, weil lesefreundlich verpackt in eine amüsante Geschichte mit märchenhaften Zügen. "Der Liebesarchitekt" ist ein Mutmacherbuch für Menschen, die auf der Suche nach einer neuen Partnerschaft sind. So ganz nebenher erfährt die werte Leserin die eine oder andere mentale Technik zur Stärkung der Eigenliebe und des Selbstbewusstseins, lernt eigene Kompetenzen und Ressourcen kennen und wird sich bewusst, wie hilfreich es sein kann, sich eine Vorstellung von dem aufzbauen, was man will und wie es funktionieren kann, Blockaden zu identifizieren und auch abzubauen; und schlussendlich auch, wie Selbstermutigung durch Verlassen der Komfortzone gelingen kann. Keine Anst - es handelt sich nicht um einen 'Beziehungsanbahnungsratgeber', sondern tatsächlich um einen Roman! Wer den Roman genießen möchte, muss bereit sein, sich auf eine zunächst ein wenig sonderbar anmutende Grundannahme einzulassen: Die Existenz von kleingeschrumpften Expert:innen in Sachen 'Liebe', die plötzlich auftauchen und auch Gedanken lesen können. Diesen kleinen Trick nutzt Susi Bartmann äußerst geschickt: So gelingt es nämlich, dass die Love-Coaches in allen möglichen Situationen präsent sind und (z.B.in Dating-Situationen) direkt Ratschläge erteilen können. So dürfen wir dann die Dreier-WG, bestehend aus Olivia, Carla und Toni bei ihrem Projekt 'neue Liebe' nicht nur begleiten, sondern auch mitfiebern, ob es zur Wunscherfüllung kommen wird (was ich hier nicht verraten werde); aber eines ist gewiss - die Sache mit der Liebe erweist sich für die Protagonist:innen zwischendurch als ganz schön harte Arbeit (aber so ist das nun einmal mit der Arbeit 'an uns selbst'). Fazit: Leichte Lektüre, die erhellt & viel Freude bereitet; stellenweise eine gute Dosis 'Zuckerguss' - aber wer möchte sie nicht genießen, die Süße des Lebens!!!

Bewertung vom 04.11.2022
Stern, Anne

Drei Tage im August


gut

Unterhaltsam - ohne weh zu tun! Was also will man mehr?! Anna Stern erzählt die Geschichte rund um Elfie, Geschäftsführerin der renomierten Chocolaterie Sawade, sehr schlüssig und flüssig, ja fast schon ein wenig gemütlich. Sie siedelt die Handlung an im Jahr 1936, dem Jahr der Olympiade, Ort der Handlung ist Berlin, wobei die berühmte Pracht-Allee 'Unter den Linden' (mit dem allseits bekannten Hotel Adlon) im Zentrum steht (im wahrsten Sinne des Wortes). Wir erfahren viel über Elfies unmittelbare Nachbarschaft und die Autorin lässt sich viel Zeit, uns mit den einzelnen Personen vertraut zu machen - da sind beispielsweise der jüdische Buchhändler, der sein Geschäft abgeben soll, der arabische Nachtclubbesitzer (der die Nazis in ihrer Doppelmoral entlarvt) und die alte Dame von 'obendrüber', die Elfie ihre Geschichte erzählt. Und da ist Elfie selbst, zunächst ohne Partner, die Geschäftsfrau, die Zahlen liebt und Schokolade - die Zahlen geben ihr die Struktur für ihre Sehnsucht, die Schokolade. Über allem schwebt aber der spürbare Verlust an Kultur (das Gute & Schöne, die Kunst) und die zunehmende Gewalt durch die Nationalsozialisten, was Elfie zunächst ausblenden möchte... Eine weitere, wichtige Rolle hat die Autorin den Bäumen der Allee gegeben, die nämlich laut denken können und quasi die Geschichte von 'Unter den Linden' erzählen. Eine Frage stellt sich mir: Darf es über diese Zeit - den Vorabend des zweiten Weltkrieges - ein 'gemütliches Buch geben'? Offen gestanden: Ich weiß es nicht.

Bewertung vom 02.11.2022
Slaughter, Karin

Die Vergessene


sehr gut

Alles drin, was ein guter Thriller benötigt! Bei Karin Slaughter weiß man ja, dass man mit grundsolider Kost rechnen darf. Und das ist ihr mit "Die Vergessene" erneut in hervorragender Weise gelungen. Da ist die frisch zum US-Marshal ausgebildete Andrea Oliver, die als ihren ersten Auftrag den Schutz einer Richterin erhält, die Morddrohungen erhalten hat. Fernab der Heimat verfolgt Andrea aber auch eigene Interessen, nämlich Nachforschungen zu einem Jahrzehnte zurückliegenden Fall anzustellen - der Ermordung der jungen und schwangeren Emily -, da sie einen Zusammenhang mit ihrem sich noch im Gefängnis befindenden, leiblichen Vater vermutet. So erzählt Slaughter ohne Spannungsverlust auf zwei Zeitebenen - die Gegegwart und die 80-er Jahre - und aus zwei Perspektiven: Andrea und Emily. Und auf beiden Zeitebenen ereignet sich Unbeschreibliches. Den größten Pluspunkt gibt es für die sehr gute Beschreibung der Personen und des Klimas der männlichen Gewalt in dem kleinstädtischen Milieu. Unbedingt lesenswert.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.10.2022
Williams, Laura Jane

Der schönste Zufall meines Lebens


gut

Heile Welt mit Hindernissen... Laura Jane Williams erzählt in ihrem leichtgängigen Liebesroman "Der schönste Zufall meines Lebens" die Geschichte derdeißigjährigen Londonerin Penny Bridge, die einen Traum hegt - nämlich Mutter zu werden. Und hierzu braucht man erst einmal einen Mann... Penny kann allerdings leider keine Kinder gebähren, hat aber den Plan, eine befruchtete Eizelle durch ihre Schwester austragen zu lassen. Wo aber den Mann dazu hernehmen? Und dann ereignet sich erwartbar genau das, was der Titel verspricht - eine Reihe von Zufällen, die nach einigem Wirrwarr und hin und her am Ende der Geschichte zur Erfüllung aller Träume führt: Mann und Kind (eigentlich in umgekehrter Reihenfolge!) und das Lokal des Onkels... Der Weg dorthin allerdings ist ein holpriger, geht er doch über drei sehr unterschiedliche Männer; aber selbstverständlich siegt der erste und ist 'ganz zufällig' ein Koch mit Spezialgebiet 'Nachtische'. Lauwarme Kost, bei der an keiner Stelle etwas anbrät, die aber vermutlich die weibliche Leserschaft auch nicht ganz kalt lassen wird.

Bewertung vom 24.10.2022
Ericson, Pernilla

Im Feuer / Lilly Hed Bd.1


sehr gut

Beste Krimikost! "Im Feuer - Ein Fall für Lilly Hed" von Pernilla Ericson erzeugt ohne Zweifel eine große Vorfreude auf den Nachfolge-Krimi. Der erste Band einer Reihe rund um die aus Stockholm in die Provinz gewechselte Polizeibeamtin Lilly Hed. Natürlich gibt es einen Grund dafür, dass die in Stockholm sehr erfolgreiche Beamtin die Großstadt verlässt... und der liegt nicht in der Sehnsucht danach, eine 'ruhigere Kugel schieben' zu können; vielmehr hat sie einen Abbruch der Beziehung zu ihrem gewalttätigen Partner, einem Staatsanwalt, vollziehen wollen. Und wie man es fast schon vermuten kann, spielt auch in ihrem ersten Fall in neuer Stellung eine vergangene Gewalterfahrung eine Rolle. Die Sonne ist viel zu heiß, Wälder entzünden sich, darüberhinaus ereignen sich mehrere Brandstiftungen mit Todesfolge nach ähnlichem Muster. Offensichtlich scheint es sich um einen 'Täter mit starkem Motiv ' zu handeln - starke Motive ergeben sich oft aus einschneidenden, zuweilen traumatischen Erlebnissen der Vergangenheit, es entsteht ein Rache-Motiv. Die Handlung ist bis zum Ende spannend aufgebaut. Individuelle Schicksale sind in das kollektive Schicksal der Klimakatastrophe eingebunden; vergangene Gewalterfahrungen sind ein verbindendes Element zwischen Ermittlerin und Täter - ein gut konstruierter Krimi! Wie es wohl mit Lilly in ihrem zweiten Fall weitergehen wird? Allzuviel Fantasie braucht es da nicht: Die sich langsam anbahnende Liebesgeschichte zu Feuerwehrmann Jesper wird wohl ihre Fortsetzung finden und ein weiterer Aspekt der Klimakrise wird den Rahmen bieten.

Bewertung vom 23.10.2022
Cho, Nam-joo

Miss Kim weiß Bescheid


sehr gut

Lesenswert.
Mit ihrem Erzählungsband "Miss Kim weiß Bescheid" knüpft die koreanische Autorin Cho Nam-joo an an den sehr lesenswerten Roman "Kim Jiyoung, geboren 1982". Acht Geschichten, in deren Mittelpunkt Frauen unterschiedlichsten Alters stehen , aber immer wieder auch Biographisches durchzuschimmern scheint. Eine Erzählung über das Schreiben, Hasskommentare und Gewalt. Über ein Buch, welches über viele Jahre hinweg als Lebensbegleiter eine wichtige Funktion hatte. Die Auseinandersetzung mit dem Alter, der älteren, an einer Demenz erkrankten Schwester, welchen Umgang Familie damit pflegt und was das mit einem Pflaumenbaum zu tun hat: Sehr persönliche Zeugnisse inneren und äußeren Lebens. Der Vater verschwindet. Eine nüchtern erzählte Geschichte - über die Kreditkartennutzung lassen sich zwar seine jeweiligen Standorte ermitteln, aber dennoch bleibt er verschwunden und ungefunden - und rein gar nichts scheint den Lauf der Dinge beeinflusst zu haben: "Es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber der restlichen Familie geht es auch ohne meinen Vater gut. Auch meinem Vater scheint es ohne uns gut zu gehen. Ich habe das Gefühl, wenn er eines Tages zurückkommen sollte, werden wir imstande sein weiterzuleben, als sei nichts gewesen." Und: Wie es in einer Firma zugeht, in der alle miteinander verstrickt sind, man sich an die ehemalige Kollegin Miss Kim zurückerinnert, die 'Bescheid wusste'; seltsame Dinge ereignen sich, doch geht es stets 'nüchtern' und 'lähmend' zu - nur "Die Wolken bewegen sich auffallend schnell." Was an den Geschichten paradoxerweise begeistert - und was ein besonderes Talent der Autorin darstellt -, ist die weitgehende Emotionslosigkeit des Erzählstils, der aber wohl gerade deshalb fesselt. Unbedingt lesenswert.