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Aischa

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Insgesamt 572 Bewertungen
Bewertung vom 08.02.2022
Mayer, Waltraud;Mayer-Frohn, Doris

Eine muss die Erste sein


gut

Waltraud Mayer blickt mit diesem Buch auf ihre aktive Zeit im Rettungsdienst beim Bayerischen Roten Kreuz zurück. In über drei Jahrzehnten hat sie Beeindruckendes erlebt und geleistet. Anfangs versorgt sie bei Santitätsdiensten meist kleinere Wunden, später ist sie im Rettungsdienst bei dramatischen Unfällen oder Suiziden auch oft mit dem Tod konfrontiert.

Ihre biografische Rückschau bietet einen guten Überblick über die Vielfalt des Rettungswesens wie auch über die Entwicklung der verwendeten Ausrüstung. Waltraud erzählt von den Widerständen, die sie als erste Frau im deutschen Rettungsdienst überwinden musste - überraschenderweise kam Gegenwind auch aus den Reihen der weiblichen Rotkreuzlerinnen. Doch sie setzt sich durch, und nach einigen Jahren ehrenamtlicher Tätigkeit greift Waltraud zu, als sich ihr die Chance bietet, ihre Leidenschaft auch zur Profession zu machen: Sie wird die erste hauptamtliche Rettungssanitäterin in Lindau.

Etwas mehr Professionalität hätte allerdings auch diesem Buch gut getan. Zwar hat Waltraud Mayer ihre Erinnerungen nicht selbst niedergeschrieben, sondern als Co-Autorin fungierte ihre Tochter Doris Mayer-Frohn. Ich weiß nicht, welche Beweggründe zu dieser Entscheidung führten; laut Klappentext hat Mayer-Frohn "eine pädagogische Ausbildung absolviert". Waltraud wäre aber besser beraten gewesen, jemanden mit Erfahrung als Schriftsteller für ihre Biografie zu verpflichten. Denn so werden ihre zweifelsohne erinnernswerten Erlebnisse leider oftmals durch sprachliche Mängel getrübt. Mehr als einmal mutet die Erzählung wie ein (nicht sonderlich gelungener) Schulaufsatz an. Zudem hätte ich mir etwas mehr Tiefgang und Ausgewogenheit gewünscht. Bekanntermaßen gibt es ja immer zwei Seiten einer Medaille, und es wäre doch interessant, zu erfahren, was hinter Waltrauds Auseinandersetzung mit ihrem Chef steckte, und nicht nur, dass diese sie letztlich dazu bewogen haben, Altersteilzeit zu beantragen.

Was bleibt nach der Lektüre? Großer Respekt vor der beachtlichen Lebensleistung einer Rettungsdienstpionierin, die den obersten Grundsatz des Roten Kreuzes verkörpert: Menschlichkeit.

Bewertung vom 04.02.2022
Derndorfer, Eva;Fischer, Elisabeth

Alkoholfreie Drinks


ausgezeichnet

​​​​​Es gibt viele Gründe, keinen Alkohol zu trinken, auf gute Drinks muss man dennoch nicht verzichten: Dieses hochwertig gestaltete Hardcover bietet hundert Prozent Genuss bei null Promille!

Trinken ist auch ein Sinneserlebnis und als solches natürlich Geschmackssache; was der einen zusagt, dabei verzieht der andere den Mund. Um so erfreulicher, dass hier gleich mehr als hundert Rezepte mit einer großen Bandbreite darauf warten, verkostet zu werden. Darunter finden sich alkoholfreie Varianten von Klassikern wie Aperol Spritz, Kir Royal oder Traminer. Es werden süße Liköre und Sirups eingekocht, aber auch Fans von sauren oder bitteren Geschmacksnoten kommen auf ihre Kosten.

Die Drinks sind praktisch nach Jahreszeiten (Sommer - Winter) bzw. Frucht, Wein und Cocktails sortiert. Und da das Auge nicht nur mit isst, sondern auch mit trinkt, gibt es eine kurze Gläserkunde, und zu jedem Rezept ist angegeben, in welchem Glas das Getränk stilvoll serviert wird.

Die Rezepte kommen mit wenigen und fast ausnahmslos gängigen Zutaten aus, sie sind schnell und unkompliziert gemixt. Tipps und Variationen bringen noch mehr Vielfalt in die Kehle, und besonders gefällt mir, dass die Autorinnen auch Hinweise geben, zu welchen Speisen die Drinks die optimalen Begleiter sind. Mit ganzseitigen Fotos und modernem, übersichtlichen Layout punktet dieses Werk auch optisch.

Ich bin begeistert und möchte das rundum gelungene Buch nicht mehr missen. Einen winzigen Kritikpunkt habe ich dennoch: Der matte Einband verschmutzt leicht und ist dadurch nur bedingt küchentauglich.

Meine Empfehlung lautet daher: Kaufen - in Schutzfolie einbinden - Drinks mixen und genießen!

Bewertung vom 01.02.2022
Mechsner, Sylvia

Endometriose - Die unterschätzte Krankheit


ausgezeichnet

Endometriose ist eine der häufigsten chronischen Krankheiten bei geschlechtsreifen Frauen, und doch führt sie ein Schattendasein. Andere Volkskrankheiten wie Diabetes werden meist schnell erkannt; dagegen haben von Endometriose Betroffene oft einen jahrelangen Leidensweg hinter sich, bis die korrekte Diagnose gestellt wird. Autorin Prof. Dr. med. Sylvia Mechsner ist angetreten, um dies zu ändern.

Im vorliegenden Ratgeber informiert die Ärztin eingehend über das Krankheitsbild, Entstehung und Symptome der Endometriose. Dabei bleiben den Leser*innen medizinische Fachbegriffe nicht erspart, doch dank vieler Abbildungen und Grafiken und auch einiger erklärender Wiederholungen werden auch komplizierte Sachverhalte verständlich erklärt. Prof. Dr. Mechsner hat nicht nur einen Lehrstuhl für Endometrioseforschung, sondern leitet auch das Endometriosezentrum der Berliner Charité. Davon profitiert dieses Buch, man merkt, dass Mechsner nicht nur fundiertes Fachwissen hat, sondern auch einen respektvollen, wertschätzenden Umgang mit ihren Patientinnen pflegt. Überraschend für ein Sachbuch ist, dass die Autorin auch subjektive Meinungen

vertritt. Da diese als solche deutlich sichtbar sind, ist dagegen auch nichts einzuwenden, im Gegenteil, es erhöht in meinen Augen sogar die Glaubwürdigkeit.

Wertvoll sind die zahlreichen weiterführenden Informationen im Anhang, bei denen Betroffene zusätzlich Hilfe suchen können.

Ein sehr hilfreiches Werk, das nicht nur jede Frau mit Unterleibsbeschwerden oder unerfülltem Kinderwunsch, sondern auch alle Frauen- und Hausärzt*innen kennen sollten!

Bewertung vom 31.01.2022
Hector, Wolf

Die Brücke der Ewigkeit / Die Baumeister Bd.1


ausgezeichnet

Wolf Hector tritt mit "Die Brücke der Ewigkeit" erstmals als Romanautor in Erscheinung - ein Erstlingswerk also? Mitnichten, vielmehr hat sich der mehrfach preisgekrönte Autor Thomas Ziebula lediglich ein weiteres Pseudonym zugelegt. Er ist in verschiedenen Genres zu Hause: Neben Fantasy- und historischen Kriminalromanen hat er bereits mehrere Historienromane veröffentlicht, die mir allesamt sehr gut gefallen haben.

"Die Brücke der Ewigkeit" legt noch eine Schippe oben drauf, hier stimmt einfach alles. Hector startet ungewöhnlich, in dem er scheinbar gleich mit dem ersten Kapitel "Das Ende" des Romans beschreibt. Doch keine Sorge, dies geht keineswegs zu Lasten der Spannung, im Gegenteil. Denn natürlich verrät der Anfang nur einen Teil des Ausgangs der Story, und man erliest sich quasi peu à peu viele Puzzleteilchen, die erst zum Ende ein - rundum stimmiges - Gesamtbild ergeben.

Im Zentrum der Geschichte steht der Bau der Karlsbrücke, und was mir besonders gefallen hat, sind zahlreiche historische Details über den damaligen Brückenbau. Nicht nur die Widrigkeiten, mit denen die Baumeister zu kämpfen hatten, wie mehrere Hochwasserfluten oder der unebene felsige Untergrund, sondern auch Amüsantes, wie etwa die Beimischung von Eiern und Quark, um dem verwendeten Mörtel mehr Festigkeit zu verleihen. Neben Handwerkern spielen Kirchenvertreter, Adelige, Prostituierte und Astrologen eine Rolle, insofern ist dieser Roman auch ein anschauliches Sittengemälde des mittelalterlichen Prags.

Trotz der über 600 Seiten wird es nie langweilig. Dafür sorgen Zeitwechsel, interessante, glaubhafte Figuren, eine gute Mischung aus sympathischen und schrecklichen Charakteren, aber ohne ausschließliche Schwarz-weiß-Malerei sowie reichlich Verrat und Intrigen. Und auch die Liebe, in verschiedenen Facetten, kommt nicht zu kurz.

Der Ullstein Verlag hat dieses Taschenbuch sehr schön ausgestattet: Neben Personenverzeichnis, Zeittafel und einem Glossar verwendeter mittelalterlicher Begriffe findet sich auch eine Karte Prags um 1400.

Von mir gibt es eine klare Leseempfehlung für Liebhaber guter Historienromane. Ein kleiner Wunsch zum Schluss: Ich hoffe, dass nun erst mal Schluss mit neuen Pseudonymen ist - nicht dass ich dadurch eine Neuveröffentlichung des von mir geschätzten Autors nicht als solche erkenne ...

Bewertung vom 19.01.2022
Hein, Sybille

Eure Leben, lebt sie alle


ausgezeichnet

Eins vorweg: Das Cover ist das schlechteste an diesem Buch, es wird dem äußerst gelungenen Roman nicht ansatzweise gerecht.

Autorin Sybille Hein lässt uns auf unterhaltsame und intelligente Weise am Leben ihrer fünf Protagonistinnen teilhaben. Da ist etwa Psychologin Ellen, die ihrer jugendlichen Ungebundenheit hinterher trauert, die sie einstmals als Sängerin einer Band ausleben konnte. Und so flüchtet sich Ellen aus dem Trott zwischen Familienalltag und Praxis in eine Affäre mit einem Toyboy. Oder die stets perfekt gestylte Luise, die ihre Selbstzweifel hinter einer Wand aus Regeln und Erwartungen versteckt, unter denen nicht nur ihre Familie, sondern auch sie selbst leidet. Sie mutiert zu einem Kontrollfreak, die an Bree aus der TV-Serie "Desperate Housewives" erinnert.

Gemeinsam ist den Figuren, dass sie im Lauf ihres Lebens eine Fassade errichtet haben, dass sie dem entsprechen, was andere von ihnen erwarten, oder auch einem Bild, das sie selbst einmal von sich gezeichnet haben. Auf der Strecke geblieben ist dabei, inne zu halten und sich selbst ehrlich zu betrachten. Bestandsaufnahme des eigenen Lebens zu machen, sich an Träume zu erinnern, Wünsche zu hinterfragen. Und vor allem: sich nicht nur einzugestehen, wenn man in der Vergangenheit Fehler gemacht hat, sondern diese auch zu korrigieren, selbst wenn beides Mut erfordert.

Hein ist es gelungen, höchst verschiedene Charaktere zu schildern, die einem sofort vertraut erscheinen. Sie erinnern an eine Arbeitskollegin, Nachbarin, Tante - oder auch ein wenig an sich selbst. Hein schreibt kraftvoll, witzig und bringt zum Nachdenken. Gute Unterhaltungsliteratur - die ich von dem albernen Einband befreit habe.

Bewertung vom 19.01.2022
Atwood, Margaret

Survival


gut

Margaret Atwood zählt zu den wenigen kanadischen Autorinnen und Autoren, die es zu Weltruhm gebracht haben. Ihre Dystopie "Der Report der Magd" wurde in zahlreichen Ländern ein Bestseller. Nun ist Atwoods Analyse der literarischen Landschaft ihrer Heimat erstmals auf Deutsch verlegt worden, knapp 50 Jahre nach Veröffentlichung des Originals.

Ich mag Atwoods Romane, stellte vor der Lektüre von "Survival" selbstkritisch fest, dass ich wenig über Kanada und noch weniger über Canlit wusste und stürzte mich erwartungsvoll auf die vom Verlag recht vollmundig als skandalös und hochamüsant angepriesene Literaturgeschichte.

Was habe ich durch das Buch gewonnen? Nun, durchaus an Erkenntnis, etwa dass Atwood das Überleben als eines der zentralen Symbole kanadischer Literatur ausmacht. Dass die Natur von kanadischen Autoren als zerstörerisch und brutal beschrieben wird, dass ihre Protagonisten verzweifelte Verlierer sind, geprägt von der kolonialen Ausbeutung ihrer Heimat.Die Zukunft einer Nation benötigt eine identitätsstiftende Vergangenheit, und der Blick auf den Ist-Zustand der Literatur kann sicher zum (Selbst-)Verständnis einer Nation beitragen. Allerdings kann ich Atwoods Thesen nicht einmal ansatzweise bewerten, kenne ich doch so gut wie keines der zahlreich zitierten Werke. Überdies ist ihre Analyse veraltet, sie bildet den Status von vor 50 Jahren ab. Und das ist mir zu wenig. Ich frage mich einerseits, wieso Atwood es - abgesehen von weiteren Vorworten - nicht für sinnvoll und nötig erachtete, ergänzende Kapitel zur jüngeren Canlit zu verfassen. Außerdem würde ich gerne wissen, wieso der Verlag ein derart angestaubtes und veraltetes Buch gerade jetzt erstmals in Deutsch veröffentlicht. Vermutlich wäre das ohne Atwoods Prominenz und der Tatsache, dass Kanada Gastland der letzten Frankfurter Buchmesse war nicht geschehen.

Was mich ferner stört ist die Verwendung des Begriffs "amerikanische Literatur", wenn US-amerikanische Literatur in Abgrenzung zur Canlit gemeint ist. Was ist mit der Literatur aus Mittel- und Südamerika? Aber es kommt noch schlimmer: Dass Atwood es bei der Neuauflage von 2013 nicht erforderlich fand, die postkoloniale, äußerst negativ besetzte Fremdbezeichnung "Indianer" durch First Nations oder Natives zu ersetzen, ist inakzeptabel und ignorant. Dass der berlin Verlag sich hier mit einer einzigen, winzigen Fußnote aus der Verantwortung stiehlt, enttäuscht mich überdies. Ich wünsche mir hier, dass man Haltung zeigt. Ebenso sollte man wissen, dass Atwood - selbst Anglokanadierin - auf die frankokanadische Literatur nur stiefmütterlich eingeht.

Für mich ein insgesamt durchwachsenes Leseerlebnis, leider.

Bewertung vom 17.01.2022
Seeger, Johann

Die Schule der Redner


sehr gut

Hätte man mich vor der Lektüre dieses Romans nach einer Gemeinsamkeit von Rittern und Rhetorik gefragt, hätte ich wahrscheinlich erst gestutzt und dann etwas von "Minnegesang" gemurmelt.

Johann Seeger aber fügt die beiden Felder in seinem Erstlingsroman geschickt zu einem spannenden Plot, in dem Ritter und Vertreter verschiedener Religionen um die Macht des Wortes ringen. Man merkt der Erzählung an, dass der Autor hauptberuflich Rhetoriktrainer ist. Geschickt erteilt er seinen Leser*innen quasi nebenbei die ein oder andere Lektion in der Kunst der Rede. Ich habe dies mit großem Genuss und viel Gewinn gelesen, denn es kommt keineswegs schulmeisterlich daher, sondern ist sehr mitreißend und kurzweilig . Leider fällt bisweilen aber auch auf, dass es Seegers erster Historienroman ist. So gibt es den ein oder anderen (kleinen) Anschluss- oder Logikfehler, und dass der Ausdruck "Kartoffelnase" einen vorgreifenden Anachronismus darstellt, hätte der ausgewiesene Mittelalterfan Seeger eigentlich wissen müssen.

Darüber kann man aber großzügig hinwegsehen, wenn man vor allem spannende Unterhaltung möchte. Denn die liefert Seegers ohne Frage: Atemberaubende Verfolgungsjagden wechseln sich mit grausamen Folterszenen ab, die Erzählung ist temporeich, dicht und gefühlvoll. Ab und an haben mir die Protagonisten ein Quäntchen zu viel Glück oder scheinen regelrechte Zauberkräfte zu entwickeln, aber sei´s drum ... Etwas mehr hat mich gestört, dass der Plot zum Ende hin zunehmend in Richtung Fantasy geht, das ist einfach nicht mein Genre.

Dennoch gibt es von mir eine klare Leseempfehlung für alle Liebhaber guter Mittelalterromane, die überdies Interesse an Rhetorik haben. Besonders gefallen hat mir das persönliche Nachwort des Autors, in dem er nicht nur erklärt, wie Sprache anhand von Agitation und Propaganda missbraucht wird, sondern auch dazu aufruft, sich durch rhetorische Kenntnisse genau davor zu schützen.

Bewertung vom 17.01.2022
Lingyuan, Luo

Sehnsucht nach Shanghai


ausgezeichnet

Journalistin, Weltreisende, Abenteurerin, Autorin und erste Bergbauingenieurin der USA - das 92 Jahre währende Leben der 1905 geborenen Emily Hahn war Vieles, nur mit Sicherheit nicht langweilig.

Reichlich Stoff für einen Roman also, und natürlich gibt es nicht nur Hahns eigene Bücher zu entdecken (mehr als 50 an der Zahl), sondern auch zahlreiche Veröffentlichungen über diese großartige Schriftstellerin. Und dennoch möchte ich "Sehnsucht nach Shanghai" aus dieser Fülle hervorheben und besonders empfehlen. Ich kann dazu etliche Gründe anführen, nenne hier aber nur die beiden wichtigsten:

Autorin Luo Lingyuan hat sich in ihrem biografischen Roman auf die sieben Jahre beschränkt, die Emily Hahn in China, und davon vor allem in Shanghai, verbracht hat. Und doch ist die Geschichte extrem dicht, die Ereignisse folgen so schnell aufeinander, dass einen beim Lesen schier schwindelt und man sich fragt, wie die junge Emily nach all den erlebten Schicksalsschlägen immer weiter machen, sich immer neu erfinden konnte. Besonders erwähnen möchte ich, dass Lingyuan ausschließlich historisch belegte Personen auftreten lässt. Die oftmals überstrapazierte "dichterische Freiheit" fehlt - diese Autorin hat sie schlichtweg nicht nötig, Emilys Leben ist spannend genug, Lingyuan muss nichts dazu erfinden, um eine fesselnde Lektüre zu schreiben.

Was allerdings nötig ist, ist umfangreiche Recherche und akribische Auswertung der im Überfluss vorhandenen Originaldokumente. Und hier hat Lingyuan Großartiges geleistet. Sie nutzte ihre familiären Kontakte in die alte Heimat und konnte so nicht nur auf englische und deutsche, sondern auch auf chinesische Originalveröffentlichungen zurückgreifen, sozusagen Informationen "aus erster Hand" nutzen.

Herausgekommen ist ein faszinierendes Porträt einer unkonventionellen jungen Frau, die sich durch nichts und niemanden aufhalten ließ. Es ist ebenso die Geschichte einer großen Liebe und deren plötzlichem Ende. Und fast im Vorbeigehen gewinnt man kurze, aber intensive Einblicke in die chinesische Upper Class, das Schicksal der in Shanghai gestrandeten Juden, die vor den deutschen Nazis geflohen waren sowie den zweiten Japanisch-Chinesischen Krieg. Ein klein wenig zu kurz kommt für meinen Geschmack die Beziehung zwischen Emily und der Ehefrau ihres chinesischem Geliebten Zau Sinmay, die wohl mehr als ambivalent war und zwischen Freundschaft und Eifersuchtsdramen changierte.

Aber das wäre vermutlich Stoff für einen weiteren spannenden Roman ...

Bewertung vom 07.01.2022
Pickeral, Tamsin

Die Eleganz der Katze


sehr gut

Dieser brillante Bildband beeindruckt zuallererst durch seine hochwertige Aufmachung. Großformatig und mit überdurchschnittlich stabilem Einband versehen liegt das Hardcover schwer in der Hand und man wünscht sich schon für ein erstes Durchblättern eine stabile Unterlage.

Auf Anhieb war ich von den hervorragenden Fotos begeistert. Die meisten Aufnahmen sind farbig, einige wenige schwarz-weiß, allen gemeinsam ist eine ganz besondere Ästhetik mit künstlerischem Anspruch. Dabei zeigt Tierfotografin Astrid Harrisson eine große Bandbreite ihres Könnens. Die portraitierten Katzen sind in der Natur und in Wohnräumen festgehalten, man kann sie in ihrer ganzen Pracht und anhand von ungewöhnlichen Detailaufnahmen bewundern. Und nicht zuletzt bestechen viele Fotos durch eine ungewöhnliche Perspektive.

Bedauerlicherweise erreicht der begleitende Text von Kunsthistorikerin und Tierbuchautorin Tamsin Pickeral nicht ganz die Klasse der Fotografien.

Es werden 55 Katzenrassen vorgestellt, darunter bekannte wie die Siam, Perser oder Maine Coon, aber auch unübliche wie die Pixiebob oder die schottische Faltohrkatze. Eingeteilt sind die Rassen in fünf Kapitel nach dem Zeitpunkt der Entstehung, vom Altertum bis in die Neuzeit. Die Einleitung zu den verschiedenen Epochen ist noch gleichermaßen informativ wie kurzweilig. So erfährt man etwa, dass der Kult um die altägyptische Göttin Bastet, die mit einem Katzenkopf dargestellt wurde, einerseits zu immenser Verehrung der Samtpfoten führte, andererseits auch aus heutiger Sicht grausame Auswüchse hervorbrachte: So wurden eigens Katzen in großer Zahl gezüchtet, nur um getötet und mumifiziert als Grabbeigaben zu dienen. Interessant sind auch Legenden, Mythen und Aberglaube rund um die Stubentiger sowie kurze Beschreibung, wann und wo sie nicht nur als Haus- sondern auch als Gebrauchstiere dienten.

Die einzelnen Rasseporträts schließlich konnten mich leider nicht gänzlich überzeugen. Zu Beginn gibt es einen kurzen und guten Überblick über Erscheinungsbild, Größe, Fell und Wesen der jeweiligen Rasse. Im folgenden ausführlichen Text legt Pickeral allerdings den Schwerpunkt für meinen Geschmack zu sehr auf die Zucht. Welche Rasse wann, wo und von wem zuerst gezüchtet wurde oder wie viele Katzenbabies im ersten Wurf mit dem und dem Merkmal auftraten hat mich mit der Zeit etwas gelangweilt. Auch das Wissen, welche Rasse wann von welchem Zuchtverband anerkannt wurde oder welche Katze aus welcher Ausstellung als Champion hervorging dürfte wohl in erster Linie Züchter und weniger den normalen Katzenliebhaber interessieren. Etwas irritiert hat mich auch die Übersetzung: Es ist fast ausschließlich von "Kitten" die Rede, wenn es um Katzennachwuchs geht. Zwar ist dieser englische Ausdruck wohl den meisten Lesern auch hierzulande verständlich, jedoch hat sich der Begriff im deutschsprachigen Raum bislang vor allem unter Katzenzüchtern durchgesetzt. Im allgemeinen Sprachgebrauch herrschen nach wie vor die Worte Katzenbaby, Kätzchen oder Katzenjunges vor.

Etwas anstrengend wird die Lektüre aufgrund der sehr kleinen Schrift.

Fazit: Ein wunderschön illustrierter Bildband mit äußerst gelungenen Fotos mit künstlerischer Note. Als Coffee Table Book für Katzenfans großartig, im Text etwas zu viel Augenmerk auf die Zucht.

Bewertung vom 27.12.2021

Selber machen statt kaufen - Geschenke


ausgezeichnet

Früher war Selbstgemachtes in den Augen vieler kein "richtiges" Geschenk, außer vielleicht es war von Kinderhänden fabriziert worden. Schön, dass sich das langsam aber sicher ändert: Nachhaltigkeit und weniger Konsum haben Einzug in den Zeitgeist gefunden, und der Wert eines Geschenks wird nicht mehr vor allem danach bemessen, was es gekostet hat.

Das vorliegende schmale Taschenbuch ist ein wahres Füllhorn an Ideen für individuelle, selbstgemachte Geschenke, denen ein eigener Wert inne wohnt. Nicht obwohl, sondern gerade weil man sie nicht kaufen kann. Die mehr als 100 Anleitungen sind äußerst vielfältig: selbst gezogene exotische Zimmerpflanzen, hausgemachte Salben oder Badezusätze, ein Memory-Spiel mit persönlichen Fotos oder das Kuschelkissen aus einem alten Lieblingsshirt - es gibt Nützliches, Leckeres und einfach nur Schönes zu kreieren.

Die Anleitungen sind gut verständlich und oft Schritt für Schritt durch anschauliche Fotos illustriert. Leider fehlen Angaben zu Herstellungszeit und Schwierigkeitsgrad, das dürfte für Do-it-yourself-Anfänger nicht immer einfach abzuschätzen sein. Sehr gut gefallen hat mir die Einleitung, die auch dazu anregt, gemeinsame Zeit für ein Erlebnis zu verschenken. Auch sind Tipps für Patenschaften oder Spenden im Namen des Beschenkten eine schöne Idee. Ein weiteres Highlight für mich ist das letzte Kapitel, das sich mit den Möglichkeiten der nachhaltigen und zugleich sehr persönlichen Geschenkverpackung befasst.

Der Herausgeber smarticular Verlag betreibt auch das Ideenportal smarticular.net, das sich verschiedensten Aspekten der Nachhaltigkeit widmet. Und so gibt es zu jeder im Buch enthaltenen Anleitung auch einen weiterführenden Link.

Ich habe in diesem hübsch gestalteten kleinen Büchlein überraschend viele tolle Geschenkideen gefunden, und alles, was ich bislang ausprobiert habe, war problemlos nachzumachen. Es war doppelte Freude, einmal beim Herstellen und dann noch beim Verschenken, sehr zu empfehlen!