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YukBook
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Insgesamt 309 Bewertungen
Bewertung vom 17.05.2020
Crouch, Blake

Gestohlene Erinnerung


sehr gut

Schöne Erlebnisse rufen wir uns gern ins Gedächtnis und bedauern, wenn unsere Erinnerungen verblassen. Doch würden wir so weit gehen, eine Technologie zu nutzen, die uns die kostbaren Momente erneut erleben lässt ? Um diese Frage dreht sich der Thriller von Blake Crouch.

Für die zwei Hauptfiguren spielen Erinnerungen aus unterschiedlichen Gründen eine besondere Rolle. Der New Yorker Detective Barry Sutton wird immer häufiger mit Fällen konfrontiert, in denen Menschen von falschen Erinnerungen gequält und in den Selbstmord getrieben werden. Die Beschreibung der ansteckenden Krankheit wirkt so real, dass ich bei der Lektüre fast Angst hatte, mich anzustecken. Privat ist Barry besessen von bestimmten Erinnerungen an seine verstorbene Tochter. Nostalgie ist für ihn ein Betäubungsmittel wie Alkohol, das sein Leben erträglich macht.

Im zweiten Erzählstrang entwickelt die Hirnforscherin Helena Smith eine Technologie, mit der sich Erinnerungen konservieren lassen, um Alzheimer-Patienten wie ihrer Mutter zu helfen. Wie so oft wird ihre Erfindung jedoch von einem machtgierigen Gegenspieler missbraucht und löst eine Katastrophe aus. Bei der Beschreibung von Helens Arbeit lässt Crouch wissenschaftliche Hintergrundinfos einfließen und regt zum Nachdenken an, woran wir im Alltag die Realität festmachen.

Es gibt viele Geschichten, in denen zwei Handlungen auf unterschiedlichen Zeitebenen parallel erzählt werden und aufeinander zulaufen. In diesem Thriller ist es jedoch weitaus komplizierter. Den Einstieg fand ich unheimlich stark, doch zum Ende hin wurde es mir vor lauter Zeitreisen und dem Wechsel zwischen realen und falschen Erinnerungen etwas zu konfus.

Nichtsdestotrotz schreibt Blake Crouch sehr fesselnd und behandelt ein brisantes Thema: Wie weit würden wir gehen, um mit Hilfe von Technologien unser Leben und das Weltgeschehen zu steuern? Ein Szenario, in dem Menschen in den Lauf der Dinge eingreifen und ihr Schicksal selbst lenken, ist beängstigend.

Bewertung vom 05.05.2020
Bryson, Bill

Eine kurze Geschichte des menschlichen Körpers


ausgezeichnet

Kann man die Wunder des menschlichen Körpers in ein einziges Buch packen? Bill Bryson schafft es in seinem jüngsten Werk. Er nimmt uns mit auf eine Entdeckungsreise durch den menschlichen Organismus, von Kopf bis Fuß, vom Primaten bis zum Homo sapiens, von der Geburt bis zum Tod.

Zu Beginn präsentiert Bryson uns Zahlen, die sich schlicht unserer Vorstellungskraft entziehen wie die Zahl der chemischen Elemente, die in unserem Körper vorkommen, die Länge der Blutgefäße oder der DNA und führt uns vor Augen, wie selten wir einen Gedanken an die Vorgänge, die uns am Leben erhalten, verschwenden.

Ich fühlte mich in den Biologieunterricht zurückversetzt, mit dem Unterschied, dass mich die Lehrbücher damals lang nicht so gefesselt haben wie Brysons Beschreibungen und treffende Metaphern, wenn es um die Atmung, den aufrechten Gang oder die Verdauung geht. Er erklärt nicht nur die Funktionen und faszinierenden Leistungen unserer Körperteile, sondern stellt auch fest, dass manche keinen evolutionären Nutzen haben oder bis heute noch nicht genügend erforscht sind.

Die Forschung nimmt überhaupt einen großen Raum in diesem umfangreich recherchierten Buch ein. Man staunt, wie bedeutend kleine Zufallsentdeckungen für den medizinischen Fortschritt waren, wie oft die Lorbeeren genialer Wissenschaftler von anderen eingeheimst wurden und welchen kuriosen Beschäftigungen einige nachgingen, zum Beispiel ein Arzt, der sich eine Sammlung von 2374 verschluckten Gegenständen anlegte.

Ich wünschte, Fachwissen würde immer so spannend, anschaulich und mit einer Prise Humor vermittelt werden, wie es Bill Bryson in diesem Buch gelingt.

Bewertung vom 24.04.2020
Ramlakhan, Nerina

Das kleine Hörbuch vom guten Schlaf / Das kleine Hörbuch Bd.6 (1 Audio-CD)


ausgezeichnet

Es ist paradox: Gerade dadurch, dass wir uns zu viele Gedanken darüber machen und uns unter Druck setzen, bekommen wir ihn oftmals nicht: den tiefen und erholsamen Schlaf. Das bestätigt auch Dr. Nerina Ramlakhan in diesem Hörbuch. Dabei sei es etwas ganz Natürliches, dass wir um zwei oder drei Uhr nachts aufwachen. Schon unsere Vorfahren waren an zwei geteilten Schlafblöcken, den segmentierten Schlaf, gewöhnt. Sie erinnert uns auch daran, dass wir unsere Energie nicht allein aus dem Schlaf, sondern auch aus Nahrung und Bewegung gewinnen.

Diese und viele weitere interessanten Fakten präsentiert die Schlaftherapeutin in diesem kleinen, aber feinen Hörbuch. Obwohl es nur etwas über eine Stunde geht, beleuchtet sie das Thema aus vielen verschiedenen Blickwinkeln. Sie erläutert, was guten Schlaf ausmacht und welche positiven Auswirkungen er auf unseren Alltag hat. Sie erklärt verschiedenen Schlafphasen, mögliche Ursachen von Schlafstörungen und gibt praktische Tipps, wie wir durch bestimmte Gewohnheiten abends besser zur Ruhe kommen.

Besonders interessant fand ich, wie Nerina Ramlakhan die westliche Schlafforschung mit östlicher Heilkunst wie die Traditionelle Chinesische Medizin und Ayurveda verbindet und von ihrer Laufbahn und ihren persönlichen Erfahrungen berichtet. Angetrieben durch ihre eigenen Schlafprobleme tauchte sie immer tiefer in die Thematik ein und konnte in ihrer über 20-jährigen Arbeit mit verschiedenen Klienten zwei Schlaftypen ausmachen: den sensiblen Schläfer und den Martini-Schläfer, der überall schlafen kann.

Gelesen wird das Hörbuch von Daniela Hoffmann, die eine sehr angenehme sanfte Stimme und einen aufmunternden Ton hat. Sehr nützlich sind die zehn Schritte zu 'großartigem Schlaf' und die Atem- und Meditationsübungen. Deren Wirkung lässt sich kaum leugnen, denn während der Übungen bin ich einige Male eingedöst und musste zurückspulen.

Bewertung vom 20.04.2020
Schnarch, David Morris

Brain Talk


sehr gut

Unter Mindmapping verstand ich bisher die Methode, Gedanken, Ideen und Assoziationen visuell darzustellen. Es gibt jedoch auch das neurobiologische Mindmapping, das Dr. David Schnarch in diesem Buch detailliert vorstellt. Gemeint ist damit, im Geist einer anderen Person zu lesen und eine mentale Landkarte zu entwerfen. Für den US-amerikanischen Psychologen ist es ein wertvolles Werkzeug, um uns selbst besser zu begreifen und unsere Beziehungen zu anderen zu verbessern.

Erst war ich skeptisch, was so besonders daran ist, die Gedanken anderer zu lesen. Ist es nicht etwas, was wir ganz automatisch tun, damit wir uns im Alltag angemessen verhalten? Während der Lektüre war ich dann doch mehr und mehr beeindruckt, wie viele Facetten das Mindmapping hat, wie steigerungsfähig es ist und und wie man dadurch Lücken in seinen Erinnerungen füllen und mitunter die Bedeutung seiner Lebensgeschichte verändern kann. Der Autor schildert sehr spannend und eindringlich, welche Dramen sich in unseren Köpfen abspielen, wenn wir ein, zwar Schritte vorausdenken und was für raffinierte und berechnende Wesen wir Menschen sind.

Besonders ausführlich beschäftigt sich Dr. Schnarch mit dem traumatischen Mindmapping und nennt viele typische Beispiele, die wir uns möglichst bildhaft vorstellen sollen. Zart besaitet darf man nicht sein, denn der Autor verschont uns Leser ebenso wenig wie seine Klienten mit sehr deutlichen Worten und schockierenden Erklärungen. Er entlarvt jeden Versuch, grausame Absichten von nahestehenden Personen zu verleugnen oder schönzureden. Aktuelle tiefliegende Probleme mit den eigenen Eltern oder dem Partner lassen sich so auf verdrängte traumatische Erlebnisse oder verfälschte Erinnerungen zurückführen.

Wie man mit Mindmapping auch positive Erlebnisse gestalten kann, erwähnt der Autor leider erst am Ende in einem kurzen Kapitel. Dabei hätte mich persönlich sehr interessiert, wie man die Methode nicht nur zur Selbstheilung nach traumatischen Erlebnissen, sondern auch im täglichen Umgang beispielsweise mit Kollegen gewinnbringend nutzen kann.

Trotz der komplexen Thematik und der tiefen Abgründe menschlicher Natur, die der Autor enthüllt, liest sich sein Buch sehr flüssig und spannend dank seinem lebendigen und humorvollen Stil. Gelungen finde ich auch, dass er vertiefende Informationen zu Themen wie antisozialer Empathie oder Neuroplastizität des Gehirns aus dem Hauptteil herausgenommen hat und separat im Anhang ausführt.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.04.2020
Schröder, Martin

Wann sind wir wirklich zufrieden?


sehr gut

Deutschen wird oft nachgesagt, dass sie viel jammern und zu Pessimismus neigen. Dabei geben sich über die Hälfte der Deutschen bei der Frage, ob sie zufrieden mit ihrem Leben sind, 80 und mehr von 100 Punkten. Diese und noch viele weitere überraschende Erkenntnisse präsentiert Martin Schröder in diesem Buch. Dafür hat der Soziologie-Professor eine Langzeitstudie mit über 600.000 Befragungen zu Themen wie Familie, Arbeit, Freizeit und Gesundheit detailliert ausgewertet und die Daten zusammengefasst.

Manches Ergebnis ist ziemlich ernüchternd, zum Beispiel, dass Enkel, Kinder und Großeltern kaum zur Lebenszufriedenheit beitragen oder dass Väter zufriedener sind, je länger sie arbeiten. Andere Vermutungen haben sich für mich bestätigt, beispielsweise dass Gesundheit und soziale Kontakte einen hohen Stellenwert einnehmen. Manche Zahlen machten wir deutlich, dass die Medien mir ein verfälschtes Bild vermitteln, zum Beispiel dass Pendeln unglücklich mache.

Ich war nicht nur über viele Ergebnisse erstaunt, sondern auch fasziniert, wie akkurat Martin Schröder bei der Auswertung vorging und mögliche Störfaktoren heraus rechnete, die die Effekte beeinflussen könnten. Da ich kein Zahlenmensch bin, war ich dankbar, dass er die zahlreichen Grafiken textlich erläutert und das Wesentliche zusammenfasst. Mit Beispielen aus seinem eigenen Bekanntenkreis lockert er seinen Text auf und schreibt witzig und selbstironisch, an manchen Stellen nicht ganz flüssig.

Am Anfang war ich skeptisch, ob sich so etwas wie Zufriedenheit und Glück in reinen Zahlen ausdrücken lässt und ob es dem Leben nicht jeglichen Zauber nimmt. Doch genau darum geht es in dem Buch: Glauben von Irrglauben zu unterscheiden und mit weit verbreiteten Mythen aufzuräumen. So war einer der größten Aha-Effekte für mich, dass wir Menschen uns oft nicht so sehen, wie wir wirklich sind, sondern wie wir uns sehen wollen, weil wir es für wünschenswert oder moralisch richtig halten. Inmitten einer Flut von teils widersprüchlichen Ratgebern, die ein glücklicheres Leben versprechen, gibt Martin Schröder einen interessanten Einblick, was die Menschen in Deutschland tatsächlich zufrieden macht.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.04.2020
Quaderer, Benjamin

Für immer die Alpen


ausgezeichnet

Über das Land Liechtenstein wusste ich bisher nur sehr wenig. Seit der Lektüre dieses Schelmenromans hat sich das schlagartig geändert. Benjamin Quaderer bringt uns darin nicht nur die Berg- und Dorflandschaften seiner Heimat näher, sondern weiht uns auch in die Gesellschaft des Kleinstaats, das Fürstentum und in finanzielle Machenschaften von Steuersündern ein.

Schon der Einstieg zieht den Leser in den Bann: Weshalb lebt der Erzähler, der früher Johann Kaiser hieß, im Zeugenschutzprogramm mit neuer Identität und gilt als Datendieb und Landesverräter? Um uns ins Bild zu setzen, holt der 54-Jährige weit aus, erzählt von seiner Geburt in Vaduz, seinen Eltern und grausamen Zwillingsschwestern, seinem Leben in einem Kinderheim und in einer Eliteschule und seiner steilen Karriere als Lügner, Hochstapler und Betrüger.

Dass ihm von klein auf ständig Ungerechtigkeiten widerfahren, die mit fortschreitendem Alter exponentiell zunehmen und ihn zu einem Getriebenen machen, zieht sich wie ein roter Faden durch den Roman. Gerechtigkeit bedeutet Johann ebenso viel wie wahre Freundschaft und echte Zuneigung, die er für seine Mutter, seinen Kumpel Gian-Andrin sowie zur Fürstin Gina von Liechtenstein empfindet, die ihn protegiert.

Ich habe die knapp 600 Seiten Seiten verschlungen und das trotz der erzählerischen und grafischen Spielereien, die das Lesen teilweise erschweren. So gibt der Weltenbummler seine Erlebnisse in Australien, die er mangels Notizen anhand seiner Erinnerungen rekonstruiert, in seitenfüllenden Fußzeilen wieder und zitiert sich auch gern selbst. Der Wechsel der Erzählperspektive erfordert ebenfalls häufiges Vor- und Zurückblättern. Viel Fantasie und Ideenreichtum beweist Quaderer auch in seinen Beschreibungen und Formulierungen. Selten habe ich in einem Buch so viele Sätze angestrichen, die mir gefielen, wie zum Beispiel "... ich konnte das Wort in ihren Stirnfalten liegen sehen...". Ein literarischer und satirischer Leckerbissen, der obendrein auf realen Begebenheiten beruht.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.03.2020
Winnemuth, Meike

Bin im Garten


ausgezeichnet

Sobald der Frühling naht, stehen alle Klein- und Hobbygärtner in den Startlöchern. Ein richtig großes Gartenprojekt nahm sich Meike Winnemuth vor, als sie eine kleine Holzhütte auf einer 800 Quadratmeter großen Grünfläche an der Ostsee kaufte. In diesem bezaubernd gestalteten Buch erzählt sie uns von ihrem Gartenjahr 2018 in Tagebuchform.

Für eine Journalistin, die zuvor ein Jahr lang durch die Welt gereist ist, muss es eine große Umstellung gewesen sein. Doch genau das war ihr Ziel: Zum einen etwas völlig anderes und neues aufzuprobieren, zum anderen ein Zuhause, eine Heimat für sich zu schaffen, die sie während ihrer Reise vermisste.

Mit großem Vergnügen habe ich die ‚Vollzeitgärtnerin’ dabei begleitet wie sie Saatkataloge studiert, wie verrückt bestellt, ihre Wohnung mit Saatschalen und improvisierten Gewächshäusern vollstellt, gräbt, pflanzt, schuftet, ihre ersten Kräutersaitlinge und Radieschen erntet und voller Stolz ihren Eltern und Freunden eine schmackhafte Mahlzeit zubereitet. 'Jede Mahlzeit hat ihre eigene Geschichte' schreibt sie, und genau diese persönlichen Geschichten, die die Autorin wieder humorvoll mit uns teilt, machen das Buch so lesenswert. Es geht nicht um die besten Gartentipps und Pflanztechniken, sondern um das Gelingen und Scheitern und ihre wechselnden Empfindungen wie ABegeisterung, Erschöpfung, Frust und Glückseligkeit.

Die zahlreichen Farbbilder weckten bei mir die Lust, mich selbst mit verschiedenen Blumen- und Gemüsesorten zu beschäftigen wie zum Beispiel Tomaten, die so klanghafte Namen haben wie Green Zebra, Brandywine Sherry oder Banana Legs. Interessant für mich war jedoch nicht nur der Einblick in die Vielfalt der Natur, sondern auch in einen Alltag, der hauptsächlich von Außentemperatur, Niederschlagsmenge und wetterfester Kleidung bestimmt wird und viel Geduld und Durchhaltevermögen erfordert. Schon in ihrem Buch "Das große Los" gefiel mir ihr Motto 'Einfach machen und sehen, was passiert'. Einige Ideen möchte ich dieses Jahr auch in meinem Garten umsetzen – mal sehen, was passiert.

Bewertung vom 14.03.2020
Vincent, Lucy

Tanzen macht nicht nur glücklich, sondern auch schlau


sehr gut

Ich tanze leidenschaftlich gern. Dass Tanzen glücklich macht, braucht man mir daher nicht zu erklären. Doch macht es auch intelligent? Das behauptet zumindest Lucy Vincent in diesem Buch. Die Neurobiologin bezeichnet Tanzen als 'machtvolle Demonstration der Körperintelligenz' und erläutert, wie körperliche Aktivität nicht nur Endorphine freisetzt, sondern auch die Funktionen des Gehirns optimiert.

Ihren Fokus legt sie auf die Bedeutung des Kleinhirns als Schnittstelle von Körper und Denken. Während der Lektüre wurde mir erst richtig bewusst, wie viele Informationen ständig zwischen Gehirn und Körper fließen und welche positiven Wirkungen zum Beispiel bei einem Bürojob selbst kleine Bewegungseinheiten zwischendurch haben können.

Beim Tanzen, so wird deutlich, kommen gleich mehrere Faktoren zusammen, die das Gehirn stimulieren, zum Beispiel die Ausführung verschiedener Körperhaltungen, die Koordinierung komplexer Bewegungen und der freie Selbstausdruck. Die Autorin zeigt dies am Beispiel unterschiedlicher Tanzformen wie Rock, Salsa oder Tango. Sehr hilfreich sind die Links zu zahlreichen YouTube-Videos, die die Schrittfolgen zeigen. Den Tanz der Maori 'Haka' und den Sonnentanz habe ich gleich selbst ausprobiert und hatte viel Spaß dabei.

Lucy Vincent hebt auch die soziale Bedeutung des Tanzes hervor und beschreibt, wie ein Gefühl der Zugehörigkeit entsteht, ganz gleich ob man sich frei in der Gruppe oder synchron mit anderen Tänzern bewegt. Ob der Tanz sich eines Tages als Paartherapie oder Teambuilding in Firmen etabliert, wird sich noch zeigen. Gründe und Anregungen dafür findet man in diesem Büchlein jedenfalls reichlich.

Bewertung vom 08.03.2020
Winnemuth, Meike

Das große Los


ausgezeichnet

Ich frage mich, warum ich dieses Buch nicht schon viel früher gelesen habe. Eine Journalistin, die bei "Wer wird Millionär" eine halbe Million gewinnt, auf Weltreise geht und darüber berichtet - spannend könnte eine Geschichte doch kaum sein. Hinzu kommt, dass sie sich zwölf Großstädte ausgesucht hat, in der sie jeweils einen Monat verbringt.

Eine Stadt wie Sydney macht ihr den Einstieg leicht, ebenso San Francisco. Mit Mumbai dagegen steht sie lange Zeit auf Kriegsfuß, bis sie auch dort die schönen Aspekte entdeckt. Was ihrem Reisebericht eine besondere Würze verleiht, sind die vielen originellen Einfälle. Sie schildert zum Beispiel ihre Reise in Briefform an zwölf verschiedene Personen aus ihrer Familie und ihrem Bekanntenkreis. Zudem erledigt sie kleine Aufträge für die Leser ihres Reiseblogs, die zu ganz ungewöhnlichen Bekanntschaften und Entdeckungen führen.

Der Autorin geht es nicht darum, möglichst viele Sehenswürdigkeiten abzuhaken, sondern vielmehr zu erfahren, was die Stadt mit ihr macht und welche Gefühle, Eigenschaften und Unternehmungen sie aus ihr herauskitzeln. Einerseits genießt sie die Freiheit und den Luxus, Dinge, auf die sie gerade Lust hat, ausprobieren zu können wie Ukulele zu spielen oder einen Tauchkurs zu machen; andererseits sehnt sie sich nach Nähe und Zugehörigkeit.

Während der Lektüre habe ich eine besondere Verbindung zu Meike Winnemuth gespürt. Ich teile ihr Lebensmotto "Love it, change it or leave it" und ihre Einstellung, möglichst viele Dinge auszuprobieren und seine Überzeugungen immer wieder zu hinterfragen. Dieser wunderbar bebilderte Reise- und Selbsterfahrungsbericht hat meinen Horizont in vielerlei Hinsicht erweitert.

Bewertung vom 04.03.2020
Precht, Richard David

Jäger, Hirten, Kritiker


sehr gut

Angesichts der Macht von Konzernen wie Google oder Amazon gibt man sich schnell dem Lauf der Dinge hin und nimmt eine fatalistische Haltung ein, nach dem Motto, die Digitalisierung ist ohnehin nicht aufzuhalten. Genau hier setzt Richard David Precht an und stellt mögliche Konzepte vor, wie wir digitale Technologien sinnvoll für ein menschenwürdigeres Leben und zum Schutz der Umwelt nutzen können, ohne unsere Autonomie zu verlieren.

Im ersten Teil beschreibt der Philosoph, wie unsere Welt auf eine vierte industrielle Revolution zusteuert. Menschen werden in ihrem Verhalten immer transparenter und kalkulierbarer, gleichzeitig aber auch abhängiger und manipulierbar und verlieren damit zunehmend ihre Freiheit und Selbstständigkeit. Mehrmals fühlte ich mich ertappt, zum Beispiel wie offenherzig ich persönliche Daten zugänglich mache, um den Komfort von verschiedenen Dienstleistungen im Alltag genießen zu können. Der Autor trifft genau den Punkt, wenn er schreibt, dass das Eindringen in die Privatsphäre und die Ausweitung der Macht von IT-Konzernen in kleinen Schritten und so schleichend vor sich geht, dass man deren Auswirkungen unterschätzt.

Möchte ich in einer Welt leben, in der alle Angebote auf mein Konsumverhalten zugeschnitten und alle Erfahrungen vorhersehbar und frei von Überraschungen ist? Die Dystopie, die Precht beschreibt, ist so verstörend, dass ich bei der Lektüre immer ungeduldiger wurde zu erfahren, worin er denn nun genau eine Chance sieht. Für einen notwendigen Schritt hält der Autor unter anderem ein bedingungsloses Grundeinkommen. Klingt einleuchtend, wenn man bedenkt, wie viele Berufe wie Fahrlehrer oder Versicherungsberater in naher Zukunft wegfallen werden.

Ich kann mir noch nicht genau vorstellen, wie Menschen mit der Möglichkeit, ihr Leben freier zu gestalten ohne auf Erwerbsarbeit angewiesen zu sein, umgehen würden. Umso wichtiger erscheint mir Prechts Appell an die Politiker und Bürger, eine Arbeitswelt und Gesellschaft anzustreben, die nicht allein auf Effizienzsteigerung, Perfektionierung und Komfortmaximierung ausgerichtet ist, sondern die menschliche Urteilskraft und Handlungskompetenz fördert und die nötigen Rahmenbedingungen für eine kreative Entfaltung und unkonventionelle Denkweisen schafft. Precht bereichert seine Ausführungen durch Zitate und Ideen von Philosophen und Ökonomen aus verschiedenen Epochen und beschert uns eine lehrreiche und anregende Lektüre.